Baurecht

Begründung des Bebauungszusammenhangs

Aktenzeichen  1 ZB 19.1961

Datum:
31.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9458
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 7

 

Leitsatz

Zwar können Grundstücksflächen mit auf das Hauptgebäude bezogenen Nebenanlagen als bebauungsakzessorisch genutzte Grundstücksteile noch dem Innenbereich zuzurechnen sein. Dies gilt aber nur für hausnahe, typische Hausgärten; bei der Abgrenzung gilt ein restriktiver Maßstab (vgl. VGH München, BeckRS 2016, 42611 Rn. 7) (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 1 K 18.5896 2019-07-30 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 30.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger begehrt die Genehmigung für die Erteilung von Vorbescheiden für den Neubau von zwei Einfamilienhäusern oder eines Einfamilienhauses (in verschiedenen Varianten) auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung N… Das am Ortsrand liegende Grundstück, auf dem ein kleiner Holzschuppen steht, ist eingezäunt und wird gärtnerisch genutzt. Die östlich und südlich angrenzenden Grundstücke sind mit Wohnhäusern bebaut. Im Westen des Vorhabengrundstücks verläuft ein schmaler gewidmeter Feld- und W.-weg, daran schließen wie im Norden des Grundstücks landwirtschaftliche Flächen an. Die gegen die ablehnende Entscheidung der Beklagten gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 30. Juli 2019 abgewiesen. Die nicht privilegierten Vorhaben lägen im Außenbereich und beeinträchtigten öffentliche Belange.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und besonderer rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass das Grundstück, an dem dem Kläger ein dinglich gesichertes Nutzungsrecht zusteht, im Außenbereich liegt und die geplanten Wohnbauvorhaben öffentliche Belange beeinträchtigen (§ 35 Abs. 2, 3 BauGB).
1.1. Dabei ist das Verwaltungsgericht zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass der für eine Innenbereichslage gemäß § 34 Abs. 1 BauGB notwendige Bebauungszusammenhang fehlt.
Ein Bebauungszusammenhang im Sinn von § 34 BauGB ist nach ständiger Rechtsprechung gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden. Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper. Örtliche Besonderheiten können es im Einzelfall ausnahmsweise rechtfertigen, ihm noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt (Damm, Böschung, Fluss, Waldrand o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind oder trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nicht zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen. Auch Straßen oder Wege können in dieser Hinsicht von Bedeutung sein (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – ZfBR 2016, 67 m.w.N.; B.v. 4.1.1995 – 4 B 273.94 – juris Rn. 3). Bebauung im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist indes nicht jede beliebige Anlage. Den Bebauungszusammenhang selbst herstellen oder zu seiner Entwicklung beitragen können nur Bauwerke, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt werden oder in einem weiteren Sinn „Nebenanlagen“ zu einer landwirtschaftlichen, (klein-)gärtnerischen oder sonstigen Hauptnutzung sind, sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen (vgl. BVerwG, B.v. 5.4.2017 – 4 B 46.16 – ZfBR 2017, 471; U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275).
