Baurecht

Drittschützende Wirkung von Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche

Aktenzeichen  AN 3 S 17.00035

Datum:
31.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 101825
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Art. 6 BayBO
§ 23 BauNVO
§ 31 Abs. 2 BauGB

 

Leitsatz

Wenn den zeichnerischen Festsetzungen des Bebauungsplans entnommen werden kann, dass die Wohngebäude entlang des Straßenverlaufs als Blockrandbebauung vorgesehen sind, woraus im Innenbereich des Gevierts ein grundsätzlich von Bebauung freizuhaltender Bereich entsteht, scheidet eine drittschützende Wirkung der Festsetzung von Baugrenzen aus, wenn aus den vorliegenden Unterlagen kein Planungswille der Gemeinde erkennbar ist, mit den Baugrenzenfestsetzungen zu Gunsten der jeweiligen Grundstückseigentümer einen Ruhe- oder Erholungsbereich zu schaffen, der eine schützenswerte Rechtsposition und damit einen Abwehranspruch gegen Bauvorhaben außerhalb dieser Baugrenzen vermitteln könnte. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. … der Gemarkung …
Mit Antrag vom 16. Mai 2016 begehrte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung unter Befreiung von den Baugrenzenfestsetzungen für den Bau eines Zweifamilienhauses mit Garage und zwei Außenstellplätzen auf den Grundstücken …, … (Zufahrt) und … der Gemarkung … nördlich des Grundstücks der Antragsteller.
Die genannten Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … der Beklagten vom 4. Juli 1966. Das streitgegenständliche Bauvorhaben liegt vollständig außerhalb der festgesetzten Baugrenzen.
In der Begründung zur Änderung des Bebauungsplans Nr. … vom 1. September 1971 ist ausgeführt, dass die Art der baulichen Nutzung dem Charakter der bestehenden Gartenwohnsiedlung entsprechend als reines Wohngebiet festgesetzt worden sei.
Nachdem die Antragssteller ihre Unterschrift zum Baugenehmigungsantrag der Beigeladenen verweigerten, ließen sie durch ihren Bevollmächtigten mit Schreiben vom 6. September 2016 vortragen, die beabsichtigte Baugenehmigung verletze die Antragsteller in nachbarschützenden Rechten, da der Plangeber mit der Festsetzung der Baugrenzen in dem zur Straße ausgerichteten Grundstücksteil zu erkennen gegeben habe, dass der rückwärtige Grundstücksbereich von Bebauung und von Zufahrtsverkehr freizuhalten sei und den rückwärtigen Grundstücksbereichen damit Erholungsfunktion zukomme. Die in den betroffenen Straßengevierten (* … Straße, … Straße, …straße; … Straße, … Straße, …straße,; … Straße, … Straße, … Straße) liegenden Grundstücke stünden in einem wechselseitigen Austauschverhältnis, welches zur Schaffung eines Ruhebereiches führe. Zur Begründung der Rechtsauffassung verwies er auf Entscheidungen des BayVGH, des VGH Baden- Württemberg, des VG Freiburg und auf eine Entscheidung des VG Ansbach vom 12. März 2008, AN 3 K 07.01845 zur Frage der Ablehnung eines Vorbescheidsantrages wegen des städtebaulichen Ziels der Schaffung rückwärtiger Ruhebereiche. Auf das Schreiben wird Bezug genommen.
In einer Stellungsnahem des Stadtplanungsamtes der Antragsgegnerin vom 16. September 2016 wird die Auffassung vertreten, da die Begründung zum Bebauungsplan keinen Hinweis auf eine nachbarschützende Funktion der Baugrenzen enthalte, bestehe keine nahbarschützende Wirkung.
Grundlage für den im Bebauungsplan freigehaltenen Bereich sei nicht die Schaffung einer Ruhezone gewesen, vielmehr habe dieser Bereich nach dem Prinzip der „Reichsheimstätten“ dem Anbau von Obst und Gemüse zur Selbstversorgung dienen sollen.
In jüngerer Zeit seien außerdem auf den Grundstücken Fl.Nr. … und … freistehende Einzelhäuser im inneren Bereich des Bebauungsplans außerhalb der Baugrenzen genehmigt worden. Bei der damaligen städtebaulichen Zustimmung sei davon ausgegangen worden, dass den Baugrenzen keine nachbarschützende Funktion zukomme, da auch schon durch die Altbebauung die Baugrenzen häufig überschritten worden seien, und dass die Nachverdichtung einem schonenden Umgang mit Grund und Bode diene.
Mit Bescheid vom 9. Dezember 2016, an die Antragsteller am selben Tag zur Post gegeben, erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung unter Erteilung einer Befreiung vom Bebauungsplan Nr. … Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf die Stellungnahme des Stadtplanungsamtes vom 16. September 2016 Bezug genommen.
Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 9. Januar 2016 ließen die Antragsteller Klage gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung erheben (AN 3 K 17.00036). Gleichzeitig beantragten sie gemäß § 80 a Abs. 3 VwGO, die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.
Zur Begründung wird ergänzend zu dem Vorbringen im behördlichen Verfahren ausgeführt, weder aus dem Planteil noch aus dem Textteil des Bebauungsplans ergebe sich, dass die Festsetzung der Baugrenzen ausschließlich aus städtebaulichen Gründen erfolgt sei. Aus dem ursprünglichen Bebauungsplan ergebe sich vielmehr ein Ausschluss von Nebenanlagen nach § 14 BauNVO, welcher erst durch Stadtratsbeschluss vom 23. Dezember 1974 aufgehoben worden sei. Die Festsetzung der Baugrenzen hinsichtlich der hinteren und seitlichen Baugrenzen, insbesondere soweit sie rückwärtige Ruhezonen abgrenzten, sei nachbarschützend. Abzustellen sei für die Beurteilung des Nachbarschutzes im Rahmen der Festsetzungen zu § 23 BauNVO, ob die Baugrenzen nach dem Gemeindewillen ausschließlich aus städtebaulichen Gründen festgesetzt worden seien oder zumindest auch einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen sollten. Anders als straßenseitige Baugrenzen hätten rückwärtige Baugrenzen an sich gegenüberliegenden Grundstücken sowie an rückseitig angrenzenden Grundstücken regelmäßig nachbarschützende Wirkung. Diese Regel greife nur dann nicht, wenn sich aus dem Bebauungsplan bzw. den dazugehörenden Unterlagen entnehmen lasse, dass über die verfolgten städtebaulichen Gesichtspunkte hinaus gerade keine Rechte der Nachbarn geschützt werden sollten.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin stehe die Absicht einer gärtnerischen Nutzung zur Selbstversorgung der Annahme eines rückwärtigen Ruhebereiches nicht entgegen. Auch die auf den Fl.Nrn. … und … erfolgte Bebauung führe nicht dazu, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans funktionslos geworden seien. Denn ohne die Realisierung des streitgegenständlichen Vorhabens sei eine erhebliche wechselseitig von Bebauung freie Fläche noch vorhanden. Es sei nicht zutreffend, dass bei der Erteilung der Zustimmung zu diesen Bauvorhaben davon habe ausgegangen werden können, dass die Baugrenzen häufig durch Bestandsbauten überschritten worden seien. Dies sei eine pauschale Behauptung der Antragsgegnerin. Vielmehr führe die Realisierung des Bauvorhabens zu einer Versiegelung freier Flächen und nicht zu einem sparsamen Umgang mit Grund und Boden. Lieber solle das Grundstück Fl.Nr. … neu bebaut werden. Auf diesem stehe ein seit 20 Jahren unbewohnbares Haus.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Baugenehmigungsbescheid der Antragsgegnerin vom 9. Dezember 2016 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie macht geltend, den Festsetzungen des Bebauungsplans und seiner Begründung sei nicht zu entnehmen, dass die Festsetzung der seitlichen und rückwärtigen Baugrenzen aus Gründen des Nachbarschutzes erfolgt sei. Die Grundlage für den im Plangebiet freigehaltenen Bereich sei nicht die Schaffung einer Ruhezone gewesen. Vielmehr sei beabsichtigt gewesen, nach dem Prinzip der „Reichsheimstätten“ Bereiche zu schaffen, die dem Anbau von Obst und Gemüse zur Selbstversorgung dienen sollten. Die Erteilung der Befreiung sei unter Würdigung nachbarlicher Interessen erfolgt. Das verfahrensgegenständliche Bauvorhaben überschreite die seitliche Baugrenze (selbst bei gedachter Verlängerung) gegenüber den Antragstellern nicht. Auch seien die Antragsteller von der Überschreitung der rückwärtigen Baugrenze nicht betroffen. Die Abstandsflächen würden eingehalten.
Die Beigeladene hat bislang keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten insbesondere auf den Bebauungsplan Nr. … der Antragsgegnerin vom 9. September 1966 mit Änderungen Bezug genommen.
II.
Streitgegenstand der vorliegenden Anträge ist die Beseitigung der sofortigen Vollziehbarkeit der der Beigeladenen mit Bescheid vom 9. Dezember 2016 erteilten Baugenehmigung.
In Fällen, in denen die gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO dem Grundsatz nach gegebene auf-schiebende Wirkung der Anfechtungsklage wie vorliegend durch ein Bundesgesetz ausge-schlossen ist (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB), kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wir-kung der innerhalb der Frist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO rechtzeitig erhobenen Klage anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht in einer dem Charakter des summarischen Verfah-rens nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprechenden Weise die Interessen der Antragstellerseite und der Antragsgegnerin sowie der Beigeladenen gegeneinander abzuwägen (Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl., § 80 Rn. 152), wobei vorrangig die bereits überschaubaren Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen sind.
Die zulässigen Anträge sind unbegründet. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verstößt aller Voraussicht nach nicht gegen im Genehmigungsverfahren zu prüfende Vorschriften, die nicht nur dem Schutz der Interessen der Allgemeinheit, sondern auch dem Schutz der Interessen der Antragsteller als Grundstücksnachbarn dienen. Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung haben Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr setzt die Aufhebung der Baugenehmigung weiter voraus, dass der Nachbar durch sie zugleich in seinen Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dies ist nur dann der Fall, wenn die zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führende Norm zumindest auch dem Schutze der Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat (vgl. z.B. BVerwG v. 6.10.1989 – 4 C 40.87 – juris).
Nach Überzeugung der Kammer haben die Klagen gegen die der Beigeladenen erteilte Bauge-nehmigung keine so hinreichende Aussicht auf Erfolg, dass das kraft Gesetzes nach § 212a Abs. 1 BauGB bereits bestehende öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung einer Baugenehmigung ausnahmsweise zurücktreten müsste.
Die Antragsteller werden durch das streitgegenständliche Vorhaben nach summarischer Prüfung nicht in dem drittschützenden Gebot der Rücksichtnahme verletzt, welches hinsichtlich der erteilten Befreiung in § 31 Abs. 2 BauGB im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ seinen Niederschlag gefunden hat, im übrigen § 15 Abs. 1 BauNVO zu entnehmen ist.
1. Dabei kann zugunsten der Antragsteller unterstellt werden, dass der Bebauungsplan Nr. … und die in ihm enthaltene Baugrenzenfestsetzung selbst noch Wirkung entfaltet – wovon auch die Antragsgegnerin ausgeht – und nicht durch die auf den Fl.Nrn. … und … jeweils im Wege einer Befreiung erteilten Baugenehmigungen funktionslos geworden geworden ist (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.1977 – IV C 39.75 – BVerwGE 54,5; BayVGH, B.v. 14.7.2016 – 1 ZB 15.443 -, juris Rn. 4).
Die Festsetzung zu den überbaubaren Grundstücksflächen gewährt den Antragstellern jeoch kein Abwehrrecht gegen das streitgegenständliche Bauvorhaben, da ihr keine drittschützende Funktion zukommt.
Bei Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans hängt der Umfang des Rechtsschutzes des Nachbarn davon ab, ob die Festsetzungen, von welchen die Befreiung erteilt wird, Nachbarschutz vermitteln oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 -, juris Rn. 25; BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 -, juris Rn. 3).
Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz hingegen lediglich nach dem im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebot. Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung aus irgendeinem Grund rechtswidrig ist, sondern nur dann, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2016 a.a.O., Rn. 25 m.w.N.).
Nach der hier maßgeblichen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichthofes haben Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien oder Baugrenzen (§ 23 BauNVO) ebenso wie Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung- anders als Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung – grundsätzlich keine drittschützende Funktion im Rahmen eines nachbarlichen Gegenseitigkeits- und Austauschverhältnisses (BayVGH, B. v. 8.11.2016 – 1 CS 16.1864 -, juris Rn. 4). Günstige Auswirkungen einer Festsetzung auf die Nachbargrundstücke reichen zur Annahme eines Nachbarschutzes nicht aus.
Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche können dann ausnahmsweise drittschützende Wirkung entfalten, wenn sich aus dem im Einzelfall zu ermittelnden Willen der Gemeinde als Planungsträger ergibt, dass diese Festsetzungen auch dem Schutz der Nachbarn dienen (BayVGH, B. v. 8.11.2016, a.a.O.; Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand August 2016, § 23 BauNVO Rn. 56; BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – juris). Ein entsprechender Planungswille kann sich aus den zeichnerischen und textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans, aus seiner Begründung oder aus sonstigen Unterlagen aus dem Planaufstellungsverfahren ergeben (vgl. auch BayVGH, B.v. 10.3.2004 – 26 B 99.3582 -, juris Rn. 22; BayVGH, B. v. 19.11.2015 – 1 CS 15.2108 – juris, m.w.N.; BayVGH, B. v. 1.12.2016 – 1 ZB 15.1841 -, juris Rn. 4).
Ein solchermaßen eindeutig erkennbarer Wille der Antragsgegnerin (vgl. BayVGH v. 19.3.2013 – 2 B 13.99 – juris), dass die hier inmitten stehenden Festsetzungen dem Nachbarschutz dienen sollen, ist vorliegend nicht ersichtlich.
Zwar kann den zeichnerischen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … entnommen werden, dass die Wohngebäude entlang des Straßenverlaufs als Blockrandbebauung vorgesehen sind, woraus im Innenbereich des Gevierts ein grundsätzlich von Bebauung freizuhaltender Bereich entsteht. Jedoch ergeben sich weder aus den textlichen Festsetzungen noch aus der Begründung des Bebauungsplans vom 9. September 1966 Anhaltspunkte dafür, dass über die Aufstellung von Planungsgrundsätzen im Interesse einer geordneten städtebaulichen Entwicklung mit den Baugrenzenfestsetzungen gerade den jeweiligen Grundstücksnachbarn im Sinne eines wechselseitigen Austauschverhältnisses schützenswerte Rechtspositionen eingeräumt werden sollten, etwa in der Art eines rückwärtigen Ruhebereiches oder einer Erholungszone. Die textlichen Festsetzungen enthalten Regelungen zur Art und zum Maß der Nutzung sowie zur Bauweise. In der Begründung zur Satzungsänderung vom 1. September 1971 findet sich lediglich der Hinweis darauf, dass das Gebiet entsprechend der tatsächlichen Nutzung als „Gartenwohnsiedlung“ als reines Wohngebiet festgesetzt worden sei. Im Zuge der „Umwandlung“ zum allgemeinen Wohngebiet durch Änderungsatzung vom 2. Juni 1972 wurde mit weiterer Änderung vom 7. Januar 1975 die Errichtung von Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO zugelassen. Wie die Lagepläne des Gebiets zeigen, wurde von dieser Möglichkeit seitens der Grundstückseigentümer umfassend Gebrauch gemacht, der von Bebauung freizuhaltende Bereich verkleinerte sich durch die Errichtung von Schuppen und Gartenhäusern, die wohl hauptsächlich zur Bewirtschaftung der Nutzgärten gedient haben dürften, erheblich. Die Antragsteller haben nicht vortragen lassen, dass die – auch von der Antragsgegnerin angenommene Nutzung der rückwärtigen Grundstücksbereiche als Selbstversorgergärten für Obst – und Gemüseanbau im Sinne der „Reichsheimstätten“ – nicht vorgelegen habe. Nach alldem ist aus den vorliegenden Unterlagen kein Planungswille der Gemeinde erkennbar, mit den Baugrenzenfestsetzungen zu Gunsten der jeweiligen Grundstückseigentümer einen Ruhe- oder Erholungsbereich zu schaffen, der eine schützenswerte Rechtsposition und damit einen Abwehranspruch gegen Bauvorhaben außerhalb dieser Baugrenzen vermitteln könnte.
Aus dem Fehlen von Anhaltspunkten für einen entsprechenden Planungswillen der Gemeinde ist gerade nicht – wie der Prozessbevollmächtigte unter Berufung auf Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg ausführt – zu folgern, dass die Festsetzungen zu seitlichen und rückwärtigen Baugrenzen an sich Nachbarschutz entfalten.
Sonstige Belange, aus welchen sich eine Unzumutbarkeit des Vorhabens für die Antragsteller aufgrund der erteilten Befreiung ergeben könnte, sind nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere können sich die Antragsteller nicht mit Erfolg darauf berufen, dass vorrangig die straßenseitig gelegene Fl.Nr. … mit einem neuen Wohnhaus zu bebauen sei. Dieses Interesse ist rechtlich nicht geschützt.
2. Auch eine Verletzung des drittschützenden Rücksichtnahmegebots ist vorliegend aller Voraussicht nach nicht gegeben.
Gegen eine Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens spricht zum einen bereits, dass – unbestritten – die bauordnungsrechtlich erforderlichen Abstandsflächen eingehalten sind und damit eine ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung, wie von Art. 6 BayBO gefordert, gewährleistet ist (vgl. z.B. BVerwG v. 11.1.1999, 4 B 128.98, BayVBl. 1999, 568).
Den durch das streitgegenständliche Bauvorhaben verwirklichten Größen- und Lageverhältnis-sen ist nach Auffassung der Kammer auf Grund der vorgenommenen summarischen Prüfung nichts für die Annahme einer Rücksichtslosigkeit des Beigeladenenvorhabens gegenüber dem Antragstellergrundstück zu entnehmen.
Eine solche wäre gegebenenfalls dann zu bejahen, wenn vom Beigeladenenbauvorhaben für die Antragsteller eine unzumutbare Beeinträchtigung ausginge, welche insbesondere dann an-zunehmen wäre, wenn nach den Umständen des konkreten Einzelfalles das geplante Bauvor-haben das Grundstück der Antragsteller „einmauern“ würde, wenn dem streitgegenständlichen Vorhaben „abriegelnde“ oder „erdrückende“ Wirkung zukäme, was vorliegend jedoch, so die Auffassung der Kammer nach Durchführung der im vorliegenden Eilverfahren nur gebotenen summarischen Prüfung unter Zugrundelegung der genehmigten Pläne, nicht der Fall ist.
Eine derartige Wirkung eines Bauvorhabens kann nur dann vorliegen, wenn ein durch seine Ausmaße und Gestaltung als außerordentlich zu qualifizierender Baukörper den Bewohnern des Nachbargrundstücks den Eindruck des „Eingemauertseins“ vermittelt (vgl. z.B. BVerwG v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris; BayVGH v. 17.7.2013 – 14 ZB 12.1153 – juris). Dies kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benach-barten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BayVGH v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris m.w.N.). Dabei stellt, wie oben bereits ausgeführt, die – vorliegend gegebene – Einhaltung der landes-rechtlichen Abstandsflächen ein Indiz dafür dar, dass keine erdrückende Wirkung vorliegt (vgl. BayVGH v. 30.9.2015 – 9 CS 15.1115 – juris). Aus den sich bei den Akten befindlichen Planunterlagen ergeben sich für eine derartige Wirkung aufgrund Ausmaß und Höhenentwicklung des Bauvorhabens keinerlei Anhaltspunkte.
Demnach waren die Anträge abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Ziffern 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben