Baurecht

Beseitigungsanordnung für Nebengebäude im Außenbereich

Aktenzeichen  1 ZB 18.936

Datum:
30.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2759
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 76
BauBG § 35 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 7
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 5 S. 2

 

Leitsatz

1. Bei einer zu befürchtenden städtebaulich zu missbilligende Verfestigung einer Splittersiedlung kommt es nicht darauf an, dass der betroffene Bereich bereits durch Bebauung geprägt war und die neu errichteten Gebäude dem ursprünglichen Altbestand entsprechen. Der Altbau kann bei der Prüfung der Belange nach § 35 Abs. 3 BauGB nicht als Vorbelastung eingestellt werden. (vgl. VGH München BeckRS 2018, 17185). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Frage, ob ein Vorhaben nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB planungsrechtlich unzulässig ist, reicht schon der Verstoß gegen einen der in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beispielhaft genannten öffentlichen Belange aus (vgl. BVerwG  BeckRS 1999 30425984). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nach dem vollständigen Abbruch eines Gebäude und der Neuerrichtung ohne Baugenehmigung liegt ein beim Erlass einer Beseitigungsverfügung zu berücksichtigender ermessensrelevanter Umstand im Sinn eines möglicherweise zu berücksichtigenden historischen Bestands nicht mehr vor. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 K 17.1428 2017-10-25 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger wendet sich gegen den Erlass einer Beseitigungsanordnung für zwei Nebengebäude auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung M… … Streitgegenstand sind die in dem in den Behördenakten befindlichen Lageplan als Gebäude „B“ (Garage und Entenstall) und „C“ (Voliere“) gekennzeichneten Nebengebäude. Bei einer Ortsbesichtigung im September 2005 wurde festgestellt, dass entgegen der mit Bescheid des Landratsamts vom 22. Mai 2005 gegenüber dem Rechtsvorgänger des Klägers erteilten Baugenehmigung für eine Nutzungsänderung der Nebengebäude in Garage mit landwirtschaftlichem Lager und Entenstall und zur Kükenaufzucht die bestehenden Gebäude abgebrochen und mit ähnlichen Maßen in Massivbauweise wiedererrichtet worden waren. Mit Bescheid vom 3. März 2017 schloss das Landratsamt das Beseitigungsverfahren ab. Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 25. Oktober 2017 abgewiesen. Das Gericht hat im Wesentlichen ausgeführt‚ dass die streitgegenständlichen Nebengebäude bauplanungsrechtlich nicht genehmigungs-fähig seien. Die nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilenden Vorhaben beeinträchtigten öffentliche Belange nach § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Die Beseitigungsanordnung sei verhältnismäßig. Die beiden neu gebauten Nebengebäude gehörten nicht zu einem historischen Bestand. Eine etwaige Absicht des Klägers, den nach seiner Meinung schon bestehenden landwirtschaftlichen Betrieb zu erweitern und der daraus folgende Wunsch, dass die beiden Nebengebäude derzeit nur in ihrer Nutzung untersagt oder geduldet werden sollten, führe nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit der Beseitigungsanordnung.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen‚ sind zu bejahen‚ wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG‚ B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011‚ 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG‚ B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004‚ 838). Das ist hier nicht der Fall.
Dass die von dem Rechtsvorgänger des Klägers neu errichteten Nebengebäude „B“ und „C“ angesichts ihrer Lage im Außenbereich und dem fehlenden Bezug zu einem landwirtschaftlichen Betrieb formell rechtswidrig und bauplanungsrechtlich unzulässig sind, weil öffentliche Belange beeinträchtigt werden (§ 35 Abs. 2 und 3 BauBG), steht nicht in Frage.
Soweit der Kläger eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange – insbesondere die zu befürchtende städtebaulich zu missbilligende Verfestigung einer Splittersiedlung im Sinn von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB durch die als sonstiges Vorhaben im Sinn von § 35 Abs. 2 BauGB anzusehenden neu errichteten Nebengebäude in Frage stellt, vermag er damit ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht zu begründen. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es nicht darauf an, dass der betroffene Bereich bereits durch Bebauung geprägt war und die neu errichteten Gebäude dem ursprünglichen Altbestand entsprechen. Denn der Altbau kann bei der Prüfung der Belange nach § 35 Abs. 3 BauGB nicht als Vorbelastung eingestellt werden. Der Kläger muss sich vielmehr so behandeln lassen, als wenn er an der vorgesehen Stelle erstmalig ein Gebäude errichten will (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.1980 – IV C 63.77 – BauR 1980, 553; BayVGH, U.v. 27.7.2018 – 15 B 17.1169 – juris Rn. 28; U.v. 7.3.2018 – 1 B 16.2375 – juris Rn. 18; U.v. 22.5.2014 – 1 B 14.196 – juris Rn. 26). Der Begriff der „Splittersiedlung“ ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinreichend geklärt, das Vorliegen einer Splittersiedlung ist nicht ernstlich zweifelhaft (vgl. BVerwG, B.v. 17.3.2015 – 4 B 45.14 – juris Rn. 6 m.w.N.). Der Kläger macht lediglich unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. April 2012 (4 C 10.11 – NVwZ 2012, 1631) geltend, dass es sich hier aufgrund einer seit geraumer Zeit bestehenden (legalen) Bebauung nicht um eine willkürliche oder regellose Bebauung handle und das Vorhaben sich daher in den Grenzen dieses Herkommens halte. Dass es sich bei der Streubebauung um eine herkömmliche Siedlungsform in der Gemeinde handelt (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.1976 – IV C 42.74 – BayVBl 1977, 21), legt der Beigeladene weder dar noch ist dies erkennbar.
Ebenso wenig ist zweifelhaft, dass die neu errichteten Nebengebäude zu einer Verfestigung der Splittersiedlung beitragen. Angesichts der vorhandenen Gebäude könnten Wünsche nach weiteren Umnutzungen und Ersatzbauten auf dem Grundstück aufkommen, für die ein Bezugsfall geschaffen würde. Damit steht auch zu befürchten, dass die Erweiterung einer Splittersiedlung droht und dadurch der Außenbereich (weiter) zersiedelt werden würde. Die dagegen von dem Kläger unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 24. April 2017 (Az. 15 ZB 16.1598) vorgetragenen Einwände vermögen daran nichts zu ändern, zumal in dem zu entscheidenden Fall (bereits) die Ausweitung einer ausgeübten Nutzung durch ein überdachtes Holzlager der Einstufung als Verfestigung der Splittersiedlung nicht entgegenstand.
Da bei der Frage, ob ein Vorhaben nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB planungsrechtlich unzulässig ist, schon der Verstoß gegen einen der in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beispielhaft genannten öffentlichen Belange ausreicht (vgl. BVerwG, B.v. 8.11.1999 – 4 B 85.99 – BauR 2000, 1171), kommt es nicht darauf an, ob das Vorhaben auch noch im Widerspruch zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB) steht bzw. die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigt (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB).
Die Richtigkeit des angegriffenen Urteils kann schließlich auch nicht dadurch in Zweifel gezogen werden, dass das Verwaltungsgericht einen Ermessensfehler des Landratsamts verneint hat. Bei einer Beseitigungsverfügung genügt es regelmäßig, dass die Behörde zum Ausdruck bringt, der beanstandete Zustand müsse wegen seiner Rechtswidrigkeit beseitigt werden. Nur bei konkreten Anhaltspunkten für die Angemessenheit einer Ausnahme ist eine Abwägung erforderlich (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.1996 – 4 C 22.94 – BVerwGE 101, 58; B.v. 28.8.1980 – 4 B 67.80 – juris Rn. 6).
Soweit der Kläger in der Zulassungsbegründung ohne nähere Darlegung behauptet, dass die beiden neu gebauten Nebengebäude, die gleichartige Ersatzbauten der ursprünglichen Gebäude darstellten, auch als etwaiger historischer Bestand auf dem vor vielen Jahrzehnten als Sägewerk genutzten Anwesen zu berücksichtigen seien, übersieht er, dass aufgrund des vollständigen Abbruchs der Gebäude und deren Neuerrichtung ohne Baugenehmigung durch den Rechtsvorgänger des Klägers ein ermessensrelevanter Umstand im Sinn eines möglicherweise zu berücksichtigenden historischen Bestands nicht mehr vorliegt.
Die Anordnung der Beseitigung der Nebengebäude ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Dementsprechend muss die Bauaufsichtsbehörde eine Beseitigungsanordnung bis zu deren Vollzug unter Kontrolle halten und gegebenenfalls bei einer Änderung der Sach- und Rechtslage, die zur Genehmigungsfähigkeit führt, die Beseitigungsanordnung aufheben. In diesem Fall wäre es bei einer rechtmäßig erlassenen Beseitigungsanordnung nämlich sinnwidrig, müsste der Bauherr die bauliche Anlage abreißen, deren Wiedererrichtung ihm sogleich nach dem Abriss gestattet werden müsste (vgl. BVerwG, U.v. 6.12.1985 – 4 C 23.83 – BauR 1986, 195 unter Hinweis auf das Urteil vom 14.11.1957 – 1 C 168.56 – BVerwGE 5, 351). Einen Anspruch auf Aufhebung einer solchen Anordnung hat der Betroffene erst dann, wenn sich die Sach- und Rechtslage tatsächlich mit dem Ergebnis geändert hat, dass das Vorhaben rechtmäßig geworden ist. Darüber hinaus ist die Baugenehmigungsbehörde nicht verpflichtet, denkbare Möglichkeiten der Abhilfe zu untersuchen (vgl. BayVGH, B.v. 27.9.2006 – 1 ZB 06.61 – juris Rn. 24).
Gemessen an diesen Maßstäben können die Nebengebäude des Klägers derzeit nicht nachträglich genehmigt werden. Die bloße Möglichkeit einer späteren Genehmigung aufgrund der vagen Aussicht auf einen künftig privilegierten Betrieb des Klägers gebietet nicht die Aufhebung der Beseitigungsanordnung.
2. Der behauptete Zulassungsgrund besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nicht vor, da die entscheidungserheblichen Fragen von der Rechtsprechung geklärt sind.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen‚ da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben