Baurecht

Einstweiliger Rechtsschutz gegen sofort vollziehbare Baugenehmigung

Aktenzeichen  AN 3 S 20.00092

Datum:
22.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 673
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1
BayBO Art. 2 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Ist eine Baugenehmigung inhaltlich nicht hinreichend bestimmt, führt dies dann zu einem Abwehrrecht des Nachbarn, wenn sich die Unbestimmtheit gerade auf solche Vorhabensmerkmale bezieht, deren genaue Festlegung nötig ist, um eine Verletzung nachbarrechtsrelevanter Vorschriften auszuschließen. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
2. Fehlt es an konkretisierenden Angaben bezüglich der Raumnutzung eines ohne Grenzabstand genehmigten Hauswirtschaftsraumes, so erweist sich die Baugenehmigung als unbestimmt und wegen der im Raum stehenden abstandsflächenrechtlichen Problematik für den Nachbarn in seinen drittgeschützten Rechten auf Einhaltung der abstandsflächenrechtlichen Anforderungen möglicherweise als verletzend. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der am 13. November 2019 erhobenen Klage gegen den Baugenehmigungsbescheid des Landratsamtes … vom 6. August 2019 wird angeordnet.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. … Gemarkung …, welches mit einer Doppelhaushälfte und zur östlichen Grundstücksgrenze hin mit zwei Garagen bebaut ist. Dieses Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … „…“.
Südlich des Grundstücks der Antragstellerin und der westlich und östlich des Antragstellerinnengrundstücks gelegenen Grundstücke FlNr. … und FlNr. … schließt sich das der mit Beschluss des VG Ansbach vom 16. Januar 2020 zum Verfahren Beigeladenen Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, an; dieses Grundstück befindet sich im unbeplanten Innenbereich.
Im Dezember 2018 (Eingang beim Landratsamt … im März 2019) beantragten die Beigeladenen die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienwohnhauses mit Garage auf dem Grundstück FlNr. … Unmittelbar an die gemeinsame Grundstücksgrenze zum Grundstück der Antragstellerin hin im Bereich des Grundstücksteiles, in welchem zwei Garagen situiert sind, soll ein mit dem übrigen Wohngebäude durch einen direkten Zugang verbundener Gebäudeteil errichtet werden, in welchem auf der 20,19 qm großen Fläche ein Hauswirtschaftsraum vorgesehen ist.
Nach dem mit den weiteren Bauvorlagen eingereichten Abstandsflächenplan löst dieser nördliche Gebäudeteil keine auf das Grundstück der Antragstellerin entfallenden Abstandsflächen aus.
Mit E-mail vom 8. März 2019 wurden die Beigeladenen seitens des Antragsgegners auf verschiedene Mängel der eingereichten Bauvorlagen hingewiesen. Sie wurden aufgefordert, diesbezüglich geänderte Pläne vorzulegen. So sollten z. B. die Abstandsflächen des Giebels mit eingerechnet werden.
Die mit dem Bauantrag im Dezember 2018 eingereichten Pläne wurden von der Antragstellerin unterschrieben. Der in diesem Zusammenhang unterschriebene Abstandsflächenplan vom 18. Dezember 2018 wurde – zusammen mit anderen Bauvorlagen – durch den Antragsgegner ungültig gestempelt. Die nach Aufforderung des Antragsgegners seitens der Beigeladenen neu eingereichten Bauvorlagen enthalten keine Nachbarunterschriften.
Mit Bescheid des Landratsamtes … vom 6. August 2019 wurde den Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung erteilt. Diese Baugenehmigung wurde der Antragstellerin nicht zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 13. November 2019 ließ die Antragstellerin Klage erheben und mit weiterem Schriftsatz vom 15. Januar 2020 Antrag nach § 80 a Abs. 3 Satz 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO stellen.
Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, durch die grenzständige Errichtung des Beigeladenenvorhabens zeichneten sich bereits jetzt erhebliche Beeinträchtigungen der Rechte der Antragstellerin ab. Die schutzwürdigen Räume und der besonders ruhige und schutzwürdige Gartenteil auf dem Grundstück der Antragstellerin seien allesamt nach Süden und Osten und damit in Richtung des bisher unbebauten Beigeladenenanwesens ausgerichtet. Durch die Errichtung eines Aufenthaltsraumes an der Grundstücksgrenze sei nicht nur mit einer unmittelbaren Gefährdung des sozialen Wohnfriedens zu rechnen, sondern mit ihr gehe unweigerlich auch eine Verschattung von erholungsweise genutzten Freiflächen auf dem Anwesen der Antragstellerin einher.
Die im Baugenehmigungsverfahren eingereichten Pläne stellten insbesondere die Abstandsflächen falsch dar. Nach dem eingereichten Abstandsflächenplan sei fälschlicher Weise der Eindruck entstanden, dass der nördliche Teil des Vorhabens, der als Hauswirtschaftsraum gekennzeichnet sei, zum Anwesen der Antragstellerin hin keine Abstandsflächen auslösen würde. Einzig aufgrund dieses Eindrucks habe die Antragstellerin diese Bauvorlagen unterzeichnet.
Insoweit wurde ein Schreiben der Antragstellerin vom 13. Januar 2020, welches mit „eidesstattliche Versicherung“ überschrieben ist, übergeben, in welchem die Antragstellerin u. a. erklärte, dass sie sich mit Bauvorhaben nicht auskenne und über keine Kenntnisse im Baurecht verfüge. Bei Vorlage der Pläne durch ihren Nachbarn sei sie davon ausgegangen, dass die Pläne schon ihre Richtigkeit haben würden, da sie von einem Architekten ausgearbeitet worden seien. Ihr sei nicht aufgefallen, dass die Abstandflächen in dem Plan unrichtig bzw. unvollständig dargestellt worden seien. Wenn auf ihrem Grundstück etwas eingezeichnet gewesen wäre, etwa eine Abstandsfläche zum Liegen gekommen wäre, hätte sie den Plan mit Sicherheit nicht unterschrieben.
In Folge der Fehlerhaftigkeit der Erstpläne hätten die Beigeladenen erneut einen Abstandsflächenplan und Grundrissplan beim Landratsamt … eingereicht am 22. Juli 2019. Die geänderten Pläne, insbesondere der Abstandsflächenplan, hätten die Hinweise des Landratsamtes zwar berücksichtigt, würden aber nach wie vor die vom Vorhaben ausgelösten Abstandsflächen unrichtig darstellen. Unter anderem würde nicht berücksichtigt, dass der nördliche erdgeschossige Teil des Vorhabens, der als Hauswirtschaftsraum gekennzeichnet sei, selbstverständlich Abstandsflächen auslöse. Zu diesen Plänen sei die Antragstellerin nicht mehr beteiligt worden.
Von der mit Bescheid vom 6. August 2019 erteilten Baugenehmigung habe die Antragstellerin erst mit Akteneinsicht durch ihren Prozessbevollmächtigten am 17. Oktober 2019 Kenntnis erlangt.
Die Antragstellerin habe trotz der ursprünglich geleisteten Unterschrift ein Rechtsschutzbedürfnis, da die geleistete Unterschrift der Zulässigkeit der Klage angesichts der Mangelhaftigkeit der Bauvorlagen nicht entgegenstehe. Eine rechtswirksame Zustimmung des Nachbarn liege nur vor, wenn die vom Nachbarn mit seiner Unterschrift versehenen Bauvorlagen mit der erteilten Baugenehmigung übereinstimmten, d. h. die Bauvorlagen müssten so genehmigt worden sein, wie sie dem Nachbarn zur Unterschrift vorgelegt worden seien. An der Nachbarzustimmung fehle es, wenn der Nachbar die Bauvorlagen aufgrund einer Berechnung oder Erklärung des Bauherrn unterschrieben habe, die Behörde aber feststelle, dass diese Erklärung nicht zutreffe. Ein solcher Fall liege hier vor. Es fehle an der nachbarlichen Zustimmung, da die vom Vorhaben ausgelösten Abstandsflächen, die bei sachgerechter Darstellung vollständig auf dem Grundstück der Antragstellerin zum Liegen kommen, überhaupt nicht dargestellt worden seien.
Die Antragstellerin sei durch die Baugenehmigung in ihren abstandsflächenrechtlichen Rechten verletzt, es liege ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO vor.
Nur vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass kein Fall des Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO gegeben sei. Es sei vorliegend weder eine dinglich gesicherte Grenzabstandsverpflichtung noch eine Abstandsflächenübernahme der Antragstellerin gegeben.
Auch ein Fall des Art. 6 Abs. 9 BayBO sei nicht gegeben. Der Hauswirtschaftsraum erfülle nicht die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 9 Nr. 1 BayBO. Bei dem erdgeschossigen Teilbereich des Bauvorhabens handele es sich nicht um ein sonstiges privilegiertes Gebäude im Sinne dieser genannten Vorschrift. Die privilegierten Gebäude müssten selbständig benutzbare Gebäude im Sinne von Art. 2 Abs. 2 BayBO sein. Der im nördlichen Teil des Vorhabens befindliche Hauswirtschaftsraum sei jedoch ersichtlich kein selbständiges Gebäude, da keine funktionelle Selbständigkeit dieses Raumes vorliege. Zum einen sei er nicht selbständig begehbar. Er verfüge über keinen selbständigen Zugang, sondern könne nur über den Wohnbereich des Hauptgebäudes betreten werden. Zum anderen sei bereits aus den Planunterlagen erkennbar, dass er im untrennbaren Zusammenhang mit dem restlichen Gebäude stehe.
Ungeachtet dessen, dass bereits kein selbständiges Gebäude vorliege, handele es sich bei dem Hauswirtschaftsraum zudem um einen Aufenthaltsraum. Sonstige Gebäude seien nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO nur dann privilegiert, wenn sie keine Aufenthaltsräume und Feuerstätten enthielten. Ein Hauswirtschaftsraum erfülle die Voraussetzungen der in Art. 2 Abs. 5 BayBO enthaltenen Legaldefinition für Aufenthaltsräume ohne weiteres. Wie beispielsweise dem Grundrissplan des Erdgeschosses zu entnehmen sei, seien in jenem Raum sogar Sitzgelegenheiten vorgesehen.
Eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften sei weder erteilt worden noch könne eine solche erteilt werden. Nach der typisierenden Betrachtungsweise des Gesetzgebers müssten Gebäude mit Aufenthaltsräumen im Interesse der Vermeidung von Nachbarstreitigkeit in der offenen Bauweise grundsätzlich Abstandsflächen zur Nachbargrenze einhalten. Es würden deshalb regelmäßig schutzwürdige nachbarliche Interessen negativ betroffen, wenn in einem Grenzgebäude Aufenthaltsräume enthalten seien.
Auch verstoße das Vorhaben gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Es verletze die Vorschriften des Abstandsflächenrechts zu Lasten der Antragstellerin massiv. Das Vorhaben werde derzeit nahezu grenzständig zum Anwesen der Antragstellerin errichtet und verletze die Belange der Belichtung, Belüftung und Besonnung und des sozialen Wohnfriedens erheblich. Die schutzwürdigen Räume und der besonders ruhige und schutzwürdige Gartenteil auf dem Anwesen der Antragstellerin seien allesamt nach Süden und Osten in Richtung des bisher unbebauten Anwesens der Beigeladenen ausgerichtet.
Es wird beantragt,
die aufschiebende Wirkung der mit Datum vom 13. November 2019 erhobenen Klage gegen die vom Antragsgegner an die Beigeladene erteilte Baugenehmigung vom 6. August 2019 wird angeordnet.
Der Antragsgegner beantragt
Antragsablehnung.
Auf seine schriftsätzlichen Ausführungen wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten Bezug genommen.
II.
Streitgegenstand des vorliegenden Antrags ist die Beseitigung der sofortigen Vollziehbarkeit der den Beigeladenen mit Bescheid vom 6. August 2019 erteilten Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienwohnhauses mit Garage.
Der Antrag ist zulässig.
Vorliegender Eilantrag – und gleiches gilt für die erhobene Klage – erweist sich nicht etwa wegen fehlender Antragsbefugnis im Hinblick auf die durch die Antragstellerin geleistete Unterschrift auf den eingereichten Bauvorlagen als unzulässig.
Zwar gilt die Nachbarunterschrift (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 BayBO) auf dem Lageplan und den Bauvorlagen grundsätzlich als Zustimmung zum Bauvorhaben und sie ist nur frei widerruflich bis zum Zeitpunkt ihres Zugangs bei der Baugenehmigungsbehörde (vgl. z. B. BayVGH, Großer Senat v. 3.11.2005, BayVBl. 2006, 246).
Wird die Nachbarunterschrift auf den in Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BayBO benannten Bauvorlagen vorbehaltslos erteilt und nicht rechtzeitig, d. h. vor Zugang bei der Behörde, widerrufen, so kann der Nachbar bezüglich des konkreten Bauvorhabens keine eigenen öffentlich-rechtlich geschützten Rechte mehr geltend machen; gleichwohl erhobene Rechtsbehelfe sind unzulässig (vgl. z. B. BayVGH v. 31.1.2005, 20 CE 05.68 – juris).
Vorliegend wurde der von der Antragstellerin unterschriebene Abstandsflächenplan und der ebenfalls mit Nachbarunterschriften versehene Grundrissplan Erdgeschoss ungültig gestempelt. Auf den nachgereichten Bauvorlagen, die der streitgegenständlichen Baugenehmigung zugrunde lagen, befinden sich weder auf dem Abstandsflächenplan noch auf dem Grundrissplan Erdgeschoss Nachbarunterschriften.
In Anbetracht dieser Gegebenheiten ist nicht vom Vorliegen einer die Geltendmachung einer Nachbarrechtsverletzung ausschließenden Nachbarunterschrift auszugehen. Die Antragsbefugnis ist damit gegeben; der vorliegende Eilantrag ist somit zulässig.
Der Antrag erweist sich auch als begründet.
Die Antragstellerin kann sich voraussichtlich erfolgreich auf eine ihre drittgeschützten Rechte berührende Unbestimmtheit der streitgegenständlichen Baugenehmigung berufen.
In Fällen, in denen die gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO dem Grundsatz nach gegebene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage wie vorliegend durch ein Bundesgesetz ausgeschlossen ist (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212 a Abs. 1 BauGB), kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80 a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung der innerhalb der Frist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO rechtzeitig erhobenen Klage anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht in einer den Charakter des summarischen Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprechenden Weise die Interessen der Antragstellerseite und der Antragsgegnerin sowie der Beigeladenen gegeneinander abzuwägen (Kopp/Schenke, VwGO, 18. Auflage, § 80 Rn. 152), wobei vorrangig die bereits überschaubaren Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen sind.
Nach diesen Grundsätzen ist dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage Erfolg beschieden.
Nach Überzeugung der Kammer hat die Klage gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung hinreichende Aussicht auf Erfolg, so dass das kraft Gesetzes nach § 212 a Abs. 1 BauGB bereits bestehende öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung einer Baugenehmigung ausnahmsweise zurücktreten muss.
Infolge der unterbliebenen Zustellung der streitgegenständlichen Baugenehmigung an die Antragstellerin liegt wohl keine Klagefristversäumnis vor (vgl. § 58 VwGO), so dass aufgrund der hier nur vorzunehmenden summarischen Prüfung vom Vorliegen einer zulässigen Klage ausgegangen wird.
Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung haben Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr setzt die Aufhebung der Baugenehmigung weiter voraus, dass der Nachbar durch sie zugleich in seinen Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dies ist nur dann der Fall, wenn die zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führende Norm zumindest auch dem Schutze der Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat (vgl. z. B. BVerwG v.6.10.1989, 4 C 40.87-juris).
Aufgrund der im vorliegenden Verfahren nur vorzunehmenden summarischen Überprüfung ist festzustellen, dass aller Voraussicht nach eine Rechtsverletzung der Antragstellerin durch die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung gegeben ist.
Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO regelt das Erfordernis der Einreichung bestimmter Bauvorlagen zusammen mit dem Bauantrag unter Heranziehung der Bauvorlagenverordnung (BauVorlV).
Zu diesen einzureichenden Unterlagen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BauVorlV) gehört u. a. ein Lageplan, aus welchem sich gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 13 BauVorlV – soweit erforderlich – die vom Bauvorhaben ausgelösten Abstandsflächen ergeben.
Die eingereichten Bauvorlagen müssen vollständig, richtig und eindeutig sein.
Sind sie das in wesentlichen Punkten nicht, so ist eine gleichwohl erteilte Baugenehmigung in der Regel unbestimmt und damit rechtswidrig.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein Nachbar zwar keinen materiellen Anspruch darauf hat, dass der Bauantragsteller einwandfreie Bauvorlagen einreicht, die Baugenehmigung aber dann aufzuheben ist, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. z. B. BayVGH v. 5.12.2001, 26 ZB 01.1775 – juris).
Lässt die Baugenehmigung in Folge der sich als unrichtig, unvollständig oder nicht eindeutig darstellenden Bauvorlagen keine Entscheidung darüber zu, ob die zum Prüfprogramm des anzuwendenden bauaufsichtlichen Verfahrens gehörenden und Nachbarschutz vermittelnden Vorschriften eingehalten sind, so wird dies zur Aufhebung des Bescheides führen (vgl. z. B. BayVGH v. 28.6.1999, 1 B 97.3174 – juris).
Das Bestimmtheitsgebot verlangt in seiner nachbarrechtlichen Ausprägung, dass sich der Baugenehmigung sowie den genehmigten Bauvorlagen im erforderlichen Umfang sicher entnehmen lassen muss, dass nur solche Baumaßnahmen und Nutzungen erlaubt sind, die Nachbarrechte nicht beeinträchtigen. Ist eine Baugenehmigung in dieser Hinsicht inhaltlich nicht hinreichend bestimmt, führt dies dann zu einem Abwehrrecht des Nachbarn, wenn sich die Unbestimmtheit gerade auf solche Vorhabensmerkmale bezieht, deren genau Festlegung nötig ist, um eine Verletzung nachbarrechtsrelevanter Vorschriften auszuschließen.
Vorliegend wurde seitens der Beigeladenen zusammen mit dem Lageplan ein gesonderter Abstandsflächenplan eingereicht, aus welchem sich ergibt, dass der mit „Hauswirtschaftsraum“ bezeichnete grenzständig geplante erdgeschossige Gebäudeteil keine Abstandsflächen zum nördlich anschließenden Grundstück der Antragstellerin auslöst. Im Hinblick auf Art. 6 Abs. 9 BayBO wäre dies u. a. aber nur für den Fall zutreffend, dass es sich bei dem geplanten Grenzbau um ein in den Abstandflächen zulässiges Gebäude ohne Aufenthaltsraum und Feuerstätte mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m und einer Gesamtlänge von bis zu 9 m handelt.
Vorliegend erscheint fraglich, ob der als „Hauswirtschaftsraum“ bezeichnete Raum kein Aufenthaltsraum im Sinne des Art. 2 Abs. 5 BayBO ist.
Nach dieser Vorschrift sind Aufenthaltsräume Räume, die zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt bestimmt oder geeignet sind.
Nach den Maßen des streitgegenständlichen Grenzgebäudes ist wohl vom Vorliegen der Anforderungen des Art. 45 BayBO an Aufenthaltsräume auszugehen, so dass dieser Raum nach seiner Lage und Größe grundsätzlich geeignet wäre, als Aufenthaltsraum im Sinne des Art. 2 Abs. 5 BayBO benutzt zu werden.
Jedoch wird die Bestimmung, dass ein Raum nicht nur zum vorübergehenden Aufenthalt von Menschen dienen soll, in der Regel vom Bauherrn getroffen durch die Angabe des Nutzungszwecks in den Bauvorlagen.
Die vorliegend gemachte Angabe, dass es sich bei jenem unmittelbar an der Grundstücksgrenze zur Antragstellerin hin situierten Raum um einen Hauswirtschaftsraum handelt, ergibt wegen der im allgemeinen Sprachgebrauch vorhandenen Bandbreite dieser Bezeichnung keine eindeutige Zuordnung unter die Begriffe „Aufenthaltsraum“ oder „nur zum vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmter Raum“.
So unterfällt dem Begriff „Hauswirtschaftsraum“ im allgemeinen Sprachgebrauch sowohl ein lediglich mit z. B. einer Waschmaschine und einem Wäschetrockner ausgestatteter Raum als auch ein Raum, der neben Lagermöglichkeiten für technisches Gerät, Lebensmittel etc. auch als Raum für der Haushaltsführung zuzurechnende Arbeiten wie Bügeln, Wäsche zusammenlegen und in den Schrank sortieren, Näharbeiten ausführen bis hin zur Aufbereitung einzufrierender oder einzukochender oder in sonstiger Weise zu verarbeitender Lebensmittel dient.
Erst die Konkretisierung der Angabe „Hauswirtschaftsraum“ mittels entsprechend detaillierter Nutzungsangaben vermag die für den Nachbarn im Hinblick auf die Einhaltung der Drittschutz gewährenden Vorschrift des Art. 6 BayBO relevante Frage, ob ein Aufenthaltsraum vorliegt oder nicht, hinreichend zu beantworten.
Fehlt es aber – wie vorliegend – an jedweder die Raumnutzung konkretisierenden Angaben, so erweist sich die Baugenehmigung als unbestimmt und wegen der inmitten stehenden abstandsflächenrechtlichen Problematik (vgl. Art. 6 Abs. 9 BayBO) den Nachbarn in seinen drittgeschützten Rechten auf Einhaltung der sich aus Art. 6 BayBO ergebenden abstandsflächenrechtlichen Anforderungen möglicherweise verletzend.
Überdies erscheint auch im Hinblick darauf, dass jener Hauswirtschaftsraum ausschließlich vom Wohn-, Ess- und Küchenraum aus betretbar ist, das Vorliegen der durch Art. 6 Abs. 9 BayBO vermittelten Privilegierung fraglich.
Nach alledem war dem Antrag stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.


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