Gemessen an diesen Maßstäben, die das Verwaltungsgericht seiner Beurteilung zugrundegelegt hat, nimmt das streitgegenständliche Grundstück nicht mehr an einem Bebauungszusammenhang mit der östlich und südlich vorhandenen Wohnbebauung teil. Ein Bebauungszusammenhang mit dieser Wohnbebauung wird weder durch die Tatsache hergestellt, dass das Gebäude auf FlNr. … unmittelbar an der Grenze zu dem Vorhabengrundstück steht noch durch den Umstand, dass die Bebauung im Osten und Süden nahe zusammensteht. Es gilt insoweit der Grundsatz, dass der Bebauungszusammenhang am Ortsrand unmittelbar hinter den letzten (Haupt) Gebäuden endet. Zwar können Grundstücksflächen mit auf das Hauptgebäude bezogenen Nebenanlagen als bebauungsakzessorisch genutzte Grundstücksteile noch dem Innenbereich zuzurechnen sein. Dies gilt aber nur für hausnahe, typische Hausgärten; bei der Abgrenzung gilt ein restriktiver Maßstab (vgl. BayVGH, B.v. 2.2.2016 – 9 ZB 12.1533 – juris Rn. 7; OVG SH, B.v. 14.8.2014 – 1 LA 41/14 – juris Rn. 7; OVG NW, B.v. 25.2.2014 – 2 A 1295/13 – juris Rn. 18 ff.). Die sog. bebauungsakzessorische Nutzung soll es dem Bauherrn ermöglichen, unmittelbar angrenzend an das Hauptgebäude in angemessenem Umfang untergeordnete Nebenanlagen im Sinn von § 14 Abs. 1 BauNVO, wie z.B. Terrassen, unterzubringen. Dagegen ist nicht bezweckt, dass dort ein weiteres Hauptgebäude bzw. Wohnhaus errichtet wird; ein größerer Umgriff verbietet sich deshalb (vgl. BayVGH, U.v. 13.4.2015 – 1 B 14.2319 – juris Rn. 20). Das eigenständige, eingezäunte Grundstück FlNr. … als Hausgarten zu dem südlich gelegenen Grundstück FlNr. … anzusehen, der dort bereits südlich des Wohnhauses vorhanden ist, liegt daher fern. Die Einzäunung des Grundstücks, dessen gärtnerische Nutzung sowie der vorhandene Schuppen als Nebenanlage können ebenfalls einen Bebauungszusammenhang nicht begründen. Auf die Entstehungsgeschichte der östlichen Bebauung kommt es nicht an, da (nur) die tatsächlich vorhandene Bebauung maßgeblich ist. Es ist auch unerheblich, ob die potenziellen Neubauvorhaben die tatsächliche „Baulinie“ bzw. „Baugrenze“ der östlichen Bebauung aufnehmen und sichern würden, da sie als Gegenstand der Prüfung nicht zugleich Prüfungsmaßstab für das Vorliegen eines Bebauungszusammenhangs sein können (vgl. BVerwG, U.v. 6.6.2019 – 4 C 10.18 – NVwZ 2019, 1456). Soweit eine Verklammerungswirkung der östlichen Bebauung vorgetragen wird, die sich aus dem schrägen Verlauf der Bestandsbebauung ergeben soll, insbesondere aus der Situierung des Gebäudes auf dem östlich anschließenden Grundstück, ist eine räumliche Einbeziehung des Vorhabengrundstücks in einen Bebauungszusammenhang nicht erkennbar.
Das Verwaltungsgericht hat auch zu Recht ausgeführt, dass weder der westlich angrenzende Feld- und W.-weg noch der Geländeverlauf örtliche Besonderheiten darstellen, die dazu führen, dass das Grundstück dem Innenbereich zuzuordnen ist. Der Feststellung, dass dem schmalen, nicht ausgebauten Weg, der sich in einer Fahrspur für landwirtschaftliche Maschinen erschöpft, keine trennende Wirkung im Hinblick auf die anschließenden landwirtschaftlich genutzten Flächen zukommt, setzt der Kläger keine substantiierten Einwände entgegen. Die Tatsache, dass der Feld- und W.-weg auf Höhe des südlichen Grundstücks in eine gekieste bzw. asphaltierte, deutlich breitere Wegfläche übergeht, spricht gerade dafür, dort eine Zäsur anzunehmen. Wie das Verwaltungsgericht weiter festgestellt hat, steigt das Gelände bereits weiter südlich abrupt an, Richtung Norden und damit auch beim Vorhabengrundstück steigt es zwar noch deutlich, aber nicht mehr so stark an. Es sei für den Betrachter ein nahtloser Übergang vom Vorhabengrundstück zu den nördlichen und auch westlichen landwirtschaftlichen Flächen wahrnehmbar. Diese Würdigung ist anhand der beim Augenschein gefertigten Bildaufnahmen für den Senat nachvollziehbar. Die von dem Kläger genannten Höhendifferenzen legen keinen Geländeeinschnitt im Sinn der oben genannten Rechtsprechung nahe. Nicht