Baurecht

Eilantrag des Nachbarn gegen Hinterlandbebauung

Aktenzeichen  M 11 SN 20.5940

Datum:
7.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 43378
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
BauGB § 34

 

Leitsatz

1. Die Errichtung notwendiger Stellplätze und Garagen für ein Wohnbauvorhaben und die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Belastungen durch zu- und abfahrende Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs sind grundsätzlich sowohl bei Tag als auch bei Nacht als sozialadäquat hinzunehmen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die bloße Möglichkeit der vermehrten Einsichtnahme oder der Wegfall einer Ruhezone stellt grundsätzlich keinen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme dar. Das Bauplanungsrecht vermittelt keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken; die Möglichkeit der Einsichtnahme ist grundsätzlich nicht städtebaulich relevant. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme hinsichtlich der Belichtung, Belüftung und Besonnung scheidet in aller Regel aus, wenn die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen eingehalten werden. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich als Nachbarn im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.
Die Antragsteller sind Miteigentümer des Grundstücks Fl.Nr. 3735/5 der Gemarkung … … …, das in seinem nördlichen Teil mit einem Wohnhaus (R* … Nr. 10) und Nebengebäuden bebaut ist. Südöstlich an das Grundstück der Antragsteller grenzt das Vorhabengrundstück (vormaliges Gesamtgrundstück Fl.Nr. 3737/16), bei dem es sich um ein bislang unbebautes Hinterliegergrundstück zum nördlich gelegenen Grundstück Fl.Nr. 3737/2 (R* … Nr. 12) handelt. Aus dem ursprünglichen Gesamtgrundstück Fl.Nr. 3737/16 wurde zwischenzeitlich die westliche Teilfläche heraus gemessen und unter der Fl.Nr. 3737/17 weitergeführt; ebenso wurde zum Vorderliegergrundstück Fl.Nr. 3737/2 hin eine Wegefläche (Fl.Nr. 3737/18) heraus gemessen.
Mit Bescheid vom 26. Juli 2020, den Antragstellern zugestellt am 1. bzw. 4. August 2020, erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung für die Errichtung zweier Doppelhaushälften (2 Wohneinheiten) mit zwei Garagen auf der Grundlage von § 34 BauGB.
Die Antragsteller haben durch ihren damaligen Bevollmächtigten am … August 2020 Klage gegen die Baugenehmigung erhoben. Mit Schriftsatz vom … November 2020, bei Gericht eingegangen am 19. November 2020, beantragen sie zudem, 5 die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass das Vorhaben gegen die drittschützende Vorschrift des § 34 BauGB und gegen das Rücksichtnahmegebot verstoße. Das Vorhabengrundstück liege im Bereich des ehemaligen Baulinienplans bzw. späteren Bebauungsplans „Westliches Teilgebiet Teil 1“, der im November 2015 aufgehoben worden sei. Die örtlichen Gegebenheiten wurden näher beschrieben. Dabei wurde hervorgehoben, dass die Bebauung der Fl.Nrn. 3737/11 bis 3737/2 (Haus Nr. 4 – 12) und der Fl.Nrn. 3736/11 bis 3736/21 (Haus Nr. 14 – 22) jeweils durch eine einreihige Bebauung gekennzeichnet sei, bei der sich die Häuser im Norden und die Gärten im Süden befinden würden. Die Bebauung der Grundstücke R* … 14a, 14c und 14 d sei in Abweichung vom ehemaligen Baulinien- bzw. Bebauungsplan erfolgt und habe entsprechender Ausnahmen bzw. Befreiungen bedurft. Durch die einreihige Bebauung bestehe eine faktische Baugrenze, die mit der erteilten Baugenehmigung durchbrochen werde. Auch wenn für das Gebiet kein rechtsgültiger Bebauungsplan bestehe, werde damit gegen die nachbarschützende Vorschrift des § 34 BauGB verstoßen, nach der sich das Gebäude nach Art und Maß der Nutzung sowie der Grundstücksfläche, die überbaut werden solle, einfügen müsse. Die Baugenehmigung verstoße insoweit gegen § 34 BauGB als hier erstmalig in der S. straße R … Haus Nr. 4 – 22 eine zweireihige Bebauung stattfinden solle. Eine solche sei mit der Aufhebung des Bebauungsplans nicht beabsichtigt gewesen, sodass die geplante Bebauung den Vorgaben der