Baurecht

Baugenehmigung einer Werbeanlage bei generalisierendem Verbot durch Werbeanlagensatzung

Aktenzeichen  AN 9 K 15.02380

Datum:
22.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 2 Abs. 1 S. 2, Art. 59, Art. 81 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2
BauGB BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, S. 2

 

Leitsatz

1 Soll mit einer Werbeanlagensatzung eine Regelung für das gesamte Gemeindegebiet erlassen werden, hat sich der Satzungsgeber mit dem Problem auseinander zu setzen, dass ein Gemeindegebiet in seiner Gesamtheit in der Regel aus verschiedenen Bereichen besteht, deren Ortsbild unterschiedlich schutzwürdig ist. Demnach hat der Satzungsgeber die Schutzbedürftigkeit des betroffenen Gebiets sorgfältig abzuwägen und im Zweifel nach Baugebieten, Bauquartieren und unter Umständen weitergehend etwa nach Straßenzügen abzustufen.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein generalisierendes Verbot von Anlagen der Fremdwerbung im gesamten Ortsbereich, in Mischgebieten ohne Konkretisierung nach den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten, wie etwa zum Schutz bestimmter Bauten, Straßen, Plätze oder Ortsteile von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung, erweist sich als unverhältnismäßig.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 2. November 2015 verpflichtet, der Klägerin die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung zur Errichtung einer Plakatanschlagtafel in Wandmontage auf einer Fassadenwand auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung …, … in … (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO). Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 2. November 2015 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
Prüfungsmaßstab für die nach Art. 2 Abs. 1 Satz 2, Art. 57 Abs. 1 Nr. 12 BayBO genehmigungspflichtige Werbeanlage sind gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO im vorliegend durchzuführenden vereinfachten Genehmigungsverfahren die Vorschriften über die planungsrechtliche Zulässigkeit (§§ 29 ff. BauGB – vgl. nachfolgend 1.) sowie die Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO (vgl. nachfolgend 2.). Nachdem sich der Beklagte als Ablehnungsgrund auch auf das bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot des Art. 8 BayBO berufen hat, ist auch diese Vorschrift im gerichtlichen Verfahren Prüfungsgegenstand (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO – vgl. nachfolgend 3.). Wenngleich der ablehnende Bescheid vom 2. November 2015 keine Ausführungen zum bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot gemäß Art. 8 BayBO entsprechend des Prüfprogramms nach Art. 59 BayBO enthält, durfte sich der Beklagte im Wege des Nachschiebens von Gründen auch noch im Verwaltungsprozess gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO auf einen Verstoß gegen sonstige öffentlichrechtliche Vorschriften, insbesondere das bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot berufen (vgl. VG Augsburg, U.v. 10.6.2015 – Au 4 K 15.168 – juris, Rn. 25).
1. Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich zulässig. Es fügt sich seiner Art nach gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 5 BauNVO in die als faktisches Dorfgebiet zu qualifizierende nähere Umgebung ein. Das Baugrundstück liegt nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, sondern innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile und beurteilt sich daher nach § 34 BauGB. Die maßgebliche nähere Umgebungsbebauung stellt sich nach den Feststellungen der Beweisaufnahme im Augenschein aufgrund der noch vorhandenen Hofstellen, insbesondere auf den benachbarten Grundstücken FlNrn. …, … und … als faktisches Dorfgebiet dar. Auch aufgegebene landwirtschaftliche Nutzungen verlieren insoweit nicht ihre prägende Kraft, solange die Wirtschaftsgebäude nicht gänzlich und auf Dauer einer landwirtschaftlichen Nutzung entzogen sind (beispielsweise durch Umwandlung einer Scheune in Wohnungen). Selbst bei völliger Aufgabe wirkt die prägende Kraft nach, soweit eine völlige oder teilweise Wiederaufnahme einer landwirtschaftlichen Nutzung, auch in geänderten Betriebsformen möglich erscheint und nach der Verkehrsauffassung nicht ausgeschlossen ist. Erst wenn die landwirtschaftliche Nutzung aus einem faktischen Dorfgebiet gänzlich verschwindet und eine Wiederaufnahme der Nutzung als ausgeschlossen erscheint, ist davon auszugehen, dass sich der Gebietscharakter (faktisch) gewandelt hat (vgl. BayVGH, B.v. 24.4.2012 – 2 ZB 10.2894 – juris, Rn. 3; BVerwG, B.v. 29.5.2001 – 4 B 33/01 – NVwZ 2001, 1055). Aufgrund der vorliegend noch funktionsfähigen Hofstellen ist nach den Erkenntnissen des Augenscheins mithin von einem faktischen Dorfgebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 5 BauNVO auszugehen, insbesondere da der Charakter eines Baugebiets grundsätzlich nicht von einem bestimmten prozentualen Mischverhältnis der zulässigen Nutzungsarten wie bei einem Mischgebiet abhängt (vgl. BVerwG, B.v. 4.12.1995 – 4 B 258.95 – juris). Das Bauvorhaben stellt sich als Anlage der Fremdwerbung bauplanungsrechtlich als eine eigenständige Hauptnutzung in Form einer nicht störenden gewerblichen Nutzung dar (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.1992 – 4 C 27/91 – BVerwGE 91, 234 ff.; BayVGH, U.v. 11.12.2007 – 14 B 06.2880 – juris). Als solche ist die streitgegenständliche Werbeanlage im vorliegenden faktischen Dorfgebiet bauplanungsrechtlich zulässig nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO.
Ob sich eine Anlage nach dem Maß der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung einfügt, ist nicht allein danach zu beurteilen, ob sich dort vergleichbare Werbeanlagen finden. Beurteilungsmaßstab hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung sind vielmehr alle in der näheren Umgebung anzutreffenden baulichen Anlagen, insbesondere auch Gebäude (vgl. BayVGH, U.v. 7.7.2004 – 26 B 03.2798 – juris, Rn. 21). Unter Berücksichtigung der Größe der Fassadenwand, an der die streitgegenständliche Werbeanlage angebracht werden soll, und der Maßgeblichkeit aller im Gebiet vorhandenen baulichen Anlagen einschließlich der Gebäude fügt sich die beantragte Werbeanlage hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung ohne Weiteres in die nähere Umgebung ein (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB).
Darüber hinaus beeinträchtigt die beantragte Werbeanlage nicht das im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB bundesrechtlich geschützte Ortsbild. Das im Baugesetzbuch verankerte und damit den Kompetenztitel des Bodenrechts entstammende Beeinträchtigungsverbot des Ortsbildes erfasst nur solche, die in der Lage sind, bodenrechtliche Spannungen zu erzeugen. Diese ergeben sich jedoch nicht schon aus jeder ästhetisch unschönen Baugestaltung, sondern nur, wenn eine größere Umgebung der Gemeinde tangiert ist, die über den Umgriff der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB hinausreicht (vgl. BVerwG, U.v. 11.5.2000 – 4 C 14/98 – juris). Bei dem bundesrechtlich geschützten Ortsbild kommt es insoweit auf einen zumindest größeren Bereich der jeweiligen Gemeinde an. Entscheidend ist, ob sich das Vorhaben in diese weite Umgebung einpasst. Da die negativen Auswirkungen des Vorhabens den Grad einer Beeinträchtigung erreichen müssen, muss eine Störung eines Gesamtbildes, das durch unterschiedliche Elemente geprägt sein kann, vorliegen. Ferner ist zu beachten, dass nicht jedes Ortsbild schützenswert ist. Vielmehr muss das Ortsbild, um schützenswert zu sein und die Baugestaltungsfreiheit des Eigentümers einschränken zu können, eine gewisse Wertigkeit für die Allgemeinheit haben, einen besonderen Charakter, eine gewisse Eigenheit, die dem Ort oder dem Ortsteil eine über dem Üblichen herausragende Prägung verleiht (vgl. BVerwG, U.v. 11.5.2000, a. a. O.).
Nach diesen Maßstäben ist eine Beeinträchtigung des bodenrechtlichen „großen“ Ortsbilds nach § 34 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz BauGB nicht festzustellen. Vielmehr handelt es sich nach den Erkenntnissen des Augenscheins um das Ortsbild einer durch landwirtschaftliche und gemischte Nutzungen geprägten Gemeinde, wie es überall anzutreffen sein könnte. Ein besonderer Charakter, der dem Ort eine aus dem Üblichen herausragende Prägung verleiht, und der durch die streitgegenständliche Werbeanlage beeinträchtigt werden könnte, ist insbesondere unter Berücksichtigung der vielfach anzutreffenden Leerstände und Baumängel im Ortsbild auch unter Würdigung der Bemühungen zur Aufwertung des Ortsbildes nicht anzuerkennen. Die von Beklagtenseite vorgebrachten ästhetischen Beeinträchtigungen besitzen insoweit keine städtebauliche Qualität, zumal eine Beeinträchtigung nicht bereits bei einer fehlenden Übereinstimmung mit den einzelnen Merkmalen der Bebauung angenommen werden kann. Mangels einer Beleuchtung der streitgegenständlichen Werbeanlage gehen von ihr auch keine unzumutbaren Belästigungen oder Störungen im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO im Hinblick auf die gegenüberliegende Wohnbebauung aus.
