Baurecht

Erfolglose Nachbarklage gegen Baugenehmigung: Ehemaliger Schweinestall soll abgerissen werden zu Gunsten der Neuerrichtung eines Rinderstalls

Aktenzeichen  W 5 K 19.1439

Datum:
3.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 39880
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BauGB § 15 Abs. 1 S. 2, § 34 Abs. 2
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine Verletzung von Nachbarrechten durch einen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) ist (nur) dann gegeben, wenn die Unbestimmtheit ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft oder wenn infolge der Unbestimmtheit einer Baugenehmigung nicht beurteilt werden kann, ob das Vorhaben den geprüften nachbarschützenden Vorschriften entspricht (vgl. Lechner in: Simon/Busse, BayBO, 138. EL September 2020, Art. 68 Rn. 465 ff.). (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bilden die Erhebungen der Bayerischen Landesanstalt für Landtechnik der Technischen Universität München/Weihenstephan „Geruchsimmissionen aus Rinderställen“ vom März 1994 („Gelbes Heft“ 52) und „Geruchsfahnenbegehungen an Rinderställen“ vom Juni 1999 („Gelbes Heft“ 63) brauchbare Orientierungshilfen, um die Schädlichkeit von Geruchsimmissionen auf Wohnbebauung ermitteln zu können. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die von landwirtschaftlichen Betrieben üblicherweise ausgehenden Emissionen (Tiergeräusche, Maschinenlärm, Geruchsentwicklung) sind gebietstypisch und daher in der Regel nicht als unzulässige Störung der in der Nachbarschaft vorhandenen oder geplanten Wohnnutzung anzusehen (vgl. BayVGH BeckRS 2004, 30211). (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen des Beigeladenen zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Ein Nachbar hat nicht schon dann einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung, wenn diese objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr muss der Nachbar durch die Baugenehmigung gerade in seinen eigenen Rechten verletzt werden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies ist nur dann der Fall, wenn Normen verletzt sind, die zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dienen, mithin drittschützenden Charakter haben (vgl. BayVGH, B.v. 2.9.2013 – 14 ZB 13.1193 – juris). Eine solche Verletzung des Klägers in drittschützenden Rechten liegt hier aufgrund der dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigung des Landratsamts Würzburg vom 25. September 2019 i.d.F. des Ergänzungsbescheids vom 23. Juli 2020 nicht vor.
1. Soweit der Klägerbevollmächtigte vorbringt, die Baugenehmigung verstoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG), verhilft dies der Klage nicht zum Erfolg.
Eine Baugenehmigung kann Rechte des Nachbarn verletzen, wenn sie hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Fragen unbestimmt ist und daher im Falle der Umsetzung des Bauvorhabens eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen ist. D.h., ein Dritter kann sich dann auf eine unzureichende inhaltliche Bestimmtheit mit der Folge eines entsprechenden Abwehranspruchs berufen, soweit der Bestimmtheitsmangel eine Regelung betrifft, die ihre Grundlage in einer zum Prüfprogramm des konkreten bauaufsichtlichen Verfahrens gehörenden und gerade dem Schutz dieses Dritten dienenden materiell-rechtlichen Norm hat, und der Dritte infolge des Bestimmtheitsmangels auch insoweit qualifiziert und individualisiert betroffen ist, als er nicht feststellen kann, ob bzw. in welchem Maße eine Verletzung dieser drittschützenden Norm durch die Genehmigung möglich scheint (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.1999 – 1 B 97.3174; B.v. 29.4.2015 – 2 ZB 14.1164 – beide juris). Eine Verletzung von Nachbarrechten ist also dann gegeben, wenn die Unbestimmtheit ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft oder wenn infolge der Unbestimmtheit einer Baugenehmigung nicht beurteilt werden kann, ob das Vorhaben den geprüften nachbarschützenden Vorschriften entspricht (vgl. Lechner in: Simon/Busse, BayBO, 138. EL September 2020, Art. 68 Rn. 465 ff.). Eine Baugenehmigung ist etwa dann aufzuheben, wenn wegen des Fehlens oder der Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt werden können und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2015 – 9 ZB 12.205; U.v. 16.10.2013 – 15 B 12.1808 – beide juris).
