Baurecht

Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans

Aktenzeichen  Au 5 K 16.1042

Datum:
9.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 31 Abs. 2
BayBO BayBO Art. 6 Abs. 5, Abs. 9 S. 1 Nr. 3, Art. 63 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Es ist gerechtfertigt, einen auf die Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplanes zielenden, ausdrücklichen Antrag des Bauwerbers nicht zu verlangen, da auch bei Befreiungen der Grundsatz zum Tragen kommt, dass Baugenehmigungen auch unter dem Blickwinkel des Art. 14 GG zu erteilen sind, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen und die Befreiung gerade den Zweck erfüllt, das Entgegenstehen von Festsetzungen des Bebauungsplanes im Sinne des § 30 BauGB auszuschließen.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die dem Beigeladenen erteilte Tekturgenehmigung vom 15. Juni 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO.
1. Nach Überzeugung der Kammer verletzen die streitgegenständliche Tekturgenehmigung und hierbei insbesondere die in den Ziffern 2.1 bzw. 3.3 des Tekturgenehmigungsbescheides vom 15. Juni 2016 ausgesprochenen Abweichungen bzw. Befreiungen bezüglich der Lage und Höhe der sich an der nördlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks Fl.Nr. * der Gemarkung * befindlichen Stützmauer keine drittschützenden Rechte des Klägers, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren.
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20, 22).
Im vorliegenden Fall wurde ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO durchgeführt. In dessen Rahmen sind neben den bauplanungsrechtlichen Vorschriften die Anforderungen des Abstandsflächenrechts nur zu prüfen, soweit Abweichungen nach Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO beantragt wurden (vgl. BayVGH, U.v. 29.10.2015 – 2 B 15.1431 – juris Rn. 33).
2. Fehl geht der Einwand des Bevollmächtigten des Klägers dahingehend, dass die dem Beigeladenen erteilte Tekturgenehmigung bereits deshalb rechtswidrig und aufzuheben sei, weil der Beigeladene es versäumt habe, einen Antrag hinsichtlich der erforderlich werdenden Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes „*“ und dort insbesondere von dessen Festsetzung (§ 13) zur höchst zulässigen Einfriedungshöhe zu stellen.
Hinsichtlich der Lage der Stützmauer und der insoweit erforderlichen Abweichung von den landesrechtlichen Abstandsflächen (Art. 63, Art. 6 BayBO) liegt der erforderliche Antrag des Beigeladenen mit Schreiben vom 9. April 2015 bzw. Formblatt vom 1. Oktober 2015 vor.
Für die weitergehend erforderlich werdende Befreiung auf der Grundlage des § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplanes gilt Folgendes. § 31 Abs. 2 BauGB sieht keinen ausdrücklichen Antrag des Bauherrn im Hinblick auf eine erforderlich werdende Befreiung vor. Zwar ist die Befreiung ihrem Wesen nach ebenfalls antragsbedürftig, weil der Bauherr eine über die baurechtliche Norm hinausgehende Genehmigung begehrt. Entsprechend der Erteilung von Ausnahmen vom Bebauungsplan muss aber auch bei Befreiungen der Grundsatz zum Tragen kommen, dass Baugenehmigungen auch unter dem Blickwinkel des Art. 14 Grundgesetz (GG) zu erteilen sind, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen und die Befreiung gerade den Zweck erfüllt, das Entgegenstehen von Festsetzungen des Bebauungsplanes im Sinne des § 30 BauGB auszuschließen. Insofern ist es gerechtfertigt, einen auf die Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplanes zielenden, ausdrücklichen Antrags des Bauwerbers nicht zu verlangen (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2016, § 31 Rn. 64; BVerwG, B.v. 28.5.1990 – 4 B 56.90 – NVwZ – RR 1990, 529). Die sinngemäße Auslegung des jeweiligen Bauantrages lässt die Folgerung zu, dass mit dem Bauantrag zugleich die Erteilung einer erforderlichen Befreiung beantragt wird. Dafür spricht auch die Fassung in Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO, wonach die Bauaufsichtsbehörde im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB und damit auch die Voraussetzungen des § 31 BauGB von Amts wegen zu prüfen hat. Einen Erfolg der hier in Streit stehenden Drittanfechtungsklage des Nachbarn kann der Umstand eines fehlenden Antrages auf eine erforderlich werdende Befreiung von einem Bebauungsplan daher nicht begründen. Insoweit bedarf es vielmehr einer materiell-rechtlichen Verletzung des Klägers in diesen schützenden subjektiv-öffentlichen Rechten, an der es vorliegend fehlt.
