Baurecht

Bebauungsplanänderung in Folge einer Erbauseinandersetzung – kein Nachbarrechtsschutz gegen Einfamilienhaus

Aktenzeichen  1 ZB 17.1068

Datum:
16.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 133196
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 31 Abs. 2, § 34, § 35
BauNVO § 15
GG Art. 14 Abs. 1
BGB § 917 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Im Hinblick auf Belästigungen und Störungen des Nachbarn durch ein Bauvorhaben besitzt das Bauplanungsrecht mit den §§ 31, 34 und 35 BauGB sowie mit § 15 BauNVO Regelungen, die Umfang und Grenzen des Nachbarschutzes umfassend bestimmen. Insoweit ist für weitergehende Ansprüche aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG kein Raum. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Vorschriften des Städtebaurechts, die die Zulässigkeit von Bauvorhaben regeln, ermächtigen nicht zum Entzug von Grundeigentum; sie weisen vielmehr die Merkmale von Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinn des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG auf. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 1 K 17.415 2017-04-04 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin wendet sich gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung. Das Grundstück der Klägerin wurde aufgrund einer Erbauseinandersetzung geteilt, die Beigeladene ist Eigentümerin des entstandenen Hinterliegergrundstücks. Die Gemeinde berücksichtigte die geänderte Grundstückssituation mit einer Bebauungsplanänderung. Anstelle eines einheitlichen Baufensters, das um das Wohnhaus der Klägerin gezogen und für das eine Grundfläche von 190 m² festgesetzt war, wurde auf dem Grundstück der Klägerin ein verkleinertes Baufenster mit 163 m² Grundfläche und auf dem Grundstück der Beigeladenen ein weiteres Baufenster mit 90 m² Grundfläche festgesetzt. Gegen die Bebauungsplanänderung hat die Klägerin Normenkontrollklage (1 N 16.2071) erhoben, den gestellten Eilantrag hat der Senat mit Beschluss vom 30. März 2017 abgelehnt (1 NE 17.502). Der Beklagte hat der Beigeladenen mit Bescheid vom 19. Januar 2017 die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garage genehmigt. Das Verwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Klage mit Urteil vom 4. April 2017 abgewiesen. In den Urteilsgründen wird ausgeführt, dass die der Baugenehmigung zugrunde liegende Bebauungsplanänderung wirksam sei. Durch die den Festsetzungen des Bebauungsplans entsprechende Bebauung würden Nachbarrechte der Klägerin nicht verletzt, ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot liege nicht vor. Selbst bei unterstellter Unwirksamkeit der Bebauungsplanänderung würde die erteilte Baugenehmigung keine Rechte der Klägerin verletzen. Für das Bauvorhaben der Beigeladenen wäre dann eine Befreiung von den auf dem Grundstück festgesetzten überbaubaren Flächen nach § 31 Abs. 2 BauGB erforderlich, die aber erteilt werden dürfte.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils liegen nicht vor. Ernstliche Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
Die Klägerin macht geltend, dass das Verwaltungsgericht übersehen habe, dass ein Eingriff in die Substanz des Eigentums öffentlich-rechtlich über Art. 14 GG abgewehrt werden könne. Durch die Baugenehmigung werde unmittelbar das klägerische Grundstück in Anspruch genommen, da mit der Zulassung des Bauvorhabens eine Reduktion des Maßes der baulichen Nutzung auf dem Grundstück der Klägerin und damit eine enteignende Wirkung einhergehe. Entgegen dem Vortrag der Klägerin ergibt sich aus Art. 14 Abs. 1 GG kein unmittelbarer Abwehranspruch. Im Hinblick auf Belästigungen und Störungen des Nachbarn durch ein Bauvorhaben besitzt das Bauplanungsrecht mit den §§ 31, 34 und 35 BauGB sowie mit § 15 BauNVO