Baurecht

Baurechtliche Nachbarklage, Wochenendhausgebiet, Bestimmtheit der Baugenehmigung, Befreiung von nachbarschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans, Gebot der Rücksichtnahme

Aktenzeichen  9 ZB 20.602

Datum:
19.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9531
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30 Abs. 1
BauGB § 31 Abs. 2
BauNVO § 10

 

Leitsatz

Verfahrensgang

W 4 K 18.994 u.a 2020-02-04 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 12.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich als Nachbar gegen den Bescheid des Landratsamts R … vom 14. Februar 2018, mit welchem den Beigeladenen die Baugenehmigung für den Umbau und die Sanierung eines Wohnhauses mit Einliegerwohnung auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung F … (R H1.straße) erteilt wurde sowie gegen den weiteren Bescheid des Landratsamts vom 9. Mai 2019 betreffend „Umbau und Sanierung eines Wochenendhauses mit Carport – Tektur“ für dieses Bauvorhaben.
Der Kläger ist Eigentümer des im Anschluss an die R H2.straße nördlich benachbarten Grundstücks FlNr. … (R H2.straße) derselben Gemarkung. Sowohl das Baugrundstück als auch das Grundstück des Klägers liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „W …“ der Stadt F …, der für diesen Bereich u.a. ein Wochenendhausgebiet, ein Vollgeschoss, eine bergseitige Traufhöhe von maximal 3,00 m und eine talseitige Traufhöhe von maximal 5,80 m sowie Sattel- und Krüppelwalmdächer mit einer hauptsächlichen Dachneigung von 35 Grad (Abweichung von +/- 3 Grad) und eine Grundflächensowie Geschossflächenzahl von je 0,2 festsetzt. Im Bescheid vom 14. Februar 2018 wurden den Beigeladenen Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der Dachform (zweistufiges Pultdach) sowie der Dachneigung (13 Grad) und im Bescheid vom 9. Mai 2019 wurden den Beigeladenen Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der Überschreitung der südlichen Baugrenze im Bereich des Balkons und der nördlichen Baugrenze im Bereich des Carports erteilt.
Der Kläger hat gegen die Bescheide vom 14. Februar 2018 und 9. Mai 2019 jeweils Klagen erhoben, die das Verwaltungsgericht zur gemeinsamen Verhandlung sowie Entscheidung verbunden und mit Urteil vom 4. Februar 2020 abgewiesen hat. Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung des Klägers.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
1. Der Kläger beruft sich sinngemäß auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel hier nicht.
a) Die vom Kläger geltend gemachte nachbarrechtsrelevante Unbestimmtheit der angefochtenen Baugenehmigung liegt nicht vor.
Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss die Genehmigung hinreichend bestimmt sein, d.h. die im Bescheid getroffene Regelung muss für die Beteiligten – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich sein. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. Eine Baugenehmigung ist daher aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. Der Inhalt der Baugenehmigung bestimmt sich nach der Bezeichnung und den Regelungen im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen (vgl. BayVGH, B.v. 23.2.2021 – 9 ZB 20.2374 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht hat im Hinblick darauf, dass der Bescheid vom 9. Mai 2019 inhaltlich die Regelungen des Bescheids vom 14. Februar 2018 aufgreift sowie dahingehend abändert, als die Nutzung des Gebäudes als Wochenendhaus konkretisiert wird und Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der Baugrenzen erteilt werden, den Bescheid vom 9. Mai 2019 als Tekturgenehmigung und die hier gegenständlichen Klagen als gegen den Bescheid vom 14. Februar 2018 in der Fassung des Bescheids vom 9. Mai 2019 gerichtet angesehen. Gegen Letzteres wendet sich der Kläger nicht. Die Bestimmtheit der Baugenehmigung hat das Verwaltungsgericht, das mit Beschluss vom 19. September 2018 (Az. W 4 S 18.995) zunächst die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 14. Februar 2018 angeordnet hatte, weil es diesen Bescheid hinsichtlich der genehmigten Nutzungsart als zu unbestimmt erachtete, nach Erlass des Bescheides vom 9. Mai 2019 dementsprechend nicht mehr in Abrede gestellt, weshalb es bereits mit Beschluss vom 28. Mai 2019 (Az. W 4 S 19.632) seinen Beschluss vom 19. September 2018 abgeändert und den Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 14. Februar 2018 abgelehnt hat.
