Baurecht

Einziehung eines öffentlichen Feld- und Waldwegs

Aktenzeichen  8 ZB 19.888

Datum:
7.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 141
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2
BayStrWG Art. 8 Abs. 1, Art. 67 Abs. 3, Abs. 4

 

Leitsatz

1. Ist ein Straßengrundstück im Bestandsverzeichnis ausdrücklich als eigene Flurnummer aufgeführt, erstreckt sich die Widmung als öffentliche Straßenfläche grundsätzlich auf die gesamte Fläche des Grundstücks. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Rechtsanspruch aus Art. 8 Abs. 1 S. 1 BayStrWG auf Einziehung eines bestimmten Straßenstücks besteht nicht. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Zulassungsgrund in Bezug auf eine angeblich fehlerhafte Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist nur dann gegeben, wenn gute Gründe aufgezeigt werden, dass die tatsächlichen Feststellungen augenscheinlich nicht zutreffen oder z.B. wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Die bloße Möglichkeit einer anderen Bewertung des Sachverhalts genügt dafür nicht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 2 K 17.1522 2018-11-20 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt die Einziehung eines öffentlichen Feld- und Waldwegs.
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. … Gemarkung S … Das Grundstück ist im Bestandsverzeichnis der Beklagten als Teilstück des Straßenzugs „Weg von der Bundesstraße … über R …, H … nach P …“ eingetragen. Der Straßenzug war ursprünglich als öffentlicher Feld- und Waldweg eingeteilt; mit Wirkung zum 1. Januar 1974 stufte ihn die Beklagte – mit Ausnahme des Teilstücks auf dem o.g. Grundstück des Klägers – zur Gemeinde straße auf.
Mit seiner beim Verwaltungsgericht München erhobenen Klage hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verpflichten, den öffentlichen Feld- und Waldweg von P … nach H … einzuziehen, soweit er über sein Grundstück FlNr. … verläuft bzw. hilfsweise festzustellen, dass die Widmung dieses Grundstücks nichtig ist. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. November 2018 abgewiesen. Ein Anspruch auf Einziehung, die ausschließlich öffentliche Interessen verfolge, sei genauso wenig dargetan wie der Verlust jeder Verkehrsbedeutung des Wegstücks. Die Eintragung im Bestandsverzeichnis sei eindeutig und damit wirksam.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter. Die Eintragung in das Bestandsverzeichnis sei nichtig, weil der Endpunkt des Wegs unklar bleibe und nicht durch andere Anhaltspunkte ersetzt werden könne. Das Wegstück habe jegliche Verkehrsbedeutung verloren und sei aufgrund der dortigen Vegetation schon nicht mehr erkennbar. Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass sich die Aussage des Bürgermeisters der Beklagten zur Nutzung als Wanderweg nur auf den „St.-R …-Pilgerweg“ bezogen habe; das klägerische Grundstücke FlNr. 1164/2 sei aber nicht Teil dieses Wanderwegs.
II.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
1. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ist nicht hinreichend dargelegt oder liegt nicht vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechtssätze oder einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden (BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 16; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – BVerfGE 134, 106 = juris Rn. 36). Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn der Antragsteller substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546 = juris Rn. 19). Sie sind nicht erst dann gegeben, wenn bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (BVerfG, B.v. 16.1.2017 – 2 BvR 2615/14 – IÖD 2017, 52 = juris Rn. 19).