3. Dies zugrunde gelegt, ist nicht ersichtlich, dass der Kläger durch die dem Beigeladenen in Ziffer 3.3 des mit der Klage angegriffenen Tekturgenehmigungsbescheides vom 15. Juni 2016 erteilte Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes „*“ hinsichtlich der Höhe der Einfriedung (Stützmauer) in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt wird.
Bei Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplanes hängt der Umfang des Rechtsschutzes des Nachbarn davon ab, ob die Festsetzungen, von deren Einhaltung dispensiert wird, dem Nachbarschutz dienen oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 – BauR 2013, 2011). Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte des Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz hingegen nach den Grundsätzen des im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebots. Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung aus irgendeinem Grund rechtswidrig ist, sondern nur, wenn der Nachbar durch das Vorhaben in Folge einer zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2012 – 14 CS 11.2284 – juris Rn. 37 f.; B.v. 17.3.2014 – 2 ZB 12.2238 – juris Rn. 3; B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 25).
Dabei ist weiter zu beachten, dass Festsetzungen insbesondere über örtliche Bauvorschriften, wie sie hier in Streit stehen und von denen vorliegend eine Befreiung erteilt wurde, grundsätzlich nicht nachbarschützend sind. Es ist der Gemeinde überlassen, ob sie in einem Bebauungsplan eine entsprechende Festsetzung zum Schutze Dritter trifft (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 3 C 28.91 – BRS 55 Nr. 110). Ob einer Festsetzung im Bebauungsplan nachbarschützende Wirkung zukommt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Daher kann aus einer Nichtbeachtung bzw. Abweichung von solchen Festsetzungen nur dann ein subjektives nachbarliches Abwehrrecht gegen ein Bauvorhaben hergeleitet werden, wenn dem jeweiligen Bebauungsplan ein ausdrücklich erklärter oder zumindest aus den Planunterlagen oder der Planzeichnung unzweifelhaft erkennbarer dahingehender Regelungswille der Gemeinde entnommen werden kann. Ortsgestalterische Festsetzungen wie hier zur jeweiligen Höhe der Einfriedung bringen grundsätzlich lediglich das gewünschte städtebauliche Konzept der Gemeinde zum Ausdruck, lassen jedoch nicht erkennen, dass mit ihnen ein wechselseitiges Austauschverhältnis begründet werden soll und sind dementsprechend in der Regel nicht nachbarschützend. Dass hier etwas anderes gilt, kann aufgrund der dem Gericht im Verfahren vorliegenden Unterlagen nicht festgestellt werden. Insbesondere ergeben sich weder aus dem Bebauungsplan selbst noch aus dessen Begründung entsprechende Anhaltspunkte.
4. Aber auch dann, wenn die fragliche Festsetzung nicht nachbarschützend ist, hat der Kläger nach § 31 Abs. 2 Satz 2 BauGB ausdrücklich Anspruch darauf, dass seine Belange bei der Befreiung gewürdigt werden. Insoweit ist maßgeblich, ob sich das Bauvorhaben als Folge der Befreiung als „rücksichtslos“ gegenüber dem Kläger darstellt. Das Rücksichtnahmegebot ist dabei keine allgemeine Härteklausel, die über den speziellen Vorschriften des Städtebaurechts oder gar des gesamten öffentlichen Baurechts steht, sondern Bestandteil einzelner gesetzlicher Vorschriften des Baurechts. Das Rücksichtnahmegebot soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gewährleisten, dass Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen sind, dass ein Interessenausgleich möglich ist, der beiden Seiten gerecht wird (vgl. BVerwG, U.v. 5.8.1983 – 4 C 96.79 – BVerwGE 67, 334). Dem Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290 ff.). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hängen die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist daher darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – NVwZ 2005, 328 ff.; BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 4).