Das beantragte Werbevorhaben stellt sich somit als bauplanungsrechtlich zulässig dar.
2. Dem streitgegenständlichen Vorhaben steht auch die Werbeanlagensatzung der Beigeladenen vom 29. April 2015 nicht entgegen.
Nach Art. 59 Abs. 1 Nr. 1 BayBO ist im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren auch die Übereinstimmung mit den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO zu prüfen. Nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BayBO können die Gemeinde durch Satzung örtliche Bauvorschriften erlassen über besondere Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen zur Erhaltung und Gestaltung von Ortsbildern (Nr. 1), sowie über das Verbot der Errichtung von Werbeanlagen aus ortsgestalterischen Gründen (Nr. 2). Die Werbeanlagensatzung der Beigeladenen vom 29. April 2016 stellt eine solche örtliche Bauvorschrift dar.
Dem Bauvorhaben können die Regelungen der Werbeanlagensatzung allerdings nicht entgegengehalten werden, da sie – soweit das Vorhabengrundstück überhaupt in den räumlichen Geltungsbereich der Werbeanlagensatzung nach § 2 Abs. 1 der Werbeanlagensatzung (WaS) vom 29. April 2015 fällt – den sich aus der Ermächtigungsgrundlage ergebenden Anforderungen nicht gerecht wird.
Offenbleiben kann dabei, ob sich die Unwirksamkeit bereits aus formalen Gründen aufgrund einer fehlenden gesonderten Ausfertigung der dem Satzungstext unverbunden beigefügten und als „Anlage 1“ gekennzeichneten Anlage ergibt. Eine Ausfertigung soll die Identität des Normtextes mit dem vom Normgeber beschlossenen Inhalt bestätigen (vgl. BayVGH, U.v. 3.3.2015 – 15 N 13.636 – juris, Rn. 11 mit Verweis auf BVerwG, B.v. 16.5.1991 – 4 NB 26/90 – BVerwGE 88, 204). Mit der Ausfertigung wird die Satzung als Originalurkunde hergestellt und beglaubigt, dass die Satzung, so wie sie vorliegt, vom Gemeinderat beschlossen worden ist. Dieser Identitätsfunktion wird im Allgemeinen durch die eigenhändige Unterschrift des 1. Bürgermeisters auf der durch die Ausfertigung hergestellten Originalurkunde, die der Bekanntmachung der Norm zugrunde zu legen ist, entsprochen. Besteht die Satzung aus einem Plan und einem Textteil, dann sind grundsätzlich entweder beide Teile auszufertigen oder der ausgefertigte Teil ist mit dem weiteren Teil untrennbar zu verbinden. Die Ausfertigung nur eines Teiles genügt nur dann, wenn in diesem mit hinreichender Bestimmtheit auf den anderen Teil der Satzung Bezug genommen wird, so dass beide Teile durch eine „gedankliche Schnur“ verbunden sind (vgl. BayVGH, U.v. 3.3.2015, a. a. O.). Vorliegend verweist zwar der Normtext der Satzung unter § 2 Abs. 1 und 2 WaS auf Anlagen, die beigefügten Anlagen sind mit dem Satzungstext jedoch nicht untrennbar verbunden; auch sind die Anlagen lediglich als „Anlage“ ohne Bezugnahme auf die Satzung gekennzeichnet.
