Baurecht

Baueinstellungsverfügung

Aktenzeichen  9 CS 20.1969

Datum:
4.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32785
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 55 Abs. 1, Art. 75 Abs. 1

 

Leitsatz

Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Bauaufsichtsbehörde das ihr nach Art. 75 Abs. 1 BayBO eingeräumte Ermessen in der Weise ausübt, dass Arbeiten eingestellt werden, sofern Anhaltspunkte für ein genehmigungspflichtiges Bauvorhaben gegeben sind. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 S 20.950 2020-08-17 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen eine zwangsgeldbewehrte und für sofort vollziehbar erklärte Baueinstellungsverfügung des Landratsamts Miltenberg.
Der Antragsteller beantragte am 11. Oktober 2019 hinsichtlich eines auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung A … (L …straße …) im Sanierungsgebiet „Altstadt Teil I“ der Stadt A … befindlichen Gebäudes die Nutzungsänderung der Gewerbefläche im Erdgeschoss zu einer Wohneinheit. Mit Bescheid vom 20. Februar 2020 lehnte das Landratsamt hierfür die Erteilung einer sanierungsrechtlichen Genehmigung ab, nach dem die Stadt A … ihr Einvernehmen nicht erteilt hatte. Die Erteilung der beantragten Baugenehmigung wurde vom Landratsamt wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses mit bestandskräftigem Bescheid vom 15. Juli 2020 versagt.
Nach einer Ortseinsicht vom 17. Juni 2020, während der Bauarbeiten auf dem Vorhabengrundstück festgestellt wurden, verfügte das Landratsamt mit Bescheid vom 19. Juni 2020 die sofortige Einstellung der Bauarbeiten und erklärte diese Verfügung für sofort vollziehbar.
Gegen den Bescheid vom 19. Juni 2020 erhob der Antragsteller Klage, über die noch nicht entschieden ist. Darüber hinaus beantragte er die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage, was das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17. August 2020 ablehnte. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.
Zur Begründung bezieht er sich auf seinen erstinstanzlichen Vortrag. Es sei nochmals hervorzuheben, dass der Antragsteller das ursprüngliche Vorhaben, nämlich eine Nutzungsänderung zu Wohnraum, aufgegeben habe und die Fortsetzung gewerblicher Nutzung gewährleistet sei. Der Versagungsbescheid vom 15. Juli 2020 sei nicht angefochten worden. Die derzeitigen Umbauten seien auch für weitere gewerbliche Nutzung geeignet, für Wohnnutzung sei der Einbau einer Trockenbauwand sogar störend und die vorgenommenen Modernisierungsmaßnahmen unterlägen keiner Genehmigungspflicht. Ein Mietvertrag mit einem gewerblichen Mieter (physiotherapeutische Praxis) sei nur noch von der Zustimmung des Landratsamts bzw. der Stadt A … abhängig. Dass der Einbau von Kunststofffenstern gegen eine Baugestaltungssatzung der Stadt A … verstoße, sei vom Landratsamt erst im gerichtlichen Verfahren gerügt worden, obwohl sich der Einbau neuer Fenster anhand des Bauantrags zur Nutzungsänderung habe ersehen lassen. Die Rüge stehe auch im Widerspruch zu bisherigem Genehmigungsverhalten in unmittelbarer Nachbarschaft, wo es Kunststofffenster und -türen im Fassadenbereich der Straße bereits gebe.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 19. Juni 2020 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Das Beschwerdevorbringen zeige keine Rechtsfehler des angegriffenen Beschlusses auf. Im Übrigen gehe die Änderung der Fenster mangels roter oder gelber Darstellung nicht aus dem Bauantrag hervor; sie sei im Ensemble „Altstadt A …“ für das Bauvorhaben zwischen den Einzeldenkmälern L …straße … und L …straße … auch denkmalschutzrechtlich unzulässig. Der Einbau von Kunststofffenstern im Umfeld bedeute nicht, dass dies mit entsprechenden Genehmigungen einhergegangen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der vorgelegten Behördenakte verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt, weil die Anordnung des Sofortvollzugs ausreichend begründet ist und die Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers ausgeht, da nach derzeitigem Stand nicht von einem Erfolg der Klage gegen die Anordnung vom 19. Juni 2020 im Hauptsacheverfahren ausgegangen werden kann.
Das Landratsamt hat die Baueinstellung zu Recht auf Art. 75 Abs. 1 BayBO gestützt. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung von Bauarbeiten anordnen, sofern Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden. Die Vorschrift dient in erster Linie dazu, dem formellen Baurecht Geltung zu verschaffen. Mit ihrer Hilfe soll die Schaffung vollendeter, später nicht oder nur schwer rückgängig zu machender Tatsachen verhindert werden. Dieser im Kern präventiven Zielsetzung entspricht es, wenn die Bauaufsichtsbehörde das ihr eingeräumte Ermessen in der Weise ausübt, dass Arbeiten eingestellt werden, sofern Anhaltspunkte für ein genehmigungspflichtiges Bauvorhaben gegeben sind. Insoweit genügt deshalb der durch Tatsachen belegte „Anfangsverdacht“ eines Rechtsverstoßes. Allerdings ist die Behörde verpflichtet, die Baueinstellungsverfügung „unter Kontrolle zu halten“, sich also zu vergewissern, ob sich der Anschein eines Rechtsverstoßes (weiterhin) bestätigt (vgl. BayVGH, B.v. 14. April 2020 – 1 CS 20.143 – juris Rn. 9; B.v. 14.10.2013 – 9 CS 13.1407 – juris Rn. 15 m.w.N.; Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand Juli 2020, Art. 75 Rn. 137).
Das Verwaltungsgericht hat in seinem Beschluss ausführlich dargestellt, worin es, ebenso wie das Landratsamt, ausreichende objektive Anhaltspunkte dafür sieht, dass mit den bereits begonnenen Umbauarbeiten eine gemäß Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtige, jedoch nicht genehmigte Nutzungsänderung des Erdgeschosses von einer Gewerbefläche zu einer Wohneinheit verwirklicht werden soll. Hierfür sprächen der bei der Ortseinsicht aufgefundene Bauplan, der, abgesehen von der gegenüber dem Plan versetzt angeordneten Wohnungstür, weitgehend der abgelehnten Nutzungsänderungsplanung entsprochen habe, die eingebauten, für Schaufenster ungewöhnlichen Rollläden, die Verwirklichung der Grundzüge eines Badezimmers und die für ein Schlafzimmer typische Elektroinstallation. Der sich aufdrängende Gesamteindruck einer Wohnnutzung werde auch nicht durch den (vorsorglichen) Einbau eines größeren Türsturzes, der für eine große gewerbliche Tür geeignet sei, entkräftet. Soweit der Antragsteller gegenwärtig noch gewillt sei, eine gewerbliche Nutzung für das Erdgeschoss vorzusehen, was der Architekt des Antragstellers in einer eidesstattlichen Versicherung, in der er den Inhalt eines Telefongesprächs mit dem Landratsamt zu dieser Frage wiedergibt, bestätigt habe, ändere dieser Umstand nichts daran, dass die überwiegenden Teile der vorgenommenen Arbeiten mit einer gewerblichen Nutzung nicht in Zusammenhang stünden und offensichtlich einer in Zukunft beabsichtigten Wohnnutzung dienten.
Dem setzt das Beschwerdevorbringen, auch soweit mit ihm der erstinstanzliche Vortrag noch dahingehend ergänzt wird, dass der den Antrag auf Nutzungsänderung versagende Bescheid nicht angefochten sowie ein gewerblicher Mieter mittlerweile gefunden worden sei, nichts Substantiiertes entgegen. Die getätigten Umbauten im Erdgeschoss des streitgegenständlichen Gebäudes entsprechen dem Zuschnitt einer Wohnnutzung. Dass eine eingebaute Trockenbauwand im Hinblick auf diese Nutzung störend sei, kann anhand der Pläne und Fotos in den Akten nicht nachvollzogen werden. Selbst wenn der Umbau zur Wohnung der gewerblichen Nutzung der Räumlichkeiten durch eine physiotherapeutische Praxis nicht per se entgegensteht, wäre er jedenfalls mit einer Nutzung als Ladengeschäft, wie bisher, ohne entsprechende neuerliche Umbauten, mit denen wohl insbesondere auch der direkte Zugang über die Straße und nicht über einen Flur, wiederherzustellen wäre, nur schwer vereinbar. Dies zeigen die Pläne und Fotos zum Erdgeschoss ohne weiteres. Ob die bestehende Baugenehmigung die Nutzung als physiotherapeutische Praxis überhaupt umfasst oder andernfalls eine sanierungsrechtliche Genehmigung erteilt werden könnte, was wiederum bedeutsam dafür wäre, ob der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung einer ggf. erforderlichen Baugenehmigung hätte, kann nach Aktenlage auch noch nicht beantwortet werden. Der Antragsteller trägt selbst vor, dass er den Abschluss des Mietvertrags davon abhängig macht, ob das Landratsamt und die Stadt A … der Nutzung des Erdgeschosses als physiotherapeutischer Praxis zustimmen. Bei einer derartigen Sachlage ist dem Antragsteller zuzumuten, mit der Ausführung seines Vorhabens zu warten, bis die offenen Fragen geklärt sind (vgl. auch Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand Juli 2020, Art. 75 Rn. 48).
Es kann somit dahingestellt bleiben, ob die fortgesetzte Baueinstellung zudem deswegen gerechtfertigt ist, weil die Stadt A … den Antrag des Antragstellers auf Befreiung von ihrer Baugestaltungssatzung hinsichtlich des bereits erfolgten Einbaus von Kunststofffenstern abgelehnt hat und das Landratsamt nach Aktenlage eine Beseitigungsanordnung erwägt. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung hierauf auch nicht gestützt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben