Baurecht

Baugenehmigung, Gemeinde, Bescheid, Vorhaben, Zufahrt, Gemarkung, Bauvorhaben, Wohnbebauung, Innenbereich, Nutzung, Genehmigung, Umgebungsbebauung, Streupflicht, Nachbar, baulichen Nutzung, Kosten des Verfahrens

Aktenzeichen  RN 6 K 20.2196

Datum:
26.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49484
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar, für die Beigeladene gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Landratsamts Deggendorf vom 06.08.2020 verletzt die Klägerin nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Einem Nachbarn des Bauherrn steht ein Anspruch auf Versagung der Baugenehmigung grundsätzlich nicht zu. Er kann eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg anfechten, wenn Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf das Grundstück des Nachbarn fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. OVG Münster, B.v. 5.11.2013 – 2 B 1010/13 – juris; BVerwG, B.v. 28.7.1994 – 4 B 94/94 – juris; BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84; BVerwG, U.v. 13.6.1980 – IV C 31.77 – juris; VG Würzburg, U.v. 11.8.2016 – W 5 K 15.830 – juris, Rn. 51). Es ist daher unerheblich, ob die Baugenehmigung einer vollständigen Rechtmäßigkeitsprüfung standhält, insbesondere ob die Vorschriften des jeweiligen Verfahrens eingehalten wurden.
In bauplanungsrechtlicher Hinsicht bestimmt sich die Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB. Danach ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete im Sinne der Baunutzungsverordnung, beurteilt sich gemäß § 34 Abs. 2 BauGB die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre.
Das Vorhaben fügt sich hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nämlich des Wohnens in die von Wohnnutzung geprägte Umgebung unstreitig ein.
Soweit die Klägerin geltend macht, dass ein Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht vorliege, folgt daraus keine Rechtsverletzung. Ob sich das Vorhaben objektiv nach dem Maß der baulichen Nutzung nach der Bauweise und nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, denn die Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung, über die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, sind nach ganz herrschender Meinung nicht nachbarschützend (vgl. VG München U.v. 29.2.2016 – M 8 K 14.3232, BeckRS 2016, 50220, beck-online unter Hinweis auf BVerwG, B.v. 11.3.1994 – 4 B 53/94, UPR 1994, 267 – juris Rn. 4; B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95, NVwZ 1996, 888 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 29.9.2008 – 1 CS 08.2201 – juris RdNr. 1; B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris Rn. 9; B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 3; B.v. 30.9.2014 – 2 ZB 13.2276 – juris Rn. 4; VG München, B.v. 12.7.2010 – M 8 SN 10.2346 – juris Rn. 53). Unabhängig stellt die von der Klägerseite thematisierte Zahl der im Gebäude vorgesehenen Wohneinheiten keine Frage des Maßes der baulichen Nutzung dar.
Eine Rechtsverletzung kann nur dann angenommen werden, wenn ein Verstoß gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme vorliegt. Für einen solchen Verstoß reicht es nicht aus, dass ein Vorhaben sich nicht in jeder Hinsicht innerhalb des Rahmens hält, der durch die Bebauung der Umgebung gebildet wird. Hinzukommen muss objektivrechtlich, dass es im Verhältnis zu seiner Umgebung bewältigungsbedürftige Spannungen erzeugt, die potentiell ein Planungsbedürfnis nach sich ziehen, und subjektivrechtlich, dass es die gebotene Rücksichtnahme auf die speziell in seiner unmittelbaren Umgebung vorhandene Bebauung vermissen lässt (VG München, B.v. 20.5.2011 – M 1 SN 11.2167 – juris unter Bezugnahme auf BVerwG v. 13.11.1997, NVwZ – RR 1998,540).
Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt nach der Rechtsprechung wesentlich von den jeweiligen Umständen ab (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5/93 – juris). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, welcher das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf die Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.10.2010 – 2 CS 10.2137 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die dem Kläger aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihm als Nachbar billigerweise noch zumutbar ist.
Das Vorhaben der Beigeladenen kann der Klägerin gegenüber nicht als abwehrfähig rücksichtslos bzw. unzumutbar angesehen werden. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots im Hinblick auf die Kubatur des Bauvorhabens ist in aller Regel bereits ausgeschlossen, wenn die erforderlichen Abstandsflächen eingehalten werden, da dann grundsätzlich kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme bezüglich Belichtung, Belüftung und Besonnung anzunehmen ist (vgl. BVerwG, B.v. 11.1.1999 – 4 B 128/98; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85; B.v. 22.11.1984 – 4 B 244/84; BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101; B.v. 15.3.2011 – 15 CS 11.9; B.v. 31.3.2010 – 2 CS 10.307). Eine Einhaltung der erforderlichen Abstandsflächen zum Grundstück der Klägerin hin liegt ersichtlich vor. Unabhängig davon ist im Hinblick auf die Entfernung des Vorhabens der Beigeladenen von mindestens 20 Metern zu den auf den Grundstücken der Klägerin befindlichen Wohngebäuden und den dazwischen befindlichen Privatweg, kein Gesichtspunkt erkennbar, dass hier von einer vom Gebäude ausgehenden erdrückenden oder abriegelnden Wirkung in dem von der Rechtsprechung entwickelten Maß gesprochen werden könnte.