Bei Zugrundelegung dieses Maßstabes ist die Baugenehmigung des Landratsamts Würzburg vom 25. September 2019 nicht zu unbestimmt. Insbesondere fehlt es nicht an inhaltlich so umfassenden und konkreten Bauantragsunterlagen, dass eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden könnte. Das gilt entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten gerade auch in Bezug auf die Jauchegrube. Der Beigeladene hat mit Schreiben vom 27. August 2018, beim Landratsamt W. eingegangen am selben Tag, Planunterlagen eingereicht, die zum Gegenstand der Baugenehmigung gehören und in denen der Standort der Jauchegrube, der konkret vorgesehene Gärsaftbehälter (Typ „SG2“ der Fa. Hermann Uhrle), dessen Abmessungen, dessen maximaler Nutzinhalt (12,20 m³) und dessen Schachtabdeckung explizit dargestellt werden (vgl. Bl. 74, 120, 128 und 129 der Behördenakte). Hinzu kommt, dass im Anhang zur Baugenehmigung vom 25. September 2019 mehrere Nebenbestimmungen enthalten sind, die immissionsschutzrechtliche und wasserrechtliche Maßgaben zur Lagerung und Entsorgung der Jauche bzw. Gülle treffen (Bl. 118 f. der Behördenakte). Damit lässt sich für den Kläger in erkennbarer Weise abschätzen, ob bzw. in welchem Maße er aufgrund der vorgesehenen Jauchegrube von Geruchsimmissionen betroffen werden kann. Weshalb angesichts der klaren und detaillierten Angaben zur Jauchegrube insoweit ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz vorliegen sollte, lässt sich für die Kammer nicht nachvollziehen.
2. Eine Rechtsverletzung des Klägers durch die streitgegenständliche Baugenehmigung ergibt sich weiterhin nicht aus dem sog. Gebietsbewahrungs- oder Gebietserhaltungsanspruch.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Nachbar im Plangebiet sich gegen die Zulässigkeit einer gebietswidrigen Nutzung im Plangebiet wenden, auch wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Der Nachbar hat also bereits dann einen Abwehranspruch, wenn das baugebietswidrige Vorhaben im jeweiligen Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung führt. Der Abwehranspruch wird grundsätzlich bereits durch die Zulassung eines mit der Gebietsfestsetzung unvereinbaren Vorhabens ausgelöst. Begründet wird dies damit, dass im Rahmen des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses jeder Planbetroffene das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets verhindern können soll (vgl. BVerwG, B.v. 2.2.2000 – 4 B 87/99 – NVwZ 2000, 679; U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – juris). Derselbe Nachbarschutz besteht auch im unbeplanten Innenbereich, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht, § 34 Abs. 2 BauGB (BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – juris; Simon/Busse, BayBO, 138. EL Sept. 2020, Art. 66 Rn. 347 und 395). § 34 Abs. 2 BauGB besitzt grundsätzlich nachbarschützenden Charakter (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – juris). Danach hat der Nachbar in einem Gebiet, auf das § 34 Abs. 2 BauGB entsprechend Anwendung findet, einen Schutzanspruch auf Bewahrung der Gebietsart.
Nach Aktenlage und unter Berücksichtigung der beim gerichtlichen Augenschein gewonnenen Erkenntnisse ist davon auszugehen, dass das Baugrundstück und das Anwesen des Klägers sich in einem faktischen Dorfgebiet befinden, § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO. Ein Dorfgebiet dient der Unterbringung landwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen, der Unterbringung nicht wesentlich störender Gewerbebetriebe sowie der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieben, wobei auf die Belange der landwirtschaftlichen Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten vorrangig Rücksicht zu nehmen ist. Hier besteht im gesamten Ortsbereich ein Nebeneinander von Wohnbebauung, landwirtschaftlicher Nutzung und gewerblicher Nutzung. Hinzu treten Verwaltungsgebäude und Schank- und Speisewirtschaften. Es handelt sich allesamt um Nutzungen, die in einem Dorfgebiet nach § 5 BauNVO allgemein zulässig sind. Die landwirtschaftliche Nutzung ist auch nicht so ausgedünnt, dass ein Umschlagen in ein Allgemeines Wohngebiet vorliegen könnte. Das gilt auch bei alleiniger Betrachtung des Innenbereichs des Ortes, wo ebenfalls prägende landwirtschaftliche Strukturen, insbesondere die betriebenen Tierhaltungen des Beigeladenen und des Landwirts … (Färsenmast), sowie kleine Gewerbeeinheiten (z.B. die Bäckerei des Klägers im Verfahren W 5 K 19.1469) vorhanden sind. Beim gerichtlichen Augenschein haben sich die örtlichen und baulichen Verhältnisse im Bereich des Baugrundstücks aus Sicht der Kammer in einer für ein Dorfgebiet geradezu typischen Art und Weise dargestellt.