Nach diesem Maßstab zeigt der Zulassungsantrag keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung auf.
1.1 Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Wegstück auf dem klägerischen Grundstück FlNr. … um eine wirksam in das Bestandsverzeichnis der Beklagten eingetragene öffentliche Straßenfläche handelt.
Das Straßengrundstück FlNr. … ist im Bestandsverzeichnis der Beklagten ausdrücklich als eigene Flurnummer aufgeführt. In einem solchen Fall erstreckt sich die Widmung grundsätzlich auf die gesamte Fläche des Grundstücks (vgl. Häußler in Zeitler, BayStrWG, Stand März 2019, Art. 6 Rn. 9). Dass der Endpunkt des Wegs bei Ansatz einer verbleibenden Teilstrecke von 225 m (von km 1.010 bis km 1.235) nicht an der Grenze des Grundstücks FlNr. 1164/2, sondern auf dem nicht im Bestandsverzeichnis aufgeführten Grundstück FlNr. … liegt, kann für das klägerische Grundstück FlNr. … zu keinem Bestimmtheitsmangel infolge eines unklaren Wegeverlaufs führen. Ein Hinausgreifen auf nicht gewidmetes, also unbelastetes Privateigentum (vgl. BayVGH, U.v. 28.2.2012 – 8 B 11.2934 – BayVBl 2013, 84 = juris Rn. 48), ist betreffend das klägerische Grundstück FlNr. … nicht zu besorgen. Das Zulassungsvorbringen, der Endpunkt des Wegs ließe sich auch nicht durch andere Anhaltspunkte nachvollziehen (vgl. BayVGH, B.v. 15.3.2017 – 8 ZB 15.1610 – juris Rn. 12; Häußler in Zeitler, BayStrWG, Art. 6 Rn. 6 f.), geht deshalb ins Leere.
Auch der vom Zulassungsantrag angeführte Gemeinderatsbeschluss vom 25. Juni 1996 vermag an der (unwiderlegbaren) Rechtsvermutung nach § 67 Abs. 4 Bay-StrWG, dass die im Bestandsverzeichnis eingetragene Wegefläche FlNr. 1164/2 als öffentliche Straße gewidmet wurde, nichts zu ändern. Abgesehen davon legt der Beschluss („Für das Befahren des öffentlichen Feld- und Waldweges FlNr. … übernimmt die Gemeinde keine Gewähr.“) nahe, dass die Beklagte seinerzeit durchaus von der Widmung der FlNr. … als öffentliche Straße ausgegangen ist. Dass die Beklagte in der Folge (Schreiben vom 4.11.1996 an das Landratsamt) offenbar irrig angenommen hat, die FlNr. … sei nicht im Bestandsverzeichnis eingetragen, rechtfertigt keine andere Einschätzung. Mit der diesbezüglichen Begründung des Verwaltungsgerichts (UA Rn. 15) setzt sich der Zulassungsantrag nicht substanziiert auseinander. Im Übrigen ist nicht erkennbar, wie eine schriftliche Auskunft über den Inhalt des Bestandsverzeichnisses die gesetzliche Folge einer unanfechtbaren dortigen Eintragung nach Art. 67 Abs. 4 BayStrWG überwinden sollte.
1.2 Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils hat der Kläger auch nicht aufgezeigt, soweit er einen Anspruch auf Einziehung geltend macht.
1.2.1 Das Zulassungsvorbringen zur Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) geht ins Leere, weil das Verwaltungsgericht die Klageabweisung nicht auf die Unzulässigkeit, sondern die Unbegründetheit der Klage gestützt hat (vgl. UA Rn. 11).
1.2.2 Der Zulassungsantrag trägt keine Gesichtspunkte vor, die es denkbar erscheinen lassen, dass besondere individuelle Belange des Klägers ausnahmsweise die Einziehung des Straßenteilstücks auf FlNr. … verlangen könnten.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt (vgl. UA Rn. 12), dass Art. 8 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG für die Entscheidung über eine Einziehung ausschließlich auf öffentliche Interessen abstellt (BayVGH, B.v. 24.10.2019 – 8 ZB 19.2027 – juris Rn. 9; B.v. 3.11.2016 – 8 ZB 15.1340 – juris Rn. 10). In der Konsequenz besteht grundsätzlich kein Rechtsanspruch auf Einziehung eines bestimmten Straßenstücks (BayVGH, B.v. 31.3.2005 – 8 ZB 04.2279 – BayVBl 2006, 88 = juris Rn. 10; B.v. 9.1.2018 – 8 ZB 16.2351 = juris Rn. 9). Auch alleine aus dem rechtswirksam durch Widmung belasteten Grundeigentum kann sich keine auf Einziehung einer dort vorhandenen öffentlichen Straße gerichtete Rechtsposition ergeben (BayVGH, B.v. 3.11.2016 – 8 ZB 15.1340 – juris Rn. 10; Häußler in Zeitler, BayStrWG, Art. 8 Rn. 55).
1.2.3 Ob der Zulassungsantrag die Feststellung des Verwaltungsgerichts, der strittige öffentliche Feld- und Waldweg habe nicht jede Verkehrsbedeutung verloren, durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt hat, kann dahinstehen. Beruht das angegriffene Urteil – wie hier (vgl. UA Rn. 17: „Darüber hinaus“) – auf mehreren selbständig tragenden Gründen (Mehrfachbegründung), kann die Berufung nur zugelassen werden, wenn der Rechtsmittelführer hinsichtlich jeder dieser Begründungen einen Zulassungsgrund aufzeigt (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 – ZfBR 2013, 783 = juris Rn. 2 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; BayVGH, B.v. 26.1.2018 – 6 ZB 17.956 – juris Rn. 4). Das ist hier – wie unter Nr. 1.2.2 aufgezeigt – nicht der Fall.
Abgesehen davon wendet sich der Kläger mit seinem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht eine Verkehrsbedeutung des Straßenteilstücks als Wanderweg angenommen, in der Sache gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Ausgangsgerichts. Solche Fehler sind im Hinblick auf § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO im Berufungszulassungsverfahren nur einer eingeschränkten Prüfung zugänglich (BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 8 ZB 18.1235 – BayVBl 2019, 237 = juris Rn. 25 f.; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 19). Für einen darauf gestützten Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO genügt nicht allein der Vortrag, die Tatsachen seien anders als vom Verwaltungsgericht angenommen oder der Sachverhalt bzw. das Ergebnis einer Beweisaufnahme sei anders zu bewerten (VGH BW, B.v. 11.2.2019 – 12 S 2789/18 – juris Rn. 19; OVG NW, B.v. 21.6.2012 – 18 A 1459/11 – juris Rn. 9; Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 67). Ein diesbezüglicher Zulassungsgrund ist in einem solchen Fall nur dann gegeben, wenn gute Gründe aufgezeigt werden, dass die tatsächlichen Feststellungen augenscheinlich nicht zutreffen oder beispielsweise wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Die bloße Möglichkeit einer anderen Bewertung des Sachverhalts genügt dafür nicht (BVerwG, B.v. 26.9.2016 – 5 B 3.16 D – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 21.1.2013 – 8 ZB 11.2030 – ZfW 2013, 176 = juris Rn. 17).
Solche zur Zulassung der Berufung führende Mängel lassen sich dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen. Die Behauptung, die Aussage des Bürgermeisters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, „der Weg“ werde insbesondere als Wanderweg genutzt (vgl. Sitzungsprotokoll vom 20.11.2018 S. 4), habe sich nicht auf das strittige Straßenteilstück FlNr. …, sondern auf den nicht darüber verlaufenden „St.-R …-Pilgerweg“ bezogen, ist nicht schlüssig. Diese Aussage stand nämlich im Zusammenhang mit der Erklärung, dass sich mehrere Personen über die Sperrung des Weges durch geparkte Fahrzeuge beschwert hätten; die Gemeinde hat hierzu zwei Fotos vorgelegt, die landwirtschaftliche Fahrzeuge im Bereich des Wegestücks FlNr. … zeigen (vgl. Sitzungsprotokoll S. 5).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 43.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013; sie folgt der Festsetzung des Erstgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben