Baurecht

baurechtliche Nachbarklage, Yoga-/Sportstudio im reinen Wohngebiet, Unbestimmtheit der Baugenehmigung, Rücksichtnahmegebot

Aktenzeichen  W 5 K 20.326

Datum:
19.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 51647
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1
BauGB § 34
BauNVO § 3 Abs. 3 Nr. 2
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2020 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid der Stadt Würzburg vom 20. Januar 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Insoweit ist die Stadt Würzburg hier zutreffender Weise vom vereinfachten Genehmigungsverfahren des Art. 59 BayBO ausgegangen.
Die Baugenehmigung ist nur dann aufzuheben, wenn sie rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Nachbar eines Vorhabens kann eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn es das Vorhaben an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. OVG Münster, B.v. 5.11.2013 – 2 B 1010/13 – DVBl. 2014, 532; BVerwG, B.v. 28.7.1994 – 4 B 94/94; U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84; U.v. 13.6.1980 – IV C 31.77; alle juris).
2. Vorliegend führt ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz zum Erfolg der Klage. Die streitgegenständliche Baugenehmigung ist materiell rechtswidrig, da sie nicht hinreichend bestimmt ist im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG.
Hinreichend bestimmt im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG ist eine Baugenehmigung, wenn die getroffene Regelung für jeden Beteiligten – gegebenenfalls nach objektivierender Auslegung – eindeutig zu erkennen ist und deshalb keiner unterschiedlichen Bewertung zugänglich ist. Was Gegenstand der Baugenehmigung sein soll, bestimmt der Bauherr durch seinen Bauantrag. Der Inhalt der Baugenehmigung ergibt sich aus der Bezeichnung, den Regelungen und der Begründung im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen und sonstigen Unterlagen. Wird deshalb in der Baugenehmigung auf den Antrag oder Antragsunterlagen verwiesen, ist die Baugenehmigung hinreichend bestimmt, wenn es der Antrag oder die Antragsunterlagen sind. In nachbarrechtlichen Streitigkeiten – wie hier – ist die Bestimmtheit der Baugenehmigung daraufhin zu prüfen, ob es dem Nachbarn möglich ist, festzustellen, ob und in welchem Umfang er durch das Vorhaben in seinen drittschützenden Rechten betroffen wird (vgl. BayVGH, B.v. 9.4.2019 – 9 CS 18.2200 – juris Rn. 23). Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 31.10.2016 – 15 B 16.1001 – juris; B.v. 5.7.2017 – 9 CS 17.603 – juris; jeweils m.w.N.).
Ein Nachbar kann demnach die unzureichende inhaltliche Bestimmtheit einer Genehmigung geltend machen, soweit dadurch nicht sichergestellt ist, dass das genehmigte Vorhaben allen dem Nachbarschutz dienenden Vorschriften entspricht (vgl. BayVGH, U.v. 14.10.1985 – 14 B 85 A.1224 – BayVBl. 1986, 143 ff.).
Die Baugenehmigungsbehörde ist verpflichtet, sicherzustellen, dass betroffene Nachbarn vor unzumutbaren Immissionen ausreichend geschützt werden. Erforderlichenfalls ist dies durch Auflagen sicherzustellen, auf die der Nachbar einen Anspruch besitzt (BayVGH, U.v. 16.11.2006 – 26 B 03.2486 – juris). Diesem Anspruch kann eine Baugenehmigung nur gerecht werden, wenn sie Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lässt, damit einerseits der Bauherr die Bandbreite der für ihn legalen Nutzungen zweifelsfrei feststellen kann und andererseits für Drittbetroffene das Maß der für sie aus der Baugenehmigung erwachsenden Betroffenheit deutlich wird.
Dies zugrunde gelegt weist der Bescheid vom 20. Januar 2020 die erforderliche hinreichende Bestimmtheit im Hinblick auf die Art und den Umfang der genehmigten Nutzung nicht auf.