Das Vorbringen des Klägerbevollmächtigten, wonach von einer Gemengelage mit überwiegender Wohnnutzung auszugehen sei, überzeugt hingegen angesichts der prägenden Wirkungen der landwirtschaftlichen Stellen nicht und kann im Übrigen auch nicht zu einem Gebietsbewahrungs- bzw. Gebietserhaltungsanpruch führen, weil es im Fall einer Gemengelage am typischen Austauschverhältnis zwischen den Grundstücken, welches den bauplanungsrechtlichen Grund für ein nachbarliches – von konkreten Beeinträchtigungen unabhängiges – Abwehrrecht gegen das Eindringen gebietsfremder Nutzung darstellt, fehlt (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.2020 – 9 CS 20.976; B.v. 10.10.2019 – 9 CS 19.1468 – beide juris). Im Ergebnis entspricht die nähere Umgebung also – unabhängig davon, ob man sie lediglich auf den Ortskern oder auf den gesamten Ortsbereich erstreckt – der in § 5 Abs. 1 Satz 1 BauNVO vorgesehenen Nutzungsstruktur, die durch die drei Hauptfunktionen Land- und Forstwirtschaft, Wohnen und Gewerbe gleichermaßen bestimmt ist (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 138. EL Mai 2020, § 5 BauNVO Rn. 10).
Das streitgegenständliche Vorhaben (Rinderstall mit zwölf Milchkühen und 18 Nachzuchtplätzen) ist im faktischen Dorfgebiet als Wirtschaftsstelle eines landwirtschaftlichen Betriebs gem. § 5 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO allgemein zulässig. Das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung oder die schleichende Umwandlung des Baugebiets ist nicht zu befürchten, weshalb der Kläger sich nicht mit Erfolg auf einen Gebietsbewahrungs- bzw. Gebietserhaltungsanspruch berufen kann.
3. Der Kläger wird durch die Baugenehmigung auch nicht unzumutbar beeinträchtigt, so dass kein Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme vorliegt.
Die Anwendbarkeit des Rücksichtnahmegebots ist auch in Baugebieten gegeben, die – wie im vorliegenden Fall – nicht in einem Bebauungsplan festgesetzt sind, sondern nur faktische Baugebiete darstellen. Seine Anforderungen sind Bestandteil des erforderlichen „Einfügens“ im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB oder – wie hier – der Vorgaben aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, falls ein bestimmter Baugebietstyp faktisch vorliegt. Das Gebot der Rücksichtnahme ist nämlich inhaltlich identisch, unabhängig davon, ob es sich aus dem in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Merkmal des „Einfügens“ oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO herleitet.
Dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Soweit – wie vorliegend – ein Rücksichtnahmeverstoß aufgrund von Immissionsbelastungen geltend gemacht wird, wird zur Konturierung der Zumutbarkeitsschwelle des Rücksichtnahmegebots auf die materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts, also auf die Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen i.S.v. § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 BImSchG zurückgegriffen (zum Ganzen vgl. BayVGH, B.v. 9.6.2020 – 15 CS 20.901 – juris m.w.N.).
Gemessen hieran erweist sich das Vorhaben des Beigeladenen gegenüber dem Kläger nicht als rücksichtslos. Denn es sind vom Vorhaben keine Belästigungen oder Störungen zu erwarten, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Im Einzelnen:
3.1. Das Gebot der Rücksichtnahme wird insbesondere nicht aufgrund der vom Vorhaben zu erwartenden Geruchsimmissionen zulasten des Klägers verletzt.
Für die Beurteilung der Zumutbarkeit der von Tierhaltungsbetrieben verursachten Gerüche gibt es keine allgemein gültigen Regelungen ähnlich der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft). Im Rahmen seiner tatrichterlichen Bewertung kann das Gericht jedoch auf diverse Regelwerke als Orientierungshilfe zurückgreifen, die in der landwirtschaftlichen Praxis entwickelt wurden (im Überblick vgl. BayVGH, B.v. 4.12.2019 – 15 CS 19.2048 – juris m.w.N.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bilden die Erhebungen der Bayerischen Landesanstalt für Landtechnik der Technischen Universität München/Weihenstephan „Geruchsimmissionen aus Rinderställen“ vom März 1994 („Gelbes Heft“ 52) und „Geruchsfahnenbegehungen an Rinderställen“ vom Juni 1999 („Gelbes Heft“ 63) brauchbare Orientierungshilfen, um die Schädlichkeit von Geruchsimmissionen auf Wohnbebauung ermitteln zu können. Das Gleiche gilt für die „Abstandsregelung für Rinderhaltungen“ des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ vom März 2016 (vgl. BayVGH, U.v. 10.5.2016 – 2 B 16.231 – juris Rn. 27; B.v. 4.12.2019 – 15 CS 19.2048 – juris), die der technische Immissionsschutz des Landratsamts Würzburg im vorliegenden Baugenehmigungsverfahren im Rahmen seiner Stellungnahme vom 28. November 2018 (Bl. 83 f. der Behördenakte) zur Anwendung gebracht hat. Die darin zugrunde gelegten Schutzabstände zwischen Rinderhaltungsbetrieben und Wohnbebauung, die sich in Abhängigkeit von der Bestandsgröße des Betriebs bestimmen, stellen eine in der Rechtsprechung anerkannte, sachverständige Orientierungshilfe dar (BayVGH, B.v. 3.2.2011 – 1 ZB 10.718 – juris). Die auf dieser Grundlage getroffene Einschätzung des Landratsamts Würzburg, wonach unter Berücksichtigung der getroffenen Auflagenvorschläge keine Einwände bestehen, ist – soweit es um die hier allein relevante Situation des Klägers geht – nicht zu beanstanden. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Für die Beurteilung der erforderlichen Abstände zwischen Wohnbebauung und landwirtschaftlicher Tierhaltung sind die immissionsschutzfachlich anerkannten Methoden zu beachten und ist gegebenenfalls eine immissionsschutzfachliche Stellungnahme heranzuziehen (BayVGH, B.v. 19.11.2008 – 14 ZB 07.3068 – juris). Die in der immissionsschutzrechtlichen Stellungnahme vom 28. November 2018 vorgenommene Abstandsmessung zwischen dem Bauvorhaben und dem Wohnanwesen des Klägers begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die dabei als Ausgangspunkt zugrunde gelegte Anzahl an Großvieheinheiten ist nicht zu beanstanden. Die errechnete Anzahl von 25,2 GV ergibt sich aus dem im Bauantrag angegebenen Tierbesatz des Offenstalls, der aus 18 weiblichen Rinder im Alter von ein bis zwei Jahren und den zwölf Milchkühen im Alter von mehr als zwei Jahren besteht (18 x 0,6 = 10,8 GV und 12 x 1,2 = 14,4 GV). Legt man weiterhin die Abstandsregelung für Rinderhaltungen in Kap. 3.3.2 Bayerischer Arbeitskreis „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ zugrunde, ergibt sich unter Heranziehung der oberen Abstandskurve im entsprechenden Abstandsdiagramm für Dorfgebiete ein erforderlicher Geruchsmindestabstand von 25,04 m (20 m + 0,2 m/GV x 25,2 GV). Dass sich die Abstandsermittlung bei dem hier gegebenen Fall eines Offenstalls an dieser oberen Abstandskurve zu orientieren hat, ergibt sich ausdrücklich aus den in den Abstandsregelungen enthaltenen Erläuterungen (vgl. Kap. 3.3.2, S. 4, 2. Aufzählungspunkt).
Ob im konkreten Fall der Mindestabstand eingehalten wird, errechnet sich auf Grundlage des Arbeitspapiers bei frei gelüfteten Ställen grundsätzlich ausgehend von der der Wohnbebauung am nächsten gelegenen, emissionsrelevanten Stallaußenwand (vgl. Kap. 3.3.2, S. 4, 2. Aufzählungspunkt). Als emissionsrelevante Stallaußenwand kommen die geschlossenen Außenwände des Stallgebäudes sowie die Zwischenwand zwischen dem Tierhaltebereich und dem Bergeraum nicht in Betracht, ebenso wenig wie die in Verlängerung der Zwischenwand vorgesehene „Absperrung“, die bis zum Abschluss des Vordaches verläuft. Vielmehr ist nach nicht zu beanstandender fachtechnischer Einschätzung als Emissionslinie grundsätzlich die nach Osten offene Stallseite heranzuziehen. Dabei beschränkt sich die immissionsschutzrechtliche Beurteilung zulässigerweise auf den Bereich der Räumlichkeiten, in dem die Tiere gehalten werden sollen, so dass der Bergeraum mangels Emissionsrelevanz nicht zu berücksichtigen war.
In Richtung der Wohnbebauung des Klägers (Fl.Nr. …7 der Gemarkung R …, H H.str. …3) ergibt bei maßstabsgetreuer Messung anhand des amtlichen Lageplans (Bl. 126 der Behördenakte), dass der erforderliche Mindestabstand von 25,04 m zwischen der offenen Stallseite einerseits und dem Wohnhaus andererseits deutlich eingehalten wird. Der tatsächliche Abstand beträgt nämlich ca. 33,5 m bis zum nordwestlichen Anbau an das Wohnhaus und ca. 38 m bis zum Wohngebäude selbst. Selbst wenn man – worauf die Klägerseite wohl rekurriert – hiervon noch das 5 m tiefe Vordach in Abzug bringen würde, wäre der erforderliche Mindestabstand deutlich eingehalten.
Es liegen aus Sicht der Kammer keine besonderen Gesichtspunkte vor, die im vorliegenden Einzelfall eine hiervon abweichende Abstandsbemessung geboten erscheinen lassen. Das gilt sowohl mit Rücksicht auf die Topographie, die nach dem beim Augenschein gewonnenen Eindruck keine immissionsschutzrechtlich bedeutsamen Besonderheiten aufweist, als auch in Bezug auf die Windrichtung und die bestehenden Geruchsvorbelastungen aus anderen Tierhaltungen, die von immissionsfachtechnischer Seite in der Stellungnahme vom 28. November 2018 in einer für die Kammer nachzuvollziehenden und von Klägerseite auch nicht substantiell angegriffenen Weise berücksichtigt wurden. So ist insbesondere zur Vorbelastungssituation auszuführen, dass in Fällen, in denen – wie hier – der maßgebliche Immissionsort oberhalb der grünen Abstandskurve liegt, allenfalls von einer geringen Zusatzbelastung auszugehen ist. Auf eine weitere Prüfung der Vorbelastung kann nach Maßgabe der Abstandsregelung verzichtet werden, wenn ausschließlich Rinderhaltungsbetriebe relevant zur Geruchsvorbelastung beitragen und deren Mindestabstand zum jeweiligen Wohnhaus der Kläger oberhalb der roten Abstandskurve liegt. Die diesbezüglichen Ausführungen und Berechnungen des Immissionsschutzes in der fachtechnischen Stellungnahme vom 28. November 2018 (vgl. Bl. 84 der Behördenakte) sind für die Kammer nachvollziehbar und von Klägerseite auch nicht substantiell in Abrede gestellt worden.
Auch die geplante Jauchegrube und die Festmistlagerung führen nicht zu einer unzumutbaren Geruchsbeeinträchtigung des Klägers. Die fachgerechte Ausführung und Handhabe wurde im Baugenehmigungsbescheid beauflagt (vgl. Ziffern 1.1.4, 1.1.5. und 1.1.6. des Anhangs zum Baugenehmigungsbescheid vom 25.9.2019). Die hiervon ausgehenden Emissionen sind vom Kläger unter dem Aspekt der Gebietstypik auch hinzunehmen.
