Baurecht

Begründung zum Bebauungsplan, Abstandsflächentiefe, Abstandsflächenrecht, Antragsgegner, Mischgebiet, Schalltechnische Untersuchung, Kostenentscheidung, Rücksichtnahmegebot, Bundsverwaltungsgericht, Plangebiet, Befähigung zum Richteramt, Prozeßbevollmächtigter, Wohnnutzung, Abwägungsgebot, Unwirksamkeit, Streitwertfestsetzung, Private Belange, Städtebauliche Rechtfertigung, Prozeßkostenhilfeverfahren, Normenkontrollantrag

Aktenzeichen  15 N 20.411

Datum:
31.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 7388
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47
BauGB § 1 Abs. 3, 7, 2 Abs. 3
BauNVO § 6
BayBO Art. 6 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Normenkontrollverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags sofort vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat konnte nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 17. Februar und 10. März 2021 ihr Einverständnis damit erklärt haben.
1. Der Normenkontrollantrag ist zulässig, denn die Antragstellerin ist antragsbefugt, obwohl sich ihr Grundstück außerhalb des Planbereichs befindet.
Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann jede natürliche oder juristische Person einen Normenkontrollantrag stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Dabei kann die Antragsbefugnis auch aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der privaten Belange der Antragstellerin gemäß § 1 Abs. 7 BauGB folgen (BVerwG, B.v. 9.11.1979 – 4 N 1/78, 4 N 2/79, 4 N 3/79, 4 N 4/79 – BVerwGE 59, 87 = juris Leitsatz und Rn. 44 ff; U.v. 24.9.1998 – 4 CN 2/98 – BVerwGE 107, 215 = juris Leitsatz 2 und Rn. 15 bis 21).
Gemessen daran ist die Antragstellerin antragsbefugt, denn angesichts des Umfangs der mit dem Bebauungsplan zugelassen Bebauung erscheint es möglich, dass ihre Interessen nachteilig berührt und möglicherweise nicht hinreichend berücksichtigt worden sind. Insbesondere ist ihr Anwesen in der schalltechnischen Untersuchung vom 25. Juli 2018 berücksichtigt worden und die Pegeldifferenzen aus dem Straßenverkehr sowie aus dem Gesamtverkehr sind errechnet worden (vgl. Anlagen 1.3 bis 1.6 zur schalltechnischen Untersuchung).
2. Der Normenkontrollantrag hat aber keinen Erfolg, denn der streitgegenständliche Bebauungsplan leidet nicht an Mängeln, die zu seiner Unwirksamkeit führen. Er ist städtebaulich gerechtfertigt und die privaten Belange der nordöstlich angrenzenden Plannachbarn sind hinreichend ermittelt und zutreffend abgewogen worden.
2.1 Nicht erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB sind nur solche Pläne, die einer positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuches nicht bestimmt sind. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist ferner verletzt, wenn ein Bebauungsplan, der aus tatsächlichen oder Rechtsgründen auf Dauer oder auf unabsehbare Zeit der Vollzugsfähigkeit entbehrt, die Aufgabe der verbindlichen Bauleitplanung nicht zu erfüllen vermag. In dieser Auslegung setzt § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB der Bauleitplanung eine erste, wenn auch strikt bindende Schranke, die lediglich grobe und einigermaßen offensichtliche Missgriffe ausschließt. Sie betrifft die generelle Erforderlichkeit der Planung, nicht hingegen die Einzelheiten einer konkreten planerischen Lösung. Dafür ist das Abwägungsgebot maßgeblich, das im Hinblick auf gerichtliche Kontrolldichte, Fehlerunbeachtlichkeit und heranzuziehende Erkenntnisquellen abweichenden Maßstäben unterliegt (vgl. BVerwG, U.v. 27.3.2013 – 4 C 13.11 – BauR 2013, 1399).
