Baurecht

Beseitigung eines Wohngebäudes im Außenbereich

Aktenzeichen  1 ZB 20.2258

Datum:
8.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2802
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 76 S. 1
BauGB § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

1. § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB verlangt die Gleichartigkeit in jeder bodenrechtlich beachtlichen Beziehung, insbesondere in Bezug auf den Standort, das Bauvolumen, die Nutzung sowie die Funktion. Innerhalb dieser verschiedenen Richtungen liegt das Schwergewicht bei der Gleichartigkeit in der Funktion. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Gleichartigkeit i.S.d. § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB reicht es nicht aus, wenn das neu errichtete Gebäude nur in einer von zwei Funktionen mit dem vorherigen Gebäude übereinstimmt. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 18.1331, M 11 K 18.5288 2020-07-02 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 220.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin begehrt die nachträgliche Erteilung einer Baugenehmigung für ein Wohngebäude im Außenbereich auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung L …, das anstelle eines als Badehaus genehmigten Gebäudes, das bei einem Brand zerstört worden war, errichtet wurde. Mit Bescheid vom 26. Februar 2018 ordnete das Landratsamt die Beseitigung des Wohngebäudes an und lehnte mit Bescheid vom 27. September 2018 den Bauantrag der Klägerin für die „Nachlegalisierung eines Wohnhauses“ ab. Die dagegen erhobenen Klagen hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 2. Juli 2020 abgewiesen. Bei dem nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilenden Vorhaben komme eine Ausblendung der beeinträchtigten öffentlichen Belange nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen des Teilprivilegierungstatbestands nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB nicht vorlägen. Es fehle an der erforderlichen Gleichartigkeit des neu errichteten und des durch einen Brand zerstörten Gebäudes. Bei dem ursprünglich genehmigten Badehaus handle es sich nicht, auch nicht in einer Art „Doppelfunktion“, um ein genehmigtes Wohngebäude, da dies nach den vorliegenden Planunterlagen aus den Jahren 1959/1960 weder beantragt noch genehmigt worden sei. Die Annahme eines etwaigen Bestandsschutzes aufgrund einer unterstellten (Dauer-)Wohnnutzung des Gebäudes vor dem Brand komme nicht in Betracht, da die Aufnahme einer Dauerwohnnutzung im Außenbereich im maßgeblichen Zeitpunkt nicht genehmigungsfähig gewesen sei. Im Übrigen sei kein Nachweis der gesicherten Erschließung erbracht worden. Die Beseitigungsanordnung sei rechtmäßig.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004‚ 838). Das ist hier nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Beeinträchtigung der öffentlichen Belange des nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilenden sonstigen Vorhabens nicht über eine Teilprivilegierung nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB überwunden werden kann.
Die Ausführungen in der Zulassungsbegründung, das Verwaltungsgericht habe die „Doppelfunktion“ des „Badehauses“ zu Unrecht unter Bezugnahme auf die Kriterien des „städtebaulichen Begriffs des Wohnens“ bestritten, da der Ausgangsbescheid hierzu keinerlei Einschränkungen enthalte, sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils zu erwecken. Für die Annahme des Teilprivilegierungstatbestands nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB ist jedenfalls Voraussetzung, dass die erforderliche Gleichartigkeit des neu errichteten und des durch einen Brand zerstörten Gebäudes gegeben ist. Das Gesetz verlangt in § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB die Gleichartigkeit in jeder bodenrechtlich beachtlichen Beziehung, insbesondere in Bezug auf den Standort, das Bauvolumen, die Nutzung sowie die Funktion. Innerhalb dieser verschiedenen Richtungen liegt das Schwergewicht bei der Gleichartigkeit in der Funktion (vgl. BVerwG, U. 13.6.1980 – IV C 63.77 – BauR 1980, 553; U.v. 8.6.1979 – 4 C 23.77 – BVerwGE 58, 124). Ungeachtet dessen, dass dies nach den vorliegenden Unterlagen die im angefochtenen Urteil zum Ausdruck kommende Würdigung nahelegt, dass das 1959/1960 errichtete Gebäude als Badehaus und nicht auch als Wohnhaus genehmigt und damit seine Funktion, d.h. seine objektive Zweckbestimmung festgelegt wurde, muss diese Frage ebenso wenig entschieden werden wie die Frage, ob das ursprünglich errichtete Gebäude nur die Funktion eines Badehaus hatte oder ob nicht auch eine Wohnnutzung nach dem Zuschnitt des Gebäudes so sehr in der Natur der Sache lag, dass auch diese ein Teil der seinerzeit genehmigten Funktion des Gebäudes war. Denn auch mit dem Zugeständnis einer solchen „Doppelfunktion“ des genehmigten Gebäudes wäre der Klägerin nicht geholfen. Denn daraus ergäbe sich allenfalls, dass das neu errichtete (Wohn-)Gebäude in seiner Funktion mit einer der (beiden) Funktionen übereinstimmt, die auch das ursprüngliche Gebäude hatte. Das reicht für die vom Gesetz geforderte „Gleichartigkeit“ nicht aus (vgl. BVerwG, U. 13.6.1980 – IV C 63.77 – BauR 1980, 553). Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich nach der Rechtsprechung allenfalls dann, wenn innerhalb der – unterstellten – doppelten Funktion des vormaligen Badehauses seine Zweckbestimmung als Wohnhaus in beherrschender und die Situation prägender Weise im Vordergrund gestanden hätte und demgegenüber die Funktion (und nicht etwa nur die Nutzung) als Badehaus stark in den Hintergrund getreten wäre. Davon kann jedoch nicht die Rede sein. Wenn das ursprüngliche Badehaus überhaupt eine doppelte Funktion hatte, dann folgt aus dem Genehmigungsinhalt jedenfalls ein Vorrang der Funktion als Badehaus. Da das neue Gebäude diese Funktion nicht hat, sogar das zuletzt noch vorhandene Hallenbad in Wohnraum umgewandelt wurde, fehlt ihm die von § 35 Abs. 4 Satz 4 Nr. 3 BauGB verlangte „Gleichartigkeit“.
Es kommt daher weder auf die von der Klägerin aufgeworfene Frage eines etwaigen Bestandsschutzes (vgl. BVerwG, B.v. 9.9.2002 – 4 B 52.02 – BauR 2003, 1021; U.v. 25.3.1988 – 4 C 21.85 – BayVBl 1989, 218) für eine etwaige Wohnnutzung entscheidend an, noch liegt der behauptete Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen den Amtsermittlungsgrundsatz vor. Die von der Klägerin geltend gemachte Anhörung der benannten Zeugen zu den Fragen, ob sowohl im ursprünglichen Gebäude als auch im Ersatzbau jeweils Wohnräume vorhanden gewesen und genutzt worden seien sowie zu welchem Zeitpunkt eine Küchenzeile vorhanden gewesen sei, war nicht entscheidungserheblich. Ebenso kann offen bleiben, ob es sich bei den von der Klägerin durchgeführten Arbeiten an dem Gebäude (noch) um verfahrensfreie Instandhaltungsmaßnahmen gehandelt hat (vgl. BayVGH, B.v. 15.4.2019 – 1 CS 19.150 – juris Rn. 9; B.v. 16.5.2018 – 9 ZB 14.653 – juris Rn. 5 verneint für eine komplette Erneuerung des Dachs). Es bestand daher auch kein Anlass, eine Ortseinsicht durchzuführen.
Im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht weiter festgestellte bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit des beantragten Vorhabens aufgrund des fehlenden Nachweises der gesicherten Erschließung genügt der Vortrag in der Zulassungsbegründung nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Die Vorlage der Entwässerungsplanung für das 1960 genehmigte Vorhaben reicht dafür nicht aus.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen auch nicht, soweit das Verwaltungsgericht angenommen hat, die Beseitigungsanordnung sei im Hinblick auf die Ermessensausübung nicht zu beanstanden. Die Klägerin macht insoweit geltend, dass sonstige Gründe, wie z.B. die Kenntnis des rechtswidrigen Zustands durch die Behörde ohne Einschreiten über viele Jahre hinweg für die Rechtswidrigkeit der Baubeseitigung sprechen würden. Diese Behauptung, die auf eine Verwirkung der Beseitigungsbefugnis zielt, genügt – unabhängig davon, dass die Beseitigungsbefugnis nicht verwirkt werden kann (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand April 2019, Art. 76 Rn. 216) – bereits nicht dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Es ist weder dargelegt noch erkennbar, dass die Bauaufsichtsbehörde durch vorgegangenes positives Tun einen Vertrauenstatbestand zugunsten des Bauherrn geschaffen hätte.
Die Beseitigungsanordnung ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden könnten. Wie ausgeführt kann das Wohngebäude der Klägerin nicht nachträglich genehmigt werden, da es bereits an den Voraussetzungen einer Teilprivilegierung nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB fehlt. Hiervon ausgehend bestand weder für das Landratsamt noch für das Verwaltungsgericht Anlass, der Frage einer etwaigen Herstellbarkeit einer Kleinkläranlage weiter nachzugehen.
2. Zu dem weiter geltend gemachten Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) fehlen jegliche Ausführungen. Damit wurde er bereits nicht ausreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen‚ da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert hat (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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