Baurecht

Einhaltung der erforderlichen Abstandsflächen

Aktenzeichen  15 CS 20.1409

Datum:
10.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16902
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 5 S 20.661 2020-05-15 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine dem Beigeladenen am 2. März 2020 erteilte Baugenehmigung für die Aufstockung eines Einfamilienhauses auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung W* … (Baugrundstück). Die Antragsteller sind Eigentümer des östlich an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücks FlNr. …, das ebenfalls mit einem Einfamilienhaus bebaut ist.
Ihren Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat das Verwaltungsgericht Augsburg mit Beschluss vom 15. Mai 2020 abgelehnt. Das Vorhaben verletze die Antragsteller voraussichtlich nicht in nachbarschützenden Rechten. Ausgangspunkt für die Berechnung der Abstandsflächen sei das vorhandene Geländeniveau. Die Baupläne seien an die am 4. Februar 2020 durchgeführte Vermessung angepasst worden. Ausgehend von den durch die Vermessung ermittelten maßgeblichen Höhenpunkten des natürlichen Geländes seien die Abstandsflächen eingehalten. Zum Grundstück der Antragsteller halte die östliche Außenwand auf einer Länge von 4,94 m die Abstandsfläche von 1 H und auf einer Länge von 14,06 m von ½ H ein. Es stehe der Anwendung des 16-m-Privilegs nicht entgegen, dass die Abstandsflächen aufgrund des ansteigenden Geländeverlaufs vor der Außenwand variierten. Das Vorhaben sei auch nicht rücksichtslos, denn es seien keine besonderen Verhältnisse ersichtlich, bei denen trotz Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften eine abriegelnde oder erdrückende Wirkung bestehe. Es entstehe kein übergroßer Baukörper in geringem Abstand zum Wohnhaus der Antragsteller. Ausweislich der Eingabepläne weise der südliche Bereich, in dem die Aufstockung des Gebäudes um ein Vollgeschoss stattfinde, eine Höhe von 6,81 m auf und bleibe damit sogar hinter der absoluten Höhe des Bestandsgebäudes zurück. Zwischen den beiden Gebäuden bestehe weiterhin ein Abstand von rund 10 m und die Aufstockung befinde sich auf Höhe des Gartenbereichs der Antragsteller.
Dagegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt. Die Antragsteller machen geltend, es sei völlig offen, ob die natürliche Geländeoberfläche dem tatsächlichen Bestand vor der Außenwand am vorhandenen Gebäude entspreche. Eine entsprechende Überprüfung des Geländeniveaus finde sich in den Akten nicht. Die angeblich maßgebliche Wandhöhe im nordöstlichen Bereich werde mit Nichtwissen bestritten. Die angeblich maßgebliche Wandhöhe vor der übrigen östlichen Außenwand sei ebenfalls nicht zweifelsfrei dargelegt. Rechtlich sei nicht geklärt, ob eine Kombination von 1 H und ½ H bei nicht gegliederten Außenwänden zulässig sei. Unabhängige Architekten hätten bestätigt, dass eine solche Kombination in der Praxis nicht angewandt werde. Darüber hinaus sei das Vorhaben rücksichtslos. Es liege ein krasses Missverhältnis in der Höhenentwicklung zum Gebäude der Antragsteller vor.
Der Beigeladene hat nicht Stellung genommen und keinen Antrag gestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben oder abzuändern wäre. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Anfechtungsklage zu Recht abgelehnt.
Das Verwaltungsgericht ist mit ausführlicher Begründung und Hinweis auf die am 4. Februar 2020 durchgeführte Vermessung durch das Vermessungsbüro Haine (Bl. 65 der Behördenakte) davon ausgegangen, dass die Baupläne dieser Vermessung angepasst worden und die Abstandsflächen eingehalten sind. Dem setzt die Antragsbegründung keine substantiierten Ausführungen entgegen, sondern behauptet, eine Stellungnahme eines „Technikers“ zur Frage der tatsächlichen Überprüfung des Geländeniveaus habe sich zum Zeitpunkt der Akteneinsicht nicht im Behördenakten befunden. Dies trifft ersichtlich nicht zu, denn am 28. April 2020 übersandte die Antragsgegnerin dem Verwaltungsgericht den vollständigen Behördenakt mit 83 Seiten, der dem Antragstellerbevollmächtigten zur Akteneinsicht überlassen worden ist. Das Bestreiten mit Nichtwissen hinsichtlich der geplanten Wandhöhe im nordöstlichen Bereich des Vorhabens und das Bestreiten der geplanten Wandhöhe im übrigen Bereich der östlichen Außenwand reicht daher nicht aus, um die Ansicht des Verwaltungsgerichts, die Abstandsflächen seien eingehalten, zu erschüttern, sondern es hätte einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Vermessungsergebnis vom 4. Februar 2020 bedurft.
Soweit die Antragsteller vortragen, es sei rechtlich nicht geklärt, ob eine Inanspruchnahme des 16 m-Privilegs durch Kombination von 1 H und ½ H auch an einer ungegliederten Außenwand zulässig sei, setzen sie sich diesbezüglich ebenfalls nicht mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts und der im erstinstanzlichen Beschluss genannten Rechtsprechung und Literatur auseinander. Die Behauptung, eine solche Kombination werde nach Aussage verschiedener Architekten in der Praxis nicht angewandt, genügt nicht, um die ausführliche Argumentation des Verwaltungsgerichts in Zweifel zu ziehen. Insbesondere wäre es erforderlich gewesen, sich mit der vom Verwaltungsgericht genannten Entscheidung des Großen Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. April 1986 (GrS 1/85 – 15 B 84 A 2534 – BeckRs 1986, 4640) vertieft auseinanderzusetzen. Dort wird ausgeführt, die Anwendung des damals geltenden Art. 6 Abs. 3 Satz 3 BayBO, der regelte, dass für Gebäude oder Gebäudeteile mit versetzten Außenwandteilen die Wandhöhe für jeden Wandteil entsprechend zu ermitteln ist, sei nicht nur auf höhenmäßig (senkrecht) versetzte Außenwandteile beschränkt, sondern gelte auch für waagrecht versetzte Außenwandteile (Vor- und Rücksprünge), die gegenüber der sonstigen Außenwand keine Höhenunterschiede aufwiesen. Der Große Senat ging weiter davon aus, dass das in Art. 60 Abs. 5 BayBO geregelte 16 mPrivileg an die Regelungen in Art. 60 Abs. 3 BayBO anschließe und aufbaue und deshalb bei gegliederten (versetzten) Außenwänden für die Anwendung des 16 m-Privilegs eine getrennte Behandlung der Außenwandteile durch Abs. 3 vorgegeben sei. Aus welchen Gründen diese getrennte Behandlung der Außenwandteile dann nicht ebenso für höhenmäßig versetzte Außenwandteile gelten soll, die entweder aus einem ansteigenden Geländeverlauf oder unterschiedlicher Wandhöhe resultieren, hätte substantiiert dargelegt werden müssen.
Auch ein Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme nach § 34 Abs. 1 und 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ist nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Dem Rücksichtnahmegebot kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290 ff. = juris Rn. 21 m.w.N.). Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 4 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht ist dabei davon ausgegangen, dass eine erdrückende, einmauernde oder abriegelnde Wirkung in der Regel nicht angenommen werden könne, wenn die Vorschriften zum Abstandsflächenrecht nach Art. 6 BayBO eingehalten werden. Mit ausführlicher Begründung ist das Verwaltungsgericht dann zum Ergebnis gekommen, dass die Vorschriften zum Abstandsflächenrecht im vorliegenden Fall nicht verletzt sind und auch kein Ausnahmefall vorliegt, bei dem trotz Einhaltung der Abstandsflächen Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens angenommen werden könne. Die diesbezüglichen Ausführungen der Antragsteller, die vorgelegten Eingabepläne seien mangels nachweisbarer Messung keine taugliche Grundlage für die Frage des Bestehens von „besonderen Verhältnissen“ lässt eine Auseinandersetzung mit der Vermessung vom 4. Februar 2020 vermissen. Darüber hinaus werden auch die übrigen Annahmen des Verwaltungsgerichts nicht substantiiert in Zweifel gezogen.
Die Beschwerde ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO zurückzuweisen. Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, Anh. § 164 Rn. 14) und entspricht der Streitwertfestsetzung in erster Instanz, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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