Baurecht

Befreiung zur Errichtung von Stellplätzen

Aktenzeichen  M 9 K 16.4598

Datum:
18.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 20349
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 31 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Die flächengenaue, detaillierte Festsetzung jeder Fläche für Stellplätze bzw. Garagen in einem Bebauungsplan spricht dafür, dass es sich nach der Konzeption der Gemeinde um einen Grundzug der Planung handeln soll, dass die Garagen und Stellplätze genau dort sein sollen, wo sie festgesetzt sind, und nicht woanders. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Auch die Konzeption, dass alle Stellplätze von Norden her erschlossen werden sollten, um eine bessere Gartennutzung im Süden zu erreichen, stellt einen Grundzug der Planung dar. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Erteilung der beantragten Tekturgenehmigung in der Form einer isolierten Befreiung,
§ 113 Abs. 5 VwGO, § 31 Abs. 2 BauGB, § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Der Beklagte hat den Antrag zu Recht abgelehnt.
Die Befreiung durch die Bauaufsichtsbehörde ist erforderlich. Das Vorhaben ist nicht verfahrensfrei. Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b) BayBO kommt nicht in Betracht, da es sich nicht um überdachte Stellplätze handelt. Art. 57 Abs. 1 Nr. 15 Buchstabe b) BayBO gilt nicht, da nur die selbständige Errichtung oder selbständige bauliche Änderung von nicht überdachten Stellplätzen für Kraftfahrzeuge verfahrensfrei ist. Werden Stellplätze für Kraftfahrzeuge wie hier im Zusammenhang mit einem baugenehmigungspflichtigen Bauvorhaben errichtet oder geändert, dann sind sie unselbständige Teile eines genehmigungspflichtigen Gesamtvorhabens, sodass sich die Baugenehmigungspflicht und das bauaufsichtliche Verfahren auf sie erstrecken (vgl. Lechner/Busse in: Simon/Busse, BayBO, 129. EL März 2018, Art. 57 Rn. 354 m.w.N.); außerdem ist der Tektur-Bauantrag ohnehin nicht nur auf die Stellplätze, sondern auch noch auf die Errichtung eines Lichtgrabens gerichtet. Art. 57 Abs. 2 Nr. 1 BayBO gilt schließlich nicht, da die Situierung der Stellplätze bzw. der Garage gerade nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans entspricht.
Die Klägerin kann die erforderliche Befreiung allerdings nicht beanspruchen. Die Voraussetzungen für eine Befreiung von der zeichnerischen Festsetzung der Flächen für Garagen bzw. für Stellplätze, Nr. A. 6.1.1 bzw. 6.1.2 des Bebauungsplans der Beigeladenen, liegen nicht vor. Durch die beantragte Befreiung sind die Grundzüge der Planung des Bebauungsplans der Beigeladenen berührt.
Die Voraussetzungen für die Erteilung der Befreiung sind gemäß § 31 Abs. 2 BauGB, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, dass eine der drei Nummern des § 31 Abs. 2 BauGB gegeben ist und dass die Abweichung auch unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Von den drei in § 31 Abs. 2 BauGB genannten Tatbeständen kommt nur § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB – städtebauliche Vertretbarkeit der Abweichung – in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist städtebaulich vertretbar grundsätzlich alles, was Inhalt eines Bebauungsplans sein kann (z.B. BVerwG, B.v. 17.12.1998 – 4 C 16/97 – juris Rn. 36), wobei aber auf den konkreten Bebauungsplan und dessen planerische Konzeption abzustellen ist.
Dieser sehr weite Tatbestand erfordert, in diesen Fällen besonders sorgfältig zu prüfen, ob die Grundzüge der Planung berührt sind, weil diesem Prüfungspunkt hier eine besondere Bedeutung als Korrektiv zukommt.