Darüber hinaus erscheint zweifelhaft, ob das Vorhabengrundstück FlNr. … der Gemarkung … überhaupt in den räumlichen Geltungsbereich der Werbeanlagensatzung nach § 2 Abs. 1 WaS fällt. Nach § 2 Abs. 1 WaS gelten die Regelungen des §§ 3 und 4 sowie der §§ 10 bis 12 der Satzung „für alle Grundstücke an den Hauptdurchfahrtsstraßen des Hauptortes und der Ortsteile“. In wörtlicher Auslegung des Satzungstextes ist das Vorhabengrundstück mit der FlNr. … der Gemarkung … damit nicht vom räumlichen Geltungsbereich erfasst, da es nicht unmittelbar an die Hauptdurchfahrtsstraße angrenzt, sondern vielmehr zwischen der Straße und dem Vorhabengrundstück das Grundstück des Baches FlNr. … der Gemarkung … liegt. Die sich hieraus ergebende uneinheitliche Tiefe des räumlichen Geltungsbereichs eines Fremdwerbungsverbots entlang der Hauptverkehrsstraße erscheint aufgrund der ungleichmäßigen Belastung der jeweiligen Grundstückseigentümer mit dem die Baufreiheit einschränkenden Werbeverbot unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 Abs. 1 GG ebenfalls als fragwürdig.
Dies kann letztlich dahinstehen, da die Werbeanlagensatzung der Beigeladenen der Ermächtigungsgrundlage in Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BayBO insoweit nicht entspricht, als sich im hier maßgeblichen Geltungsbereich des Hauptortes keine einheitliche Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit für ein generalisierendes Verbot entlang der Hauptdurchgangsstraße ergibt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs sind generalisierende Verbote bestimmter Werbeanlagen durch Ortsgestaltungssatzungen nur dann im Einklang mit Art. 14 GG und verhältnismäßig, wenn sie eine Entsprechung in einem Mindestmaß an Einheitlichkeit des Baugebietscharakters finden und die vom Gesetzgeber genannten ortsgestalterischen Gründe ein entsprechendes Verbot tatsächlich erfordern (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.1972 – IV C 11.69 – BeckRS 1972, 30435060; BayVerfGA, E.v. 23.1.2012 – Vf 18-VII-09 – BayVBl. 2012, 397 ff.). Eine generalisierende Regelung für Werbeanlagen setzt somit die Homogenität eines zu schützenden Bereiches voraus. An planungsrechtlich bestimmten oder durch die tatsächlichen Verhältnisse gegebenen unterschiedlichen Nutzungsweisen der Bauflächen darf eine baugestalterische Regelung über Anforderungen an Werbeanlagen nicht schlechthin vorbeigehen (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.1972, a. a. O.). Eine Satzung muss sich unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit als Ergebnis einer sachgerechten Abwägung zwischen den im öffentlichen Interesse stehenden ortsgestalterischen Gründen und den grundrechtlich betroffenen Belangen, insbesondere dem merkantilen Interesse von Grundstückseigentümern an einer Nutzung zu Werbezwecken darstellen. Als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ist ein generalisierender Ausschluss von Fremdwerbeanlagen nur gerechtfertigt, wenn und soweit er vom geregelten Sachbereich her geboten und in seiner Ausgestaltung selbst sachgerecht ist. Das baugestalterische Ziel, eine Beeinträchtigung des vorhandenen oder durch Planung erstrebten Charakters eines Baugebiets durch funktionswidrige Anlagen zu verhindern, ist ein beachtenswertes öffentliches Anliegen in diesem Sinn. Im Hinblick auf die tangierten Grundrechte ist ein Verbot der Errichtung von Fremdwerbeanlagen auf Grundlage des Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 BayBO nur dort gerechtfertigt und somit verhältnismäßig, wo die vom Gesetzgeber genannten ortsgestalterischen Gründe ein entsprechendes Verbot erfordern. Soll mit einer Werbeanlagensatzung eine Regelung für das gesamte Gemeindegebiet erlassen werden, hat sich der Satzungsgeber mit dem Problem auseinander zu setzen, dass ein Gemeindegebiet in seiner Gesamtheit in der Regel aus verschiedenen Bereichen besteht, deren Ortsbild unterschiedlich schutzwürdig ist. Demnach hat der Satzungsgeber die Schutzbedürftigkeit des betroffenen Gebiets sorgfältig abzuwägen und im Zweifel nach Baugebieten, Bauquartieren und unter Umständen weitergehend etwa nach Straßenzügen abzustufen (vgl. BayVerfGH, E.v. 23.1.2012, a. a. O.). Ein generalisierendes Verbot von Anlagen der Fremdwerbung im gesamten Ortsbereich, in Mischgebieten ohne Konkretisierung nach den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten, wie etwa zum Schutz bestimmter Bauten, Straßen, Plätze oder Ortsteile von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung, erweist sich als unverhältnismäßig. Auch trifft die Annahme, Anlagen der Fremdwerbung seien in ländlichen Bereichen funktionsfremd oder per se störend, in der Sache nicht zu; allein das Abstellen auf einen ländlichen Charakter bzw. den ländlichen Eindruck eines Gebiets genügt insoweit nicht, einen gestalterischen Eigenwert zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2015 – 15 ZB 13.1896 – juris, Rn. 10).