Hier stellt die Planung keinen derartigen städtebaulichen Missgriff dar, der gegen § 1 Abs. 3 BauGB verstößt, denn die Festsetzung eines Mischgebiets entbehrt nicht der städtebaulichen Rechtfertigung. Nach § 6 Abs. 1 BauNVO dienen Mischgebiete dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. In einem Mischgebiet soll den Belangen der gewerblichen Wirtschaft in gleicher Weise Rechnung getragen werden wie den Wohnbedürfnissen der Bevölkerung. Wohnen und gewerbliche Nutzung stehen gleichrangig und gleichwertig nebeneinander. Keine der Nutzungsarten soll ein deutliches Übergewicht über die andere gewinnen (stRspr, BVerwG, U.v. 28.4.1972 – IV C 11.69 – BVerwGE 40, 94; U.v. 25.11.1983 – 4 C 64.79 – BVerwGE 68, 207 = juris Rn. 9; U.v. 4.5.1988 – 4 C 34.86 – BVerwGE 79, 309 = juris Rn. 18 m.w.N.). Für die quantitative Mischung kommt es darauf an, in welchem Verhältnis die dem Wohnen und die gewerblichen Zwecken dienenden Anlagen im Baugebiet nach Anzahl und Umfang zueinander stehen. Dies lässt sich nicht ausschließlich danach beurteilen, mit welchen Prozentsätzen Geschossflächen im jeweiligen Mischgebiet für die eine oder andere Nutzungsart in Anspruch genommen werden. Die Störung des gebotenen quantitativen Mischungsverhältnisses kann sich aus einem übermäßig großen Anteil einer Nutzungsart an der Grundfläche des Baugebiets, einem Missverhältnis der Geschossflächen oder der Zahl der eigenständigen gewerblichen Betriebe im Verhältnis zu den vorhandenen Wohngebäuden, oder auch erst aus mehreren solcher Merkmale zusammengenommen ergeben. Erforderlich ist stets eine Bewertung aller für eine quantitative Beurteilung in Frage kommenden tatsächlichen Umstände (vgl. BVerwG, U.v. 4.5.1988 a.a.O.; B.v. 11.4.1996 – 4 B 51.96 – NVwZ-RR 1997, 463). Weiter kann auch berücksichtigt werden, dass einzelne Grundstücke für eine Nutzungsart nur eingeschränkt zur Verfügung stehen (vgl. BayVGH, B.v. 12.7.2010 – 14 CS 10.327 – juris Rn. 35). Ein Plangeber, der ein Mischgebiet festsetzt, muss deshalb das gesetzlich vorgesehene gleichberechtigte Miteinander von Wohnen und Gewerbe auch wollen oder zumindest sicher voraussehen, dass sich in dem fraglichen Gebiet eine solche Durchmischung einstellt.
Hier sollen die vormals von einer Ziegelei gewerblich genutzten, gleichwohl aber relativ innenstadtnah gelegenen Flächen nach der Planbegründung zu einem Standort mit gemischter Nutzung entwickelt werden. Dafür ist einheitlich ein Mischgebiet festgesetzt worden, in dem nur in den besonders von Verkehrslärm betroffenen Bereichen (entlang der Bahn und im Erdgeschoss entlang der G. Straße) keine Wohnnutzung zulässig ist. In den südlich gelegenen MI 13 und 14 ist daher nur gewerbliche Nutzung zulässig, die teilweise dort schon angesiedelt ist und nach Auffassung der Antragsgegnerin angesichts ihres Umfangs das gesamte Gebiet prägt. Alle übrigen Teile des Mischgebiets sind nach den Festsetzungen des Bebauungsplans einer gemischten Nutzung grundsätzlich zugänglich. Zwar geht die Planbegründung selbst davon aus, dass im nördlichen Planbereich zahlreiche Wohngebäude entstehen werden, eine andere Nutzung wird aber durch die Festsetzungen nicht ausgeschlossen. Darüber hinaus geht die Plangeberin auch davon aus, dass durch den Ausschluss der Wohnnutzung im MI 13 und 14 sowie in Teilen des MI 1 bis 3 auf jeden Fall eine ausreichende Nutzungsmischung entsteht. Nach den von der Antragsgegnerin vorgelegten Auswertungen, denen die Antragstellerin nicht widersprochen hat, ist sowohl nach den jeweiligen Anteilen an der