Baurecht

Baugenehmigung für eine Traktorgarage mit Dachterrasse

Aktenzeichen  1 ZB 20.1282

Datum:
1.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36093
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 7

 

Leitsatz

Der eigentliche Zweck des Erfordernisses des „Dienens“ liegt darin, Missbrauchsversuchen begegnen zu können. Nicht der behauptete Zweck des Vorhabens, sondern seine wirkliche Funktion nach den objektiven Gegebenheiten ist entscheidend. Es sollen Vorhaben verhindert werden, die zwar an sich objektiv geeignet wären, einem privilegierten Betrieb zu dienen, mit denen aber in Wirklichkeit andere Zwecke verfolgt werden (vgl. BVerwG, BeckRS 1993, 08527 Rn. 5). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 17.2445 2020-01-23 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Traktorgarage mit (Dach-)Terrasse an der Südseite einer im Außenbereich gelegenen ehemaligen Tenne, in der sich nunmehr zwei Wohnungen befinden.
Die Klägerin bewirtschaftet einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb. Bei einer Ortsbesichtigung im Jahr 2016 wurde festgestellt, dass an der ehemaligen Tenne ein Balkon angebaut worden war. Nach Anhörung zum Erlass einer Beseitigungsanordnung beantragte die Klägerin eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Traktorgarage mit Terrasse. Nach den eingereichten Planunterlagen soll die Traktorgarage mit einer Grundfläche von 25,54 m² großteils unter dem bereits fertiggestellten Balkon-/Terrassenanbau errichtet werden. Die Terrasse mit einer Grundfläche von 26,80 m², die die Garage im östlichen Bereich für einen vorgesehenen Treppenaufgang um ca. 1,5 m überragt, gehört zu der im Obergeschoss des Gebäudes befindlichen Wohnung 2. Mit Bescheid vom 21. April 2017 lehnte das Landratsamt den Bauantrag der Klägerin ab. Die auf Erteilung der Baugenehmigung gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 23. Januar 2020 abgewiesen. Das geplante Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Dabei könne offen bleiben, ob die die Klägerin einen landwirtschaftlichen (Neben-)Betrieb führe. Denn das zur Genehmigung gestellte (Gesamt-)Vorhaben sei schon nicht dienlich im Sinn des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, da ein vernünftiger (Nebenerwerbs-)Landwirt eine Investition in Höhe von 25.000,00 Euro in der Situation der Klägerin nicht tätigen würde. Als sonstiges Vorhaben im Sinn von § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtige es öffentliche Belange. Abgesehen davon, dass der Bauantrag der Klägerin nicht (nur) auf den Terrassenanbau beschränkt gewesen sei, komme eine Ausblendung der beeinträchtigten öffentlichen Belange nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen des Teilprivilegierungstatbestands nach § 35 Abs. 4 BauGB nicht vorlägen. Der großzügig dimensionierte Terrassenanbau stelle eine wesentliche Änderung der äußeren Gestalt des ehemaligen Tennengebäudes dar. Auch sei die maximal zulässige Anzahl von Wohnungen bereits ausgeschöpft und eine Erweiterung der Wohnung 2 nicht mehr angemessen.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor bzw. ist nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG‚ B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011‚ 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG‚ B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004‚ 838). Das ist hier nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass das nach § 35 Abs. 2 BauBG zu beurteilende sonstige Vorhaben öffentliche Belange gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beeinträchtigt und diese Beeinträchtigung auch nicht über eine „Teilprivilegierung“ nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 5 BauGB überwunden werden kann.
1. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das geplante Vorhaben – ohne dass es auf die Frage des Bestehens eines landwirtschaftlichen Betriebs ankommt – jedenfalls nicht dienlich im Sinn des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ist.