Die befürchteten Belästigungen durch den Zu- und Abfahrtsverkehr, der über ein gesichertes Geh- und Fahrtrecht auf dem südlich der Grundstücke der Klägerin liegenden Privatweg abgewickelt werden kann, können hier zu keiner Verletzung des Rücksichtnahmegebots führen. Grundsätzlich sind die von dem Zufahrts- und Abfahrtsverkehr zu Stellplätzen einer rechtlich zulässigen Wohnbebauung ausgehenden Emissionen im Regelfall als sozialadäquat hinzunehmen. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass durch die im Lageplan dargestellte mindestens 3,5 Meter breite Zufahrt zu den nun entstehenden 6 Wohneinheiten eine für die Klägerin unzumutbare Beeinträchtigung entstehen könnte. Die als Stichstraße geplante Zufahrt ist gerade und in der vollen Länge einsehbar. Der genehmigte Eingabeplan sieht eine Wende- und Haltemöglichkeit auf dem Vorhabengrundstück sowie dem ebenfalls im Eigentum der Beigeladenen stehenden Grundstück Fl.Nr. 226/3 vor. Weder eine Entstehung unzumutbarer Verkehrsverhältnisse noch eine zwingende Inanspruchnahme des klägerischen Grundstücks, das derzeit (noch) im Zusammenhang mit dem Privatweg genutzt wird, ist zu befürchten.
Die Klägerin kann sich nicht auf eine Rechtsverletzung aus einer behaupteten fehlenden oder unzureichenden Erschließung berufen. Die Erschließung eines Baugrundstückes ist nicht nachbarschützend, da die ausreichende Erschließung eines Grundstückes nicht im Interesse der Nachbarn des Baugrundstückes besteht, sondern ausschließlich im öffentlichen Interesse (Umwälzung der Erschließungskosten) und im Interesse des Bauherrn (Zugang zum öffentlichen Verkehrs- und Versorgungsnetz; vgl. BayVGH, B.v. 29.08.2014 – 15 CS 14.615 -; VG Gelsenkirchen, U.v. 23.06.2015 – 6 K 71/14 -, jeweils zitiert nach juris). Gleiches gilt für die Frage, ob vorliegend ein Wohnweg begrenzter Länge vorliegt, dieser ausreichend sei und die Zufahrt für Feuerwehrfahrzeuge möglich sei.
Die Entstehung eines Notwegerechts zu Lasten der Klägerin ist bereits deshalb auszuschließen, da wie bereits angesprochen auf den weiteren Grundstücken Fl.Nrn. 226/2 und 226/1 zu Gunsten des Vorhabengrundstücks ein Geh- und Fahrtrecht eingetragen ist. Das eingetragene Geh- und Fahrtrecht umfasst unstreitig eine Mindestzufahrtsbreite von 3 Metern, die die Regelungen der Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen vorsehen. Unbeachtlich ist daher, dass der derzeit genutzte Weg sich darüber hinaus auch auf das Grundstück Fl.Nr. 225 erstreckt, da dessen Nutzung nicht notwendig ist. Es ist der Klägerin unbenommen, eine Trennung des derzeit bestehenden Wegs in 2 gesonderte Zufahrten herbeizuführen.
Es steht auch keine Entstehung eines Notleitungsrechts zu Lasten der Klägerin zu befürchten. Die bereits bestehende Abwasserleitung ist nach den von der Gemeinde vorgelegten Bestandsplänen vom Baugrundstück ohne Inanspruchnahme von Grundstücken privater Dritter zum gemeindlichen Kanal verlegt. Hinsichtlich der zum Baugrundstück führenden Wasserleitung, die bereits über Grundstücke Dritter verlegt ist, kommt es nicht darauf an, ob diese Verlegung durch das dort bestehende Geh- und Fahrtrecht gedeckt ist (so bisherige ständige Rechtsprechung des BayVGH, B.v. 28.8.2008, Az. 4 ZB 08.1071 – juris sowie der Kammer), da eine Inanspruchnahme der klägerischen Grundstücke nicht erforderlich ist. Unabhängig davon ist die Entstehung eines Notleitungsrecht zulasten der Klägerin auch deshalb nicht zu befürchten, da die Gemeinde im Zusammenhang mit der Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens ausdrücklich erklärte, dass gegebenenfalls auch eine neue Wasserleitung zu verlegen wäre. Dies ist nach den vorgelegten Plänen auch ohne Inanspruchnahme des klägerischen Grundstücks über andere Grundstücke (östlich gelegener Sportplatz, öffentliche Grünfläche auf Fl.Nr. 130/5) ohne weiteres möglich. Auch eine Versorgung des Vorhabengrundstücks mit Strom – unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine Frage der Erschließung im engeren Sinn handelt – und ob sich eine Besitzberechtigung des Versorgers bzw. eine Duldungspflicht von Leitungen bereits aus § 12 NiederspannungsanschlussVO (NAV) ergeben, wonach Leitungen und Anlagen zu dulden sind, die der Versorgung anderer Anschluss- und Teilnehmer dienen (siehe auch BGH, U.v. 9.12.2016 – V ZR 231/15 – juris), ist über diese L2.strasse möglich. Eine aus der bestandskräftigen Baugenehmigung resultierende Rechtsverletzung der Klägerin durch einen (künftigen) Eingriff in ihr Eigentum ist daher nicht gegeben.
Soweit sich die Klägerin darauf bezieht, dass die Räum- und Streupflicht auf dem (nicht in ihrem Eigentum stehenden) Privatweg nicht geklärt sei, eine Bereitstellung der Mülltonnen im Bereich des …wegs nicht möglich wäre sowie die bauordnungsrechtliche Erschließung des Grundstücks gem. Art. 4, 5 BayBO nicht gegeben wäre, ist dies nicht Gegenstand der Baugenehmigung. Weitere Anhaltspunkte dafür, dass die streitgegenständliche Genehmigung in bauplanungs- oder bauordnungsrechtlicher Hinsicht drittschützende Normen verletzt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, sind nicht ersichtlich.
Nach alledem musste die Klage mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1 VwGO abgewiesen werden. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig, da sie einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils ist im Kostenpunkt beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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