Regelungen, die Umfang und Grenzen des Nachbarschutzes umfassend bestimmen. Welche Beeinträchtigungen seines Grundeigentums der Nachbar hinnehmen muss und wann er sich gegen ein Bauvorhaben wenden kann, richtet sich nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebotes, das in den genannten Vorschriften enthalten ist. Insoweit ist für weitergehende Ansprüche aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG kein Raum (vgl. BVerwG, U.v. 26.9.1991 – 4 C 5.87 – BVerwGE 89, 69/78; U.v. 23.8.1996 – 4 C 13.94 – BVerwGE 101, 364/373). Soweit der Prozess-bevollmächtigte auf die Rechtsprechung Bezug nimmt, dass ein Nachbar ein Abwehrrecht haben kann, wenn eine rechtswidrige Baugenehmigung dadurch in sein durch Art. 14 Abs. 1 GG geschütztes Eigentumsrecht eingreift, dass sie infolge Fehlens der Erschließung in Richtung auf die Duldung eines Notweg- oder Notleitungsrechts nach § 917 Abs. 1 BGB eine unmittelbare Rechtsverschlechterung bewirkt (vgl. bereits BVerwG, U.v. 26.3.1976 – IV C 7.74 – BVerwGE 50, 282), ist diese vorliegend nicht einschlägig. Bei der Grundstücksteilung wurde die notwendige Erschließung des Hinterliegergrundstücks berücksichtigt. Das Bundesverwaltungs-gericht hat in einer neueren Entscheidung gerade in Abgrenzung zu der genannten Rechtsprechung bekräftigt, dass im Übrigen ein baurechtlicher Nachbarschutz grundsätzlich nur nach Maßgabe des einfachen Rechts besteht (vgl. BVerwG, B.v. 11.5.1998 – 4 B 45.98 – juris Rn. 8). Die Baugenehmigung der Beigeladenen hat für die Klägerin auch keine enteignende Wirkung. Die Vorschriften des Städtebaurechts, die die Zulässigkeit von Bauvorhaben regeln, ermächtigen nicht zum Entzug von Grundeigentum; sie weisen vielmehr die Merkmale von Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinn des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG auf (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215.96 – NVwZ-RR 1997, 516). Es besteht auch nicht die von der Klägerin angenommene direkte Beziehung zwischen der Baugenehmigung der Beigeladenen und dem baulichen Nutzungsrecht auf dem Grundstück der Klägerin. Mit der Grundstücksteilung aufgrund eines rechtskräftigen zivilrechtlichen Urteils ist ein neues Grundstück entstanden, auf dem bereits nach dem früheren einheitlichen Baufenster ein Baurecht bestand. Im Hinblick auf die vor der Bebauungsplan-änderung geltende Rechtslage hat das Verwaltungsgericht zudem ausgeführt, dass für das Bauvorhaben der Klägerin eine Ausnahme von den festgesetzten überbaubaren Flächen nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilt werden könnte. Einwendungen hiergegen werden nicht vorgetragen. Auch soweit die Klägerin von einer Schmälerung ihres Baurechts spricht und dabei von der ursprünglichen Grundfläche von 190 m² bei drei Wohneinheiten ausgeht, ignoriert sie die Tatsache, dass sie nicht mehr Eigentümerin des früheren Gesamtgrundstücks ist.
Die Ausführungen im Zulassungsantrag zu der Unwirksamkeit der Bebauungsplanänderung sind nicht entscheidungserheblich, da die Klägerin zum einen nicht unabhängig von nachbarschützenden Vorschriften eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung beanspruchen kann. Auf den vorgetragenen Abwehranspruch aus Art. 14 GG kann sich die Klägerin nicht berufen (vgl. oben). Zum anderen hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass das Bauvorhaben auch nach der Rechtslage vor der Bebauungsplanänderung genehmigt werden kann.
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, der Klägerin gemäß § 162 Abs. 3 VwGO auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen (vgl. BVerwG, B.v. 31.10.2000 – 4 KSt 2.00 u.a. – NVwZ-RR 2001, 276). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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