Baurecht

Baugenehmigung, Befreiung von der Festsetzung von Baugrenzen, Grundzüge der Planung

Aktenzeichen  9 ZB 21.182

Datum:
2.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22596
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30 Abs. 1
BauGB § 31 Abs. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

W 4 K 19.1040 2020-08-25 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2 und 3 zu tragen. Die Beigeladene zu 1 trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 40.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau von zwei Einfamilienhäusern und zwei Garagen auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung G … (…). Das Baugrundstück liegt innerhalb des Bebauungsplans “H …” der Beigeladenen zu 1 in der Fassung der am 23. Dezember 2011 bekanntgemachten 5. Änderung vom 6. Dezember 2011.
Den Baugenehmigungsantrag der Klägerin vom 19. Dezember 2018 mit dem sie zugleich die Befreiung von im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen beantragte, lehnte das Landratsamt A … mit Bescheid vom 4. Juli 2019 mit der Begründung ab, dass eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zur überbaubaren Grundstücksfläche in Form von Baugrenzen nicht in Betracht komme, weil Grundzüge der Planung berührt seien. Die hierauf von der Klägerin erhobene Verpflichtungsklage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 25. August 2020 ab. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzbegehren weiter.
Zu den näheren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg. Die von der Klägerin geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor.
Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel hier nicht. Ob zudem eine nach den Angaben der Beigeladenen zu 2 und 3 sowie der Landesanwaltschaft Bayern im Februar 2021 von der Beigeladenen zu 1 beschlossene und bekanntgemachte Veränderungssperre mittlerweile dem Bauvorhaben der Klägerin entgegensteht, kann dahingestellt bleiben.
Ob eine Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB in Betracht kommt, weil die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Was zum planerischen Grundkonzept zählt, beurteilt sich nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Gemeinde. Eine Befreiung ist ausgeschlossen, wenn das Vorhaben in seine Umgebung Spannungen hineinträgt oder erhöht, die nur durch eine Planung zu bewältigen sind. Was den Bebauungsplan in seinen “Grundzügen”, was seine “Planungskonzeption” verändert, lässt sich nur durch (Um-)Planung ermöglichen und darf nicht durch einen einzelfallbezogenen Verwaltungsakt der Baugenehmigungsbehörde zugelassen werden. Von Bedeutung für die Beurteilung, ob die Zulassung eines Vorhabens im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, können auch Auswirkungen des Vorhabens im Hinblick auf mögliche Vorbild- und Folgewirkungen für die Umgebung sein (vgl. BayVGH, B.v. 19.1.2021 – 9 ZB 19.661 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Hiervon ausgehend vermag das Zulassungsvorbringen keine Zweifel daran zu wecken, dass die Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen zu den Baugrenzen für das Bauvorhaben hier ausscheidet. Das Verwaltungsgericht hat, insbesondere unter Hinweis auf Festsetzungen im Rahmen der 4. Änderung des Bebauungsplans “H …” und die Begründung hierzu, ausgeführt, woran sich das wesentliche planerische Ziel der Schaffung und Erhaltung eines qualitativ hochwertigen und intensiv durchgrünten Wohngebiets und die Beschränkung einer etwaigen Nachverdichtung auf ein schonendes Maß, das die Beigeladene zu 1 mit ihrem Bebauungsplan verfolgt habe, ablesen lasse. Die vorliegend in Rede stehende südliche Baugrenze diene gerade der Verwirklichung dieser Zielrichtung, weil sie zu einem wesentlichen Teil dazu beitrage, die Durchgrünung des Wohngebiets durch einen freizuhaltenden südlichen Grünstreifen zu sichern, während die Anordnung der Baugrenzen in den nördlichen Grundstücksbereichen im relevanten Teil des Plangebiets mit den Anwesen Im H … und … eine Bebauung bis nahezu an die Grundstücksgrenze ermögliche. Sie trage damit maßgeblich zur Grundkonzeption des Plangebiets als hochwertiges und intensiv durchgrüntes Wohngebiet bei. Außerdem diene sie u.a. im Zusammenspiel mit der Begrenzung der Anzahl der Wohneinheiten je Grundstück und den Festsetzungen zur Grundflächenzahl dem – insbesondere mit der vierten Änderung des Bebauungsplans – verfolgten Ziel der Beschränkung von Nachverdichtungsmöglichkeiten. Die streitgegenständliche Baugrenze sei somit den Grundzügen der Planung zuzuordnen.
