Baurecht

Baugenehmigung, Bescheid, Gemeinde, Vorhaben, Gemarkung, Wohnhaus, Bauantrag, Neubau, Zufahrt, Nachbar, Sofortvollzug, Wohnung, Drittschutz, Innenbereich, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, aufschiebende Wirkung, aufschiebenden Wirkung

Aktenzeichen  RN 6 S 21.784

Datum:
11.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 36708
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamtes Kelheim vom 24. September 2020, Az. 41-602-B-2019-1450, wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Erweiterung einer Gaststätte sowie den Neubau einer Wohnung mit Carport.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. 17/9 der Gemarkung …, Markt …, das mit einem Wohnhaus bebaut ist. Die gegenständliche Baugenehmigung betrifft das Grundstück Fl.Nr. 1 derselben Gemarkung, das ein Gefälle von Norden nach Süden aufweist und auf dem die Beigeladenen den Gasthof … betreiben, sowie die Fl.Nrn. 77/66, 77/67 (nördlich von Fl.Nr. 77/66, noch nicht benannt im Plan), 1/13 (nördlich von Fl.Nr. 77/67, noch nicht benannt im Plan) und 19/1. Die Gaststätte soll um eine teilweise überdachte Terrasse an der Südfassade erweitert werden sowie ein neuer Empfangsbereich entstehen. Im Untergeschoss soll eine Wohnung mit Carport entstehen. Auf den Fl.Nrn. 77/66 und 19/1 sind Parkplätze vorgesehen. Der Carport soll sich teilweise auf Fl.Nr. 77/67 und Fl.Nr. 1/13 erstrecken. Die Baugrundstücke liegen innerhalb der Schutzzone des Naturparks Altmühltal. Das Vorhaben ist im Wesentlichen fertig gestellt.
Mit Formblättern vom 9. Oktober 2019 beantragten die Beigeladenen eine Baugenehmigung für die Erweiterung einer Gaststätte sowie den Neubau einer Wohnung mit Carport. Gleichzeitig stellten sie einen Antrag auf Erteilung einer isolierten Abweichung von § 7 Versammlungsstättenverordnung (VStättV), da abweichend hiervon die Entfernung des hintersten Besucherplatzes auf der Hauptterrasse der Gaststätte zum Ausgang mehr als die geforderten 30 m betrage (35,44 m), sodass die Rettungsweglänge um 5,44 m verlängert werden müsste. Weiter beantragten sie die Erteilung einer isolierten Abweichung von Art. 33 BayBO, da der erste Rettungsweg aus den Kellerräumen bis ins Freie mehr als 35 m betrage (max. 45,72 m). Ein zweiter Rettungsweg solle über ein Fenster im Lager/Abstellraum geschaffen werden.
Mit Beschluss vom 15. Oktober 2019 erteilte der Markt … sein Einvernehmen.
Mit Urkunde des Notars Dr. …, LL.M. vom 26. Februar 2020 (URNr. 413/2020) wurde hinsichtlich der Fl.Nr. 19/1 (dienendes Grundstück) eine Grunddienstbarkeit für 48 Pkw-Stellplätze für das Grundstück Fl.Nr. 1 (herrschendes Grundstück) der Gemarkung … bestellt. Auf den Inhalt der Urkunde wird Bezug genommen.
Im schalltechnischen Bericht vom 16. September 2020, Nr. 1747_2 Vohenstrauß (im Folgenden: Gutachten), beurteilte die … GmbH Ingenieurbüro … die Lärmimmissionen, die durch die Erweiterung der Gaststätte um eine Terrasse an der Südfassade des bestehenden Gebäudes, sowie den Neubau einer Wohnung mit Carport hervorgerufen werden sowie die schallschutztechnische Verträglichkeit mit den umliegenden schützenswerten Nutzungen. Zugrunde gelegt wurden die Immissionsrichtwerte der TA Lärm für Dorf-/Mischgebiete. Durch den Betrieb der Anlage, inklusive der Terrasse, würden zur Tagzeit an den relevanten Immissionsorten die Immissionsrichtwerte um mindestens 6 dB(A) unterschritten. Zur Nachtzeit könnten diese durch zusätzliche Parkbewegungen nicht an allen Immissionsorten um mindestens 6 dB(A) unterschritten werden. Die Immissionsrichtwerte der TA Lärm würden aber an allen relevanten Immissionsorten im Einwirkungsbereich der Anlage eingehalten, sodass entsprechend der TA Lärm auch die Vorbelastung aus Anlagenlärm zu berücksichtigen sei. Es sei davon auszugehen, dass die Nutzung der zu untersuchenden Anlage die Gesamtbetrachtung darstelle (kein weiterer Anlagenlärm). Da die Werte der Nacht immer noch um 3 dB(A) unterschritten würden, sei dies immer noch ein Ansatz auf der sicheren Seite, da immer noch die Möglichkeit offen sei, dass mehr Fahrzeuge fahren dürften bei gleichzeitiger Einhaltung der Immissionsrichtwerte zur Nachtzeit. Für das Grundstück Fl.Nr. 17/9 wurde der Immissionsort 7 (IO 7) festgelegt. Zur Tagzeit werde ohne Berücksichtigung des Parkplatz Ost (Fl.Nr. 19/1) ein Lärmimmissionswert von 52 dB(A) im Erdgeschoss und 53 dB(A) im 1. Obergeschoss prognostiziert. Zur Nachtzeit wurde ohne Berücksichtigung des Parkplatz Ost (Fl.Nr. 19) ein Lärmimmissionswert von 37 dB(A) im Erdgeschoss und 38 dB(A) im 1. Obergeschoss prognostiziert.
Mit Bescheid vom 24. September 2020, Az. 41-602-B-2019-1450, der Antragstellerin zugegangen am 29. September 2020, erteilte des Landratsamt Landshut die begehrte Baugenehmigung und verband sie unter anderem mit folgenden Nebenbestimmungen:

5. Von den erforderlichen 49 Kfz Stellplätzen wurden nachgewiesen: 49 Stellplätze oberirdisch, im Freien.

20. Der Gesamtbeurteilungspegel aller vom Betrieb der Gaststätte ausgehenden Lärmemissionen darf an den relevanten Immissionsorten die folgenden Immissionsrichtwertanteile bzw. Immissionsrichtwerte nicht überschreiten: Tag 54 dB(A) / Nacht 45 dB(A).
21. Die jeweils östlichen Stellflächen der beiden Parkplätze (in folgender Abbildung blau umrandet) dürfen zur Nachtzeit (22:00 Uhr bis 6:00 Uhr) nicht genutzt werden. Darauf ist mit Hinweisschildern auf den Parkflächen hinzuweisen.
22. Von 15:00 Uhr bis 22:00 Uhr sind Musikdarbietungen auf der Terrasse mit maximal 5 Musikern ohne zusätzliche elektronische Verstärkung möglich.
23. Ein Betrieb der Terrasse zur Nachtzeit (22:00 Uhr bis 6:00 Uhr) ist nicht zulässig.

26. Das geplante Vorhaben ist entsprechend der schalltechnischen Untersuchung des I. … GmbH (Bericht Nr. 1747_2 vom 16.9.2020) und den dieser schalltechnischen Untersuchung zugrunde liegenden Planungsunterlagen und Betriebsbeschreibungen auszuführen. Wird davon abgewichen, ist ein Nachweis über die Gleichwertigkeit anderer Planungen zu erbringen.