2.1. Vorliegend ist bereits unklar, was Gegenstand des streitgegenständlichen Bescheids vom 20. Januar 2020 ist. Genehmigt wurde die „Nutzungsänderung von Wohnräumen in ein Yoga-/Sportstudio“. Der Begriff des „Yoga-/Sportstudios“ wird im Bescheid unmittelbar nicht näher erläutert, so dass es entscheidend darauf ankommt, ob sich eine Konkretisierung aus den Antragsunterlagen entnehmen lässt. Der Bescheid verweist insofern unter Ziffer 2108 auf die Betriebsbeschreibung vom 13. September 2018, welche Grundlage des Bescheids sei.
Die Betriebsbeschreibung (vgl. Bl. 10 der Bauakte Az. …*) erläutert die genehmigte Nutzung jedoch nur unzureichend. In ihr ist die Rede von einem „Konditions- und Personaltraining“, welches der Mieter der Beigeladenen im gewerblich genutzten Bereich auf dem Baugrundstück durchführen möchte. Dieses Training werde alleine vom Mieter betrieben, der keine Angestellten habe. Ferner finden sich Angaben zu den Öffnungszeiten und zu der Anzahl der erwarteten Kunden. Die Betriebsbeschreibung enthält mithin keine Konkretisierung insbesondere des weiten Begriffs des „Sportstudios“, sondern fügt diesem vielmehr durch die Bezugnahme auf das Personaltraining eine weitere Interpretationsmöglichkeit hinzu. Besonders für die Nutzungszeiten am Abend zwischen 18:00 Uhr und 21:00 Uhr ist nicht ersichtlich, welche Yoga- bzw. Sportveranstaltungen und Kurse im Einzelnen stattfinden und welcher Nutzerkreis angesprochen ist. Die Interpretationsbreite hinsichtlich der verschiedenen möglichen Nutzungen ist in diesem Fall so groß, dass der Bauantrag keiner Auslegung zugänglich ist, insbesondere nicht durch die Berücksichtigung des tatsächlich stattfindenden Betriebs in Form eines Kampfsportstudios (vgl. für den Fall der Auslegung des Bauantrags – Bauvorhaben „Lotto-, TotoWettannahmestelle“ – als Wettbüro BayVGH, B.v. 19.7.2016 – 9 ZB 14.1147 – BeckRS 2016, 50145). Folglich lässt sich im vorliegenden Fall das Störpotential der genehmigten Nutzung der Baugenehmigung einschließlich der dieser zugrundeliegenden Antragsunterlagen nicht entnehmen.
2.2. Es kann aufgrund der Unbestimmtheit der Baugenehmigung vom 20. Januar 2020 nicht eindeutig festgestellt werden, ob das genehmigte Vorhaben gegen nachbarschützende Rechte verstößt. Dies ist unter mehreren Gesichtspunkten relevant:
2.2.1. Aufgrund der Unbestimmtheit der Baugenehmigung kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich eine Rechtsverletzung der Klägerin durch die streitgegenständliche Baugenehmigung aus dem sog. Gebietsbewahrungs- oder Gebietserhaltungsanspruch ergibt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Nachbar im Plangebiet sich gegen die Zulässigkeit einer gebietswidrigen Nutzung im Plangebiet wenden, auch wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Der Nachbar hat also bereits dann einen Abwehranspruch, wenn das baugebietswidrige Vorhaben im jeweiligen Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung führt. Der Abwehranspruch wird grundsätzlich bereits durch die Zulassung eines mit der Gebietsfestsetzung unvereinbaren Vorhabens ausgelöst. Begründet wird dies damit, dass im Rahmen des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses jeder Planbetroffene das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets verhindern können soll (vgl. BVerwG, B.v. 2.2.2000 – 4 B 87/99 – NVwZ 2000, 679; U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151). Derselbe Nachbarschutz besteht auch im unbeplanten Innenbereich, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht, § 34 Abs. 2 BauGB (BVerwG, U.v. 16. 9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151; Simon/Busse, BayBO, Stand: 138. EL Sept. 2020, Art. 66 Rn. 347 und 395). § 34 Abs. 2 BauGB besitzt grundsätzlich nachbarschützenden Charakter (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151). Danach hat der Nachbar in einem Gebiet, auf das § 34 Abs. 2 BauGB entsprechend Anwendung findet, einen Schutzanspruch auf Bewahrung der Gebietsart.