Dass die Bestimmtheit der angefochtenen Baugenehmigung trotz der nunmehr auf der Basis des Bescheids vom 9. Mai 2019 anzunehmenden eindeutigen Definition des Bauvorhabens als Wochenendhaus zweifelhaft sein könnte, hat der Kläger nicht dargelegt, indem er anführt, die Beigeladenen hätten ihren der Baugenehmigung vom 14. Februar 2018 zugrundeliegenden und auch kundgetanen Willen zur Wohnnutzung nie aufgegeben, was sich zudem aus dem Umfang der baulichen Maßnahmen an dem Gebäude ergebe. Selbst wenn die Tektur mit Bescheid vom 9. Mai 2019 – wie der Kläger meint – nur dem Schein einer Wochenendnutzung dienen sollte und tatsächlich eine Wohnnutzung beabsichtigt wäre, würde sich hieraus nicht die Unbestimmtheit der Baugenehmigung mit Bescheid vom 14. Februar 2018 in der Fassung des Bescheids vom 9. Mai 2019, wie sie hier als Streitgegenstand anzusehen ist, ergeben. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil – wenn auch in anderem Zusammenhang mit dem von ihm erörterten Vorliegen eines Gebietsprägungserhaltungsanspruchs – zutreffend ausgeführt, dass die BauNVO für Wochenendhäuser keine absolute Grenze für das Bauvolumen setzt (vgl. § 10 Abs. 3 und § 17 BauNVO; BVerwG, U.v. 11.9.2014 – 4 CN 3.14 – juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 9.2.2018 – 9 CS 17.2099 – juris Rn. 16). Insoweit können die Dimensionen des Baukörpers nach dem Umbau hier somit keine Rolle für die Frage nach der Bestimmtheit der Baugenehmigung spielen. Dass Verwaltungsgericht hat zudem zu Recht darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit der Nutzung eines genehmigten Wochenendhauses zum dauerhaften Wohnen die erteilte Baugenehmigung nicht rechtswidrig mache, sondern die tatsächliche Ausübung der Wohnnutzung von der Baugenehmigung nicht gedeckt und baurechtswidrig wäre. Für die Bestimmtheit der Baugenehmigung kann demzufolge auch die tatsächliche Nutzung nicht relevant sein (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2019 – 9 ZB 16.2615 – juris Rn. 7 m.w.N.).
b) Der Kläger kann sich nicht erfolgreich auf einen Gebietserhaltungsanspruch oder einen Gebietsprägungsanspruch bzw. Gebietsprägungserhaltungsanspruch berufen.
(1) Das Verwaltungsgericht hat hinsichtlich der im Bebauungsplan „W …“ festgesetzten Art der baulichen Nutzung als Wochenendhausgebiet trotz vielfach vorhandener Dauerwohnnutzung nicht den Eindruck gewonnen, dass dieser Bebauungsplan insoweit funktionslos geworden sei, sondern bei einer Vielzahl genehmigter Wochenend- und Ferienhäuser den Charakter einer Wochenend- bzw. Ferienhaussiedlung tatsächlich noch als gegeben angesehen. Im Hinblick auf einen Gebietserhaltungsanspruch könne dies aber auch dahinstehen, weil der Kläger sich im Fall der Unwirksamkeit des Bebauungsplans hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung in einem dann anzunehmenden Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 oder § 4 BauNVO als Eigentümer eines Wochenendhauses nicht auf eine bodenrechtliche Schicksalsgemeinschaft und auf ein nachbarschaftliches Austauschverhältnis gegenüber einem Nachbarn berufen könne, dem ebenfalls ein Wochenendhaus genehmigt worden sei. Dass somit keinesfalls ein Gebietserhaltungsanspruch des Klägers in Betracht kommt, weil das Bauvorhaben andernfalls der im Bebauungsplan festgesetzten Art der Nutzung entspricht, ist zutreffend und wird vom Kläger auch nur mit dem Argument der fehlenden Bestimmtheit der Baugenehmigung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung angegriffen, welches – wie bereits ausgeführt – nicht tragfähig ist.