Die Antragstellerin hat gegen diesen Bescheid am 28. Oktober 2020 Klage erheben lassen, die unter dem Az. RN 6 K 20.2606 geführt wird und über die noch nicht entschieden worden ist. Am 23. April 2021 hat die Antragstellerin um einstweiligen Rechtsschutz nachsuchen lassen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, es liege ein Verstoß gegen des Gebot der Rücksichtnahme vor. Der Ortsteil … entspreche nicht einem Dorfgebiet, sondern einem allgemeinen Wohngebiet. Der Ortsteil weise keine Wirtschaftsstellen land- oder forstwirtschaftlicher Betriebe oder nicht wesentlich störender Gewerbebetriebe in ausreichender Zahl auf. Daher sei auch die schalltechnische Untersuchung keine taugliche Grundlage, da dort von einem Dorfgebiet ausgegangen worden sei. Das Baugrundstück befinde sich in der Schutzzone des Naturparks Altmühltal, dies sei in der Stellungnahme unter Punkt 16 nicht vermerkt. Hilfsweise werde darauf hingewiesen, dass die im Bescheid unter Punkt 21 vermerkte Auflage (Nichtnutzung bestimmter Stellplatzflächen zur Nachtzeit) vermutlich daher rühre, dass durch die Nutzung dieser Parkplätze in der Nacht die Immissionswerte der TA Lärm überschritten würden. Es sei daher sehr zu bezweifeln, ob die Immissionsrichtwerte gem. TA Lärm Nr. 6.1 Buchstabe e (allgemeines Wohngebiet) bei der Nutzung der restlichen Stellplätze eingehalten würden. Im Übrigen sei das Verbot in der Praxis nicht zu kontrollieren.
Auf einem Beiblatt zum Bauantrag vom 30. September 2019 sei ein notwendiger Bedarf von 49 Stellplätzen ausgerechnet worden und vermerkt, dass 71 Stellplätze gemäß Lageplan möglich seien. Das sei unzutreffend, da die Anzahl an Stellplätze nicht realisierbar sei. Nach den Empfehlungen für Anlagen des ruhenden Verkehrs (EAR) ergäben sich für Fl.Nr. 77/66 ca. 14 Stellplätze und für Fl.-Nr. 19/1 ca. 40 Stellplätze. Die erforderliche Markierung dieser Stellplätze bedürfte jedoch einer Begradigung und Befestigung des Geländes und damit eines Baus von Stützmauern o.ä. Da die Stellplätze unbefestigt und nicht markiert seien, sei eine exakte Orientierung und effizientes Parken nicht möglich, sodass wahrscheinlich weniger als 40 Parkplätze nachgewiesen seien. Die Zufahrt zum Parkplatz auf Fl.Nr. 77/66 weise auf ca. 30 m Länge nur eine Breite von 3,26 m auf, wodurch es zu einem nicht reibungslosen Park-Such-Verkehr komme, was sich in Emissionen widerspiegele. Der separate Parkplatz auf Fl.Nr. 19/1, der fußläufig 180-200 m von der Gaststätte entfernt liege, verstärke dies noch. Die Zufahrt zum geplanten Carport sowie zu den Stellplätzen auf Fl.Nr. 77/66 sei nur unter Nutzung eines dreiecksförmigen Grundstückteils der Fl.Nr. 17 möglich. Ohne eine entsprechende Grunddienstbarkeit sei eine Überfahrt rechtlich nicht möglich. Die Erschließung sei daher nicht gesichert.
Für die Antragstellerin wird beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 28.10.2020 gegen die Baugenehmigung des Antragsgegners vom 24.9.2020 (Az. 41-602-B-2019-1450) anzuordnen.