Aufhebungsatzung widerspreche. Es wurde gerügt, dass mit der erteilten Baugenehmigung eine Sonderregelung für den Eigentümer der Fl.Nr. 3737/2 getroffen werden solle. Der zuständige Sachbearbeiter der Antragsgegnerin habe erklärt, dass ein Antrag auf Bebauung der Südgärten der Häuser Nr. 4 – 10 abgelehnt würde und die erteilte Baugenehmigung allein auf dem Umstand beruhe, dass die Bebauung entlang der Hangkante (Fl.Nr. 3737/2 – 3738/1) zur Bestimmung des Gevierts herangezogen worden sei. Maßgeblich sei jedoch die Bebauung entlang der Erschließungsstraße, die in West-Ost-Richtung verlaufe. Zudem widerspreche sich die Antragsgegnerin bei der Wahl des Gevierts nach der Aktenlage selbst und Eintragungen zur Geschossigkeit im Lageplan (Bl. 61 der Akte) würden teils nicht den Gegebenheiten vor Ort entsprechen. Die beabsichtigte Bebauung beeinträchtige in massiver Weise die jeweils im Süden befindlichen Ruhe- und Erholungszonen der Nachbargrundstücke Nr. 8 und Nr. 10. Durch die Nichtbebauung der Südhälften der Grundstücke sei eine solche Ruhezone nicht nur zugunsten der Antragsteller, sondern für alle Eigentümer der Häuser 4 – 22 geschaffen worden. Überdies erfordere das Vorhaben 6 Stellplätze, von denen nur einer unmittelbar an der öffentlichen Straße liege. Die Fläche zum Wenden der Pkw sei derart eng bemessen, dass insbesondere die Fahrzeuge von Haus Nr. 12a vor dem Ausfahren mehrfach rangieren müssten. Dies stelle eine unzumutbare, weil vermeidbare Belästigung dar. Die Umkehre zwischen den Häusern 14a, 14c und 14d sei deutlich größer gehalten. Selbst wenn die Bebauung entlang der Hangkante zu berücksichtigen sei, füge sich das Vorhaben der Traufhöhe nach nicht in die Umgebungsbebauung ein. Die Traufhöhe des geplanten Gebäudes übersteige die der anderen Häuser entlang der Hangkante deutlich. In der Summe sei das geplante Vorhaben durch Verstoß gegen zum Teil nicht nachbarschützende aber auch durch Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften unzulässig.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag sei offensichtlich unbegründet. Eine Verletzung drittschützender Rechte der Antragsteller sei schlechterdings nicht erkennbar. § 34 BauGB vermittele keine unmittelbar nachbarschützende Wirkung und auch das allein in Betracht kommende Gebot der Rücksichtnahme sei vorliegend nicht verletzt. Die Abstandsflächen würden um mehr als das Doppelte eingehalten.
Der Bevollmächtigte der Beigeladenen zeigte mit Schreiben vom 2. Dezember 2020 die Vertretung an, äußerte sich inhaltlich aber bislang nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsund Behördenakten in diesem sowie im zugehörigen Klageverfahren M 11 K 20.3639 Bezug genommen.
II.
1. Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
Gemäß § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung anordnen. Hierbei kommt es auf eine Abwägung der Interessen des Bauherrn an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung mit den Interessen des Dritten, keine vollendeten, nur schwer wieder rückgängig zu machenden Tatsachen entstehen zu lassen, an. Im Regelfall ist es unbillig, einem Bauwilligen die Nutzung seines Eigentums durch Gebrauch der ihm erteilten Baugenehmigung zu verwehren, wenn eine dem summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entsprechende vorläufige Prüfung des Rechtsbehelfs ergibt, dass dieser letztlich erfolglos bleiben wird. Ist demgegenüber der Rechtsbehelf offensichtlich begründet, so überwiegt das Interesse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, so kommt es darauf an, ob das Interesse eines Beteiligten es verlangt, dass die Betroffenen sich so behandeln lassen müssen, als ob der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar sei. Bei der Abwägung ist den Belangen der Betroffenen umso mehr Gewicht beizumessen, je stärker und je irreparabler der Eingriff in ihre Rechte wäre (BVerfG, B.v. 18.07.1973 – 1 BvR 155/73, 1 BvR 23/73 – BVerfGE 35, 382; zur Bewertung der Interessenlage vgl. auch BayVGH, B.v. 14.01.1991 – 14 CS 90.3166 – BayVBl 1991, 275).