Schließlich war es entgegen der Auffassung der Klägerseite nicht zwingend geboten, den bereits vorhandenen Stall des Beigeladenen auf dem Grundstück Fl.Nr. 43 der Gemarkung R … in die Abstandsberechnung in der Weise zu berücksichtigen, dass ein Emissionsschwerpunkt der gesamten Stallanlage gebildet wird und ausgehend davon die Abstandsbemessung erfolgt. Die Klägerseite hat mit diesem Vorbringen einen Verstoß gegen eine immissionsschutzfachlich anerkannte Methode nicht substantiiert aufzeigen können. Die Betrachtungsweise der Beklagtenseite erscheint vielmehr nachvollziehbar, weil – wie das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hervorgehoben hat (vgl. Anhang zum Schriftsatz des Landratsamts Würzburg vom 30.9.2020) – die beiden Ställe des Beigeladenen auf unterschiedlichen Flurstücken liegen, die durch einen öffentlichen Weg getrennt sind, baulich also nicht verbunden sind und technisch darüber hinaus in unterschiedlicher Weise betrieben und entlüftet werden. So weist der vorhandene Milchvieh- und Kälberstall eine gezielte Abluftführung durch zwei Kamine, eine Schwemmentmistung und eine geschlossene Güllegrube auf, während es sich bei dem neu geplanten Stall um einen Tiefenlaufstall für Kalbinnen, trockenstehende und abkalbende Kühe mit Mist und geschlossener Jauchegrube handelt, der durch die offene Front nach Osten entlüftet wird. Dementsprechend ist die emissionstechnisch getrennte Betrachtungsweise nicht zu beanstanden. Das gilt umso mehr, als dass die herangezogenen Abstandsregelungen die vom Kläger für geboten gehaltene Gesamtbetrachtung nicht vorsehen, sondern die Abstände vielmehr ausgehend von einzelnen Stalleinheiten unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen baulichen Ausgestaltung bzw. dem jeweiligen Entlüftungsmechanismus bestimmen und bereits vorhandene Stalleinheiten über die Frage der Vorbelastungsrelevanz in die Beurteilung miteinbeziehen.
Selbst wenn man aber mit der Klägerseite von einer „kumulierten Betrachtungsweise“ ausgehen und für beide Ställe einen gemeinsamen Emissionsschwerpunkt bilden würde, lässt sich nicht von unzumutbaren Geruchsauswirkungen zulasten des Klägers ausgehen. Die im Nachgang zum gerichtlichen Augenschein übermittelten Berechnungen des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (vgl. Anhang zum Schriftsatz des Landratsamts Würzburg vom 30.9.2020) sind für das Gericht nachvollziehbar. Nach den fachlichen und von Klägerseite nicht substantiell angegriffenen Ausführungen des Immissionsschützers in der mündlichen Verhandlung ist im Rahmen einer kumulierten Betrachtungsweise lediglich auf die Variante der „gezielten Abluftführung“ („Variante a“) abzustellen, weil im Bestandsstall eine kontrollierte Zuluftführung über Ventilatoren und eine kontrollierte Abluftführung über zwei Kamine auf dem Dach erfolgt. Dies zugrunde gelegt beträgt nach fachlicher Einschätzung der einzuhaltende Mindestabstand vom festgesetzten Emissionsschwerpunkt 29,6 m, welcher zum Wohnhaus des Klägers deutlich eingehalten wird. Der tatsächliche Abstand zwischen dem gebildeten Emissionsschwerpunkt und dem Wohnhaus des Klägers beträgt nach der aus Sicht der Kammer nicht anzuzweifelnden digitalen Vermessung des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nämlich 47,0 m und wird selbst bei Unterstellung der von Klägerseite mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2020 geltend gemachten Messungenauigkeiten, aufgrund derer ein Abstand von 41,30 m ermittelt wurde, in klarer Weise eingehalten.
Das Gebot der Rücksichtnahme wird damit mit Blick auf die vom Vorhaben zu erwartenden Geruchsimmissionen nicht verletzt.
3.2. Gleiches gilt für das Vorbringen der Klägerseite hinsichtlich unzumutbarer Geräuschimmissionen.
Die Zumutbarkeit der von dem Bauvorhaben hervorgerufenen Lärmimmissionen ist nicht notwendig anhand der Immissionsrichtwerte der TA Lärm zu beurteilen. Nach Nr. 1 Abs. 2 Buchst. c TA Lärm sind nicht genehmigungsbedürftige landwirtschaftliche Anlagen wegen der besonderen Privilegierung der Landwirtschaft (vgl. BayVGH, B.v. 4.3.2015 – 22 CS 15.33 u.a.; B.v. 10.2.2016 – 22 ZB 15.2329; BayVGH, B.v. 3.5.2016 – 15 CS 15.1576 – alle juris) ausdrücklich vom Anwendungsbereich der TA Lärm ausgenommen.
Die im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebes auftretenden Geräusche und die damit verbundenen Beeinträchtigungen der Wohnnutzung müssen unter Zugrundelegung der Schutzwürdigkeit eines Dorfgebietes als typische Begleiterscheinungen eines ordnungsgemäßen landwirtschaftlichen Betriebes im Regelfall als ortsüblich hingenommen werden (VG Ansbach, U.v. 4.12.2017 – AN 3 K 16.01498 – juris; VG München, U.v. 11.7.2018 – M 9 K 17.4571 – juris). Die von landwirtschaftlichen Betrieben üblicherweise ausgehenden Emissionen (Tiergeräusche, Maschinenlärm, Geruchsentwicklung) sind gebietstypisch und daher in der Regel nicht als unzulässige Störung der in der Nachbarschaft vorhandenen oder geplanten Wohnnutzung anzusehen (vgl. BayVGH, U.v. 12.7.2004 – 25 B 98.3351; U.v. 30.9.2004 – 26 B 98.3323 – beide juris).
Im vorliegenden Fall sind keine Anhaltspunkte für eine ausnahmsweise unzumutbare Lärmbelästigung vorhanden. Insbesondere ist durch den Ergänzungsbescheid vom 23. Juli 2020 sichergestellt worden, dass ohne den Nachweis schalltechnischer Verträglichkeit analog den Vorgaben der TA Lärm der Betrieb von Anlagen oder Anlagenverkehr auf dem Betriebsgrundstück nur zur Tagzeit (6:00 Uhr – 22:00 Uhr) zulässig ist. Zudem wurden der Nebenbestimmung zufolge gemäß 7.2 TA Lärm analog im Kalenderjahr maximal zehn Überschreitungen der zulässigen Immissionsrichtwerte für ein Dorfgebiet [tagsüber 60 dB(A) und nachts 45 dB(A)] als seltene Ereignisse zugelassen, welche insbesondere aus der Erstversorgung von Kälbern und Tierarztbesuchen resultieren. Dies darf an nicht mehr als an jeweils zwei aufeinander folgenden Wochenenden geschehen. Damit ist unzumutbaren Lärmeinwirkungen in hinreichender Weise vorgebeugt worden. Das gilt umso mehr, als dass hinsichtlich des Betriebs zur Tagzeit keine Anhaltspunkte für besonders lärmträchtige Betriebsvorgänge oder auch für unzumutbar viele An- und Abfahrten vorliegen, aufgrund derer die Schwelle zur Unzumutbarkeit überschritten werden könnte.
3.3. Das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme ist auch nicht aus sonstigen Gründen verletzt.
Insbesondere kann sich der Kläger nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es für den neuen Stall des Beigeladenen eine aus seiner Sicht besser geeignete Standortalternative gegeben hätte. Ferner ist nicht ansatzweise zu erkennen, dass das Vorhaben des Beigeladenen – wie von Klägerseite geltend gemacht wurde – zu einer Verkehrsbelästigung im Kirchpfad führen könnte, die sich im konkreten Einzelfall ausnahmsweise in unzumutbarer Weise auf den Kläger auswirken könnte.
4. Da schließlich keine Verstöße gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts ersichtlich sind, erweist sich die Klage nach alldem als unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Nachdem die Beigeladenenseite einen Antrag gestellt und ein Kostenrisiko eingegangen ist, entspricht es der Billigkeit, die ihr entstandenen außergerichtlichen Aufwendungen nach § 162 Abs. 3 VwGO der Klägerseite aufzuerlegen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.


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