Baurecht

Darlegungsgebot bei Antrag auf Zulassung der Berufung (hier: Baugenehmigung für planabweichend errichtetes Wochenendhaus)

Aktenzeichen  9 ZB 13.1905

Datum:
2.6.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 47791
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2
VwGO § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2

 

Leitsatz

1. Die pauschale Bezugnahme auf Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren genügt nicht dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 S. 4 und Abs. 5 S. 2 VwGO. Das Gebot der Darlegung erfordert eine substanzielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrunds. Der Inhalt in Bezug genommener Schriftstücke aus dem erstinstanzlichen Verfahren kann die zu fordernde substanziierte Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils nicht enthalten. (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Zulassungsverfahren findet grundsätzlich weder eine Prüfung von Amts wegen noch eine Beweiserhebung statt, soweit sie nur die Hauptsache betrifft. Im Zulassungsverfahren kann in tatsächlicher Hinsicht nur geklärt werden, ob die geltend gemachten Zulassungsgründe bestehen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

4 K 13.44 2013-07-16 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I. Der Kläger begehrt die nachträgliche bauaufsichtliche Genehmigung seines von der Baugenehmigung vom 22. Mai 1996 i. d. F. vom 3. Januar 1997 planabweichend errichteten Wochenendhauses. Das Landratsamt Miltenberg lehnte den Bauantrag des Klägers mit Bescheid vom 2. Dezember 2004 ab, weil das ausgeführte Vorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplans „Wochenendhausgebiet O.“ in mehrfacher Hinsicht widerspreche und auch keine Befreiung von den Festsetzungen erteilt werden könne. Die Regierung von Unterfranken wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 2012 zurück. Das Verwaltungsgericht Würzburg wies die Klage mit Urteil vom 16. Juli 2013 in der Sache ab. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel des Klägers.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor
1. Der Kläger beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
a) Die pauschale Bezugnahme des Klägers auf seine Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren, insbesondere auf die Schriftsätze vom 14. Januar 2013, 11. März 2013 und 21. März 2013, die er zum Gegenstand seines Vortrags im Zulassungsverfahren erhebt, genügt nicht dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO. Das Gebot der Darlegung erfordert eine substanzielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrunds (vgl. Happ in Eyermann, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 59, 63 m. w. N.). Der Inhalt in Bezug genommener Schriftstücke aus dem erstinstanzlichen Verfahren kann die zu fordernde substanziierte Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils nicht enthalten.
b) Das Zulassungsvorbringen zur eingewandten Unwirksamkeit des Bebauungsplans führt nicht zur Zulassung der Berufung.
aa) Der Vortrag, entgegen den Feststellungen des Verwaltungsgerichts sei tatsächlich die Hälfte der im Bebauungsplangebiet liegenden Grundstücke dauerhaft bewohnt, genügt nicht dem Darlegungsgebot (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO). Die Kritik an der Beweiswürdigung des Gerichts muss deutlich machen, aus welchen Gründen sie für unzutreffend gehalten wird, also etwa gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufzeigen (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 67 m. w. N.). Daran fehlt es. Das Verwaltungsgericht hat unter Hinweis auf die Feststellungen der Widerspruchsbehörde, den von Klägerseite vorgelegten Fotografien und seiner beim Ortstermin gewonnenen Erkenntnisse ausgeführt, dass von 33 Gebäuden im Plangebiet lediglich neun zu Dauerwohnzwecken genutzt werden. Mit seiner Behauptung, tatsächlich sei die Hälfte dauerhaft bewohnt, stellt der Kläger den Feststellungen des Verwaltungsgerichts lediglich eine abweichende Sachverhaltsbewertung entgegen. Dies genügt nicht, um die Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts infrage zu stellen. Auch der mit der Antragsbegründung gestellte Beweisantrag, den Bürgermeister der Beigeladenen als Zeugen zu vernehmen, ersetzt einen substanziellen Vortrag nicht (Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2015, § 124a Rn. 100 m. w. N.).
bb) Aus dem weiteren Vorbringen des Klägers zur Entstehungsgeschichte des Bebauungsplans, insbesondere über die seiner Ansicht nach maßgeblichen Hintergründe des Bebauungsplans, die vermeintlichen Absichten der Plangeberin, die mutmaßlichen Annahmen aller Beteiligten und die angebliche Nichtbeachtung des Bebauungsplans lässt sich kein Anhalt dafür gewinnen, dass der Bebauungsplan unwirksam wäre. Insbesondere steht ausweislich der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans fest, dass die beigeladene Gemeinde ein Wochenendhausgebiet festgesetzt hat. Dass sie dies auch wollte, ist nicht zweifelhaft (vgl. hierzu bereits die von Seiten des Klägers vorgelegte Niederschrift über „Bürgeranhörung zum Bebauungsplanaufstellungsverfahren Wochenendgebiet O.“ am 25. September 1998). Der weitergehende Vortrag im Schriftsatz vom 31. Januar 2014, der Bebauungsplan sei unwirksam, weil die beigeladene Gemeinde von Anfang an lediglich beabsichtigt habe, „das dortige Gebiet, das bereits teilweise bebaut war, weiterhin bebauen zu können“, ist verfehlt. Aufgabe der Bauleitplanung ist es gerade, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde nach Maßgabe des Baugesetzbuchs vorzubereiten und zu leiten (§ 1 Abs. 1 BauGB).
Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung aufgezeigt, unter welchen Voraussetzungen eine bauplanerische Festsetzung oder der gesamte Bebauungsplan außer Kraft treten kann und ausgeführt, dass weder die Verwirklichung des Bebauungsplans im Ganzen noch in Bezug auf die hier relevanten Festsetzungen über Firsthöhe, Sockelhöhe, Dachliegefenster und Fassadengestaltung – von denen das Vorhaben des Klägers abweicht – aufgrund grundlegender und dauerhafter Entwicklungen der tatsächlichen Verhältnisse unmöglich geworden wäre oder die Festsetzungen ihre Steuerungsfähigkeit in Bezug auf die städtebauliche Entwicklung verloren hätten. Hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht substanziiert auseinander.
Ob es zutrifft, dass im Rahmen der Bürgeranhörung zum Bebauungsplanaufstellungsverfahren vom 25. September 1998 von der Gemeinde erklärt worden sei, die „bisherigen An- und Umbauten, die gegebenenfalls auch als sogenannte ‚Schwarzbauten‘ entstanden seien, würden im Wege der Duldung akzeptiert“, kann ebenso dahinstehen wie das Vorbringen zum drohenden Rückbau des klägerischen Gebäudes oder der Vortrag, auch andere Gebäude würden den Festsetzungen des Bebauungsplans widersprechen. Streitgegenständlich ist nicht der Rückbau des planabweichend errichteten Gebäudes, sondern der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf bauaufsichtliche Genehmigung. Ob diese erteilt werden kann, bemisst sich nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht bzw. im Zulassungsverfahren nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über den Zulassungsantrag, hier also unter Beachtung des am 18. April 2001 in Kraft getretenen Bebauungsplans (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, § 30 Abs. 1 BauGB; vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 113 Rn. 53 m. w. N.; Happ in Eyermann, a. a. O. § 124a Rn. 81 m. w. N.).
c) Das Vorbringen, gegenüber den benachbarten Grundstücken weise das Grundstück des Klägers ein Gefälle auf, weshalb die Auffassung des Verwaltungsgerichts, eine besondere Härte liege nicht vor, ungerechtfertigt sei, führt nicht zur Zulassung der Berufung.
Das Verwaltungsgericht hat zwar „im Übrigen“ ausgeführt, dass keine Befreiungsgründe i. S. v. § 31 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BauGB vorliegen. Entscheidungstragend stellt das Verwaltungsgericht aber darauf ab, dass die für eine Genehmigung des klägerischen Vorhabens erforderlichen Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil durch sie die Grundzüge der Planung berührt würden. Hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander. Ob Befreiungsgründe vorliegen, wie die im Zulassungsverfahren geltend gemachte „offenbar nicht beabsichtigte Härte“ (§ 31 Abs. 2 Nr. 3 BauGB), ist demnach ohne Belang (vgl. BVerwG, B. v. 24.9.2009 – 4 B 29/09 – juris Rn. 5 m. w. N.).
2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Hierzu hätte der Kläger darlegen müssen, dass die Beantwortung der für die Entscheidung erheblichen Fragen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereitet, sich also der Rechtsstreit wegen seiner Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt. Dies lässt sich der Antragsbegründung nicht entnehmen.
3. Die mit der Antragsbegründung ausdrücklich beantragte Durchführung eines Ortstermins durch den Senat, damit dieser sich ein eigenes Bild von der Örtlichkeit verschaffe, kommt nicht in Betracht. Aus dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO folgt die Beschränkung der berufungsgerichtlichen Prüfung auf die Darlegungen des Rechtsmittelführers, dem es obliegt, das Vorliegen des geltend gemachten Zulassungsgrundes substanziiert zu begründen. Es findet deshalb im Zulassungsverfahren grundsätzlich weder eine Prüfung von Amts wegen statt noch eine Beweiserhebung, soweit sie – wie hier – nur die Hauptsache betrifft. Im Zulassungsverfahren kann in tatsächlicher Hinsicht nur geklärt werden, ob die geltend gemachten Zulassungsgründe bestehen (vgl. NdsOVG, B. v. 31.7.2009 – 7 LA 79/08 – juris Rn. 16, OVG NW, B. v. 6.3.2008 – 12 A 595/08 – juris Rn. 8 f. m. w. N.; BayVGH, B. v. 19.11.2001 – 12 ZB 01.2633 – juris Rn. 5 m. w. N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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