Die im Eilverfahren auch ohne Durchführung eines Augenscheins mögliche Überprüfung der Angelegenheit anhand der Gerichtsakten sowie der vorliegenden Behördenakte ergibt, dass die Klage der Antragsteller aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben wird.
Die Baugenehmigung verletzt die Antragsteller voraussichtlich nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zu berücksichtigen ist dabei, dass Nachbarn eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten können, wenn sie hierdurch in einem ihnen zustehenden subjektivöffentlichen Recht verletzt werden. Es genügt daher nicht, wenn eine Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind (zur sog. Schutznormtheorie vgl. z.B. Eyermann, VwGO, § 42 Rn. 89 ff. m.w.N.). Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung hat sich vielmehr darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln, verletzt sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20 m.w.N.).
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich vorliegend nach § 34 BauGB, weil das Grundstück unstrittig im unbeplanten Innenbereich liegt.
Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Subjektive Rechte der Antragsteller können insoweit allerdings nur hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung (nachfolgend 1.1) und hinsichtlich des im Merkmal des Einfügens enthaltenen Gebots der Rücksichtnahme (nachfolgend 1.3) verletzt sein.
1.1 Zwischen den Beteiligten ist unstrittig, dass sich das geplante Doppelhaus mit zwei Wohneinheiten der Art nach in die nähere Umgebung – wohl ein (faktisches) reines Wohngebiet – einfügt. Stellplätze und Garagen sind nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 12 Abs. 1 BauNVO in allen Baugebieten zulässig – auch in reinen Wohngebieten (§ 12 Abs. 2 BauNVO). Die Errichtung notwendiger Stellplätze und Garagen für ein Wohnbauvorhaben und die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Belastungen durch zu- und abfahrende Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs sind daher grundsätzlich sowohl bei Tag als auch bei Nacht als sozialadäquat hinzunehmen (s. dazu auch unten Ziff. 1.6 sowie BVerwG, B.v. 20.3.2003 – 4 B 59/02 – juris Rn. 7; U.v. 7.12.2006 – 4 C 11/05 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 9.2.2004 – 14 CS 03.2977 – juris Rn. 16; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 43 m.w.N.).
1.2 Ob sich das Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung objektiv gesehen in die nähere Umgebung einfügt oder nicht, kann demgegenüber dahingestellt bleiben. Denn die Bestimmungen über das Maß der baulichen Nutzung sind generell nicht nachbarschützend (BVerwG, B.v. 23.6.1995 – 4 B 52/95 – juris Rn. 4; zur sog. „Wannsee-Rechtsprechung“: BayVGH, B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – juris). Auf den Vortrag der Antragsteller zum Nichteinfügen nach der Traufhöhe und die Frage, ob der maßgebliche Umgriff entlang der S. straße und/ oder entlang der Hangkante zu ziehen wäre, kommt es folglich nicht an.
1.3 Auch das Merkmal der überbaubaren Grundstücksfläche vermittelt grundsätzlich keinen Nachbarschutz (BayVGH, B.v. 30.6.2011 – 2 CS 11.824 – juris Rn. 11, B.v. 28.5.2014 – 9 CS 14.84 – juris Rn. 17; B.v. 8.11.2016 – 1 CS 16.1864 – juris Rn. 4; B.v. 12.7.2016 – 15 ZB 14.1108 – juris Rn. 11). Entsprechendes gilt für etwaige faktische Baugrenzen (BayVGH, B.v. 30.6.2011 – 2 CS 11.824 – juris Rn. 11).
Den dem Gericht bislang vorliegenden Akten lässt sich nicht entnehmen, ob der von den Antragstellern angesprochene frühere Bebauungsplan für das Vorhabengrundstück Baugrenzen vorsah. Ausweislich der vorliegenden Unterlagen zur Aufhebung des Bebauungsplans in diesem Teilgebiet, bildeten mehrfache Anfragen zur Überschreitung von Baugrenzen den Anlass der Aufhebung. Ziel der Aufhebung war es ausweislich der Begründung der Aufhebungsatzung daher gerade, den Flächenverbrauch im Außenbereich zu reduzieren und hierfür im Zuge der Nachverdichtung und des damit verbundenen sparsamen und schonenden Umgangs mit Grund und Boden, die Baureifmachung von innen liegenden Grünflächen zu ermöglichen. Um dem Ziel der Nachverdichtung und somit der höheren Auslastung von Grund und Boden gerecht werden zu können, sollten der Baulinienplan aufgehoben und so nicht mehr benötigte Grünflächen dem Wohnungsbau zugeführt werden (vgl. Begründung der Aufhebungsatzung, Bl. 90 f der Behördenakte). Ohne dass es hierauf entscheidungserheblich ankäme, lässt sich der von Antragstellerseite vorgetragene „Widerspruch“ des Vorhabens gegen die Aufhebungsatzung damit nicht feststellen.
Ungeachtet etwaiger vormaliger Festsetzungen des zwischenzeitlich unstrittig aufge hobenen Bebauungsplans, lässt sich vorliegend im Übrigen auch nicht von einer „faktischen“ Ruhezone sprechen. Zwar hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in bestimmten Fallkonstellationen der Festsetzung rückwärtiger Baugrenzen eines Bebauungsplans ein Nachbarschutz vermittelndes Austauschverhältnis zugesprochen, wenn rückwärtige Baugrenzen in einem einheitlich bebauten Straßengeviert so festgesetzt sind, dass im Innern ein „rückwärtiger Ruhebereich“ entsteht (vgl. BayVGH, Bv 18.12.2017 – 9 CS 17.345 -, juris Rn 19; B.v. 7.3.2017 – 9 ZB 15.85 – juris Rn. 8). Typischerweise handelt es sich dabei um „Innenhof“-Konstellationen. Derartiges lässt sich vorliegend den Luftbildaufnahmen und Lagekarten aus dem Geodatenportal Bayern Atlas nicht entnehmen. Zwar ist den Antragstellern zuzugeben, dass zumindest in ihrer Häuserzeile (Häuser 4 – 12) die südlichen Gartenbereiche bislang von Hauptgebäuden freigehalten wurden. Bereits die Häuserzeile auf der Nordseite der S. straße (Haus 2 – 14d) weist jedoch mit dem von Seiten der Antragsteller selbst angesprochenen Bebauungskomplex der Häuser 14a – 14d keine einreihige Bebauung auf; ebenso stellt sich die weiter südlich gelegene Bebauung (Häuser 2a – 2m) mit Reihen- bzw. Doppelhäusern bzw. Hinterliegerbebauung anders dar. Eine öffentliche oder sonst den Anwohnern zur gemeinsamen Nutzung zur Verfügung stehende Grünfläche lässt sich in diesem Bereich nicht feststellen. Es handelt sich vielmehr lediglich um das übliche Nebeneinander jeweils privat genutzter Gartenbereiche. Da der Gartenbereich der Antragsteller zudem unmittelbar an die S. straße der Häuser 2a – 2m angrenzt, ist selbst ein besonders vor Einblicken und Straßenlärm etc. abgeschirmter rückwärtiger Bereich bzw. eine „Innenhof“-Konstellation nicht erkennbar.
1.4 Vor diesem Hintergrund ist auch keine Verletzung des nachbarschützenden Gebots der Rücksichtnahme in Hinblick auf die vorgetragene Beeinträchtigung des Gartenbereichs der Antragsteller erkennbar. Die bloße Möglichkeit der vermehrten Einsichtnahme oder der Wegfall einer Ruhezone stellt grundsätzlich keinen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme dar (BayVGH, B.v. 15.2.2017 – 1 CS 16.2396 – juris Rn. 9). Das Bauplanungsrecht vermittelt vielmehr keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken; die Möglichkeit der Einsichtnahme ist grundsätzlich nicht städtebaulich relevant (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1989 – 4 B 72.89 – juris Rn. 7). In bebauten innerörtlichen Bereichen gehört es zur Normalität, dass von benachbarten Grundstücken bzw. Gebäuden aus Einsicht in andere Grundstücke und Gebäude genommen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2020 – 15 CS 20.45 – juris Rn. 20). Auch über das Gebot der Rücksichtnahme wird in bebauten Ortslagen daher kein genereller Schutz des Nachbarn vor jeglichen (weiteren) Einsichtsmöglichkeiten vermittelt. Allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen – wie z.B. der unmittelbare Einblick aus kürzester Entfernung auf Schlafräume – kann sich etwas anderes ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2020, a.a.O.). Für einen solchen Ausnahmefall gibt indes weder der Vortrag der Antragsteller noch die Aktenlage etwas her.
1.5 Das genehmigte Vorhaben verletzt nach summarischer Prüfung auch nicht aus sonstigen Gründen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme.
Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme hinsichtlich der Belichtung, Belüftung und Besonnung scheidet in aller Regel aus, wenn die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen eingehalten werden (BayVGH, B.v. 03.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 7 m.w.N.; B.v. 15.2.2017 – 1 CS 16.2396 – juris Rn. 10). Dies ist nach den vorgelegten Planunterlagen voraussichtlich der Fall. Auch eine „erdrückende“ oder unzumutbar einengende Wirkung des Vorhabens ist von Antragstellerseite bislang nicht vorgetragen und anhand der Aktenlage nicht ersichtlich. Eine solche wäre erst anzunehmen, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht, oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls derart übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden Gebäude“ dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird. Hauptkriterien bei der Beurteilung einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 2.10.2018 – 2 ZB 16.2168 – juris Rn. 4 m.w.N.). Das Wohnhaus der Antragsteller hat nach den – insoweit unbestrittenen – Feststellungen der Beklagten die Kubatur E + I + D und erscheint nach den Luftbildaufnahmen des Bayern Atlas als durchaus stattliches Gebäude. Das geplante Doppelhaus weist ebenfalls die Kubatur E + I + D auf und hält sich mit einer Firsthöhe von 9,94 m im Rahmen des Üblichen. Schließlich beträgt der Abstand der westlichen Doppelhaushälfte allein zur gemeinsamen Grundstücksgrenze nach den Planunterlagen ganze 13,18 m. Bis zum Wohnhaus der Antragsteller kommen bei einer Messung mit dem Lineal noch ca. weitere 8 m hinzu, sodass sich insgesamt eine Entfernung von rund 21 m ergeben dürfte. In der Gesamtschau ist daher nicht anzunehmen, dass von dem Vorhaben eine erdrückende Wirkung ausgehen wird, wie dies etwa bei einem zwölfgeschossigen Hochhaus gegenüber einem 15 m entfernten zweigeschossigen Wohnhaus mit ausgebautem Dachgeschoss angenommen worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris Rn. 38).
1.6 Die Antragsteller haben schließlich keinen Anspruch darauf, dass das Nachbar grundstück wie ihr eigenes Grundstück genutzt oder bebaut wird (vgl. VG München, B.v. 11.11.2019 – M 11 SN 19.3570 – juris Rn. 31 m.w.N.) oder die Garagen/ Stellplätze in einer für sie schonenderen Art und Weise situiert werden. Das Gebot der Rücksichtnahme schließt nur eine Nutzung mit unzumutbaren Auswirkungen aus. Es zwingt den Bauherrn aber nicht, auf eine Nutzung, die diese Grenze nicht überschreitet, deswegen zu verzichten, weil auch eine andere, schonendere Nutzung in Betracht kommt (vgl. BayVGH, B.v. 18.10.2005 – 1 ZB 04.1597 – juris Rn. 23). Dies gilt auch für die von Antragstellerseite gerügte Anordnung der Stellplätze.
Insgesamt bringt es die städtebaulich erwünschte Nachverdichtung (vgl. auch § 1 Abs. 5 Satz 3 BauGB) zwangsläufig mit sich, dass Baugrundstücke umfangreicher als in der Vergangenheit üblich genutzt werden. Diese bauliche Nachverdichtung mag für die Antragsteller möglicherweise unpassend erscheinen. Sie ist deswegen aber noch nicht rücksichtslos.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie keine Anträge gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 und § 154 Abs. 3 VwGO).
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und Abs. 8 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 und Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs. Der Streitwert beträgt die Hälfte des im Hauptsacheverfahren voraussichtlich anzusetzenden Streitwerts.


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