Die Grundzüge der Planung bilden die den Festsetzungen des Bebauungsplans zugrunde liegende und in ihnen zum Ausdruck kommende planerische Konzeption (st. Rspr. BVerwG, z.B. B.v. 20.11.1989 – 4 B 163.89 – juris Rn. 18). Das gilt auch für Festsetzungen, die nicht für die Grundkonzeption des Bebauungsplans maßgeblich sind, denn auch diese können die Grundzüge der Planung bestimmen, wenn ihnen nämlich ein spezifisches planerisches Konzept zugrunde liegt. Es gilt auch für einzelne Festsetzungen. Denn auch sie können „die Planung tragende Festsetzungen“ sein (BVerwG, B. v. 5.3.1999 – 4 B 5.99), also Teil des planerischen Konzepts, das den Festsetzungen des Bebauungsplans auch in seinen Einzelheiten zu Grunde liegt. Durch das Erfordernis der Wahrung der Grundzüge der Planung stellt der Gesetzgeber sicher, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans nicht beliebig durch Verwaltungsakt außer Kraft gesetzt werden. Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-) Planung möglich ist. Die Befreiung kann nicht als Vehikel dafür herhalten, die von der Gemeinde getroffene planerische Regelung beiseite zu schieben. Sie darf – jedenfalls von Festsetzungen, die für die Planung tragend sind – nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1999 – 4 B 5/99 – juris Rn. 5f.).
Genau das wäre jedoch vorliegend der Fall. Dem Bebauungsplan Nr. 141 „Zwischen Augustenstraße und Karolinenweg“ der Beigeladenen ist genau zu entnehmen, wo die Flächen für Stellplätze und Garagen sein sollen. Bereits die flächengenaue, detaillierte Festsetzung jeder Fläche für Stellplätze bzw. Garagen spricht dafür, dass es sich nach der Konzeption der Beigeladenen um einen Grundzug der Planung handeln soll, dass die Garagen und Stellplätze genau dort sein sollen, wo sie festgesetzt sind, und nicht woanders.
Auch die von der Beigeladenen angeführte Konzeption, dass alle Stellplätze von Norden her erschlossen werden sollten, um eine bessere Gartennutzung im Süden zu erreichen, stellt einen Grundzug der Planung dar. Das ergibt sich zunächst aus den zeichnerischen Festsetzungen des Bebauungsplans. Dieser Wille geht aber ebenso aus den vom Beigeladenenbevollmächtigten vorgelegten Unterlagen aus dem Bebauungsplanaufstellungsverfahren hervor. Der vorgelegte Auszug aus dem Sitzungsprotokoll des Gemeinderats der Beigeladenen zu der Behandlung der Einwendungen gegen den Bebauungsplan (Anlage BG 2 zum Schriftsatz vom 12. Mai 2017, insbesondere Bl. 96 der Gerichtsakte) zeigt, dass die Erschließung der Stellplätze tatsächlich nach dem Willen des Inhabers der Planungshoheit hauptsächlich von Norden aus erfolgen sollte. Wörtlich heißt es dort u.a.: „Hierbei soll die Haupterschließung der Stellplätze und Garagen möglichst von Norden erfolgen, wobei zwei Stellplätze hintereinander mit 1m Abstand als Pflanzstreifen zur …straße festgesetzt werden“ und: „Um den Einwand der besseren Gartennutzung aufzunehmen, sollten allerdings möglichst alle Stellplätze von Norden erschlossen werden.“ Hieraus ersichtlich kann seitens der Klage nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass dieses Konzept der Erschließung der Stellplätze und Garagen von Norden nicht konsequent im ganzen Bebauungsplangebiet durchgehalten ist. Denn die Erschließung der Stellplätze und Garagen von Norden steht sowohl in praktischer Hinsicht als auch nach dem Willen des Inhabers der Planungshoheit unter dem Vorbehalt, dass dieses Konzept dort verfolgt werden soll, wo es im Bebauungsplangebiet möglich ist. Deshalb wird die Verfolgung des Konzepts nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Erschließung des Stellplatzes und der Garagen auf dem Grundstück FlNr. 1399/5 nicht nördlich, sondern südlich erfolgt, weil es für dieses Grundstück von Grundstückszuschnitt und -lage nicht anders möglich ist. Für das Baugrundstück hat die Beigeladene dagegen gerade keine über den …weg führende Erschließung eines Stellplatzes geplant, weil für das Baugrundstück die Erschließung der Stellplätze von Norden her möglich ist. Deshalb ist auch die Befreiung hinsichtlich des – genehmigungswidrig – tatsächlich auf der Seite des …wegs errichteten Stellplatzes nicht möglich. Auch die beiden östlich des Baugrundstücks an der …straße vorgesehenen Stellplätze stellen das planerische Konzept der Beigeladenen nicht in Frage. Denn der Beigeladenen steht es planerisch frei, von der grundsätzlichen, selbst gewählten Konzeption der Erschließung der Stellplätze von Norden her im Bebauungsplan wie geschehen eine Ausnahme zu machen. Ansonsten ist dieses Konzept im Bebauungsplangebiet nahezu durchgehend eingehalten.
Darüber hinaus hätte ein Abrücken vom Konzept wegen der vergleichbaren städtebaulichen Situation auf mehreren Grundstücken im überplanten Bereich weitreichende Folgen. Eine Befreiung würde den vom Plan erfassten Regelfall außer Kraft setzen. Auch wegen der Vorbildwirkung für gleich gelagerte Fälle und wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes kommt daher eine Befreiung nicht in Betracht. Würde gerade auf dem klägerischen Grundstück eine Befreiung erteilt, so gäbe es keinen Grund, entsprechende Anträge anderer Bauherren abzulehnen.
Da es bereits daran fehlt, dass der Tatbestand des § 31 Abs. 2 BauGB erfüllt ist, kommt es auf die Ermessensausübung nicht mehr an, unabhängig davon, dass diese nicht zu beanstanden ist.
Der Umstand, dass die Vertreter der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung erklärten, dass es nicht zu den tragenden Grundzügen der Planung gehöre, ob eine Garage oder ein Stellplatz errichtet wird und gleiches für den Lichtgraben gelte, ändert nichts am fehlenden Anspruch der Klägerin auf die Erteilung der beantragten Befreiung. Denn bei der mittels des streitgegenständlichen Tekturantrags beantragten Befreiung handelt es sich um ein einheitliches Gesamtvorhaben, so dass die Befreiung insgesamt daran scheitert, dass die Grundzüge der Planung berührt werden. Die Klägerin hat auf die Erklärung der Vertreter der Beigeladenen nicht durch eine Beschränkung auf die befreiungsfähigen Änderungen reagiert.
Auch die übrigen Einwände der Klägerin ändern am Ergebnis nichts. Die in der Klagebegründung geschilderten Beweggründe für die beantragte Befreiung und die bereits erfolgte Herstellung komplett abweichend von der Baugenehmigung, die laut der Klagebegründung den Wünschen der Erwerber der DHH 3 und 4 entspringen (DHH 3 bekommt mehr Belichtung auf der Westseite, DHH 4 einen größeren Garten), sind für die Frage, ob dadurch die Grundzüge der Planung berührt werden, nicht relevant. Auch die Frage, ob insbesondere die Stellplätze zwischen den DHH 2 und 3 nach der genehmigungswidrigen Errichtung etwas besser anfahrbar sind, als in der genehmigten Version, ist unerheblich. Der Unterschied beim Rangieren ist eher marginal sein, unabhängig davon, dass auch dieser Umstand nichts daran ändert, dass die Grundzüge der Planung berührt sind. Auch der Umstand, inwieweit die Stellplätze durch die Anordnung hintereinander praktisch nutzbar sind bzw. genutzt werden, spielt in rechtlicher Hinsicht keine Rolle. Schließlich bestehen auch keine Bedenken gegen die Anfahrbarkeit der beiden Stellplätze östlich des Baugrundstücks entlang der Augustenstraße.
Nach alledem wird die Klage abgewiesen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO sowie aus § 154 Abs. 3 Hs. 1 VwGO und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Klägerin hat auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu erstatten. Das entspricht der Billigkeit, weil die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich dadurch selbst einem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO, § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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