Baurecht

Doppelhaus

Aktenzeichen  M 9 SN 20.1396

Datum:
26.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14811
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauNVO § 12, § 22 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 5, § 113 Abs. 1 S. 1
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, § 212a Abs. 1

 

Leitsatz

Grundsätzlich hat die Nachbarschaft wegen der generellen Zulässigkeit von Stellplätzen und Garagen in Wohngebieten (§ 12 Abs. 2 BauNVO)die von der im Zusammenhang mit einer zulässigen Wohnbebauung stehende Nutzung von Stellplätzen und Garagen ausgehenden Immissionen im Regelfall hinzunehmen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller als Gesamtschuldner haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3.750 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich mit ihrem Antrag auf Eilrechtsschutz gegen eine für das Nachgrundstück erteilte Baugenehmigung (Abriss eines Hotels und einer Doppelhaushälfte und Neubau eines Einfamilienhauses, eines Doppelhauses, eines Zweifamilienhauses und einer Doppelhaushälfte mit zwei Wohneinheiten)
Die Baugenehmigung bezieht sich auf die Grundstücke FlNr. 260, 257 der Gemarkung U (i.F. Vorhabengrundstück). Die Antragsteller sind Eigentümer des südlich vom Vorhabengrundstück gelegenen Grundstück FlNr. 257/1 der Gemarkung U. Das Grundstück FlNr. 257 und FlNr. 257/1 der Gemarkung sind mit einem Doppelhaus bebaut.
Mit Bauantrag vom 30. Oktober 2018 beantragte der Beigeladene die streitgegenständliche Baugenehmigung. Das Vorhaben sieht den Abriss der Doppelhaushälfte vor, deren andere Hälfte im Eigentum der Antragsteller steht. Der neue Anbau an die Doppelhaushälfte der Antragsteller sieht zwei Wohneinheiten vor, die Firsthöhe ist ca. 77 cm höher als die Bestandsdoppelhaushälfte. Der Anbau schließt bündig an die Bestandsdoppelhaushälfte an und hat dort eine Breite von 8,90 m. Mit einer Entfernung von 6m verbreitert sich das geplante Gebäude auf eine Breite von 15,60 m. Die Erschließung aller Gebäude des Vorhabens erfolgt über einen ca. 4 m breiten Stichweg auf der FlNr. 257 der Gemarkung U. Dieser führt von der K.-Str. ausgehend westlich am Grundstück der Antragsteller vorbei.
Mit Bescheid vom 27. August 2019 wurde die streitgegenständliche Baugenehmigung erteilt.
Die Antragsteller haben mit Schriftsatz vom 10. September 2019 Klage gegen die Baugenehmigung erhoben und beantragen mit weiteren Schriftsätzen vom 28. März 2020 und 25. Juni 2020:
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 10. September 2019, Az. M 9 K 19.4646 gegen die Baugenehmigung des Landratsamts München vom 27. August 2019 wird angeordnet und für den Zeitraum bis zur gerichtlichen Entscheidung über den Eilantrag die Bauarbeiten auf dem Vorhabengrundstück mit einem sog. Hängebeschluss vorläufig eingestellt werden.
Der durch das Vorhaben verursachte Fahrzeugverkehr bzw. mit diesem verbundene Auswirkungen auf das Nachbargrundstück seien rücksichtlos. Der vom Vorhaben bewirkte Verkehr erfolge unmittelbar westlich vom Grundstück der Antragsteller. Bisher sei der Zufahrtsbereich nicht als solcher genutzt wurden. Außerdem beabsichtige der Beigeladene an das Doppelhaus zwei weitere Doppelhaushälften anzubauen. Es entstehe ein Gebäudekomplex aus drei Reihenhäusern. Vorliegend sei der ungeplante Innenbereich in offener Bauweise bebaut, weil dort nur Einzelhäuser, Doppelhäuser und Hausgruppen i.S.d. § 22 Abs. 2 BauNVO den Rahmen bilden. Das aus dem Einfügen nach § 34 Abs. 1 BauGB folgende Gebot der Rücksichtnahme sei verletzt, da das grenzständig errichtete Gebäude mit dem verbliebenen Gebäudeteil kein Doppelhaus bilde. Die Antragsteller als Nachbarn hätten deswegen ein Abwehrrecht. Nach der Mitteilung des Beigeladenen würden am 29. Juni 2020 die Abrissarbeiten beginnen, sodass ein Hängebeschluss notwendig sei, um effektiven vorläufigen Rechtsschutz zu gewährleisten.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Das Bauvorhaben sei nach § 30 Abs. 3 BauGB i.V.m. §§ 34, 31 Abs. 2 BauGB planungsrechtlich zulässig. Der einfache Bebauungsplan Nr.23 B 20 vom 25.2.1920 der Gemeinde N. setze eine Baugrenze in einem Abstand von 5 m zur Straßenbegrenzungslinie fest. Diese werde vom Parklifter nicht eingehalten. Die Voraussetzungen für die erteilte Befreiung sei aber nach § 31 Abs. 2 BauGB gegeben. Auswirkungen auf die Antragsteller würden nicht hervorgerufen. Das Vorhaben füge sich hinsichtlich Art und Maß der baulichen Nutzung ein und sei gegenüber den Antragstellern nicht rücksichtslos. Aufgrund der generellen Zulässigkeit von Garagen und Stellplätzen in Wohngebieten seien damit verbundene Immissionen im Regelfall zuzumuten. Besonderheiten für eine Unzumutbarkeit seien vorliegend nicht erkennbar. Das an das Gebäude der Antragsteller angebaute Wohngebäude sei wechselseitig verträglich und abgestimmt angebaut. Ein deckungsgleiches Anschließen an das Gebäude sei nicht notwendig. Auch Doppelhäuser können zueinander versetzt oder gestaffelt gebaut werden. Der optische Eindruck eines Doppelhauses werde gewahrt.
Der beigeladene beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Das Vorhaben verstoße nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Insbesondere seien die Anforderungen der „Doppelhaus-Rechtsprechung“ gewahrt. Es sei zweifelhaft, ob der ungeplante Innenbereich in offener Bauweise geplant sei. Es lege vielmehr eine Gemengelage vor. In einer Gemengelage sei die Rechtsprechung zu Doppelhäusern nicht anwendbar. Jedenfalls gehe der Doppelhauscharakter vorliegend nicht verloren. Die nähere Umgebung eröffne eine Gestaltungsfreiheit. Die Vorsprünge lediglich im nördlichen Bereich des Gebäudes seien deswegen von den Antragstellern hinzunehmen. Eine Unzumutbarkeit des Zufahrtsverkehrs sei nicht erkennbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten im Klageund Eilverfahren und auf die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die Anträge sind zulässig aber unbegründet. Der Antrag auf Erlass eines Hängebeschlusses ist aufgrund der Entscheidung über den Eilantrag gegenstandslos. Im Übrigen ist nicht erkennbar oder vorgetragen, dass unmittelbar aus dem Abriss, welcher 29. Juni 2020 beginnen soll, eine Verletzung in Nachbarrechten droht.
Nach § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB ganz oder teilweise anordnen. Es trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung dahingehend, ob das öffentliche und das private Vollzugsinteresse der Bauherrin oder das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt. Die vorzunehmende Interessenabwägung orientiert sich maßgeblich an den summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs.
Die Drittanfechtungsklage wird voraussichtlich erfolglos bleiben. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt die Antragsteller nach summarischer Prüfung nicht in subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen eine Baugenehmigung kann nur dann Erfolg haben, wenn die Baugenehmigung Vorschriften verletzt, die dem Schutz des Dritten zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im vorliegenden gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung beschränkt sich vielmehr darauf, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln und die im Baugenehmigungsverfahren prüfungsgegenständlich sind, verletzt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris; VG München, B.v. 7.9.2016 – M 1 SN 16.3556 – juris).
1. Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme aufgrund des Fahrzeugverkehrs westlich vom Grundstück der Antragsteller ist nicht ersichtlich. zunächst festzuhalten, dass wegen der generellen Zulässigkeit von Stellplätzen und Garagen in Wohngebieten (§ 12 Abs. 2 BauNVO) die Nachbarschaft die von der im Zusammenhang mit einer zulässigen Wohnbebauung stehende Nutzung von Stellplätzen und Garagen ausgehenden Immissionen im Regelfall hinnehmen muss (BVerwG B.v. 20.3.2003 – 4 B 59/02 – juris Rn. 7; BayVGH B.v. 9.9.2009 – 2 CS 09.1977 – juris Rn. 2).
Ausnahmsweise können es besondere Umstände des Einzelfalls wegen der besonderen örtlichen Verhältnisse erforderlich machen, die Beeinträchtigung der Nachbarschaft auf das ihr entsprechend der Eigenart des Gebiets zumutbare Maß zu mindern. Hierfür kommen beispielsweise die bauliche Gestaltung der Stellplätze und ihrer Zufahrt, eine Anordnung, die eine Massierung vermeidet, der Verzicht von Stellplätzen zu Gunsten einer Tiefgarage oder Lärmschutzmaßnahmen an einer Grundstücksgrenze in Betracht (BVerwG B.v. 20.3.2003 – 4 B 59/02 – juris Rn. 7). Hierzu ist aber bereits nichts vorgetragen. Der Stichweg der auf einer Länge von ca. 22 m am Grundstück der Antragsteller vorbei zu den 14 Stellplätzen des Vorhabens führt, ist kein ausreichender Umstand des Einzelfalls. Außerdem sind die geplanten unterirdischen Stellplätze besonders geeignet die nachbarlichen Interessen zu schützen.
2. Die Antragsteller können nicht mit Erfolg geltend machen, dass das Gesamtgebäude durch den genehmigten Abriss und Neubau den Doppelhauscharakter verlieren würde und die Baugenehmigung deshalb rücksichtlos wäre. Den rechtlichen Ansatzpunkt für Nachbarschutz bei Doppelhäusern bildet nach der Rechtsprechung das im Einfügungsgebot des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB enthaltene Rücksichtnahmegebot. Ist ein unbeplanter Innenbereich in offener Bauweise bebaut, weil dort nur Einzelhäuser, Doppelhäuser und Hausgruppen im Sinn von § 22 Abs. 2 BauNVO den maßgeblichen Rahmen bilden, fügt sich ein grenzständiges Vorhaben im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB grundsätzlich nicht nach der Bauweise ein, wenn es unter Beseitigung eines bestehenden Doppelhauses grenzständig errichtet wird, ohne mit dem verbleibenden Gebäudeteil ein Doppelhaus zu bilden. (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 4 C 12.14 – BauR 2015, 1309; U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290). Ein Doppelhaus im Sinn von § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO ist anzunehmen, wenn zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden und beide Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 4 B 65.14 – ZfBR 2015, 702; U.v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 – BVerwGE 110, 355). Ob dies der Fall ist, lässt sich weder abstrakt-generell noch mathematisch-prozentual bestimmen. Es bedarf einer Würdigung des Einzelfalls unter Betrachtung quantitativer und qualitativer Gesichtspunkte.
Vorliegend kann offenbleiben, ob die nähere Umgebung in offener Bauweise bebaut ist, da weiterhin ein Doppelhaus i.S.d. § 22 Abs. 2 Satz1 BauNVO anzunehmen ist. Nach den genehmigten Bauvorlagen schließt die entstehende neue Doppelhaushälfte bündig an die Bestandsdoppelhauhälfte an. Die Firsthöhe des Neubaus ist nur minimal höher, sodass der optische Eindruck von Westen und Osten im Wesentlichen dem eines Doppelhauses entspricht. Die Vorsprünge des Neubaus im Norden sind nicht so wesentlich, dass keine wechselseitige und verträgliche Anbauweise vorliegt. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Vorsprung nach Westen nach den Bauvorlagen zumindest Ähnlichkeiten mit einem Wintergarten hat. Ein solcher Anbau ist aber weniger geeignet den Charakter eines Doppelhauses zu beeinträchtigen. Die neue Doppelhaushälfte ist nicht wesentlich größer als die Bestandshälfte. Dies entspricht ebenfalls einem Doppelhaus. Nur deshalb, weil in der neuen Doppelhaushälfte zwei getrennte Wohneinheiten entstehen, entsteht kein Dreispanner. Es bleibt bei einem Doppelhaus.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Der Beigeladene hat beantragt den Antrag abzulehnen und sich damit in ein Kostenrisiko begeben. Es entspricht der Billigkeit seine außergerichtlichen Kosten den Antragstellern aufzuerlegen. Die Streitwertfestsetzung fußt auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog.


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