bebaubaren Grundfläche, der Geschossfläche und der Gesamtfläche eine Mischung von mindestens 40 Prozent Gewerbenutzung und 60 Prozent Wohnnutzung gegeben, selbst wenn in den MI 1 bis 12 die maximale Anzahl an Wohnungen errichtet werden sollte. Angesichts dieser Gegebenheiten kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin die Festsetzung eines Mischgebiets nur aus Immissionsschutzgründen vorgeschoben hat. Ggf. muss aber auch die Baugenehmigungsbehörde in einem Mischgebiet dafür Sorge tragen, dass das Gleichgewicht zwischen Wohnen und gewerblicher Nutzung eingehalten wird (vgl. BayVGH, B.v. 26.3.2018 – 1 ZB 16.589 – juris Rn. 1). Dass das Gebiet nach der aktuellen Rechtslage eher einem Urbanen Gebiet nach § 6a BauNVO entspricht, weil die dort vorgesehene Nutzungsmischung die festgesetzte Nutzungsmischung im Plangebiet besser widerspiegelt, führt nicht dazu, dass die Festsetzung eines Mischgebiets städtebaulich nicht erforderlich wäre. Denn bei Einleitung des Bauleitplanverfahrens durch den Aufstellungsbeschluss am 27. April 2015 war § 6a BauNVO zum einen noch nicht erlassen, zum anderen dienen Urbane Gebiete mit einer Obergrenze hinsichtlich der GRZ von 0,8 und bezüglich der GFZ von 3,0 gegenüber einem Mischgebiet regelmäßig einer noch wesentlich dichteren Bebauung als der mit dem streitgegenständlichen Bebauungsplan zugelassenen.
Auch der Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben, Gartenbaubetrieben, Tankstellen und Vergnügungsstätten nimmt dem Bebauungsplan nicht die städtebauliche Rechtfertigung, denn die Antragsgegnerin hat in der Begründung nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen der Ausschluss erfolgt ist.
2.2 Der streitgegenständliche Bebauungsplan leidet auch nicht an einem Abwägungsfehler nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 i.V.m. § 1 Abs. 7 und § 2 Abs. 3 BauGB.
Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung eines Bebauungsplans die öffentlichen und privaten Belange gerecht gegen- und untereinander abzuwägen. Die gerichtliche Kontrolle dieser von der Gemeinde vorzunehmenden Abwägung hat sich nach ständiger Rechtsprechung darauf zu beschränken, ob eine Abwägung überhaupt stattgefunden hat (kein Abwägungsausfall), ob in sie an Belangen eingestellt worden ist, was nach Lage der Dinge eingestellt werden musste (kein Abwägungsdefizit), ob die Bedeutung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange richtig erkannt worden ist (keine Abwägungsfehleinschätzung) und ob der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belangen in einer Weise vorgenommen worden ist, die zu ihrem objektiven Gewicht in einem angemessenen Verhältnis steht (keine Abwägungsdisproportionalität). Hat die Gemeinde diese Anforderungen an ihre Planungstätigkeit beachtet, wird das Abwägungsgebot nicht dadurch verletzt, dass sie bei der Abwägung der verschiedenen Belange dem einen den Vorzug einräumt und sich damit notwendigerweise für die Zurückstellung eines anderen entscheidet. Dabei ist gemäß § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB im konkreten Fall die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Stadtrates der Antragsgegnerin über den Bebauungsplan maßgebend.
Nach § 2 Abs. 3 BauGB sind bei der Aufstellung der Bebauungspläne die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), zu bewerten und zu ermitteln. Die Beachtlichkeit ist beschränkt auf Belange, die der planenden Gemeinde entweder bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, das heißt sich nach Sachlage aufdrängten.
2.2.1 Soweit die Antragstellerin beanstandet, der Bebauungsplan sei unwirksam, da die Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 und 2 BayBO gegenüber ihrem Grundstück nicht eingehalten würden, weil an der Nordseite der Gebäude im MI 6 und 7 entgegen dem Plankonzept das 16-m-Privileg nicht angewendet werden dürfe, führt dies nicht zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans. Zum einen wird mit einem Hinweis auf die Geltung des gesetzlichen Abstandsflächenrechts in einem Bebauungsplan regelmäßig auf die aktuelle Rechtslage verwiesen, denn eine statische Verweisung wäre bauplanungsrechtlich nicht zulässig (vgl. VGH BW, B.v. 10.1.2006 – 5 S 2335/05 – juris Rn. 5). Art. 6 BayBO ist aber zum 1. Februar 2021 geändert worden und nunmehr gilt nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO an allen Seiten eine notwendige Abstandsflächentiefe von 0,4 H, denn es ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin eine Satzung nach Art. 6 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Art. 81 BayBO erlassen hat. Diese Abstandsflächentiefe kann von den Vorhaben in den MI 6 und 7 auch bei vollständiger Ausnutzung der Baugrenzen und maximalen Wandhöhen bis zu den Grenzen des Plangebiets auch unproblematisch eingehalten werden. Zum anderen wäre, selbst wenn die Auffassung der Antragstellerin zutreffen würde und eine Kombination des 16-m-Privilegs mit einer abweichenden Festsetzung der Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO an den übrigen drei Seiten nicht zulässig wäre, der Bebauungsplan dadurch nicht unwirksam. Rechtsfolge wäre, dass die Bauwerber die durch die Baugrenzen gebildeten Baufenster und die festgesetzten maximal zulässigen Wandhöhen mit ihren Bauvorhaben möglicherweise nicht vollständig ausnutzen könnten, sondern die Gebäude dahinter zurückbleiben müssten. Dies führt aber nicht zu einem Fehler im Bebauungsplan, selbst wenn die Antragsgegnerin davon ausgegangen ist, dass eine solche Kombination möglich ist. Denn die Frage, ob die gesetzlichen Abstandsflächen durch ein Bauvorhaben im Plangebiet eingehalten werden, stellt sich grundsätzlich erst im Baugenehmigungs- oder Freistellungsverfahren und muss dort beantwortet werden.
2.2.2 Entgegen der Ansicht der Antragstellerin war es auch nicht erforderlich, eine Verschattungsstudie einzuholen. Regelmäßig stellt die Verschattung eines Grundstücks bei Einhaltung der gesetzlichen Abstandsflächenvorschriften keinen abwägungserheblichen Belang dar, weil die landesrechtlichen Regelungen im Interesse der Wahrung sozialverträglicher Verhältnisse eine ausreichende Belichtung, Besonnung und Belüftung von Nachbargrundstücken gerade sicherstellen sollen (BayVGH, B.v. 8.5.2019 – 15 NE 19.551 u.a. – juris Rn. 35 m.w.N.). Eine solche Studie kann möglicherweise dann erforderlich sein, wenn ein bestehender Bebauungsplan geändert werden soll, dessen Festsetzungen subjektive Rechte begründen (vgl. für einen solchen Fall OVG Saarl, U.v. 17.12.2020 – 2 C 309/19 – juris). Im vorliegenden Fall grenzte das Grundstück der Antragstellerin vor Erlass des Bebauungsplans aber an eine ehemals als Ziegelei genutztes Gebiet an, für das nach Aktenlage kein Bebauungsplan bestanden hat, aus dem die Antragstellerin Rechte hätte ableiten können.
Auch bei konkreter Betrachtung der Besonderheiten des Einzelfalls ergibt sich kein Sonderfall, nach dem ausnahmsweise trotz Einhaltung der Anforderungen des Abstandsflächenrechts eine Verschattungsstudie erforderlich gewesen wäre. Auch insofern ist ausschlaggebend, dass die durch den Bebauungsplan ermöglichte Bebauung auch im Verhältnis zum Nachbarbaubestand nicht zu einer außergewöhnlichen, besondere Ermittlungen gem. § 2 Abs. 3 BauGB erfordernden Konstellation führt, sondern zu einem für städtische Innenbereiche typischen Normalfall. Eine Minderung der Besonnung durch ein neues oder verändertes Gebäude in der Nachbarschaft stellt eine typische Folge einer Nachbarbebauung dar und muss folglich insbesondere innerhalb verdichteter Innenstadtlagen vorbehaltlich besonderer Ausnahmefälle von Grundstücksnachbarn grundsätzlich hingenommen werden (BayVGH, B.v. 8.5.2019 – 15 NE 19.551 u.a. – juris Rn. 36 f. m.w.N.). Im Falle einer – insbesondere das bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht wahrenden – Bauleitplanung wird insofern grundsätzlich kein besonderer Abwägungsbedarf begründet. Dass die Abstandsflächen innerhalb des Plangebiets auf eine Tiefe von nur 0,4 H festgesetzt worden sind, führt ebenfalls nicht zu einer Ausnahmesituation, die besondere Ermittlungen erforderlich gemacht hätten. Diese Abstandsflächentiefe war schon seit geraumer Zeit in Form der Experimentierklausel des Art. 6 Abs. 7 BayBO a.F. gesetzlich zulässig und stellt nunmehr nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO die Regel dar. Diese Abstandsflächentiefe erfüllt daher die Voraussetzungen an eine ausgewogene, nicht nachbarrechtsverletzende Regelung.
Entsprechendes gilt für Beeinträchtigungen hinsichtlich der Belichtung. Diesbezüglich stellt die Einhaltung eines Lichteinfallwinkels von 45° in Höhe der Fensterbrüstung vor Fenstern von Aufenthaltsräumen eine ausreichende Belichtung sicher. Genau dies sollen die bauordnungsrechtlichen Regelungen in Art. 6 BayBO – auch soweit diese gem. Art. 6 Abs. 6 BayBO a.F. auf 0,5 H oder nach Art. 6 Abs. 5 BayBO n.F. auf 0,4 H abgekürzt sind – grundsätzlich gewährleisten (vgl. BayVGH, B.v. 8.5.2019 a.a.O. Rn. 35 ff.). Neben Art. 6 BayBO in der seit 1. Februar 2021 geltenden Fassung stellen mittlerweile die Bauordnungen der meisten anderen Länder (z.B. § 8 Abs. 6 Satz 1 LBauO RhPf, § 6 Abs. 5 Satz 1 BauO LSA, § 6 Abs. 5 Satz 1 HBO) auf 0,4 H als ausreichende Abstandsfläche ab. Auch dies bestätigt, dass dieser Abstand in dicht besiedelten Innenstädten als nicht untypisch und grundsätzlich hinnehmbar anzusehen ist, sodass aus diesem Grund eine besondere Untersuchung der Lichtverhältnisse nicht indiziert ist.
Die Antragsgegnerin war sich der Problematik, insbesondere hinsichtlich der Bebauung auf FlNr. …3 auch bewusst und hat in der Abwägung darauf hingewiesen, dass in den MI 4 bis 10 die obersten beiden Geschosse als Staffelgeschoss auszubilden sind und daher zumindest teilweise zurückspringen. Darüber hinaus hat sie erwogen, dass durch die Gestaltung mit höheren Punktgebäuden eine aufgelockerte Bebauung erzielt werden kann, die von einem großzügigen Grünbereich umgeben ist, der auch für die Allgemeinheit zugänglich ist, dadurch insgesamt ein größerer Abstand zu der bestehenden Bebauung entsteht und sich auch zwischen den Gebäuden teils recht breite Lücken und Durchblicke ergeben. Diesbezügliche Abwägungsfehler sind daher nicht ersichtlich.
2.2.3 Auch eine mögliche Verletzung des bei der Abwägung zu wahrenden Rücksichtnahmegebots – mithin der Verpflichtung der planenden Gemeinde, unzumutbare Beeinträchtigungen benachbarter Grundstücke zu vermeiden (vgl. BVerwG U.v. 24.9.1998 – 4 CN 2.98 – BVerwGE 107, 215 = juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 15 NE 16.2226 – juris Rn. 21) – scheidet von vornherein aus. Das Rücksichtnahmegebot ist aus tatsächlichen Gründen im Regelfall nicht wegen eines zu geringen Abstands von benachbarten Baukörpern zueinander verletzt, wenn die bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften eingehalten sind (BVerwG, B.v. 11.1.1999 – 4 B 128.98 – NVwZ 1999, 879 = juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 8.3.2013 – 15 NE 12.2637 – juris Rn. 21). Eine abwägungserhebliche Ausnahme hiervon ist weder substantiiert vorgetragen worden noch ergibt sich diese nach Aktenlage.
2.3 Der Bebauungsplan ist auch nicht wegen mangelnder Konfliktbewältigung unwirksam. Nach dem der Abwägung zuzurechnenden Gebot der planerischen Konfliktbewältigung muss jeder Bauleitplan die ihm zuzurechnenden Konflikte grundsätzlich bewältigen. Die Planung darf nicht dazu führen, dass Konflikte, die durch sie hervorgerufen werden, zu Lasten Betroffener letztlich ungelöst bleiben. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, denn die Antragsgegnerin hat den Verkehrslärm an den außerhalb des Plangebiets liegenden Grundstücken ordnungsgemäß ermittelt und abgewogen.
Mit der schalltechnischen Untersuchung vom 25. Juli 2018 wird nachvollziehbar dargelegt, dass an den Südfassaden des Anwesens der Antragstellerin und des Anwesens des Antragstellers im Parallelverfahren 15 N 20.417 durch die Bebauung im Plangebiet hinsichtlich des Straßenverkehrslärms durch Reflexionen eine Pegelerhöhung um bis zu 4 dB(A) erfolgt (Anlage 1.5 zur schalltechnischen Untersuchung) ohne dass dadurch die Immissionsgrenzwerte des § 2 der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) überschritten werden. Zugleich wurde ermittelt, dass die im Bebauungsplan festgesetzte Schallschutzwand zu einer Pegelreduzierung von bis 13 dB(A) des von dem Gesamtverkehr (Straße und Bahn) hervorgerufenen Verkehrslärms führt (Anlage 1.6 zur schalltechnischen Untersuchung). Die Antragsgegnerin hat diese Umstände abgewogen und dabei berücksichtigt, dass zwar die Südfassaden insbesondere der in zweiter Reihe zur G. Straße bestehenden Wohngebäude durch die Reflexionen von Straßenverkehrslärm beaufschlagt werden, aber sowohl die neuen Gebäude als auch die Lärmschutzwand eine wesentlich größere Reduzierung der Verkehrslärmpegel aus dem Bahnverkehr verursachen und damit ein ungelöster Immissionskonflikt nicht besteht. Dabei sind keine Abwägungsfehler zu erkennen.
Es kann daher offenbleiben, ob die durch Reflexion des Straßenverkehrslärms der G. Straße erhöhten Beurteilungspegel mit den durch die Schallschutzwand reduzierten Lärmpegeln des Schienenverkehrs saldiert werden können und damit schon nicht abwägungsrelevant sind (vgl. BayVGH B.v. 8.3.2013 – 15 NE 12.2637 – juris Rn. 28) oder ob es überhaupt abwägungsrelevant ist, wenn die reflektierende Wirkung neuer Gebäude(-fassaden) im Plangebiet eine Pegelerhöhung außerhalb des Plangebiets verursacht, da die Betroffenen sich vernünftigerweise darauf einstellen mussten, dass „so etwas geschieht“, und deshalb ihrem etwaigen Vertrauen in den Bestand oder Fortbestand etwa einer bestimmten Marktlage oder Verkehrslage die Schutzbedürftigkeit fehlt (BVerwG, B.v. 9.11.1979 – 4 N 1.78 – BayVBl 1980, 88) oder Verkehrslärmreflexionen aus dem allgemeinen Verkehr, der den Vorhaben im Planbereich nicht zugeordnet werden kann, grundsätzlich nicht abwägungserheblich sind (vgl. BayVGH, B.v. 6.6.2006 – 15 ZB 04.3123 – juris Rn. 7 f.; BayVGH, B.v. 31.7.2006 – 25 CS 06.1705 – juris Rn. 4).
3. Der Bebauungsplan leidet auch nicht an anderen offensichtlichen Fehlern, die zu seiner Unwirksamkeit führen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).


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