Baurecht

Baueinstellung für die Erweiterung eines Legehennenstalles

Aktenzeichen  M 1 S 20.5030

Datum:
7.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 435
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 75 Abs. 1 S. 1
BNatSchG § 17 Abs. 4 S. 1
BauGB § 14 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
BayVwVfG Art. 28 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

Einem Bauvorhaben fehlt die offensichtliche Genehmigungsfähigkeit, wenn es naturschutzrechtlich noch nicht abschließend geprüft war, weil dem Bauantrag die erforderlichen Angaben zum naturschutzrechtlichen Eingriff und etwaigem Ausgleich des Eingriffs fehlten. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,– festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Baueinstellungsverfügung der Antragsgegnerin.
Der Antragsteller betreibt eine landwirtschaftliche Hofstelle auf dem Grundstück FlNr. 383 Gemarkung …, das am Ortsrand gelegen ist. Mit Bescheid vom 9. September 2014 wurde dem Antragsteller für dieses Grundstück ein Legehennenstall genehmigt, der anschließend errichtet wurde.
Mit am 14. Mai 2020 bei der Antragsgegnerin eingegangenen Antrag beantragte der Antragsteller die Baugenehmigung für die Erweiterung des Legehennenstalls. Das Vorhaben wurde bezeichnet als „Anbau von ‚2 Wintergärten‘ an den bestehenden BIO-Legehennenstall zur Haltung einer 2. Herde“. Der bestehende Stall von 22,50 m Länge sollte an der Ost- und an der Westseite jeweils um ca. 6 m erweitert werden.
Mit Schreiben vom 22. Mai 2020 wurde der Antragsteller zur Ergänzung der eingereichten Unterlagen aufgefordert, dem der Antragsteller unter dem 8. und 9. Juni 2020 nachkam und hierbei unter anderem angab, dass sich der momentane Bio-Legehennenbestand auf 1.200 Tiere belaufe und durch die Anbauten um 1.350 Tiere erweitert werden solle.
Die von der unteren Bauaufsichtsbehörde beteiligten Stellen des Wasserrechts und des Immissionsschutzes erhoben keine Einwände gegen das Vorhaben. Das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten … (AELF) verwies mit Schreiben vom 16. Juli 2020 darauf, dass das Vorhaben dem landwirtschaftlichen Betrieb des Antragstellers diene.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers wurde am 8. September 2020 im Rahmen einer Akteneinsicht bei der Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass der landschaftspflegerische Begleitplan und die Bilanzierung des naturschutzrechtlichen Ausgleichs noch nicht vorgelegt worden seien.
Eine am 22. September 2020 durchgeführte Ortseinsicht der Antragsgegnerin beim Antragsteller ergab, dass der Hühnerstall an beiden Seiten einen Anbau erhalten hat.
Mit Bescheid vom 22. September 2020, dem Antragsteller am 24. September 2020 zugestellt, erließ die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller einen Bescheid, wonach die Bauarbeiten im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben „Anbau und Erweiterung des besteh. BIO-Legehennenstalles“ auf dem Grundstück E …traße 2 in … sofort einzustellen sind (Nr. 1). Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet (Nr. 2), ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000 EUR angedroht (Nr. 3) sowie Kostenentscheidungen getroffen (Nrn. 4 und 5). Der Bescheid wurde damit begründet, dass das Baugenehmigungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Das Baugrundstück liege im Außenbereich. Die Belange des Naturschutzes hätten noch nicht geprüft werden können. Das Einschreiten sei aufgrund der Bezugsfallwirkung einer solchen Baumaßnahme im Außenbereich sachgerecht gewesen. Es solle verhindert werden, dass vollendete Tatsachen geschaffen würden, die sich nach Beendigung der Baumaßnahme gegebenenfalls nur mit unverhältnismäßigem Aufwand korrigieren ließen; das private Interesse des Bauherrn müsse angesichts des öffentlichen Interesses an der Einhaltung der Bauvorschriften und der Verhinderung vollendeter Tatsachen zurückstehen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung liege im besonderen öffentlichen Interesse. Der Eintritt einer aufschiebenden Wirkung hätte die Fertigstellung des Bauvorhabens zur Folge, sodass die Einstellungsverfügung dann ins Leere liefe und seinen Zweck nicht mehr erreichen könne.
Der Bauausschuss der Antragsgegnerin beschloss in seiner Sitzung vom 24. September 2020, dem Vorhaben nicht zuzustimmen.
Der Stadtrat der Antragsgegnerin beschloss in seiner Sitzung am 21. Oktober 2020, die Erweiterung des Geltungsbereichs zum Bebauungsplan Nr. 172 „E …traße …“ unter Einbeziehung u.a. des Grundstücks des Antragstellers und einer entsprechenden Erweiterung des Geltungsbereichs des Flächennutzungsplans zu billigen. Ziel der Planung sei es, ein Zusammenwachsen des Dorfgebietes mit den nördlich gelegenen Freizeit und Sportflächen zu verhindern. Dabei sollten die landwirtschaftlichen Flächen nördlich der bestehenden, privilegierten Betriebsgebäude von Bebauung freigehalten werden. Ferner wurde eine Satzung über eine Veränderungssperre zur Sicherung des östlichen Teils des in Aussicht genommenen neuen Plangebiets unter Einschluss des Grundstücks des Antragstellers beschlossen, die am 22. Oktober 2020 in Kraft trat.
Der Antragsteller hat durch seinen Bevollmächtigten am *. Oktober 2020 Klage (M 1 K 20.5012) gegen vorgenannten Bescheid bezüglich dessen Ziffern 1,3, 4 und 5 erhoben und beantragt zugleich:
Die aufschiebende Wirkung in Bezug auf die Nummer 1 des Bescheids vom 22. September 2020 wird wiederhergestellt.
Es treffe zu, dass die Erweiterung des Hühnerstalls ohne die erforderliche Baugenehmigung erfolgt sei. Die Baueinstellung sei jedoch rechtswidrig, weil der Ermessensspielraum nicht pflichtgemäß gebraucht worden sei und sie unverhältnismäßig sei. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf die beantragte Baugenehmigung. Dieser Ansicht sei auch die Verwaltung und der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin bei der Behandlung des Bauantrags im Bauausschuss gewesen. Aus Sicht der Verwaltung sei damit die Prüfung der Genehmigungsfähigkeit mit einem positiven Ergebnis abgeschlossen gewesen. Die Baueinstellung sei kein Mittel zur Bestrafung, sondern verfolge das Ziel, rechtmäßige Zustände im Baurecht zu schaffen und eine Klärung der Sachumstände herbeizuführen, um so das weitere Vorgehen der Behörde bestimmen zu können. Sei wie hier diese Klärung abgeschlossen, verfehle eine allein auf die formelle Baurechtswidrigkeit gestützte Baueinstellung ihren Sinn. Die Begründung im Bescheid, dass die Belange des Naturschutzes noch nicht geprüft werden konnten, sei eine formelhafte Aussage ohne Substanz. Zumindest seit Eingang der vollständigen Unterlagen sei Zeit gewesen, diese Prüfung vorzunehmen. Die Baueinstellung sei angesichts des Verfahrensablaufs auch unverhältnismäßig. Die Behörde habe ausreichend Zeit zur Prüfung des Antrags gehabt, sich über ihn auch eine Meinung zur Entscheidungsreife gemacht, dann aber keine Entscheidung getroffen, weil im Falle einer kreisfreien Stadt ein politisch, aber nicht rechtlich agierendes Gremium wie der Bauausschuss den Antrag entgegen den Empfehlungen der Verwaltung ablehne. Ferner sei das Zeitmoment zu berücksichtigen. Je übersichtlicher die vom Vorhaben berührten Rechtsfragen seien und je länger die Behörde die Entscheidung verzögere, desto mehr müsse der Blick beim Ermessensgebrauch auf die Genehmigungsfähigkeit gerichtet werden. Hier ginge es um die bloße Erweiterung eines bestehenden Stalles, das sei rechtlich betrachtet übersichtlich. Die Antragsgegnerin habe auch keine weiteren Unterlagen angefordert.
Die Antragsgegnerin beantragt,
Der Antrag wird abgelehnt.
Das Vorhaben sei zu keinem Zeitpunkt eindeutig genehmigungsfähig gewesen. Unabhängig davon sei es nicht Sache des Baubewerbers zu entscheiden, ob und wann ein Vorhaben genehmigungsfähig sei und dann ohne Genehmigung mit der Bauausführung zu beginnen. Ungeachtet der noch fehlenden naturschutzfachlichen Unterlagen habe die Verwaltung aufgrund der Stellungnahme des AELF dem Bauausschuss empfohlen, dem Bauvorhaben zuzustimmen. Mit deutlicher Mehrheit sei wie bei anderen großflächigen privilegierten Bauvorhaben im Außenbereich thematisiert worden, wie deren städtebauliche Entwicklung auch in Hinblick auf die weitere Versiegelung hinzunehmen sei. Die Entscheidung des Bauausschusses stelle hier auch die Entscheidung über die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens dar. Hier habe das Gremium gerade nicht die Aussage treffen wollen, dass das Bauvorhaben mit den planerischen Absichten vereinbar sei, sondern vielmehr, dass hier eine Fehlentwicklung verfestigt werde. Ohnehin stehe dem Bauvorhaben nunmehr die Veränderungssperre entgegen. Eine Ausnahme sei hierzu nicht beantragt und könne auch nicht zugelassen werden.
Eine ebenfalls am *. Oktober 2020 erhobene Verpflichtungsklage, gerichtet auf die Erteilung der am 14. Mai 2020 beantragten Baugenehmigung, wird unter dem Aktenzeichen M 1 K 20.5187 geführt; über diese ist noch nicht entschieden.
Die Antragsgegnerin stellte mit Schreiben vom 5. November 2020 das Zwangsgeld in Höhe von 10.000 EUR zur Zahlung fällig und drohte ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 13.000 EUR an, falls der Baueinstellung nicht nachgekommen wird. Die hiergegen erhobene Klage wird unter dem Aktenzeichen M 1 K 20.6107 geführt.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auch im Verfahren M 1 K 20.5012, und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat keinen Erfolg.
1. Der Eilantrag, gerichtet auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Baueinstellungsverfügung unter Nr. 1 des Bescheids vom 22. September 2020, ist zulässig, insbesondere statthaft. Die in der Hauptsache erhobene Klage gegen die Baueinstellung hat aufgrund des im Bescheid angeordneten Sofortvollzugs gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung.
2. Die Antragsgegnerin hat die Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ausreichend im Sinne von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet.
Bei Erlass einer Baueinstellung deckt sich regelmäßig das allgemeine öffentliche Interesse am Vollzug des Art. 75 BayBO mit dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Wirksamkeit der behördlichen Anordnung, sodass eine in diese Richtung gehende, formularmäßige Begründung ausreicht (vgl. beispielhaft BayVGH, B.v. 3.2.2005 – 25 CS 04.3341- juris Rn. 4; Decker in Simon/Busse, BayBO, 139. EL Oktober 2020, Art. 75 Rn. 108 m.w.N.). Die Verhinderung gesetzwidriger (Bau-)Arbeiten, die Verhinderung der Schaffung eines bauordnungswidrigen Zustands oder die Verhinderung der Verfestigung eines bereits bestehenden bauordnungswidrigen Zustands liegt stets im besonderen öffentlichen Interesse an einer geordneten städtebaulichen Entwicklung. Dem Begründungszwang für den sofortigen Vollzug ist mit dem Hinweis im Bescheid Genüge getan, dass der Sofortvollzug im besonderen öffentlichen Interesse liegt, weil sonst die Baueinstellungsverfügung ins Leere läuft und ihren Zweck verfehlt, wenn der Antragsteller durch Ausnutzung der aufschiebenden Wirkung die Bauarbeiten fortsetzt, die bauliche Anlage fertigstellt und dies nur schwer rückgängig zu machen ist.