Bei der Auslegung des Merkmals „Dienen“ ist der Grundgedanke des § 35 BauGB, dass der Außenbereich grundsätzlich nicht bebaut werden soll, zu beachten; durch ihn wird die Privilegierung eingeschränkt. Ein Vorhaben „dient“ einem landwirtschaftlichen Betrieb nicht schon dann, wenn es nach den Vorstellungen des Betriebsinhabers für seinen Betrieb förderlich ist. Da aber auch nicht verlangt werden kann, dass das Vorhaben für den Betrieb schlechthin unentbehrlich ist, bilden die bloße Förderlichkeit einerseits und die Unentbehrlichkeit andererseits den äußeren Rahmen für das Merkmal des Dienens. Maßgeblich ist innerhalb dieses Rahmens, ob ein vernünftiger Landwirt – auch und gerade unter Berücksichtigung des Gebotes größtmöglicher Schonung des Außenbereichs – das Bauvorhaben mit etwa gleichem Verwendungszweck und mit etwa gleicher Gestaltung und Ausstattung für einen entsprechenden Betrieb errichten würde. Mit dem Tatbestandsmerkmal des „Dienens“ in § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB soll sichergestellt werden, dass das Bauvorhaben zu dem privilegierten Betrieb tatsächlich in einer funktionalen Beziehung steht (vgl. BVerwG, U.v. 19.6.1991 – 4 C 11.89 – NVwZ-RR 1992, 401; U.v. 16.5.1991 – 4 C 2.89 – NVwZ-RR 1992, 400; U.v. 22.11.1985 – 4 C 71.82 – NVwZ 1986, 644; U.v. 3.11.1972 – IV C 9.70 – BVerwGE 41, 138; BayVGH, B.v. 20.8.2019 – 15 ZB 18.2106 – juris Rn. 21; U.v. 29.1.2019 – 1 BV 16.232 – BayVBl 2019, 562; U.v. 11.4.2017 – 1 B 16.2509 – BayVBl 2018, 168; U.v. 20.7.2005 – 2 BV 04.1088 – juris Rn. 17). Der eigentliche Zweck des Erfordernisses des „Dienens“ liegt darin, Missbrauchsversuchen begegnen zu können. Nicht der behauptete Zweck des Vorhabens, sondern seine wirkliche Funktion nach den objektiven Gegebenheiten ist entscheidend. Es sollen Vorhaben verhindert werden, die zwar an sich objektiv geeignet wären, einem privilegierten Betrieb zu dienen, mit denen aber in Wirklichkeit andere Zwecke verfolgt werden (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.1993 – 4 B 254.92 – juris Rn. 5; U.v. 16.5.1991 a.a.O.).
Gemessen an diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht das Merkmal des Dienens aus der Perspektive eines „vernünftigen Landwirts“ zu Recht verneint, weil der Terrassenanbau der Wohnnutzung in der ehemaligen Tenne dient und der Bauantrag für das geplante Gesamtvorhaben in der beantragten Ausgestaltung als Traktorgarage mit (Dach-)Terrasse nicht in zulässige Einzelbauvorhaben aufgeteilt werden kann. Gegenstand einer bauplanungsrechtlichen Beurteilung eines baurechtlichen Genehmigungsverfahrens ist das Vorhaben im Sinn von § 29 Abs. 1 BauGB. Es ist Sache des Bauherrn, durch seinen Genehmigungsantrag den Inhalt des Vorhabens festzulegen, soweit er sich innerhalb derjenigen Grenzen hält, die einer Zusammenfassung oder Trennung objektiv gesetzt sind. Ob ein Bauherr ein Gesamtvorhaben oder mehrere Einzelvorhaben zur Genehmigung gestellt hat, beurteilt sich nach dem jeweiligen Genehmigungsantrag, der unter Umständen der Auslegung bedarf (BVerwG, B.v. 6.2.2013 – 4 B 39.12 – juris Rn. 11; B.v. 21.8.1991 – 4 B 20/91 – DVBl 1992, 40; BayVGH, U.v. 29.1.2019 – 1 BV 16.232 – BayVBl 2019, 562; SächsOVG, B.v. 13.8.2012 – 1 B 242/12 – NVwZ-RR 2013, 14). Entsprechende Maßstäbe gelten grundsätzlich auch für ein mehrere Baumaßnahmen, die objektiv betrachtet jeweils getrennt beurteilt werden könnten, umfassendes „Gesamtvorhaben“ (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2019 – 15 ZB 18.2264 – juris Rn. 13). Vorliegend hat die Klägerin ausweislich des Bauantrags und der vorgelegten Planzeichnung die Traktorgarage sowie die (Dach-)Terrasse als insgesamt nur ein Vorhaben zur Genehmigung gestellt. Damit ist von einem einheitlichen Konzept und von einem Gesamtvorhaben auszugehen. Für das Vorliegen einer Einheit spricht auch die Bezeichnung des Bauvorhabens als „Neubau einer Traktorgarage mit Terrasse“ sowie der Umstand, dass die einzelnen Anlagen erkennbar aufeinander abgestimmt sind. An diesem einheitlichen Gesamtvorhaben hat sich auch später nichts geändert. Sowohl der Hinweis im Zulassungsverfahren, dass es sich bei dem Vorhaben um eine teilbare Anlage handle, als auch die Vorlage des Bescheids vom 21. Juli 2020, mit dem die Klägerin zur Beseitigung des (ohne Genehmigung errichteten) Balkonanbaus verpflichtet wurde, führen nicht weiter. Die Annahme, dass die Klägerin (und sei es hilfsweise) nicht ein, sondern zwei – je für sich zu beurteilende – Vorhaben hat in das Verfahren einbringen wollen, setzt nicht nur eine Teilbarkeit, sondern darüber hinaus vor allem voraus, dass sie – anfänglich oder nachträglich – eine entsprechende Teilung vorgenommen hat (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.1980 – IV C 99.77 – BauR 1980, 921). Daran fehlt es hier.
2. Das Verwaltungsgericht hat auch die Zulässigkeit des nicht gemäß § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten, mithin nach § 35 Abs. 2 BauBG zu beurteilenden sonstigen Vorhabens zu Recht verneint, weil es öffentliche Belange gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nummer 7 BauGB beeinträchtigt und diese Beeinträchtigung auch nicht über eine „Teilprivilegierung“ nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nummern 1 und 5 BauGB überwunden werden kann.
Das geplante Vorhaben führt zu einer städtebaulich zu missbilligenden Erweiterung und Verfestigung einer Splittersiedlung im Sinn von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB. Mit der geplanten Terrasse wird das bestehende Wohngebäude in Richtung Süden erweitert. Eine Splittersiedlung wird erweitert, wenn sie räumlich ausgedehnt wird (vgl. BVerwG, U.v. 17.3.2015 – 4 B 45.14 – ZfBR 2015, 548; U.v. 3.6.1977 – 4 C 37.75 – BVerwGE 54, 73). Der Begriff der Siedlung ist dabei nicht auf zum Wohnen bestimmte Bauten beschränkt, sondern bezieht sich auch auf andere Anlagen (vgl. BVerwG, U.v. 12.3.1998 – 4 C 10.97 – BVerwGE 106, 228; BayVGH, U.v. 7.3.2018 – 1 B 16.2375 – BayVBl 2018, 709). Eine verstärkte Inanspruchnahme des Außenbereichs, auch durch Nutzung einer Terrasse zu Aufenthaltszwecken, führt zu einer unerwünschten Zersiedelung des Außenbereichs. Die Missbilligung einer Erweiterung des Siedlungssplitters rechtfertigt sich in der Regel ohne Weiteres (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – NVwZ 2012, 1631). Nicht anders liegt es bei der Verfestigung, d.h. der Auffüllung des schon bisher in Anspruch genommen räumlichen Bereichs. Die beabsichtigte Erweiterung durch den Terrassenanbau an das Wohngebäude lässt befürchten, dass weitere Erweiterungswünsche im näheren Umfeld des Baugrundstücks oder auf dem Baugrundstück selbst aufkommen und damit die Verfestigung der bestehenden Splittersiedlung droht. Weitreichend ist die Vorbildwirkung deshalb immer dann, wenn sich das Vorhaben und die weiteren Vorhaben, die nicht verhindert werden könnten, zusammen der vorhandenen Splittersiedlung nicht unterordnen, sondern diese erheblich verstärken und dadurch eine weiter gehende Zersiedlung des Außenbereichs bewirken würden (vgl. BVerwG, U.v. 27.8.1998 – 4 C 13.97 – BauR 1999, 373). Soweit die Klägerin unter Bezugnahme auf das vorgenannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das den Einbau einer kleineren Dachgeschosswohnung betrifft, einwendet, dass der geplante Terrassenanbau sich unterordnen würde, übersieht sie, dass der Anbau an das Wohngebäude aufgrund der Grundfläche von ca. 26,80 m² – wie auch in der Darstellung in BayernAtlas erkennbar – deutlich sichtbar ist und die südliche Gebäudewand prägt.
Da bei der Frage, ob ein Vorhaben nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB planungsrechtlich unzulässig ist, schon der Verstoß gegen einen der in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beispielhaft genannten öffentlichen Belange ausreicht (vgl. BVerwG, B.v. 8.11.1999 – 4 B 85.99 – BauR 2000, 1171), kommt es nicht darauf an, ob das Vorhaben auch noch im Widerspruch zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB) steht.
Dazu, dass diese Beeinträchtigung hier auch nicht über eine „Teilprivilegierung“ nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Nr. BauGB überwunden werden kann, verhält die Klägerin sich im Zulassungsverfahren nicht.
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2). Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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