(2) Soweit der Kläger von der Wirksamkeit der Festsetzungen des Bebauungsplans zur Art der baulichen Nutzung ausgeht, kann dem Zulassungsvorbringen auch nicht entnommen werden, dass der Kläger sich in Bezug auf das festgesetzte Wochenendhausgebiet auf einen aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO abgeleiteten Anspruch auf Wahrung der typischen Prägung des Gebiets (Gebietsprägungsanspruch oder Gebietsprägungserhaltungsanspruch) berufen könnte. Dies gilt unabhängig davon, ob ein solcher Anspruch überhaupt besteht (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482 – juris Rn. 16 m.w.N.). Selbst wenn man davon ausginge, dass ausnahmsweise „Quantität in Qualität“ umschlagen könnte (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris Rn. 9), setzt der Kläger sich mit seinem Vorbringen, das Bauvorhaben stehe mit seinem praktisch einem Neubau entsprechenden Umfang und mit seinem Pultdach sowie Bauvolumen im Gegensatz zu den vorhandenen kleineren Häusern, die sich mit ihrer Dachform an die Hanglage anschmiegen, nicht damit auseinander, dass das Verwaltungsgericht aufgrund der Dimensionierung der baulichen Anlage das Hineintragen einer neuen Art der baulichen Nutzung in das Baugebiet nicht zu erkennen vermochte. Ein die Erheblichkeitsschwelle überschreitendes Maß des geplanten Gebäudes könne nicht festgestellt werden. Der Bestand der vorhandenen Wochenendhäuser habe sich anlässlich des Ortstermins auch als äußerst inhomogen hinsichtlich des Bauvolumens und der Baugestaltung dargestellt. Von einem einheitlichen Gebietscharakter, welcher durch das genehmigte Bauvorhaben beeinträchtigt werde, könne nicht ausgegangen werden. Der Kläger geht hierauf nicht ein und legt auch sonst nichts dar, was es erlauben würde, von einer gegenüber den bestehenden Wochenendhäusern andersartigen Nutzungsart zu sprechen. Auf die bloßen Ausmaße des Gebäudes kommt es nicht an, da § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht auf das Maß der baulichen Nutzung abstellt (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2020 – 9 ZB 17.249 – juris Rn. 8 m.w.N.).
Soweit der Kläger im Zusammenhang mit einem Gebietsprägungserhaltungsanspruch noch anführt, dass dann, wenn die Größe der Wochenendhäuser der planenden Gemeinde überlassen und einzig der Nutzungszweck für die Abgrenzung von Wochenendzu Wohnnutzung entscheidend sei, die Nutzungsmotive der Bauwerber eine Rolle spielen müssten, gilt wiederum das bereits unter a) Ausgeführte; mit dem Hinweis auf einen möglichen oder tatsächlichen Verstoß gegen die genehmigte Nutzung kann die zugrundeliegende Baugenehmigung nicht zu Fall gebracht werden.
c) Darüber hinaus kann der Kläger sich hier auch nicht darauf berufen, dass er durch die Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans „W …“ in seinen Rechten verletzt wird.
(1) Die vom Kläger in diesem Zusammenhang angesprochenen Traufhöhen des Bauvorhabens, die nicht – wie der Kläger anscheinend meint – mit der Höhe des Firstes des Bauvorhabens gleichgesetzt werden können (vgl. z.B. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, Stand Oktober 2020, § 18 Rn. 4 m.w.N.; König/Petz in König/Roeser/Stock, BauNVO, 4. Aufl. 2019, § 18 Rn. 5), halten nach den genehmigten Bauvorlagen die betreffenden textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans unter Nr. 6.4 ein. Von Ihnen erfolgte dementsprechend keine Befreiung in den angefochtenen Bescheiden. Gleiches gilt für die textliche Festsetzung unter Nr. 6.3, wonach die Oberkante (OK) der Eingangsgeschossebene bergseitig in Anpassung an das natürliche Gelände, jedoch maximal 0,5 m über OK Gelände zu liegen hat. Ob die Bauausführung dem entspricht, ist für die Frage der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nicht maßgeblich. Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass das Bauvorhaben – wie der Kläger nahelegt – wegen seiner Dachform Kniestöcke aufweist. Es entspricht vielmehr Nr. 6.1 der textlichen Festsetzungen zum Bebauungsplan, wonach Kniestöcke im Wochenendhausgebiet ausgeschlossen sind.