3. Der Eilantrag ist unbegründet.
Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage aufgrund einer eigenen Ermessensentscheidung ganz oder teilweise anordnen, wenn die vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts überwiegt. Hierbei ist in erster Linie auf die Erfolgsaussichten der Klage abzustellen. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt nach summarischer Prüfung als rechtswidrig, so ist die Vollziehung regelmäßig auszusetzen, weil an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse besteht. Erscheint der Verwaltungsakt dagegen nach vorläufiger Betrachtung als voraussichtlich rechtmäßig, ist der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abzulehnen, sofern ein besonderes Vollzugsinteresse besteht. Stellen sich die Erfolgsaussichten als offen dar, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
a) Die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung ergibt, dass die Klage gegen Nr. 1 des Bescheids vom 22. September 2020 keine Erfolgsaussichten hat. Die Baueinstellungsverfügung erweist sich vielmehr als voraussichtlich rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, sodass die Hauptsache voraussichtlich erfolglos ist (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
aa) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist angesichts des Charakters der Baueinstellung als Dauerverwaltungsakt der der mündlichen Verhandlung. Da diese im Eilverfahren nicht stattfindet, kommt es maßgeblich auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts an. Nach Erlass der Anordnung eingetretene oder vorgenommene tatsächliche Änderungen sind folglich zu berücksichtigen. Damit kann auch eine ursprünglich rechtmäßige Baueinstellungsverfügung nachträglich rechtswidrig werden (vgl. zum insoweit vergleichbaren Fall der Nutzungsuntersagung: Decker in Simon/Busse, BayBO, 139. EL Oktober 2020, Art. 76 Rn. 452 m.w.N.).
bb) Rechtsgrundlage der Baueinstellungsverfügung in Nr. 1 des Bescheids ist Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung der Arbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden.
cc) Die Baueinstellungsverfügung ist formell ordnungsgemäß ergangen, insbesondere leidet sie nicht unter einem Anhörungsmangel. Eine vorherige Anhörung war – wie regelmäßig (vgl. BayVGH, B.v. 21.7.2020 – 1 CS 20.1204 – juris Rn.11; B.v. 11.9.2017 – 1 ZB 16.2186 – juris Rn. 5) – nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG verzichtbar angesichts des in der Baueinstellung innewohnenden öffentlichen Interesses daran, den illegalen Weiterbau und damit möglicherweise einen nicht mehr rückgängig zu machenden Verstoß gegen die Rechtsordnung zu verhindern (vgl. BayVGH, B.v. 29.10.2020 – 1 CS 20.1979 – juris Rn. 8; Decker in Simon/Busse, BayBO, 139. EL Oktober 2020, Art. 75 Rn. 25).
dd) Die Baueinstellung ist voraussichtlich auch materiell rechtmäßig.
Nach Art. 75 Abs. 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung von Bauarbeiten anordnen, sofern Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden. Nach allgemeiner Auffassung ist für eine Baueinstellung die formelle Rechtswidrigkeit ausreichend; auf die Frage der Genehmigungsfähigkeit der beanstandeten Maßnahmen kommt es nicht an (vgl. BayVGH, B.v. 11.9.2017 – 1 ZB 16.2186 – juris Rn. 2; B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.672 – juris Rn 8 f. m.w.N.). Die Vorschrift dient in erster Linie dazu, dem formellen Baurecht Geltung zu verschaffen. Mit ihrer Hilfe soll die Schaffung vollendeter, später nicht oder nur schwer rückgängig zu machender Tatsachen verhindert werden. Dieser im Kern präventiven Zielsetzung entspricht es, wenn die Bauaufsichtsbehörde das ihr eingeräumte Ermessen in der Weise ausübt, dass Arbeiten eingestellt werden, sofern Anhaltspunkte für ein genehmigungspflichtiges Bauvorhaben gegeben sind. Allerdings ist die Behörde verpflichtet, die Baueinstellungsverfügung unter Kontrolle zu halten, sich also zu vergewissern, ob sich der Anschein eines Rechtsverstoßes (weiterhin) bestätigt (vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2020 – 9 CS 20.1969 – juris Rn. 13; B.v. 14.4.2020 – 1 CS 20.143 – juris Rn. 9; Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand Juli 2020, Art. 75 Rn. 137).
(1) Die formelle Illegalität des Vorhabens ist gegeben. Der Regeltatbestand nach Art. 75 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. Art. 68 Abs. 5 Nr. 1 BayBO ist erfüllt, wonach mit Bauarbeiten erst begonnen werden darf, wenn dem Bauherrn die Baugenehmigung zugegangen ist. Die Bauarbeiten zur Erweiterung des Stalles wurden begonnen, ohne dass dem Antragsteller die – hierfür erforderliche und beantragte – Baugenehmigung erteilt worden war. Eine Baugenehmigung ist auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ergangen.
(2) Die Ermessensbetätigung der Antragsgegnerin ist nicht zu beanstanden.
Das der Bauaufsichtsbehörde nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO eingeräumte Ermessen ist insoweit ein intendiertes, als ein öffentliches Interesse daran besteht, die Fortführung unzulässiger Bauarbeiten zu verhindern, sofern nicht besondere Gründe vorliegen, die eine andere Entscheidung als die Baueinstellung rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 29.10.2020 – 1 CS 20.1979 – juris Rn. 14; B.v. 2.8.2000 – 1 ZB 97.2669 – juris Rn. 5; Decker in Simon/Busse, BayBO, 139. EL Oktober 2020, Art. 75 Rn. 84 f. m.w.N.). Denn es ist Sache des Antragstellers, vor Baubeginn durch einen Bauantrag oder die Vorlage anderweitiger Unterlagen die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sein Vorhaben den formellen und materiellen Anforderungen des Baurechts entspricht, und es ist ihm zuzumuten, mit der Fortsetzung der Bauarbeiten zuzuwarten, bis die baurechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens festgestellt ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2000 – 2 ZS 00.458 – juris Rn. 6). Wirtschaftliche Nachteile, die mit der Baueinstellung verbunden sind, müssen in aller Regel hinter dem öffentlichen Interesse zurücktreten.
Solche besonderen Gründe, die eine andere Entscheidung als die Baueinstellung rechtfertigen könnten, sind nach summarischer Prüfung nicht ersichtlich. Die Baueinstellung ist insbesondere nicht deswegen ermessensfehlerhaft, weil das Bauvorhaben offensichtlich genehmigungsfähig wäre. Das Vorhaben war weder zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses offensichtlich genehmigungsfähig, noch ist dies jetzt der Fall.
(a) Die Antragsgegnerin verweist zu Recht darauf, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Baueinstellung keine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit vorlag, weil das Bauvorhaben naturschutzrechtlich noch nicht abschließend geprüft war. Vorhaben im Außenbereich unterliegen der Eingriffsregelung (§ 18 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG), so dass in solchen Fällen nach § 17 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG vom Verursacher eines Eingriffs die für die Beurteilung des Eingriffs erforderlichen Angaben zu machen sind. Anhand der Luftbilder und der Lagepläne geht das Gericht zusammen mit den Beteiligten davon aus, dass sich das streitige Bauvorhaben im planungsrechtlichen Außenbereich befindet. Dem Bauantrag fehlten die Angaben zum naturschutzrechtlichen Eingriff und etwaigem Ausgleich des Eingriffs. Hierauf wurde die Antragspartei – wenngleich nur mündlich – am 8. September 2020 hingewiesen, und dies war auch Gegenstand der Beschlussvorlage der Sitzung des Bauausschusses der Antragsgegnerin am 24. September 2020. Daher verfängt auch der Einwand der Antragspartei nicht, die Verwaltung und der Oberbürgermeister seien der Ansicht gewesen, die Prüfung der Genehmigungsfähigkeit sei mit einem positiven Ergebnis abgeschlossen gewesen.
(b) Zum jetzigen Zeitpunkt steht der offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens außerdem die Veränderungssperre der Antragsgegnerin vom 21. Oktober 2020 entgegen.
Die Veränderungssperre, in deren Geltungsbereich auch das Vorhabengrundstück liegt, untersagt die Durchführung von Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 1 BauGB i.V.m. § 2 Abs. 1 der Satzung vom 22. Oktober 2020). Hierzu gehört die Erweiterung des Stalls unzweifelhaft. Ein sich aus städtebaulichen Satzungen ergebendes Zulassungshindernis für ein Vorhaben führt im Regelfall dazu, dass das jeweilige Vorhaben nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist (BayVGH, B.v. 15.1.2016 – 9 ZB 14.1146 – juris Rn. 25). Ob etwas anderes gilt, wenn die jeweilige Rechtsvorschrift offenkundig und nach jeder Betrachtungsweise unwirksam ist, kann dahinstehen, weil diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Zwar stellen sich nach summarischer Prüfung der Satzung Fragen im Hinblick darauf, ob die Planung, die mittels der Veränderungssperre gesichert werden soll, städtebaulich erforderlich ist und eine hinreichend positive Planungskonzeption aufweist. Dies erfordert jedoch eine eingehende Würdigung und Bewertung des Planverfahrens, die über den Rahmen einer Offensichtlichkeitsprüfung, schon gar im Eilverfahren, hinausgeht.
(c) Angesichts des Umstands, dass die naturschutzrechtliche Beurteilung weiterhin aussteht und somit schon deswegen nicht von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit ausgegangen werden kann, kommt es auch nicht darauf an, ob für das Bauvorhaben offensichtlich eine Ausnahme von der Veränderungssperre nach § 14 Abs. 2 BauGB erteilt werden könnte (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 23.11.2010 – 1 BV 10.1332 – juris Rn. 61). Das Gericht merkt jedoch an, dass der kundgetane städtebauliche Wille des Satzungsgebers, ein Zusammenwachsen der Flächen des Dorfgebiets mit den nördlich gelegenen Flächen zu verhindern, mit dem Vorhaben nicht nennenswert verletzt sein dürfte, sodass die Erteilung einer Ausnahme nach § 14 Abs. 2 BauGB durchaus in Betracht zu ziehen ist. Hierfür spricht, dass es sich bei dem Vorhaben nicht um eine Neuerrichtung auf der landwirtschaftlichen Fläche nördlich der bestehenden Betriebsgebäude handelt, die nach dem Aufstellungsbeschluss von Bebauung freigehalten werden soll, sondern es sich lediglich um die Erweiterung des bereits bestehenden Stalls nach Osten und Westen handelt.
(d) Das Zeitmoment, das die Antragspartei anführt, führt zu keiner anderen Beurteilung der Ermessensbetätigung und macht darüber hinaus die Baueinstellung nicht unverhältnismäßig. Erscheint einem Bauherrn die Bearbeitungsdauer seines Antrags zu lang, steht ihm die Möglichkeit offen, eine Untätigkeitsklage zu erheben, um eine Entscheidung über seinen Bauantrag zu erhalten. Hingegen erlaubt es das Bauordnungsrecht gerade nicht, dass sich der Bauherr über die Formenstrenge des Baurechts und das Genehmigungserfordernis hinwegsetzt und nach eigenem Ermessen mit einer Baumaßnahme beginnt.
b) Ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Baueinstellungsverfügung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist gegeben.
Die Vollziehung des Verwaltungsakts muss wegen öffentlicher oder überwiegender privater Interessen besonders dringlich sein und darf keinen Aufschub bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens dulden. Das seitens der Antragsgegnerin geltend gemachte besondere öffentliche Interesse an dem sofortigen Vollzug der Baueinstellung liegt vor. Das öffentliche Interesse daran, dass die Genehmigungspflicht beachtet wird, überwiegt im Allgemeinen das private Interesse, die Bauarbeiten vorläufig fortsetzen zu dürfen (vgl. BayVGH, B.v. 30.8.2007 – 1 CS 07.1253 – juris Rn. 28 für den insoweit vergleichbaren Fall der Nutzungsuntersagung). An der Beachtung des formellen Baurechts und der Durchführung erforderlicher Genehmigungsverfahren vor der Inangriffnahme genehmigungspflichtiger Maßnahmen besteht ein gewichtiges öffentliches Interesse. Diesem öffentlichen Interesse kann nur durch sofortige Vollziehung der Baueinstellung Geltung verschafft werden, weil ansonsten zu befürchten ist, dass das Bauvorhaben andernfalls trotz fehlender Baugenehmigung noch vor rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens fertiggestellt wäre (vgl. hierzu auch Decker in Simon/Busse, BayBO, 139. EL Oktober 2020, Art. 75 Rn. 109).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt.
5. Die Festsetzung des Streitwerts auf EUR 2.500,- erfolgt auf der Grundlage von §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Hiernach wird der Streitwert im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes auf die Hälfte des in der Hauptsache anzusetzenden Auffangstreitwerts in Höhe von EUR 5.000,- festgesetzt.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben