Baurecht

Baueinstellung wegen Überschreitung der zulässigen Abstandsfläche

Aktenzeichen  1 CS 20.396

Datum:
15.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14553
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6 Abs. 2 S. 3, Abs. 9 S. 1 Nr. 1,S. 2, Art. 75 Abs. 1 S. 1
VwZVG Art. 36 Abs. 6 S. 2, Art. 37 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Der Umstand, dass sich auf der Fläche eines angrenzenden Grundstücks die Zufahrt zu einer Tiefgarage befindet, schließt die Möglichkeit, auf diesem Grundstück zu bauen und in Konflikt mit der zu übertragenden Abstandsfläche zu geraten, nicht auf Dauer aus. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 S 20.148, M 11 S 20.354 2020-02-19 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8.750,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) geben keine Veranlassung, die angegriffene Entscheidung zu ändern. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers zu Recht abgelehnt. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung wird die Klage des Antragstellers im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben, sodass das Interesse an der Herstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegenüber dem Vollzugsinteresse des angefochtenen Baueinstellungsbescheids vom 11. Dezember 2019 nachrangig ist.
Bauarbeiten sind dann unzulässig, wenn sie entgegen öffentlich-rechtlicher Vorschriften durchgeführt werden (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO). Voraussetzung einer Baueinstellung sind objektiv konkrete Anhaltspunkte, die es wahrscheinlich machen, dass ein dem öffentlichen Recht materiell oder auch formell widersprechender Zustand geschaffen wird, nicht aber die tatsächliche Bestätigung dieser Vermutung (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand Dezember 2019, Art. 75 Rn. 48). Objektive Anhaltspunkte dafür, dass das Gebäude abstandsflächenrechtlich nicht zulässig sein dürfte, liegen vor. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend nach den vorliegenden Unterlagen darauf abgestellt, dass die Länge der die Abstandsflächentiefe gegenüber den Grundstücksgrenzen nicht einhaltenden Bebauung nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO deutlich mehr als 15 m beträgt. Damit liegt unabhängig von einer etwaigen Überschreitung der zulässigen Höhe des Gebäudes sowie der Frage, ob das Gebäude im Hinblick auf den möglichen Aufenthaltsraum überhaupt vom Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO erfasst wird, ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 9 Satz 2 BayBO vor. Entgegen der Auffassung des Antragstellers können sich die Abstandsflächen nicht auf das Nachbargrundstück erstrecken, auf dem sich die Zufahrt zu einer Tiefgarage befindet. Abstandsflächen dürfen sich auf angrenzende Grundstücke erstrecken, wenn sichergestellt ist, dass die dafür benötigten Flächen auf dem Nachbargrundstück nicht bebaut werden oder wenn der Nachbar zustimmt (Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Denn der Umstand, dass sich auf dieser Fläche die Zufahrt zu einer Tiefgarage befindet, schließt auch angesichts der vorgetragenen Massivität des benachbarten Gebäudes die Möglichkeit, auf diesem Grundstück zu bauen und in Konflikt mit der zu übertragenden Abstandsfläche zu geraten, nicht auf Dauer aus. Die vom Antragsteller in den Blick genommene „theoretische“ Anordnung einer Beseitigungsauflage für den Fall, dass ein solcher Bauwunsch auf dem Nachbargrundstück eintreten sollte, kommt daher nicht in Betracht. Insoweit erübrigen sich Ausführungen dazu im Rahmen der Ermessensabwägungen. Eine Übernahme der fehlenden Abstandsflächen durch den Nachbarn scheitert daran, dass dieser offensichtlich dazu nicht bereit ist.
Auch die Störerauswahl ist nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Bei einer Auswahl zwischen mehreren Störern ist in der Regel der Handlungsstörer vor dem Zustandsstörer in Anspruch zu nehmen, wenn nicht die Wirksamkeit der Maßnahme eine andere Reihenfolge gebietet (vgl. BayVGH, U.v. 3.7.2018 – 1 B 16.2374 – juris Rn. 16; B.v. 28.5.2001 – 1 ZB 01.664 – juris Rn. 5). Dass der Antragsteller das Gebäude nicht errichtet hat, macht er selbst nicht geltend. Er hat sich ausweislich der vorliegenden Unterlagen gegenüber dem Antragsgegner, der sich zunächst mit Schreiben vom 27. Juni 2019 an die Z* … … GbR gewandt hat, als der maßgeblich Verfügungsberechtigte oder wirtschaftlich Verantwortliche geriert und einen Hinweis auf die Verantwortlichkeit anderer Personen für den baurechtswidrigen Zustand unterlassen (ThürOVG, B.v. 27.2.1997 – 1 EO 233.96 – juris Rn. 47; OVG NW, U.v. 6.9.1993 – 11 A 694.90 – NVwZ-RR 1994, 386; Würfel in Simon/Busse, BayBO, Stand April 2019, Art. 50 Rn. 10). Er muss sich deshalb an dem hierdurch hervorgerufenen Anschein seiner (Mit-)Verantwortung solange festhalten lassen, als dieser Anschein gegenüber der Bauaufsichtsbehörde aufrechterhalten bleibt (vgl. VGH BW, U.v. 26.11.1980 – 3 S 2005.80 – NJW 1981, 1003). Dies entspricht den sicherheitsrechtlichen Grundsätzen der Störerhaftung. Es ist daher nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Behörde eine Anordnung gegen denjenigen richtet, der sich immer wieder als der maßgebliche Verfügungsberechtigte oder wirtschaftlich Verantwortliche gerierte, so dass die Behörde den Eindruck gewinnen konnte, durch die Maßnahmen ihm gegenüber würde die öffentliche Ordnung am wirksamsten wiederhergestellt. Soweit das Grundstück im Eigentum eines Dritten – hier der GbR – steht, ist dies für die Inanspruchnahme des Antragstellers als Handlungsstörer ohne Belang. Denn die Störerhaftung einer Privatperson kann auch nach der – vom Bundesgerichtshof im Urteil vom 29. Januar 2001 (Az. II ZR 331.00 – BGHZ 146, 341) nunmehr bejahten – Rechts- und Parteifähigkeit der BGB-Gesellschaft, die nach außen als Gesamtheit auftritt („A.GbR“), neben einer Inanspruchnahme einer juristischen Person des Privatrechts in Betracht kommen, wenn diese – wie hier – als Bauherr gegenüber der Behörde auftritt. Im Übrigen wird die GbR nicht zu einer (mittelbaren) Handlungsstörerin, indem sie die Errichtung des Gebäudes auf ihrem Grundstück nur duldet.
Die Einwände des Antragstellers führen zu keiner anderen Beurteilung. Die nicht näher dargelegte Behauptung des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe seiner Bewertung (nur) eine selektive und unvollständige Auswertung des Akteninhalts zugrunde gelegt, geht angesichts der vorstehenden Ausführungen ins Leere. Das Verwaltungsgericht hat auch keine Verfahrensvorschriften verletzt. Insbesondere ist es seiner Ermittlungspflicht in ausreichendem Umfang nachgekommen. Die erstmals im Beschwerdeverfahren vorgelegte Rechnung des Architekten des Antragstellers vom 3. September 2018 an die GbR für die Entwurfsplanung für ein Gartenhaus konnte nicht berücksichtigt werden und vermag im Übrigen die Störerauswahl angesichts der erst im Juni 2019 begonnenen Arbeiten an dem Gartenhaus nicht in Frage zu stellen. Auch soweit der Antragsteller die Belastung mit Zahlungsverpflichtungen aus der Zwangsgeldandrohung beklagt, ist dies lediglich die Folge der Nichteinhaltung der Baueinstellungsverfügung, die der Antragsteller selbst zu verantworten hat. Der Senat kann auch insoweit keine Fehler in der Ermessensausübung erkennen.
Die Rechtmäßigkeit der der Baueinstellungsverfügung beigefügten Zwangsgeldandrohungen folgt aus den vorstehenden Ausführungen. Eine erneute Androhung des Zwangsmittels nach Art. 36 Abs. 6 Satz 2, Art. 37 Abs. 1 Satz 2 VwZVG ist bereits dann zulässig, wenn die vorangegangene Androhung wie hier erfolglos geblieben ist (vgl. BVerwG, B.v. 30.11.1994 – 4 B 243.94 – NVwZ-RR 1995, 299; Substantiierte Einwände gegen die Höhe der in den Bescheiden vom 11. Dezember 2019 und 18. Dezember 2019 androhten Zwangsgelder werden nicht vorgetragen.
Soweit sich der Antragsteller gegen die Fälligkeitsmitteilung vom 18. Dezember 2019 hinsichtlich des bezeichneten Zwangsgeldes wendet, ist seine Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO mit dem Ziel der vorläufigen Einstellung der Zwangsvollstreckung als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes nicht begründet. Dass das Verwaltungsgericht seinen Antrag dahingehend ausgelegt hat, dass er damit offenbar die Verpflichtung des Antragsgegners begehrt, das Vollstreckungsverfahren einzustellen, ist nicht zu beanstanden. Der Antragsteller macht auch insoweit geltend, dass der Bescheid aufgrund der Störerauswahl rechtswidrig sei. Das Gericht darf nach § 88 VwGO zwar über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Es fehlt jedoch an der erforderlichen Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO).
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens, weil sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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