Für den Antragsgegner wird beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Ortsteil … sei als Dorfgebiet einzustufen, es sei nicht erforderlich, dass die Hauptnutzung „Landwirtschaft“ überwiege. Das schalltechnische Gutachten gehe nicht von falschen Annahmen aus. Durch die gegenwärtige Planung würden die Immissionsrichtwerte der TA Lärm für ein Wohngebiet eingehalten. Die Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 d TA Lärm seien maßgeblich (60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts). Diese würden ausweislich des Gutachtens jeweils unterschritten. Die von der beurteilten Anlage ausgehende Zusatzbelastung sei nach Nr. 3.2.1 TA Lärm als nicht relevant anzusehen, da der zulässige Immissionsrichtwert um mindestens 6 dB(A) unterschritten werde. Zur Nachtzeit stelle die Nutzung die Gesamtbelastung dar (d.h. kein weiterer Anlagenlärm). Der nächtliche Immissionsrichtwert werde an allen Immissionsorten um mindestens 3 dB(A) unterschritten, d.h. rein rechnerisch sei auch eine Verdoppelung der Fahrzeugbewegungen zur Nachtzeit zulässig. Die Auflage Nr. 21 im Bescheid sei der Tatsache geschuldet, dass ohne diese an den IOs 1 und 6 der zulässige Wert von 65 dB(A) überschritten würde. Dem Bauherrn obliege die Einhaltung dieser Auflage, eine weitergehende Regelung sei aus Sicht des technischen Immissionsschutzes nicht erforderlich. Der Park-Such-Verkehr verursache kein schädlichen Umwelteinwirkungen, da die Geräuschimmissionen nach der Parkplatzlärmstudie ermittelt worden seien und die hierbei errechneten Beurteilungspegel (über 16 Stunden Tagzeit) die zulässigen Immissionsrichtwerte der TA Lärm an allen Immissionsorten um mindesten 6 dB(A) unterschritten. Zudem sei im Rahmen des Gutachtens eine Berechnung der Verkehrslärmeinwirkungen durch Fahrbewegungen auf öffentlichen Verkehrswegen angefertigt worden. Die Grenzwerte der 16. BImSchV würden an allen Immissionsorten um mindestens 10 dB(A) unterschritten.
Es sei nicht klar, auf welche Stellungnahme die Antragstellerin sich beziehe. Zwar sei unter Punkt 13 der Stellungnahme der Gemeinde kein Schutzgebiet angegeben, jedoch gehe aus der Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde hervor, dass das Bauvorhaben innerhalb der Schutzzone des Naturparks Altmühltal liege. Wie sich hieraus eine Verletzung nachbarschützender Rechte ergeben solle, sei nicht erkennbar.
Nach Überprüfung des Stellplatznachweises vom 24. September 2020 seien die Stellplätze nicht korrekt nach der Garagen- und Stellplatzverordnung dargestellt. Die erforderlichen 49 Stellplätze könnten aber auf den Fl.Nrn. 77/66 und 19/1 jederzeit nachgewiesen werden. Dem Antragsgegner werde nach Rücksprache mit dem Büro … mbH ein überarbeiteter Stellplatznachweis vorgelegt. Im Übrigen seien die Zahl der erforderlichen Stellplätze und deren Verfügbarkeit regelmäßig nicht nachbarschützend. Der Ausnahmefall chaotischer Verkehrsverhältnisse sei in der Gesamtschau nicht gegeben.
Hinsichtlich der Abstandsflächen bzw. der Nutzung anderer Grundstücke bei der Anfahrt des Carports sei keine Beeinträchtigung nachbarschützender Rechte gegeben, da sich dies nicht auf das Grundstück der Antragstellerin beziehe. Auch das Erfordernis der Erschließung vermittle keinen Drittschutz.
Die Beigeladenen schließen sich ohne eigene Antragstellung dem Vortrag des Landratsamtes an.
Mit Stellungnahme der … GmbH Ingenieurbüro … vom 25. Juli 2021 wurde klarstellend und ergänzend insbesondere vorgebracht, es sei davon auszugehen, dass bei Nutzung der Terrasse aufgrund des Wetters der Innenbereich nicht genutzt werde bzw. umgekehrt. Daher sei auch nicht von einer erhöhten Lärmbelastung als im Gutachten angenommen auszugehen. Selbst bei einer deutlichen Erhöhung der auf die Immissionsorte einwirkenden Emittenten sei sichergestellt, dass die Immissionsrichtwerte der TA Lärm an den Immissionsorten im Umfeld der Gaststätte durch deren Betrieb eingehalten bzw. unterschritten würden.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage ist zulässig und begründet.
1. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt trotz Fertigstellung des Rohbaus nicht, da sich die Antragstellerin auf von der Nutzung der Gaststätte hervorgerufene Rechtsverstöße, insbesondere in Bezug auf Lärmimmissionen, beruft (vgl. BayVGH, B.v. 27.5.2021 – 15 CS 21.1209 – juris). Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für Nachbaranträge auf vorläufigen Rechtsschutz mit der Fertigstellung des Rohbaus in der Regel dann, wenn der Nachbar nur eine Beeinträchtigung durch das Gebäude als solches vorläufig abwehren will. Dann nämlich sind durch die Fertigstellung des Rohbaus gerade in Bezug auf die geltend gemachten Rechtsverletzungen bereits vollendete Tatsachen geschaffen. Die Rechtsverletzung ist dann bereits eingetreten und kann nicht mehr durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung und die Einstellung der Bauarbeiten, die der Nachbar infolge der Anordnung der aufschiebenden Wirkung letztlich erreichen könnte, vorläufig – bis zur Entscheidung in der Hauptsache – verhindert werden. Anders ist dies lediglich dann, wenn sich der Antragsteller – wie hier – nicht nur gegen Rechtsverletzungen wendet, die vom (fertiggestellten) Baukörper als solchem ausgehen, sondern er sich zudem auch durch die Nutzung des betreffenden Bauvorhabens in seinen Rechten verletzt sieht (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 12.2.2020 – 15 CS 20.45 – juris Rn.11; B.v. 14.6.2007 – 1 CS 07.265 – juris Rn. 16; B.v. 7.7.2008 – 15 CS 08.1303 – juris Rn. 9; B.v. 4.3.2009 – 2 CS 08.3331 – juris Rn. 2 f.; B.v. 26.7.2010 – 2 CS 10.465 – juris Rn. 2; B.v. 12.8.2010 – 2 CS 10.20 – juris Rn. 2 f.; B.v. 8.4.2014 – 9 CS 13.2007 – juris Rn. 17; B.v. 17.11.2015 – 9 CS 15.1762 – juris Rn. 18 f.; B.v. 8.12.2017 – 1 CS 17.2159 – juris Rn. 3; B.v. 18.12.2017 – 1 CS 17.2337 – juris Rn. 3).
Da die Baugenehmigung nicht objektiv teilbar ist, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis auch nicht teilweise in Bezug auf die Wohnung mit Carport. Ist eine Baugenehmigung objektiv teilbar und die Rechtsverletzung des Nachbarn durch einen insoweit abtrennbaren Teil des Bauvorhabens bewirkt, fehlt es im Übrigen regelmäßig am Rechtsschutzbedürfnis. Die Teilbarkeit ist rechtlich und tatsächlich zu beurteilen (vgl. OVG Bautzen, B.v. 13.8.2012 – 1 B 242/12 – NVwZ-RR 2013, 14). Im vorliegenden Fall ist jedenfalls die tatsächliche Teilbarkeit zu verneinen, da sich die Erweiterung der Gaststätte teilweise auf das Geschoss oberhalb der Wohnung erstreckt. Der neu geschaffene Empfangsbereich liegt über einem Teil der Wohnung (Kinderzimmer, Bad, Flur und Schlafzimmer), was dafür spricht, dass es sich um ein Gesamtkonzept für die Nutzung zu Geschäfts- und Wohnzwecken handelt. Es ist davon auszugehen, dass die Wohnung mit Carport und die Erweiterung der Gaststätte nicht unabhängig voneinander hätten verwirklicht werden sollen, sodass eine einheitliche Betrachtung geboten ist.
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat nur dann Erfolg, wenn das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des streitgegenständlichen Verwaltungsakts überwiegt. Da an der Umsetzung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse besteht, richtet sich diese Interessenabwägung in der Regel nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Führt diese summarische Prüfung dazu, dass der Rechtsbehelf offensichtlich Erfolg haben wird, so kann kein Interesse der Öffentlichkeit oder anderer Beteiligter daran bestehen, dass der mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrige Verwaltungsakt sofort vollzogen wird. Wird der Hauptsacherechtsbehelf umgekehrt aller Voraussicht nach erfolglos bleiben, weil nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen, kann der Antrag abgelehnt werden, ohne dass es einer zusätzlichen Interessenabwägung bedarf. Denn der Bürger hat grundsätzlich kein schutzwürdiges privates Interesse daran, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, ohne dass es darauf ankommt, ob der Vollzug dringlich ist oder nicht (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 11 CS 08.3273 – juris m.w.N.). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
Im vorliegenden Fall spricht nach summarischer Prüfung derzeit alles dafür, dass die Klage Erfolg haben wird. Der gegenständliche Bescheid ist voraussichtlich rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin dadurch in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 59 f. Bayerische Bauordnung (BayBO) ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Einem Nachbarn des Bauherrn steht ein Anspruch auf Versagung der Baugenehmigung grundsätzlich nicht zu. Er kann eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg anfechten, wenn Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf das Grundstück des Nachbarn fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. BVerwG, B.v. 28.7.1994 – 4 B 94/94 – juris; BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84 – juris; BVerwG, U.v. 13.6.1980 – IV C 31.77 – juris). Es ist daher unerheblich, ob die Baugenehmigung einer vollständigen Rechtmäßigkeitsprüfung standhält.
Die Baugenehmigung ist inhaltlich nicht hinreichend bestimmt i.S.d. Art. 37 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) (a)). Die Antragstellerin kann aufgrund dessen nicht zweifelsfrei feststellen, in welchem Umfang sie von dem Vorhaben betroffen ist, sodass sie in ihren Rechten verletzt ist (b)).
a) Die Bestimmtheit i.S.d. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG setzt voraus, dass die im Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten, ggf. nach Auslegung, eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich ist. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. Eine Baugenehmigung ist daher aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. Der Inhalt der Baugenehmigung bestimmt sich nach der Bezeichnung und den Regelungen im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen (genau so BayVGH, B.v. 30.3.2021 – 1 CS 20.2637 – juris, Rn. 15; BayVGH, B.v. 19.4.2021 – 9 ZB 20.602 – juris, Rn. 8).
Gemessen an diesem Maßstab ist für die Antragstellerin nicht ohne Zweifel festzustellen, welchen Umfang die Baugenehmigung hat und insbesondere, mit welchen Lärmimmissionen zu rechnen ist.
Das der Baugenehmigung zugrunde gelegte Gutachten erscheint nicht plausibel, da bei der Prognose der Lärmimmissionen ausschließlich der Aufenthalt von Gästen auf der Terrasse o d e r im Innenbereich berücksichtigt wurde. Das Szenario, dass sich Gäste sowohl auf der Terrasse als auch im Innenbereich (ggf. bei geöffneten Fenstern) aufhalten, blieb unberücksichtigt. Weshalb davon auszugehen sei, dass bei Nutzung der Terrasse aufgrund des Wetters der Innenbereich nicht genutzt werde bzw. umgekehrt, wird im Gutachten nicht näher begründet, sondern schlicht vorausgesetzt. Eine konkrete Gästeanzahl bleibt in der Folge unklar. Der Umfang der Baugenehmigung ist daher insofern nicht eindeutig. In der Baugenehmigung findet sich keine etwaige Beschränkung auf das dem Gutachten zugrunde gelegte Szenario, dass der Innenbereich und die Terrasse nur alternativ genutzt werden dürften. Dass in der Nebenbestimmung Nr. 26 festgelegt ist, dass das Vorhaben entsprechend dem Gutachten und den diesem zugrundeliegenden Planungsunterlagen und Betriebsbeschreibungen auszuführen sei, dürfte dies nicht entkräften, da eine Betriebsbeschreibung schon nicht Bestandteil des Gutachtens ist. Eine solche findet sich ebenfalls nicht in den Behördenakten. Auch durch Auslegung können die Zweifel am Umfang nicht ausgeräumt werden, da nach allgemeiner Lebenserfahrung gerade nicht damit zu rechnen ist, dass Terrasse und Innenbereich lediglich alternativ genutzt werden. Vielmehr dürfte es im Interesse der Beigeladenen liegen, bei hohem Besucherandrang aufgrund guten Wetters und damit verbundener Vollbelegung der Terrasse, weitere Gäste im Innenbereich – vorzugweise nahe der ggf. geöffneten Fenster – zu platzieren, statt sie der Gaststätte zu verweisen. Die hieraus resultierende Erhöhung der Lärmimmissionen hätte daher entweder in die schalltechnische Untersuchung mit einbezogen werden, die kumulative Nutzung von Innen- und Außenbereich konkret ausgeschlossen oder eine Regelung hierzu in der Baugenehmigung getroffen werden müssen. Der pauschale Verweis im Gutachten, dass der Rechenansatz einen Ansatz „auf der sicheren Seite“ darstelle, wird dem Bestimmtheitserfordernis nicht gerecht. Eine anderweite Einschätzung kann auch nicht durch Berücksichtigung der dem Gericht vorliegenden Baugenehmigungen vom 5. Januar 2010 (Az. IV 1-602-B-2009-292), 2. April 2009 (Az. IV 1-602-B-2009-126), 1. August 2002 (Az. IV 1-602-B-2002-10) und 15. Januar 1999 (Az. IV 1-602-A1437/98) erfolgen.