Wenn gleich die erforderliche Einheitlichkeit bzw. Homogenität durch eine städtebaulich bedeutsame Prägung eines bestimmten Teilgebiets einer Gemeinde wie die Ortsdurchfahrt bewirkt sein kann, und eine „besondere“ Schutzwürdigkeit des Teilgebiets nicht vorauszusetzen ist (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2015 – 1 ZB 13.1903 – juris, Rn. 4), sind gleichwohl zur Annahme einer Schutzwürdigkeit der gesamten Ortsdurchgangsstraße einheitliche ortsgestalterische Gründe zu fordern. Allein die Erwägung, die Ortsdurchgangsstraße sei die „Visitenkarte“ einer Gemeinde vermag insoweit eine besondere städtebauliche Bedeutung bzw. einheitliche Schutzwürdigkeit nicht zu begründen (vgl. VG Freiburg, U.v. 24.3.2004 – 2 K 1725/02 – EckRS 2006, 22026).
Auch wenn die Werbeanlagensatzung der Beigeladenen vom 29. April 2015 nicht das gesamte Gemeindegebiet, sondern die an den Hauptdurchfahrtsstraßen gelegenen Grundstücke mit einem Fremdwerbeverbot belegt, lassen sich nach den Erkenntnissen im Augenschein für den gesamten Geltungsbereich des Hauptortes keine einheitlichen ortsgestalterischen Gründe für ein generalisierendes Verbot entlang der gesamten Ortsdurchfahrt feststellen. Vielmehr bezieht die Werbeanlagensatzung in ihrem Geltungsbereich ausweislich des in Anlage 1 zur Werbeanlagensatzung vom 29. April 2015 markierten Bereiches auch Grundstücke mit ein, die in einem durch Bebauungsplan festgesetzten eingeschränkten Gewerbegebiet belegen sind (insbesondere Grundstücke FlNrn. … sowie … der Gemarkung …). Damit hat die Beigeladene einen Ausschluss jeglicher Fremdwerbung entlang der gesamten Ortsdurchgangsstraße ohne jegliche Differenzierung danach vorgenommen, welches Baugebiet jeweils vorliegt. Wenngleich Hauptverkehrsstraßen für das äußere Erscheinungsbild eines Ortes besonders bedeutsam sein können und daher Gemeinden nach den örtlichen Gegebenheiten zum Schutz bestimmter Straßen von städtebaulicher Bedeutung Werbeverbote aussprechen können, kommt es für die Frage, wie weit ein solches Verbot unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gehen darf, auf die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten und die Homogenität des Ortsbildes entlang der Ortsdurchfahrt an (vgl. BayVGH, B.v. 14.10.2014 – 1 ZB 12.1832 – juris, Rn. 5). Von einem einheitlich schützenswerten, homogenen Ortsbild entlang der Ortsdurchfahrt kann jedoch dann keine Rede sein, wenn das Werbeverbot die gesamte Ortsdurchfahrt, die sich auf den Ortskern, das faktische Dorfgebiet sowie gegebenenfalls Gemengelagen und schließlich auf Außenbereichsgrundstücke und durch Bebauungsplan festgesetzte Gewerbegebiete erstreckt, umfasst. Durch die Einbeziehung gewerblich genutzter Bereiche in den räumlichen Geltungsbereich der Werbeanlagensatzung, die einen generellen Fremdwerbungsausschluss vorsieht, sind die nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BayBO erforderlichen ortsgestalterischen Gründe für das festgesetzte Fremdwerbungsverbot nicht in dieser Gesamtheit gegeben. Die Satzung weist insoweit eine nicht hinreichende Differenzierung nach den vorherrschenden bzw. bauplanungsrechtlich möglichen Nutzungen entlang der Hauptverkehrsstraße auf. § 2 Abs. 1 WaS i. V. m. § 3 Abs. 1 WaS überschreitet damit die Ermächtigungsnorm des Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BayBO, steht mit Art. 12 und 14 GG nicht im Einklang und kann daher wegen Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Werbeanlage insoweit nicht entgegengehalten werden.