Dies zugrunde gelegt ist eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme zu Lasten des Klägers zu verneinen. Die vorliegend in Streit stehende Stützmauer an der nördlichen Grenze des Baugrundstücks des Beigeladenen trägt lediglich dem Umstand des sich schon immer zwischen den Grundstücken des Klägers und des Beigeladenen befindlichen topografischen Höhenunterschiedes Rechnung. Nach den sich in den Akten befindlichen Lichtbildern (vgl. insbesondere Blätter 35 ff. der Verfahrensakte des Beklagten) ist die in Streit stehende Stützmauer vom Grundstück des Klägers aus betrachtet gar nicht wahrnehmbar, da sie sich deutlich abgesetzt unterhalb der natürlichen Lage des Grundstücks des Klägers befindet. Auch die in der landesrechtlichen Bestimmung des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO getroffene Regelung spricht gegen die Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme. Nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO sind Stützmauern und geschlossene Einfriedungen auch außerhalb von Gewerbe- und Industriegebieten mit einer Höhe bis zu 2 m in den Abstandsflächen eines Gebäudes bzw. ohne eigene Abstandsfläche zulässig. Dass die Höhe der Einfriedung, die vorliegend in Streit steht, die Höhe von 2 m überschreitet, hat auch der Kläger im gerichtlichen Verfahren nicht geltend gemacht. Weiter gilt zu berücksichtigen, dass mit bestandskräftiger Baugenehmigung des Beklagten vom 18. Februar 2014 dem Beigeladenen eine weitergehende Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes „*“ in dem Umfang erteilt wurde, als die ursprünglich geplante Einfriedung eine Höhe von bis zu 2,85 m aufweisen durfte. Die nunmehr hier in Streit stehende Einfriedung mit einer Höhe von maximal 2 m bleibt daher in ihren Auswirkungen für den Kläger hinsichtlich der ursprünglich genehmigten Stützmauer unmittelbar an der Grundstücksgrenze deutlich zurück. Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme ist insofern ausgeschlossen. Dies gilt auch hinsichtlich des Umstandes, dass die Stützmauer nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen unmittelbar an der Grundstücksgrenze sondern nunmehr 0,76 m auf das Grundstück des Beigeladenen versetzt, errichtet worden ist. Eine hierdurch geartete Rechtsverletzung des Klägers vermag das Gericht nicht zu erkennen. Dem Beigeladenen wäre es vielmehr auch von Anfang an freigestanden, die Stützmauer mit einer Höhe von 2 m auf der Grundlage des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO auf seinem Grundstück innerhalb der Abstandsfläche zum Grundstück des Klägers zu errichten.
Den landesrechtlichen Abstandsflächen (Art. 6 BayBO) kommt für die Beurteilung des bauplanungsrechtlichen und daher bundesrechtlichen Rücksichtnahmegebots unter dem Gesichtspunkt vorgetragener Belastungswirkungen zwar keine rechtliche Bindungswirkung zu. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots scheidet unter diesem Gesichtspunkt im Sinne einer Indizwirkung aber in aller Regel aus, wenn – wie hier – die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen eingehalten werden bzw. der in Streit stehende Baukörper innerhalb der Abstandsflächen bzw. ohne Abstandsflächen hat errichtet werden können. Denn in diesem Fall ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Landesgesetzgeber die diesbezüglichen nachbarlichen Belange und damit das diesbezügliche Konfliktpotenzial in einen vernünftigen und verträglichen Ausgleich gebracht hat (vgl. BVerwG, 6.12.1996 – 4 B 215.96 – NVwZ – RR 1997, 516 f.; B.v. 11.1.1999 – 4 B 128.98 – NVwZ 1999, 879 f.; BayVGH, B.v. 30.9.2015 – 9 CS 15.1115 – juris Rn. 13; B.v. 29.1.2016 – 15 ZB 13.1759 – juris Rn. 28; B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 29).
5. Die Überprüfung der nachbarschützenden Vorschrift des Art. 6 BayBO ergibt, dass Abstandsflächen zu Lasten des Klägers nicht verletzt sind, weil jedenfalls diesbezüglich die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO vorliegen. Der Kläger kann sich insbesondere nicht auf eine Verletzung seiner Rechte durch die Gewährung einer Abweichung von Art. 6 Abs. 5 BayBO auf der Grundlage von Art. 63 Abs. 1 BayBO in Ziff. 2.1 des Bescheids vom 15. Juni 2016 berufen.
Sofern man davon ausgeht, dass die Höhe der Einfriedung (Stützmauer) in ihrer tatsächlichen Errichtung an keiner Stelle das Höchstmaß von 2 m oberhalb des natürlichen Geländes überschreitet, hätte es gemäß Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO bereits keiner Abweichung von den Abstandsflächen bedurft. Letztlich bedarf dies keiner vertiefenden Betrachtung, da selbst wenn man von einer Höhe der Stützmauer von über 2 m ausgeht, die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO gegeben sind.
Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von den Anforderungen dieses Gesetzes zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 BayBO vereinbar sind. Da bei den Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO dem Schutzzweck der Norm nicht auf andere Weise entsprochen werden kann, muss es im Einzelfall besondere Gründe geben, die es rechtfertigen, dass die Anforderung zwar berücksichtigt, ihrem Zweck aber nur unvollkommen entsprochen wird. Es müssen rechtlich erhebliche Umstände vorliegen, die das Vorhaben als einen atypischen Fall erscheinen lassen und die dadurch eine Abweichung rechtfertigen können (König in Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 63 Rn. 12). Voraussetzung für einen atypischen Sachverhalt ist also, dass Gründe vorliegen, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die etwa bewirkte Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 23).
Die Besonderheit des Falles, die eine Abweichung von der Einhaltung der Regelabstandsflächen gegenüber dem Grundstück des Klägers rechtfertigt, ergibt sich aus der von jeher vorhandenen topografischen Lage der betroffenen Grundstücke zueinander. Bei der in Streit stehenden Einfriedung handelt es sich um keine die Belange des Art. 6 BayBO berührende Grundstückseinfassung, sondern lediglich um eine in den Hang eingepasste Stützmauer, die der vorhandenen Lage der betroffenen Grundstücke zueinander Rechnung trägt. Die Atypik ergibt sich hieraus, dass die Mauer höhengleich mit dem Gelände auf dem Grundstück des Klägers abschließt. Hieran vermag auch der den Kern des Streits bildende Rück-Versatz der Stützmauer auf das Grundstück des Beigeladenen nichts zu ändern. Gemessen am Schutzzweck der Abstandsvorschriften, nämlich ausreichender Belichtung und Belüftung der Gebäude sowie Brandschutz und sozialer Wohnfrieden (vgl. Dhom in Simon/Busse, BayBO, Stand August 2016, Art. 63 Rn. 42), führt die Erteilung einer Abweichung nicht zu für den Kläger schlechthin untragbaren Verhältnissen. Die Rechtsbeeinträchtigung des Klägers in den durch Art. 6 BayBO geschützten Belangen ist in der ursprünglich genehmigten Ausführungsvariante vom 18. Februar 2014 und der hier in Streit stehenden Variante nahezu identisch; in beiden Fällen kommt der Mauer lediglich die Funktion einer Stützwand zu. Überdies ist die Mauer jetzt in wesentlichen Teilen auf dem Grundstück des Beigeladenen realisiert, was die Rechtsbetroffenheit des Klägers nochmals reduziert. Vor dem Hintergrund der reduzierten Höhe der Stützmauer und deren Abrücken von der Grenze des Klägers ist eine Rechtsverletzung des Klägers für die Kammer nicht erkennbar.
6. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst, da er sich ohne Antragstellung im Verfahren keinem Prozesskostenrisiko aus § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Vollstreckungsabwehrbefugnis folgen aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
verkündet am 9. Februar 2017 als stellvertretende Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle verkündet am 9. Februar 2017 als stellvertretende Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle


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