(2) Auch soweit der Kläger geltend macht, die Festsetzungen zur Dachform, zur Dachneigung und zu den Baugrenzen im Bebauungsplan „W …“, von denen in den angefochtenen Bescheiden Befreiungen erteilt wurden, seien entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nachbarschützend, vermag dies seinem Antrag auf Zulassung der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Umfang des Rechtsschutzes eines Nachbarn bei Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB davon abhängt, ob die Festsetzungen, von denen dem Bauherrn eine Befreiung erteilt wurde, dem Nachbarschutz dienen oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist. Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz hingegen lediglich nach den Grundsätzen des im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebots (§ 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung aus irgendeinem Grund rechtswidrig ist, sondern nur dann, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. BayVGH, B.v. 20.7.2020 – 9 ZB 19.1000 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Festsetzungen über die überbaubaren Grundstücksflächen durch Baulinien oder Baugrenzen (§ 23 BauNVO) und zur Dachneigung sowie zur Dachform kann grundsätzlich keine nachbarschützende Wirkung zugesprochen werden (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2020 – 9 CS 19.1514 – juris Rn. 14; B.v. 27.6.2018 – 9 ZB 16.1012 – juris Rn. 11; B.v. 3.5.2018 – 9 CS 18.543 – juris Rn. 18; B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – juris Rn. 23). Ob eine solche Festsetzung (auch) darauf gerichtet ist, dem Schutz eines Nachbarn zu dienen, hängt vom Willen der Gemeinde als Planungsträger ab (vgl. BVerwG, B.v. 13.12.2016 – 4 B 29/16 – juris Rn. 5). Maßgebend ist, ob die Festsetzung nach dem Willen des Plangebers ausschließlich aus städtebaulichen Gründen getroffen worden ist oder (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen soll. Anhaltspunkte für eine den Nachbarschutz vermittelnde Festsetzung können sich aus dem Bebauungsplan, seiner Begründung oder aus sonstigen Unterlagen der planenden Gemeinde ergeben. Günstige Auswirkungen einer Festsetzung auf die Nachbargrundstücke reichen zur Annahme eines Nachbarschutzes aber nicht aus. Letztlich ausschlaggebend ist eine wertende Beurteilung des Festsetzungszusammenhangs (zum Ganzen vgl. BayVGH, B.v. 26.9.2018 – 9 CS 17.361 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Unter Auslegung des Bebauungsplans und Ermittlung des planerischen Willens des Planungsträgers hat das Verwaltungsgericht die im Bebauungsplan „W …“ hier hinsichtlich einer Befreiung in Rede stehenden Festsetzungen in nicht zu beanstandender Weise als nicht drittschützend bewertet. Es hat darauf hingewiesen, dass aus der Zeit der Aufstellung keine weiteren Unterlagen vorliegen und folgerichtig auf den Inhalt des Bebauungsplans und der Begründung abgestellt. Hierbei hat es auch die vom Kläger im Zulassungsverfahren explizit angesprochene, nach der Begründung zum Bebauungsplan verfolgte Zielsetzung berücksichtigt, wonach im Bereich des Wochenendhausgebietes einer gewissen Fehlentwicklung in Bezug auf Größe und Gestaltung der Bebauung entgegengewirkt werden sollte und für noch zu bebauende Grundstücke klare planrechtliche Voraussetzungen geschaffen werden sollten. Insoweit hat es zutreffend die Verfolgung ausschließlich städtebaulicher Belange erkannt, womit sich das Zulassungsvorbringen schon nicht ausreichend auseinandersetzt. Das vom Kläger in diesem Zusammenhang angeführte Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 24. November 2015 (Az. 15 B 13.2414 – juris) betraf – anders als hier – einen Sonderfall, bei dem durch den Bebauungsplan ein eingeschossiger, flach gedeckter Haustyp ohne Dachaufbauten gerade auch im Interesse der Nachbarn am Fortbestand ihrer „guten Wohnlage“ am Osthang mit Ausblick über das Wertachtal festgesetzt worden war (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2020 – 9 ZB 17.249 – juris Rn. 5). Anhaltspunkte für einen solchen, ausnahmsweise beabsichtigten Schutz der Aussicht bei einer besonderen örtlichen Situation bestehen hier nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts demgegenüber nicht und werden auch mit dem Zulassungsvorbringen, dass sich aus der Zusammenschau der Festsetzungen, insbesondere im Hinblick auf die Höhenbegrenzungen und die Ausgestaltung der Dachform sowie auf die Südhanglage mit einer Bebauung, die es ermögliche, von den „überliegenden“ Häusern jeweils über die darunterliegenden Häuser hinwegsehen zu können, die Absicht nachbarschützender Wirkung der betreffenden Festsetzungen ergebe, nicht dargelegt. Hiermit sind allenfalls günstige Auswirkungen der Festsetzungen auf Nachbargrundstücke beschrieben.
(3) Im Hinblick auf das weitere Zulassungsvorbringen, wonach im Bebauungsplan von Bebauung freizuhaltende Sichtdreiecke festgesetzt seien, ist keine Befreiung ausgesprochen worden und hat bereits das Verwaltungsgericht in seinem Urteil zu Recht darauf hingewiesen, dass diese der Verkehrssicherheit dienen dürften sowie nicht erkennbar ist, dass sie Nachbarschutz vermitteln könnten. Hierauf geht das Zulassungsvorbringen nicht ein.
d) Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich schließlich auch nicht, dass im Rahmen der Befreiungen von nicht nachbarschützenden Festsetzungen nicht die gebotene Rücksicht auf die Interessen des Klägers genommen wurde, weil von ihm „eine abschneidende Wirkung des Erholungscharakters durch eine Vermauerung der Sicht“ ausgehe. Solches oder dass die nunmehrige Dachform als Pultdach wie eine „Sichtwand“ wirke, kann anhand der vom Kläger im gesamten Verfahren vorgelegten und der beim Augenscheintermin des Verwaltungsgerichts gefertigten Lichtbilder nicht nachvollzogen werden, da danach vom Grundstück des Klägers aus, in Abhängigkeit vom jeweiligen Standort, über den Baukörper des Bauvorhabens hinweg weiterhin in die freie Landschaft geblickt werden kann. Die Unzumutbarkeit des Bauvorhabens lässt sich hier – anders als unter Umständen in Plangebieten mit entsprechenden, dem Nachbarschutz dienenden Festsetzungen (vgl. BayVGH, U.v. 24.11.2015 – 15 B 13.2414 – juris Rn. 26) nicht schon daraus ableiten, dass mit der Verwirklichung eines Gebäudes wie des Bauvorhabens, überhaupt eine gewisse Einschränkung der Aussicht verbunden sein könnte. Der Antragsteller kann die Einhaltung der objektiv-rechtlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht beanspruchen (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98 – juris Rn. 5). Dem Verwaltungsgericht ist insoweit auch zuzustimmen, als die Aufrechterhaltung einer ungeschmälerten Aussicht grundsätzlich nur eine durch die Baugenehmigung vermittelte Chance darstellt, deren Vereitelung nicht dem Entzug einer Rechtsposition gleichkommt (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5/93 – juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 2.3.2018 – 9 CS 17.2597 – juris Rn. 21).
2. Der geltend gemachte Verfahrensmangel nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt ebenfalls nicht vor.
Der Kläger rügt eine unzureichende Sachverhaltsaufklärung durch das Verwaltungsgericht hinsichtlich der tatsächlich beabsichtigten Nutzung des Bauvorhabens durch die Beigeladenen. Hieraus kann ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann, aber nicht abgeleitet werden, weil diese Frage nicht entscheidungserheblich ist. Auf die Ausführungen unter 1. wird verwiesen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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