jedweder Geländeunterschied ist zugleich eine trennende Geländezäsur, die den Eindruck der Geschlossenheit bzw. Zugehörigkeit einer unbebauten Fläche zum Bebauungszusammenhang vermittelt (vgl. BayVGH, B.v. 2.2.2016 – 9 ZB 12.1533 – juris Rn. 8). Soweit geltend gemacht wird, dass der bestehende Ortsrand einer nicht gewünschten weitergehenden baulichen Entwicklung Grenzen zöge, ist dies nicht bei der Frage des Bebauungszusammenhangs zu prüfen, sondern bei der Frage, ob die Bebauung als Vorgang einer siedlungsstrukturell zu missbilligenden Entwicklung öffentliche Belange beeinträchtigt.
1.2. Die Ausweitung des Ortsteils über den Bebauungszusammenhang hinaus in den Außenbereich beeinträchtigt hier als Vorgang einer siedlungsstrukturell zu missbilligenden Entwicklung (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB) öffentliche Belange. Es ist Aufgabe der Bauleitplanung oder einer Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB, die städtebauliche Entwicklung zu ordnen und zu lenken (vgl. BVerwG, B.v. 11.10.1999 – 4 B 77.99 – BauR 2000, 1175; U.v. 25.1.1985 – 4 C 29.81 – NVwZ 1985, 747).
Die Anschlussbebauung von der bebauten Ortslage aus in den Außenbereich hinaus ist in der Regel ein Vorgang der – siedlungsstrukturell unerwünschten – Zersiedelung, wenn das Vorhaben konkret geeignet ist, Nachfolgebebauung nach sich zu ziehen. In einem solchen Fall erfordern es die öffentlichen Belange, den ersten Ansätzen entgegenzutreten (vgl. BVerwG a.a.O.). Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass eine Bebauung auf dem Vorhabengrundstück Vorbildwirkung für weitere Bauwünsche auf dem westlich des Weges liegenden Grundstücks hätte. Gerade weil der Feld- und W.-weg keine trennende Funktion zwischen Innen- und Außenbereich vermittelt, könnte eine Bezugsfallwirkung für eine Bebauung westlich entlang des Weges entstehen (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 1 ZB 12.468 – juris Rn. 10). Soweit der Kläger ein Abgrenzungskriterium darin sieht, dass allein das Vorhabengrundstück im Flächennutzungsplan als Wohnbaufläche dargestellt ist, kommt es nicht darauf an, ob als Folge der Zulassung des Vorhabens ein Genehmigungsanspruch auf Zulassung weiterer Vorhaben besteht oder weiteren Vorhaben ein zusätzlicher öffentlicher Belang entgegengehalten werden könnte. Es genügt, dass die Gründe, die weiteren Vorhaben entgegengehalten werden könnten, an Überzeugungskraft einbüßen würden, wenn das beantragte Vorhaben nicht aufgrund der Ausweitung der Bebauung in den Außenbereich hinein versagt würde, mit der Genehmigung also ein sog. Berufungsfall geschaffen würde (vgl. BVerwG, B.v. 2.9.1999 – 4 B 27.99 – BauR 2000, 1173; B.v. 1.4.1997 – 4 B 11.97 – NVwZ 1997, 899). Im Übrigen könnte die Ausweisung des Grundstücks als Wohnbaufläche im Flächennutzungsplan durch die genehmigte Bebauung auf den östlich angrenzenden Grundstücken überholt sein.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Vorhaben auch die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB), da die Beeinträchtigung eines öffentlichen Belangs ausreichend ist.
2. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die Streitsache keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist, die eine Zulassung der Berufung erforderlich machen würden. Insbesondere ist der Ausgang des Rechtsstreits nicht ergebnisoffen. Der anzuwendende rechtliche Maßstab ist hinreichend geklärt; es handelt sich auch nicht um besonders schwierige Tatsachenfragen, sondern um einen ganz normalen Ortsrandfall.
3. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 9.1.1.1, 9.2. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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