Auch die Größenbegrenzung in § 3 Abs. 2 WaS ist – unabhängig von der Frage, ob diese auf Fremdwerbeanlagen überhaupt Anwendung findet – nicht mit Art. 12 und 14 GG vereinbar, da auch insoweit keine hinreichende Differenzierung nach den ortsgestalterischen Gründen in den jeweils unterschiedlichen Baugebieten Rechnung getragen wird. Ortseinheitliche gestalterische Gründe, wonach Werbeanlagen sowohl in festgesetzten Gewerbegebieten als auch in wohnlich bzw. gemischt genutzten Bereichen eine höchstzulässige Größe von 2 m2 nicht überschreiten dürfen, sind unter Berücksichtigung der Uneinheitlichkeit des Ortsbildes entlang der Hauptdurchfahrtsstraße des Hauptortes der Beigeladenen nicht erkennbar.
Eine teilweise Aufrechterhaltung der Satzung im Sinne einer Reduktion ihres räumlichen Geltungsbereichs auf die Gebiete, in denen ein genereller Ausschluss von Fremdwerbung und großflächigen Werbeanlagen zulässig wäre, ist dem Gericht mangels eines entsprechenden Gestaltungsermessens verwehrt (vgl. VG Freiburg, U.v. 25.7.2012 – 1 K 2107/10). Eine Werbeanlagen- oder Gestaltungssatzung tangiert das Eigentumsgrundrecht, wenn sie Großflächenwerbetafeln in genereller Weise oder durch eine Größenbeschränkung verbietet und damit die Nutzung von Grundstücken zu Werbezwecken beschränkt. Ein solches Verbot ist nur dann gerechtfertigt und somit verhältnismäßig, wo die vom Gesetzgeber genannten ortsgestalterischen Gründe ein entsprechendes Verbot erfordern. Dementsprechend sind an die Zulässigkeit von Werbeanlagen je nach den Gegebenheiten des jeweiligen Gemeindebereichs und den damit verbundenen Schutzzweck unterschiedliche Anforderungen zu stellen und nach diesen Schutzmaßstäben abzustufen. Generalisierende Regelungen für Werbeanlagen können nur bei einer Homogenität des zu schützenden Bereichs getroffen werden (vgl. zum Ganzen: BayVerfGH, E.v. 23.1.2012, a. a. O.). Der Satzungsgeber hat nach alledem bei Erlass einer Werbeanlagen- oder Gestaltungssatzung nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 BayBO die Schutzbedürftigkeit des betroffenen Gebiets sorgfältig abzuwägen und im Zweifel nach Baugebieten, Bauquartieren und unter Umständen noch weitergehend nach Straßenzügen abzustufen. Das erkennende Gericht hat bei der Inaugenscheinnahme des räumlichen Geltungsbereichs der Werbeanlagensatzung entlang der Hauptdurchfahrtsstraße des Hauptortes keine einheitlichen ortsgestalterischen Gründe erkennen können, die ein einheitliches Fremdwerbeverbot gemäß § 3 Abs. 1 WaS erfordern. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 WaS i. V. m. § 2 Abs. 1 WaS können dem Vorhaben der Klägerin daher nicht entgegengehalten werden.
3. Das streitgegenständliche Vorhaben verstößt auch nicht gegen das Verunstaltungsverbot gemäß Art. 8 Satz 1 und 2 BayBO, auf das sich der Beklagte gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz BayBO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren berufen hat. Nach Art. 8 Satz 1 BayBO müssen bauliche Anlagen nach Form, Maßstab, Verhältnis der Baumassen und Bauteile zueinander, Werkstoff und Farbe so gestaltet sein, dass sie nicht verunstaltet wirken. Art. 8 Satz 2 BayBO schreibt vor, dass bauliche Anlagen das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild nicht verunstalten dürfen (sogenanntes umgebungsbezogenes Verunstaltungsverbot). Eine Verunstaltung im Sinne dieser Vorschrift ist nur dann anzunehmen, wenn ein für ästhetische Eindrücke offener Durchschnittsbetrachter die betreffende Werbeanlage an ihrer Anbringungsstelle als belastend oder unlusterregend empfinden würde. Aufgabe des Art. 8 Satz 2 BayBO ist es insoweit in erster Linie, Auswüchse zu unterbinden, nicht jedoch bestimmte ästhetische Wertvorstellungen zur Stadtbildgestaltung durchzusetzen (vgl. BayVGH, B.v. 11.8.2006 – 26 B 05.3024 – juris m. w. N.). Unter dem Begriff der Verunstaltung ist ein hässlicher, das ästhetische Empfinden eines für solche Eindrücke aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachters nicht bloß beeinträchtigender, sondern verletzender Zustand zu verstehen; eine Störung der architektonischen Harmonie genügt insofern nicht, vielmehr muss die optische Situation als belastend oder unlusterregend empfunden werden (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.2014 – 2 ZB 12.2498 – juris, Rn. 3; U.v. 25.7.2002 – 2 B 02.165 – juris, Rn. 19). Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kann das Straßenbild in Einzelfällen bereits dann verunstaltet sein, wenn ein architektonisch hervorgehobenes Gebäude, das Bestandteil des Straßenbildes ist, verunstaltet wird. In Bezug auf Werbeanlagen entspricht es darüber hinaus der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, dass sie ihren Anbringungsort verunstalten, wenn sie die Gebäudewand, an der sie angebracht werden sollen, zu einem Werbeträger umfunktionieren oder einem vorhandenen ruhigen Erscheinungsbild einen Fremdkörper aufsetzen und dieses damit empfindlich stören (vgl. BayVGH, B.v. 16.2.2016 – 2 ZB 15.2503 – juris, Rn. 2; U.v. 11.11.2014 – 15 B 12.2765 – juris m. w. N.). Eine Werbeanlage verunstaltet das Orts- und Straßenbild im Sinne des Art. 8 Satz 2 BayBO durch die Verunstaltung des Gebäudes selbst, an welchem sie angebracht werden soll, durch die hiervon ausgehenden Auswirkungen auf das umgebende Straßenbild, wenn der erforderliche maßvolle Kontrast zu der vorhandenen näheren Umgebung nicht gegeben ist.
Nach diesen Maßstäben liegt nach Auffassung der erkennenden Kammer eine verunstaltende Wirkung der Werbeanlage auf das Gebäude selbst und mithin auf das Orts- und Straßenbild im vorliegenden Verfahren nicht vor. Bei der streitgegenständlichen Werbeanlage handelt es sich um eine unbeleuchtete Werbeanlage im Euroformat. Diese soll nicht auf der Giebelfläche, sondern auf der fensterlosen Traufwand des Wirtschaftsgebäudes auf dem Vorhabengrundstück in einer Höhe von 1,3 m im rechten straßenseitigen Bereich angebracht werden. Unter Berücksichtigung der Höhe und Größe der Wand, an der die streitgegenständliche Werbeanlage angebracht werden soll, lässt die streitgegenständliche Werbeanlage das Erscheinungsbild der Fassadenwand nicht unangemessen zurücktreten. Die Werbetafel wirkt sich nach den Feststellungen im Augenschein in dem durch landwirtschaftliche Betriebsgebäude, gewerbliche Nutzungen und durch Wohnnutzung geprägten Straßen- und Ortsbild nicht als ein das ästhetische Empfinden massiv verletzender Fremdkörper aus. Wenngleich die fensterlose Fassadenwand bislang eine gestalterisch ruhige Fläche bot, ist sie aufgrund ihrer Größe geeignet, die Werbeanlage aufzunehmen und bewirkt keine gestalterische Unruhe oder Disharmonie des in der Umgebung vorhandenen engeren Ortsbildes. Allein die Tatsache, dass es sich bei dem Bauvorhaben um die erste Werbeanlage in der maßgeblichen näheren Umgebung handelt, ist nicht geeignet, eine verunstaltende Wirkung zu begründen. Die sich in das Straßenbild einordnende Wirkung wird durch die fehlende Beleuchtung der streitgegenständlichen Werbeanlage unterstrichen.
Das streitgegenständliche Vorhaben verstößt somit auch nicht gegen die von der Bauordnungsbehörde geprüften sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Bauordnungsrechts.
Abgesehen davon, dass sich die Bauordnungsbehörde hierauf nicht berufen hat, stellen Regelungen der Sanierungssatzung der Beigeladenen keine sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Sinne des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO dar (vgl. VG Ansbach, U.v. 30.7.2015 – AN 3 K 15.00482 – juris, Rn. 41).
Der Klägerin ist daher die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.


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