Darüber hinaus werben die Beigeladenen auf ihrer Internetseite damit, dass Feste und Feiern aller Art in den unterschiedlich großen und verschieden gestalteten Räumlichkeiten gefeiert werden könnten. Von intimen Festen mit bis zu acht Personen im Turm über Geburtstage, Jubiläen oder Firmenfeiern mit bis zu 60 Personen im blauen Raum bis zu Hochzeiten und Großveranstaltungen im Saal für 120 bis 180 Personen. Es bleibt unklar, ob diese Ereignisse im Rahmen des Gutachtens überhaupt berücksichtigt wurden. Auch in der Baugenehmigung selbst findet sich kein Hinweis darauf, ob beispielsweise eine Großveranstaltung im o.g. Sinne gleichzeitig mit dem normalen Gaststättenbetrieb erfolgen kann, oder ob es aufgrund der zu erwartenden erhöhten Lärmimmissionen einer Beschränkung hinsichtlich Frequenz oder der konkreten Art der Durchführung solcher Veranstaltungen bedurft hätte.
b) Die fehlende Bestimmtheit verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten, da die streitgegenständliche Baugenehmigung hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Fragen unbestimmt ist. Soweit ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot aufgrund von Immissionen im Raum steht, kann zur Orientierung, welche Belastung für den Nachbarn zumutbar ist, auf die Maßstäbe des Immissionsschutzrechts zurückgegriffen werden (BayVGH, B.v. 30.3.2021 – 1 CS 20.2637 – juris, Rn. 17). Die Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 BImSchG bietet somit einen Anhaltspunkt für das Vorliegen unzumutbarer Immissionen.
In der Gesamtschau ist nicht zweifelfrei sichergestellt, dass die Antragstellerin keinen unzumutbaren Lärmimmissionen ausgesetzt wäre, die vom Gesamtbetrieb der Gaststätte verursacht werden.
Da die Baugenehmigung wohl bereits aus diesem Grund rechtswidrig ist, kann dahinstehen, ob es sich vorliegend um ein Dorfgebiet oder um ein allgemeines Wohngebiet handelt, wobei darauf hinzuweisen ist, dass der Gebietscharakter eines Dorfgebietes jedenfalls bei eher kleinräumiger Betrachtung erst dann „kippt“, wenn die landwirtschaftliche Nutzung völlig verschwindet und auch eine Wiederaufnahme ausgeschlossen erscheint. Für die Einordnung als Dorfgebiet kommt es nicht auf das Verhältnis zwischen der Anzahl von landwirtschaftlichen Wirtschaftsstellen zu den anderen zulässigen Nutzungsarten an, sondern darauf, ob Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Betriebe überhaupt noch vorhanden sind und das Gebiet prägen (BayVGH, B.v. 23.2.2021 – 15 CS 21.403 – juris, Rn. 66 m.w.N.).
Die Anfechtungsklage gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung hat daher nach summarischer Prüfung, die geboten und auch ausreichend ist, aller Voraussicht nach Erfolg, weshalb dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stattzugeben war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt, §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO, weshalb ihnen die Kosten des Verfahrens nicht anteilig aufzuerlegen waren.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Ziff. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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