Vorliegend ist davon auszugehen, dass mit dem Bebauungsplan „…“ für das Gebiet F* … vom 16. Dezember 1966 ein einfacher Bebauungsplan existiert, da dieser lediglich eine Festsetzung der Geschossflächenzahl enthält. Die ursprüngliche Festlegung eines reinen Wohnbaugebiets durch die „Ortsvorschrift über die Bebauung des Stadtgebiets F* …“ vom 29. Februar 1956 i.d.F. der Gemeindeverordnung vom 7. April 1960 (Amtsbl. Nr. 6/60) als „ortspolizeiliche“ Vorschrift entfaltet aufgrund des Außerkrafttretens der Vorschrift spätestens zwanzig Jahre nach ihrem Inkrafttreten (vgl. Art. 77 Abs. 1 Satz 1 LStVG 1957 = Art. 60 Abs. 1 Satz 1 LStVG) keine Wirksamkeit mehr (BayVGH, U.v. 29.5.2009 – 1 N 06.2824 – juris Rn. 41 ff.). Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit bestimmt sich daher insoweit nach § 30 Abs. 3 i.V.m. § 34 BauGB.
Die Kammer folgt bezüglich der Beurteilung der Zulässigkeit der Art der baulichen Nutzung der Einschätzung der Beteiligten, dass es sich bei der Eigenart der näheren Umgebung um ein reines Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 BauNVO handelt. Unabhängig davon, wie weit man in südwestlicher Richtung den Umgriff zur Bestimmung der „näheren Umgebung“ fasst, ist jedenfalls der Bereich, der nördlich des Baugrundstücks durch die Straße „A* …“, südlich durch die „T* … Straße“ und östlich durch den Abschluss der Bebauung abgegrenzt wird, ganz überwiegend von Wohnbebauung geprägt. Vereinzelte gewerbliche oder sonstige vorhandene Nutzungen stellen sich als freiberufliche Tätigkeiten (z.B. Kinesiologin) oder um ausnahmsweise im reinen Wohngebiet gemäß § 3 Abs. 3 BauNVO zulässige Vorhaben dar (vgl. kirchliches Zentrum … …*).
Die Stadt Würzburg hat das streitgegenständliche Vorhaben ausnahmsweise als Anlage für gesundheitliche und sportliche Zwecke nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB zugelassen. Voraussetzung und vorliegend problematisch ist hierbei jedoch, dass diese Anlagen „den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienen“ müssen. Die Bedürfnisklausel soll eine fußläufig erreichbare Infrastrukturausstattung bei gleichzeitiger Gewährleistung der gebietstypischen Wohnruhe ermöglichen. Hierzu werden die vier in § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO genannten Nutzungsarten im Wesentlichen auf die Befriedigung der innergebietlichen Nachfrage beschränkt (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 138. EL Mai 2020, § 3 BauNVO Rn. 82). Eine Anlage für kirchliche, kulturelle, gesundheitliche oder sportliche Zwecke kann somit zugelassen werden, wenn sie nach Zweckbestimmung, Umfang und Ausstattung geeignet ist, wenigstens den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets zu dienen (BeckOK BauNVO, Spannowsky/Hornmann/Kämper, 23. Edition, Stand: 15.9.2020, § 3 Rn. 190); gemeint sind die objektivierten Bedürfnisse, die von den Bewohnern eines reinen Wohngebiets typischerweise erwartet werden können und dort nach dessen Eigenart üblicherweise auch auftreten. Erfasst sind z.B. kleine Sportanlagen, bei denen die Ausübung des Sports in einem Gebäude stattfindet und die Nutzung keinen nennenswerten An- und Abfahrverkehr erzeugt, wie bei kleinen Turn- und Gymnastikhallen, kleinen Mehrzweckturnhallen für die Bewohner des Gebiets, kleinen Tennishallen oder einem kleinen Hallenbad (BeckOK BauNVO, Spannowsky/Hornmann/Kämper, 23. Edition, Stand: 15.9.2020, § 3 Rn. 195).
Entscheidend ist demnach die Art der angebotenen Leistung und deren Umfang, die bestimmbar sein müssen, um eine Aussage zu der Befriedigung einer innergebietlichen Nachfrage treffen zu können. Eben dies ist aufgrund der Baugenehmigung und des Bauantrags nicht möglich, da weder Art noch Umfang des Leistungsangebots klar umrissen sind. So kann das Angebot eines Fitness- bzw. Konditionstrainings oder Yogaunterrichts unter Umständen im reinen Wohngebiet gebietsverträglich als den Bedürfnissen der Bewohner noch entsprechend angesehen werden, das Angebot eines speziellen Personaltrainings oder eines Kampfsporttrainings, welches auf einen besonderen Kundenkreis ausgerichtet ist, dagegen wohl nicht.
Um hierüber eine endgültige Entscheidung treffen zu können, ist die vorliegende Betriebsbeschreibung aber zu knapp. Es kann daher auch keine Aussage darüber getroffen werden, ob sich die Klägerin mit Erfolg auf einen Anspruch auf Gebietserhaltung berufen kann.
2.2.2. Zur Begründung der Zulässigkeit hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung stellt der streitgegenständliche Bescheid daneben auch auf § 13 BauNVO ab, indem eine „freiberufliche Tätigkeit als Anlage für gesundheitliche und sportliche Zwecke“ zugelassen wird. Ein „freier Beruf“ hat in Anlehnung an die Definition in § 1 Abs. 2 Satz 1 PartGG im Allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt (BeckOK BauNVO, Spannowsky/Hornmann/Kämper, 23. Edition, Stand: 15.9.2020, § 13 Rn. 16). Demnach ist die Berufsausübung freiberuflich Tätiger gekennzeichnet durch die Erbringung persönlicher Dienstleistungen, die vorwiegend auf individuellen geistigen Leistungen oder sonstigen persönlichen Fertigkeiten beruhen und in der Regel, aber nicht zwingend in unabhängiger Stellung einem unbegrenzten Personenkreis angeboten werden (Beck OKBauNVO, a.a.O., § 13 Rn. 17). Letzteres gilt auch für Gewerbetreibende, sofern sie ihren Beruf in ähnlicher Art wie freiberuflich Tätige ausüben.
Der Baugenehmigung und den Antragsunterlagen hierzu ist nicht zu entnehmen, ob der Mieter der Beigeladenen als Betreiber des „Yoga-/Sportstudios“ eine solche dem freien Beruf ähnliche Tätigkeit ausübt. Als nicht freiberufsähnlich ist nach h.M. der Betrieb eines Fitnessstudios zu werten, da insofern keine besonderen individuellen geistigen bzw. schöpferischen Fertigkeiten Voraussetzung sind (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 138. EL Mai 2020, § 13 BauNVO Rn. 26). Andererseits kann die Leitung eines Yogastudios oder die Durchführung von Personaltraining bei entsprechender Qualifikation des Gewerbetreibenden und Individualität des Trainingsangebots durchaus freiberufsähnlich erfolgen (vgl. etwa für die Tätigkeit als Yogalehrerin VG München, U.v. 9.5.2016 – M 8 K 15.733 – juris Rn. 54 ff.). Aufgrund der vagen und offenen Beschreibung des Trainingsangebots des Mieters der Beigeladenen ist eine inhaltliche Bewertung der auf dem Baugrundstück angestrebten gewerblichen Nutzung jedoch nicht möglich. Dementsprechend kann nicht abschließend beurteilt werden, inwieweit eine Zulässigkeit der Betätigung nach § 13 BauNVO – ungeachtet der Frage, inwieweit die Nutzung der „Räume“ das Erscheinungsbild des gesamten Gebäudes prägt und dadurch nicht mehr von § 13 BauNVO gedeckt ist (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 138. EL Mai 2020, § 13 BauNVO Rn. 37) – in Betracht kommt.
2.2.3. Schließlich kann keine abschließende Aussage darüber getroffen werden, ob ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot, auf welches sich die Klägerin als Nachbarin im baurechtlichen Sinne berufen kann, vorliegt.
Die Anwendbarkeit des Rücksichtnahmegebots ist auch in Baugebieten gegeben, die – wie im vorliegenden Fall – nicht in einem Bebauungsplan festgesetzt sind, sondern nur faktische Baugebiete darstellen. Seine Anforderungen sind Bestandteil des erforderlichen „Einfügens“ im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB oder – wie hier – der Vorgaben aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, falls ein bestimmter Baugebietstyp faktisch vorliegt. Das Gebot der Rücksichtnahme ist nämlich inhaltlich identisch, unabhängig davon, ob es sich aus dem in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Merkmal des „Einfügens“ oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO herleitet.
Das Gebot der Rücksichtnahme soll einen angemessenen Interessenausgleich gewähren. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme (objektiv-rechtlich) begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22/75 – BVerwGE 52, 122). Die hierbei vorzunehmende Interessenabwägung hat sich an dem Kriterium der Unzumutbarkeit auszurichten in dem Sinne, dass dem Betroffenen die nachteilige Einwirkung des streitigen Bauwerks oder dessen Nutzung billigerweise nicht mehr zugemutet werden soll (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – BauR 1981, 354).
Angesichts der Unbestimmtheit der Baugenehmigung lässt sich nicht abschließend beurteilen, ob von dem Vorhaben des Mieters der Beigeladenen Belästigungen oder Störungen ausgehen, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Zwar hat die Stadt Würzburg im Rahmen der Auflagen im streitgegenständlichen Bescheid (vgl. Ziffer 2071) zum Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Immissionen weit gehende Vorkehrungen und Anordnungen getroffen. Allerdings scheidet eine Einzelfallbeurteilung der konkret genehmigten Nutzung aus. Insbesondere die aktuelle Nutzung des Anwesens der Beigeladenen durch ein Kampfsportstudio zeigt, dass durch die spezielle Geräuschkulisse, die im Rahmen der Ausübung des Kampfsports entsteht und die durch unregelmäßige Geräuschspitzen und Impulshaltigkeit geprägt ist, besondere Anforderungen an den Nachbarschutz entstehen. So ist anerkannt, dass es atypische Lärmquellen gibt, deren Besonderheiten das Beurteilungsverfahren und die Immissionsrichtwerte der TA Lärm (Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz; Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm vom 26. August 1998; GMBl Nr. 26/1998 S. 503) nicht gerecht werden. Die TA Lärm sieht in diesem Sinne in Nr. 3.2.2 selbst vor, dass – abweichend von der Regelfallprüfung nach Nr. 3.2.1 – eine Sonderfallprüfung durchzuführen ist, wenn besondere Umstände vorliegen, die nach Art und Gewicht wesentlichen Einfluss auf die Beurteilung haben können, ob die Anlage zum Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen relevant beiträgt. Angesichts der Unbestimmtheit der Bauantragsunterlagen lässt sich über das Erfordernis einer solchen Sonderfallprüfung keine Klarheit gewinnen. Diese Überlegungen haben in die Untersuchungen zum Immissionsschutz auch keinen Eingang gefunden, auch nicht in die immissionsschutzrechtliche Betrachtung durch die Fachbehörde (vgl. Bl. 39 f. der Bauakte).
3. Der Bescheid vom 20. Januar 2020 verletzt die Klägerin aufgrund seiner Unbestimmtheit nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG in ihren Rechten und ist daher aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Nachdem die Beigeladene keinen Antrag gestellt und kein Kostenrisiko übernommen hat, kommt es nicht in Betracht, sie gemäß § 154 Abs. 3 VwGO an der Kostentragung zu beteiligen; sie hat ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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