Baurecht

Baurechtliche Zulässigkeit einer Nutzungsänderung, faktisches Baugebiet, Anspruch auf Gebietserhaltung, Gebot der Rücksichtnahme

Aktenzeichen  9 ZB 19.748

Datum:
28.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4482
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
BauNVO § 4
BauNVO § 5
BauNVO § 6

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 17 K 17.02454 2019-01-31 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1. Die Beigeladene zu 2 trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks, das ca. 120 m bis 150 m vom Grundstück des Beigeladenen zu 1 entfernt ist. Sie wendet sich gegen eine ihm erteilte Genehmigung zur Nutzungsänderung eines Ausstellungsraums in einen Veranstaltungsraum mit Bewirtung im Obergeschoss eines bestehenden Catering-Betriebs. Das Verwaltungsgericht hat ihre entsprechende Klage abgewiesen. Das streitgegenständliche Bauvorhaben befinde sich mangels eines wirksamen Bebauungsplans in einem faktischen Baugebiet, das entweder als Dorf- oder als Mischgebiet einzustufen sei. Dort seien gastronomische Betriebe grundsätzlich zulässig, sodass der Gebietscharakter gewahrt bleibe. Im Übrigen könne sich die Klägerin auch deshalb nicht auf einen Gebietserhaltungsanspruch berufen, weil ihr Grundstück im Geltungsbereich des Bebauungsplans „A. … B. I“ in einem Mischgebiet liege. Da das Vorhaben im Hinblick auf die zu erwartenden Lärmemissionen auch nicht gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verstoße, sei die angefochtene Baugenehmigung rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzziel weiter und macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils geltend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. In rechtlich nicht zu beanstandender Weise ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, die dem Beigeladenen zu 1 erteilte baurechtliche Genehmigung zur Nutzungsänderung seiner bereits vorhandenen Räumlichkeiten verstoße nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, die zumindest auch dem Schutz der Klägerin zu dienen bestimmt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin sei durch die streitgegenständliche Änderungsgenehmigung weder im grundsätzlich nachbarschützenden Gebietserhaltungsanspruch verletzt, noch sei im Hinblick auf Geräuschimmissionen ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme erkennbar. Die mit dem Zulassungsvorbringen dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (vgl. § 124a Abs. 5 Satz 1 VwGO) geben keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser erstinstanzlichen Einschätzung zu zweifeln. Der erkennende Senat nimmt deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst gem. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils. Lediglich ergänzend ist im Hinblick auf das Zulassungsvorbringen Folgendes zu bemerken:
Die Auffassung der Klägerin, ihr stehe – entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts – ein nachbarschützender Anspruch auf Gebietserhaltung zur Seite, teilt der erkennende Senat nicht. Sie macht geltend, sowohl das Vorhabengrundstück als auch ihr eigenes Grundstück lägen in demselben faktischen Baugebiet, das einem allgemeinen Wohngebiet entspreche. Das Verwaltungsgericht habe insoweit zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass nicht nur der das Vorhabengrundstück des Beigeladenen zu 1 betreffende Bebauungsplan, sondern auch der Bebauungsplan „A. … B. I“, in dessen Geltungsbereich ihr eigenes Grundstück liegt, funktionslos und damit unwirksam seien. Denn es handele sich bei der Umgebung ihres Grundstücks aufgrund der mittlerweile dort stattfindenden, überwiegenden Wohnnutzung tatsächlich nicht (mehr) um das im Bebauungsplan festgesetzte Mischgebiet, sondern um ein allgemeines Wohngebiet.
Dieses Vorbringen begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Denn selbst wenn die Ansicht der Klägerin zuträfe, insbesondere die Festsetzung eines Mischgebiets im Bebauungsplan „A. … B. I“ sei funktionslos und damit unwirksam geworden (woran der Senat angesichts des substantiierten, gegenteiligen Vorbringens des Beklagten sowie der mehrere Gewerbehallen bzw. -betriebe ausweisenden, einschlägigen Pläne erhebliche Zweifel hat), liegen die ca. 120 m bis 150 m voneinander entfernten Grundstücke der Klägerin und des Beigeladenen zu 1 entgegen klägerischer Darstellung jedenfalls nicht in einem einheitlichen, faktischen allgemeinen Wohngebiet. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang nach Feststellung der Unwirksamkeit des das Vorhabengrundstück betreffenden Bebauungsplans davon ausgegangen, die nähere Umgebung jenes Grundstücks entspreche einem Dorf- bzw. Mischgebiet i.S.d. § 5 BauNVO bzw. § 6 BauNVO, in das sich der genehmigte gastronomische Betrieb einfüge, nicht aber einem allgemeinen Wohngebiet gem. § 4 BauNVO. In unmittelbarer Nachbarschaft des Vorhabengrundstücks befindet sich eine Zimmerei (vgl. BayVGH, B. v. 21.1.2022 – 9 ZB 19.747). Die Behauptung der Klägerin, die nähere Umgebung dort sei ebenfalls aufgrund überwiegender Wohnnutzung und lediglich eines außerdem vorhandenen Reifenhandels als allgemeines Wohngebiet zu qualifizieren, überzeugt angesichts dessen nicht. Ein gebietsübergreifender Bewahrungsanspruch ist aber – worauf das Verwaltungsgericht bereits zu Recht hingewiesen hat – nur ausnahmsweise denkbar und scheidet im Hinblick auf ein – wie hier – faktisches Baugebiet von vorneherein aus, weil eine planerische Entscheidung der Gemeinde, auf die sich der Nachbar berufen könnte, nicht vorliegt (BVerwG, B. v. 10.1.2013 – 4 B 48.12 – juris Rn. 5).
Soweit die Klägerin im Übrigen der Auffassung ist, „durch die von der Eventgastronomie sowie den Gästen ausgehenden Lärmemissionen werde das Rücksichtnahmegebot massiv und unzumutbar verletzt“, verhilft auch dies ihrem Zulassungsbegehren nicht zum Erfolg. Ihre diesbezüglichen Einwände beschränken sich im Wesentlichen auf eine Wiederholung ihrer Ausführungen im erstinstanzlichen sowie im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes: So werde zum einen den tatsächlich entstehenden Lärmquellen zumindest teilweise nicht ausreichend Rechnung getragen und zum anderen seien die mit der Baugenehmigung verbundenen Auflagen nicht geeignet, die Einhaltung der Lärmschutzwerte zu gewährleisten; außerdem sei eine stark individualisierte, gleichsam maßgeschneiderte Baugenehmigung erteilt worden, die sich weder überwachen lasse, noch überwacht werde und schließlich habe bereits vor Erteilung der Baugenehmigung die gesicherte Erkenntnis bestanden, dass der Beigeladene zu 1 unzuverlässig sei. Der Senat nimmt deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen nicht nur gem. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die Gründe des angefochtenen Urteils (UA S. 27 ff.), sondern verweist zusätzlich auf seinen Beschluss vom 18. Oktober 2017 im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (9 CS 16.883), in dem er sich bereits ausführlich mit diesen von der Klägerin erhobenen Einwänden auseinandergesetzt hat. Den dortigen Ausführungen ist die Klägerin mit ihren wiederholten, pauschalen Behauptungen nicht substantiiert entgegengetreten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Beigeladene zu 1 hat sich, anders als die Beigeladene zu 2, im Zulassungsverfahren geäußert. Es entspricht deshalb der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten erstattet erhält, die Beigeladene zu 2 hingegen ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013 und entspricht der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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