Mit alldem setzt sich die Klägerin nicht auseinander und genügt somit bereits dem Darlegungsgebot nicht (vgl. BayVGH, B.v. 23.6.2021 – 9 ZB 20.1900 – juris Rn. 7 m.w.N.), indem sie ohne weitere Erläuterung behauptet, die Baugrenzenfestsetzung auf dem Baugrundstück basiere auf einer ehemals vorhandenen Stromleitung, oder indem sie anführt, die Beigeladene sei anlässlich der Bauvoranfrage des Herrn A … … zu einem Vorhaben auf dem Baugrundstück der Stellungnahme des Ortsplaners vom 27. August 2014 gefolgt, wonach zwei getrennte Baufenster angelegt worden seien, damit nicht eine zu große Kubatur entstehe, und somit der Nichteinhaltung der Baufenster durch eine Verschiebung des Wohngebäudes in den Bereich zwischen den beiden Baufenstern zugestimmt werden könne. Gleiches gilt, soweit die Klägerin auf ein Bauvorhaben S … verweist, für das eine “Befreiung von 207 m²” erteilt worden sei und für deren Begründung die entsprechenden Überlegungen wie bei dem Bauvorhaben S … angestellt worden seien, oder mitteilt, dass in der Gemeinderatssitzung vom 13. Oktober 2020 festgestellt worden sei, dass der Begrünungscharakter im nördlichen Plangebiet noch vorhanden sei, im südlichen Teil bzw. Eingangsbereich zum H … jedoch nicht mehr. Das Baugrundstück dürfte im Übrigen in diesem südlichen Bereich auch nicht zu verorten sein. Die Klägerin berücksichtigt mit ihrem weiteren Einwand, die Stellungnahme des Diplomingenieurs M … (vom 19.10.2017), wonach die Lage des südlichen Baufeldes lediglich dem Erhalt des Bestandsgebäudes mit Anbaumöglichkeiten gedient habe, sei ebenfalls deutlich, zudem nicht, dass das Verwaltungsgericht auf diese Stellungnahme in seinem Urteil ausführlich eingegangen ist, ihr im Hinblick auf die Maßgeblichkeit des dem Bebauungsplan zu entnehmenden Willens der plangebenden Gemeinde aber keine Bedeutung beigemessen hat. Falls bei der Festsetzung der Baugrenzen damals auch auf den Baubestand und südliche Anbaumöglichkeiten Rücksicht genommen worden sei, ergebe sich daraus demnach keine andere Bewertung.
Entgegen der Darstellung der Klägerin hat das Verwaltungsgericht auch den für das Bauvorhaben S … erteilten Vorbescheid vom 11. Dezember 2014 nicht ignoriert. Hinsichtlich der danach vorgesehenen Wohnbebauung auf der Fläche zwischen den beiden auf dem streitgegenständlichen Grundstück befindlichen Baufenstern hat es aber keinen vergleichbaren Bezugsfall angenommen, weil die südliche Baugrenze davon nicht betroffen und der südliche Grundstücksstreifen nicht beeinträchtigt wäre. Dem setzt die Klägerin, die eine fehlende Vergleichbarkeit nicht für nachvollziehbar hält, weil die Grundzüge der Planung nicht berührt sein könnten, wenn der Freiflächenraum genehmigt überbaut werden dürfe, obwohl, ebenso wie auf den Nachbargrundstücken FlNr. … bzw. … und …, zwei Einheiten auf dem Baugrundstück vorgesehen seien, nichts Durchdringendes entgegen. Von Beklagtenseite wurde im Übrigen im Zulassungsverfahren auch zutreffend darauf hingewiesen, dass das streitgegenständliche Bauvorhaben der Errichtung von zwei Einfamilienhäusern im südlichen Grundstücksbereich von einer Bindungswirkung des Vorbescheids vom 11. Dezember 2014, der den Neubau eines Einfamilienhauses weiter nördlich, quasi mittig auf dem Baugrundstück und unter Inanspruchnahme beider Baufenster, die Errichtung eines Schwimmbeckens sowie die Sanierung einer Garage betraf, nicht umfasst sein kann (vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2019 – 9 ZB 15.2606 – juris Rn. 6).
Auch zum von der Klägerin ebenfalls schon erstinstanzlich angeführten Bezugsfall S … (Im H …, Flnr. …) hat das Verwaltungsgericht eine Vergleichbarkeit verneint, weil unabhängig von der Frage vergleichbarer Ausmaße der Baugrenzenüberschreitung diese im streitgegenständlichen Fall die Tiefe des von der südlichen Baugrenze gewährleisteten Grünstreifens, der für das Planungsziel eines intensiv durchgrünten Wohngebiets maßgeblich sei, stark vermindern würde. Demgegenüber verbleibe auf dem deutlich größeren Grundstück FlNr. … noch ausreichend Raum für die erforderlichen Grünflächen. Mit dieser Argumentation setzt sich die Klägerin wiederum nicht auseinander, ebenso wenig zudem damit, dass das Verwaltungsgericht davon ausging, dass bei den ansonsten von der Klägerin angeführten Bezugsfällen Nebenanlagen wie Garagen, Carports oder Schwimmanlagen betroffen seien, und dass ohnehin kein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht bestehe (vgl. BayVGH, B.v. 9.4.2021 – 9 ZB 19.1315 – juris Rn. 20 m.w.N.).
Soweit die Klägerin noch vorbringt, dass das Baufenster auf dem Grundstück FlNr. … völlig atypisch im Verhältnis zu den Baugrenzen des hier streitgegenständlichen Grundstücks geregelt sei, erschließt sich die Zielrichtung dieser Aussage schon nicht. Für die möglicher Weise damit im Zusammenhang stehende bloße Behauptung, die Befreiung sei zwingend notwendig, da ansonsten eine ordnungsgemäße Nutzung des Grundstücks nicht möglich sei, lässt sich angesichts einer überbaubaren Fläche von über 900 m² innerhalb der festgesetzten Baugrenzen auf dem Baugrundstück jedenfalls keine sachliche Grundlage hierfür ersehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladenen zu 2 und 3 im Zulassungsverfahren einen sachdienlichen Beitrag geleistet haben, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten erstattet bekommen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.1.1.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie entspricht der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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