Aktenzeichen W 5 K 19.241
Leitsatz
1. Der Kreis der Anfechtungsberechtigten einer Baugenehmigung deckt sich grundsätzlich mit den als Nachbarn nach Art. 66 BayBO zu beteiligenden Personen, die sachlich und personell den Nachbarbegriff erfüllen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unter Anlagen für soziale Zwecke im Sinne der BauNVO sind alle Einrichtungen mit Unterbringungs- und Betreuungszwecken zu verstehen, bei denen nach außen wahrnehmbare, für den jeweiligen sozialen Zweck typische menschliche Lebensäußerungen im Vordergrund stehen. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nach Ansicht des bayerischen Landesgesetzgebers, wie sie in Art. 2 BayKJG zum Ausdruck gebracht wird, soll eine Beurteilung von „Kinderlärm“ nach den Vorschriften des BImSchG in Bayern künftig nicht mehr stattfinden. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen des Beigeladenen zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Gründe
Es ist bereits fraglich, ob die Klage zulässig ist, sie ist aber jedenfalls unbegründet.
1. Es kann offenbleiben, ob die Klage bereits unzulässig ist. Es ist fraglich, ob die Klägerin sich für dieses Verfahren auf eine Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO berufen kann.
Gemäß § 42 Abs. 2 VwGO ist eine Anfechtungsklage, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Bejahung der Klagebefugnis setzt voraus, dass es auf der Grundlage des Tatsachenvorbringens des Betroffenen zumindest möglich erscheint, dass dieser durch den angefochtenen Verwaltungsakt in eigenen Rechten verletzt wird (sog. Möglichkeitstheorie, vgl. BVerwG, B.v. 21.1.1993 – 4 B 206/92 – juris).
Im Falle der Anfechtung eines an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakts durch einen Dritten kann sich eine eigene, die Klagebefugnis begründende Rechtsposition aus einer im Verfahren zu prüfenden drittschützenden Norm ergeben. Ob eine die behördliche Entscheidung tragende Norm Dritten, die durch die Entscheidung betroffen werden, Schutz gewährt und Abwehrrechte einräumt, hängt vom Inhalt der jeweiligen Norm sowie davon ab, ob der Drittbetroffene in den mit der behördlichen Entscheidung gestalteten Interessenausgleich eine eigene schutzfähige Rechtsposition einbringen kann. Drittschutz vermitteln nur solche Vorschriften, die nach dem in ihnen enthaltenen, durch Auslegung zu ermittelnden Entscheidungsprogramm für die Behörde auch der Rücksichtnahme auf Interessen eines individualisierbaren, sich von der Allgemeinheit unterscheidenden Personenkreises dienen (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8/84; U.v. 16.3.1989 – 4 C 36/85; beide juris).
Die drittschützende Wirkung einer Norm wird also durch eine sachliche – Gebot der Rücksichtnahme auf bestimmte Interessen Dritter – wie auch eine personale Komponente – Betroffensein eines nach dem Schutzzweck der Norm zu ermittelnden Personenkreises – bestimmt.
Der Kreis der Anfechtungsberechtigten einer Baugenehmigung deckt sich grundsätzlich mit den als Nachbarn nach Art. 66 BayBO zu beteiligenden Personen, die sachlich und personell den Nachbarbegriff erfüllen. In personeller Hinsicht stellt der Nachbarbegriff des Art. 66 BayBO grundsätzlich auf das Eigentum am benachbarten Grundstück ab. Den Kreis der Personen, denen das Baurecht nachbarliche öffentliche Rechte einräumt, umgrenzt Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BayBO mit den „Eigentümern benachbarter Grundstücke“. Bei der sachlichen Abgrenzung des Nachbarbegriffs wird darauf abgehoben, dass benachbart im baurechtlichen Sinne alle Grundstücke sind, die durch das Vorhaben in ihren öffentlich-rechtlich geschützten Belangen berührt werden können. Der Nachbarbegriff im Baurecht ist zwar relativ weit gefasst. Er erfasst im Regelfall die direkt – auch nur punktuell – an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücke. Der Begriff des Nachbarn darf aber nicht allein nach den äußeren Merkmalen des Angrenzens im Sinne einer gemeinsamen Grundstücksgrenze bestimmt werden. Ob und welche Grundstücke benachbart sind, muss in jedem Einzelfall geprüft und entschieden werden. Hierfür kann kein allgemein geltendes Schema aufgestellt werden. Entscheidend sind jeweils die Lage des Vorhabens, die Art des Vorhabens und insbesondere die von ihm für die Umgebung zu erwartenden Auswirkungen, soweit sie öffentlich-rechtlich von Bedeutung sind (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand 133. Erg.Lief. April 2019, Art. 66 Rn. 58 ff.). Die Nachbareigenschaft eines Grundstücks setzt jedoch eine bestimmte räumliche Beziehung zum Baugrundstück voraus. Maßgeblich ist der Einwirkungsbereich des Vorhabens, der nach Art und Intensität der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen verschieden bemessen sein kann und dementsprechend flexibel den Kreis der Nachbarn bestimmt.
Soweit die Klägerseite eine Verletzung des nachbarlichen Gebots der Rücksichtnahme geltend macht, bleibt darauf hinzuweisen, dass hier das Grundstück Fl.Nr. …8/3 der Klägerin nicht an das Baugrundstück angrenzt, vielmehr noch eine Reihe weiterer Grundstücke, so u.a. das Grundstück Fl.Nr. …2, das Grundstück Fl.Nr. …1/2 und das Grundstück Fl.Nr. …5, zwischen dem Baugrundstück und dem Wohngrundstück der Klägerin liegen. Der Abstand zwischen Baugrundstück und dem Grundstück der Klägerin beträgt ca. 80 m. Der Abstand zwischen dem Wohnhaus der Klägerin und dem „…haus“ (Bauvorhaben) beträgt ca. 210 m. Angesichts dieser selbst unter Lärmschutzgesichtspunkten beträchtlichen Distanzen einerseits und der vor allem unter Lärmschutzgesichtspunkten geringen Störwirkung des Bauvorhabens bei einer Unterbringung von lediglich 25 Kindern und Jugendlichen andererseits – so fehlt es schon an jedem substantiierten Vortrag, dass die Klägerin unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen ausgesetzt sein könnte – ist es äußerst fraglich, ob hier noch von einer Nachbareigenschaft der Klägerin gesprochen werden kann. In Bezug auf die behauptete Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs bleibt festzuhalten, dass hier nichts für eine Lage des Bauvorhabens in einem reinen Wohngebiet spricht. Das Baugrundstück liegt – weil ein Bebauungszusammenhang nicht gegeben ist – im bauplanungsrechtlichen Außenbereich (siehe hierzu ausführlich unter 2.1.). Selbst wenn man mit der Klägerseite von einer Lage im Innenbereich ausgehen würde, würde es sich angesichts des prägenden Einflusses des „…hauses“ und der (genehmigten) Nutzung als Asylbewerberunterkunft bzw. Interimsunterkunft für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge und damit als Anlage für soziale Zwecke (allgemein zulässig im allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO bzw. im Mischgebiet nach § 6 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO, nicht aber im reinen Wohngebiet nach § 3 Abs. 2 BauNVO) bzw. als Labor- und Verwaltungsgebäude (allgemein zulässig im Mischgebiet gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 4 und 5 BauNVO, aber nicht im allgemeinen und erst recht nicht im reinen Wohngebiet nach § 3 Abs. 2 BauNVO) im fraglichen Umgriff um ein allgemeines Wohngebiet oder ein Mischgebiet handeln, wenn nicht von einer Einstufung gemäß § 34 Abs. 1 BauGB auszugehen wäre. Damit würde aber eine Verletzung des Gebietsbewahrungsanspruchs von vornherein ausscheiden.
Letztlich muss die Frage der Zulässigkeit der Klage nicht abschließend entschieden werden, da sich die Klage unter jedem denkbaren Aspekt als unbegründet erweist. Hierzu im Folgenden:
2. Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg, da die angefochtene Baugenehmigung der Stadt W. vom 11. Februar 2019 nicht rechtswidrig ist und damit die Klägerin nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Insoweit ist die Stadt W. hier zutreffender Weise vom regulären Genehmigungsverfahren des Art. 60 BayBO ausgegangen.
Die Baugenehmigung ist nur dann aufzuheben, wenn sie rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Nachbar eines Vorhabens kann eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn es das Vorhaben an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. OVG Münster, B.v. 5.11.2013 – 2 B 1010/13 – DVBl. 2014, 532; BVerwG, B.v. 28.7.1994 – 4 B 94/94; U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84; U.v. 13.6.1980 – IV C 31.77; alle juris).
Aus – den hier allein zu problematisierenden – bauplanungsrechtlichen Gründen ist ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts (Art. 60 Satz 1 Nr. 1 BayBO) nicht ersichtlich.
2.1. Ausgangspunkt der bauplanungsrechtlichen Beurteilung des Bauvorhabens des Beigeladenen ist – entgegen der Rechtsauffassung der Klägerseite – nicht die Regelung des § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 BauNVO, sondern die des § 35 BauGB. Denn das streitgegenständliche Bauvorhaben liegt nicht im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB, da es nicht innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile gelegen ist. Das Grundstück des Beigeladenen findet sich vielmehr im bauplanungsrechtlichen Außenbereich nach § 35 BauGB.
Ein Grundstück liegt (nur dann) im Innenbereich, wenn es sich in einem Bebauungszusammenhang befindet, der einem Ortsteil angehört. Die Tatbestandsmerkmale „im Zusammenhang bebaut“ und „Ortsteil“ gehen nicht ineinander auf, sondern sind kumulativer Natur (BVerwG, U.v. 19.4.2012 – 4 C 10/11 – juris; Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, § 34 Rn. 3). Für die Frage der Abgrenzung des Innenbereichs zum Außenbereich kommt es wesentlich darauf an, wieweit der Bebauungszusammenhang im Verhältnis zum Außenbereich reicht.
Die Grenzziehung richtet sich danach, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung den Eindruck der Geschlossenheit (Zusammengehörigkeit) vermittelt. Am Ortsrand endet der Bebauungszusammenhang – unabhängig vom Verlauf der Grundstücksgrenzen (vgl. BVerwG, U.v. 12.6.1970 – IV C 77.68 – BVerwGE 35, 256) – grundsätzlich hinter dem letzten Gebäude (BVerwG, U.v. 12.10.1973 – IV C 3.72 – juris). Die sich anschließenden selbständigen Flächen gehören zum Außenbereich (BVerwG, U.v. 12.10.1973 – 4 C 3/72; U.v. 16.9.2010 – 4 C 7/10; beide juris; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB – BauNVO, Stand: 133. Erg.Lief. August 2019, § 34 BauGB Rn. 25). Wo die Grenze eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils und damit die Grenze zwischen Innen- und Außenbereich verläuft, lässt sich nicht unter Anwendung von geografisch-mathematischen Maßstäben bestimmen, sondern bedarf einer Beurteilung aufgrund einer echten Bewertung des konkreten Sachverhalts. Bei dieser Bewertung kann nur eine komplexe, die gesamten örtlichen Gegebenheiten erschöpfend würdigende Betrachtungsweise im Einzelfall zu einer sachgerechten Entscheidung führen. Ob ein unbebautes Grundstück, das sich einem Bebauungszusammenhang anschließt, diesen Zusammenhang fortsetzt oder ihn unterbricht, hängt davon ab, inwieweit nach der maßgeblichen Betrachtungsweise der Verkehrsauffassung die aufeinander folgende Bebauung trotz der vorhandenen Baulücke den Eindruck der Geschlossenheit bzw. der Zusammengehörigkeit vermittelt. Dabei lässt sich nichts Allgemeingültiges darüber sagen, wie sich namentlich die Größe eines solchen unbebauten Grundstücks auf die Anwendbarkeit des § 34 BauGB auswirkt. Grundlage und Ausgangspunkt der bewertenden Beurteilung, ob die zur Bebauung vorgesehene Fläche noch dem Bebauungszusammenhang angehört, sind die tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten, also insbesondere die vorhandenen baulichen Anlagen, sowie darüber hinaus auch andere topografische Verhältnisse wie z. B. Geländehindernisse, Erhebungen oder Einschnitte (Dämme, Gräben, Flüsse und dergleichen) und Straßen (BayVGH, U.v. 1.2.2010 – 14 B 08.2892 und 14 B 08.2893 – beide juris, unter Bezugnahme auf BVerwG, U.v. 14.11.1991 – 4 C 1/91 – NVwZ-RR 1992, 227 und U.v. 1.12.1972 – IV C 6.71 – BVerwGE 41, 227).
Nach diesen rechtlichen Maßstäben und unter Heranziehung der in den Gerichts- und Behördenakten vorhandenen Lagepläne, Luftbilder und Lichtbilder sowie auf Grundlage des Eindrucks, den die Kammer bei der Inaugenscheinnahme der örtlichen und baulichen Verhältnisse im engeren und weiteren Bereich des Baugrundstücks gewonnen hat, ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass das streitgegenständliche Vorhaben eindeutig im bauplanungsrechtlichen Außenbereich gelegen ist.
Das sog. „…haus“ mit S …halle und …halle auf dem Grundstück Fl.Nr. 9444 der Gemarkung … nimmt nicht mehr am Bebauungszusammenhang der Wohnsiedlung nördlich der in Ost-West-Richtung verlaufenden Straße „…“ teil. Dieser Bebauungszusammenhang endet Richtung Süden und damit zum Anwesen des Beigeladenen mit den jeweiligen Garagengebäuden, die jeweils am südlichen Ende der jeweiligen Baugrundstücke, unmittelbar an der Erschließungsstraße gelegen sind. Eine an die Straße „…“ auf dessen Südseite sich anschließende Bebauung findet sich im fraglichen Bereich auf der gesamten Länge von ca. 3 Kilometern, von der Abzweigung von der … Straße im Osten bis zur Einmündung in die S …straße im Westen, jedenfalls nicht. Die Straße „…“ stellt wegen ihrer einseitigen Bebauung in ihrem örtlichen Bereich den Abschluss des dort im Zusammenhang bebauten Ortsteils dar. Der Straße „…“ kommt hier mithin keine verbindende, sondern eine trennende Funktion zu. Darüber hinaus beträgt der Abstand des „…hauses“ zum nächstgelegenen Wohnhaus in nördlicher Richtung ca. 85 m und zur nächstgelegenen Garage immerhin noch ca. 60 m. Die dazwischen liegenden Flächen sind unbebaut. Diese erheblichen Abstände verstärken den Eindruck, dass die streitgegenständliche Bebauung mit dem „…haus“ nicht mehr an dem Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit teilnimmt. Es liegen auch keine topographischen Besonderheiten vor, die die streitgegenständliche bauliche Anlage noch in den Bebauungszusammenhang nördlich der Straße „…“ einbeziehen würde.
Die streitgegenständlichen baulichen Anlagen nehmen aber auch nicht am Bebauungszusammenhang der Siedlung am …Weg, …Weg, …weg bzw. am …Weg teil. Denn sowohl Richtung Osten als auch Richtung Westen als auch Richtung Süden schließen sich an das „…haus“ teilweise sehr große, mit Wald bewachsene, vollkommen unbebaute Grundstücke an. Richtung Süden folgt erst auf dem Grundstück Fl.Nr. …2 der Gemarkung …, …Weg … in der beträchtlichen Entfernung von ca. 195 m vom „…haus“ ein Wohnhaus mit Garage, an das sich wiederum in südlicher Richtung das Wohnhaus der Klägerin anschließt. Dazwischen liegen sowohl auf dem Baugrundstück als auch auf den sich hieran Richtung Süden anschließenden Grundstücken Fl.Nrn. …5, …6, …7, …8, …9, …1 und …1/2 der Gemarkung … unbebaute und mit Wald bestockte Bereiche. Der Ortsrand dieser auch von der Klägerin bewohnten Siedlung am …Weg, …Weg und …weg endet Richtung Norden mit dem letzten Baukörper auf dem Grundstück Fl.Nr. …2 und westlich hiervon auf dem Grundstück Fl.Nr. …1/12. Die sich daran Richtung Norden anschließenden selbständigen Flächen auf den Grundstücken Fl.Nrn. …1, …1/2, …5, …9, …8, …7, …6 und schließlich die Flächen und baulichen Anlagen auf dem Baugrundstück, nämlich das „…haus“ mit S …halle und …halle im nördlichen Bereich sowie das kleine Gebäude im südlichen Bereich (sog. „…haus“), gehören zum Außenbereich. Hinzu kommt, dass die Bewaldung und der starke Geländeunterschied den Eindruck noch verstärken, dass die streitgegenständliche Bebauung nicht mehr an dem Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit mit der Siedlung am …Weg, …Weg und …weg teilnimmt. Ein solcher Eindruck im vg. Sinn entsteht auch nicht hinsichtlich der Wohnhäuser auf den Grundstücken Fl.Nrn. …4 und …6 der Gemarkung …, …Weg 12 und 8, die in einem Abstand von ca. 170 m (Wohnhaus auf Fl.Nr. …4) bzw. 125 m (Wohnhaus auf Fl.Nr. …6) südwestlich des Komplexes „…haus“ gelegen sind. Es liegen auch hier keine topographischen Besonderheiten vor, die die streitgegenständliche bauliche Anlage noch in den Bebauungszusammenhang an der Straße …Weg, …Weg und …weg einbeziehen würden. Soweit von Klägerseite vorgetragen wird, dass das Grundstück der Beigeladenen nur 70 m (Luftlinie) von ihrem Grundstück entfernt liege, ist dies für die Frage des Bebauungszusammenhangs nicht von Relevanz, denn es kommt hierbei nicht auf die Frage der Grundstücksgrenzen, sondern auf die des Bebauungszusammenhangs, also die Bebauung an.
Nach allem ist der Beklagten uneingeschränkt beizupflichten, wenn sie ausführt, dass das „…haus“ singulär und zusammenhanglos zur nördlich und südlich davon gelegenen Wohnbebauung im dicht bewaldeten Umfeld steht und damit dem Außenbereich zuzuweisen ist.
2.2. Eine Rechtsverletzung der Klägerin durch die streitgegenständliche Baugenehmigung ergibt sich nicht aus dem sog. Gebietserhaltungs- oder Gebietsbewahrungsanspruch.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Nachbar im Plangebiet sich gegen die Zulässigkeit einer gebietswidrigen Nutzung im Plangebiet wenden, auch wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Der Nachbar hat also bereits dann einen Abwehranspruch, wenn das baugebietswidrige Vorhaben im jeweiligen Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung führt. Der Abwehranspruch wird grundsätzlich bereits durch die Zulassung eines mit der Gebietsfestsetzung unvereinbaren Vorhabens ausgelöst. Begründet wird dies damit, dass im Rahmen des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses jeder Planbetroffene das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets verhindern können soll (vgl. BVerwG, B.v. 2.2.2000 – 4 B 87/99 – NVwZ 2000, 679; U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151). Derselbe Nachbarschutz besteht auch im unbeplanten Innenbereich, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht, § 34 Abs. 2 BauGB (BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, 133. Erg.Lief. April 2019, Art. 66 Rn. 347 und 395). § 34 Abs. 2 BauGB besitzt grundsätzlich nachbarschützenden Charakter (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151; Hofherr in Berliner Kommentar zum BauGB, § 34 Rn. 88). Danach hat der Nachbar in einem Gebiet, auf das § 34 Abs. 2 BauGB entsprechend Anwendung findet, einen Schutzanspruch auf Bewahrung der Gebietsart.
Da der Gebietsbewahrungsanspruch auf der durch eine Baugebietsfestsetzung wechselseitig wirkenden Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums bzw. aus der Lage in einem faktischen Baugebiet folgenden wechselseitigen Eigentumsbindung („rechtliche Schicksalsgemeinschaft“) beruht, kann er einem Eigentümer, dessen Grundstück sich außerhalb des Baugebiets befindet, nicht zustehen (so ausdrücklich BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55/07; BayVGH, B.v. 31.3.2008 – 1 ZB 07.1062; U.v. 14.7.2006 – 1 BV 03.2179 u.a.; alle juris). Wenn – wie hier – zwischen dem Grundstück Fl.Nr. …8/3 der Klägerin und dem Grundstück Fl.Nr. …4 des Beigeladenen nicht das für ein Plangebiet typische wechselseitige Verhältnis besteht, das die in einem Plangebiet bzw. faktischen Baugebiet zusammengefassten Grundstücke zu einer bau- oder bodenrechtlichen Schicksalsgemeinschaft zusammenschließt, fehlt es an dem spezifischen bauplanungsrechtlichen Grund, auf dem der nachbarschützende, von konkreten Beeinträchtigungen unabhängige, Gebietserhaltungsanspruch als Abwehrrecht beruht.
Das Grundstück Fl.Nr. …4 des Beigeladenen, auf dem das „…haus“ steht und auf dem die streitgegenständliche heilpädagogische Einrichtung der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe W. betrieben werden soll, befindet sich – wie bereits unter 2.1. ausführlich dargelegt wurde – im bauplanungsrechtlichen Außenbereich nach § 35 BauGB und damit außerhalb des Wohngebiets, in dem die Klägerin ihr Wohnhaus bewohnt, so dass der Klägerin als „Nichtplanbetroffene“ ein Gebietserhaltungsanspruch nicht zusteht. Ein solcher steht ihr nur für Bauvorhaben innerhalb des „eigenen“ Bebauungsplangebiets bzw. faktischen Wohngebiets zu.
2.3. Das Bauvorhaben des Beigeladenen ruft gegenüber der Klägerin keine schädlichen Umwelteinwirkungen hervor (vgl. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB) und verletzt damit auch nicht das in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB enthaltene nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme. Im Einzelnen:
2.3.1. Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme ist unabhängig davon zu beachten, nach welcher Vorschrift das Bauvorhaben des Beigeladenen bauplanungsrechtlich zu beurteilen ist. Richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit – wie hier – nach § 35 BauGB, weil das Bauvorhaben im Außenbereich liegt, ergibt sich die Verpflichtung zur Rücksichtnahme aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB (BVerwG, U.v. 21.1.1983 – 4 C 59/79 – NVwZ 1983, 609). Nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange insbesondere dann vor, wenn das Vorhaben „schädliche Umwelteinwirkungen“ hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird. Nach § 3 Abs. 1 BImSchG sind schädliche Umwelteinwirkungen Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.
Ob ein Vorhaben das Rücksichtnahmegebot verletzt, hängt im Wesentlichen von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und ist im Wege einer Gesamtschau zu ermitteln. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Umgekehrt braucht derjenige, der ein Vorhaben verwirklichen will, umso weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm verfolgten Interessen sind. Für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls kommt es demnach wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmeberechtigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22/75 – BVerwGE 52, 122). Bei der vorzunehmenden Abwägung sind sowohl die Schutzwürdigkeit des Nachbarn als auch die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen zu berücksichtigen. Beides muss in einer dem Gebietscharakter, der Vorprägung der Grundstücke durch die vorhandene bauliche Nutzung und der konkreten Schutzwürdigkeit entsprechenden Weise in Einklang gebracht werden (BayVGH, B.v. 26.1.2009 – 15 ZB 08.2934 – juris). In Bereichen, in denen Nutzungen unterschiedlicher Art mit unterschiedlicher Schutzwürdigkeit zusammentreffen, ist die Grundstücksnutzung mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet (BVerwG, B.v. 5.3.1984 – 4 B 171/83 – NVwZ 1984, 646; U.v. 22.6.1990 – 4 C 6/87 – NVwZ 1991, 64). Dies führt nicht nur zu einer Verpflichtung desjenigen, der Beeinträchtigungen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Beeinträchtigungen aussetzt (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.1995 – 4 C 20/94 – BVerwGE 98, 235).
2.3.2. Die Bewertung der Zumutbarkeit richtet sich danach ausschließlich nach den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere nach der durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit. Zu berücksichtigen sind dabei wertende Elemente wie allgemeine Akzeptanz und soziale Adäquanz. Diese Umstände müssen im Sinne einer „Güterabwägung“ in eine wertende Gesamtbetrachtung einfließen (vgl. BVerwG, U. v. 24.4.1991 – 7 C 12.90 – BVerwGE 88, 143; sowie vom 30.4.1992 – 7 C 25.91 – BVerwGE 90, 163).
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist nach Auffassung der Kammer nicht das Geringste dafür ersichtlich, dass von dem streitgegenständlichen Vorhaben (Umbau, Nutzungsänderung und Restaurierung des „…hauses“ mit Neubau einer heilpädagogischen Einrichtung) schädliche Umwelteinwirkungen ausgehen würden, die auf das Anwesen der Klägerin einwirken würden.
2.3.3. In diesem Zusammenhang bleibt zunächst festzustellen, dass von Klägerseite schon nichts Substantiiertes vorgetragen wurde, was vorliegend dafür sprechen könnte, dass von dem streitgegenständlichen Bauvorhaben, nämlich dem Umbau, der Nutzungsänderung und Restaurierung des „…hauses“ mit Neubau einer heilpädagogischen Einrichtung anstelle der …halle, unzumutbare (Lärm-)Beeinträchtigungen ausgehen und auf das Anwesen der Klägerin einwirken würden. Vielmehr wird von Klägerseite schriftsätzlich lediglich die bloße Behauptung einer „erheblichen und unzumutbaren Lärmbelästigung“ aufgestellt, die sich allein schon aus der Anzahl der untergebrachten Kinder ergeben soll. Konkrete Anhaltspunkte, die diese Behauptung untermauern könnten, werden nicht genannt.
Soweit die Klägerseite darauf abstellt, dass „für Spiel und Sport ausreichende Flächen im Außenbereich zugänglich sein müssen“ bzw. „sämtlichen Kindern und Jugendlichen großzügige Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten gegeben“ werden sollen, bleibt festzustellen, dass mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung derartige Außenspielflächen bzw. die Anlage eines Spielplatzes (so die Äußerung der Klägerseite im Rahmen des gerichtlichen Augenscheintermins) gerade nicht bauaufsichtlich genehmigt wurden und diese somit auch nicht Gegenstand des hiesigen gerichtlichen Verfahrens sein können. Weder lässt sich den Bauantragsunterlagen, insbesondere den eingereichten und genehmigten Planzeichnungen, etwas in dieser Hinsicht entnehmen, noch enthält die Baugenehmigung einen Anhaltspunkt dafür, dass insoweit irgendetwas genehmigt worden wäre. Im Übrigen wurde im Rahmen des Augenscheintermins sowohl von Seiten des Beigeladenen als auch von Seiten der Beklagten nochmals bekräftigt, dass Außenspielflächen weder beantragt noch genehmigt wurden.
2.3.4. Darüber hinaus bleibt in Bezug auf die klägerseits schriftsätzlich gerügten Lärmimmissionen der in der streitgegenständlichen Einrichtung untergebrachten Kinder und Jugendlichen auf Folgendes hinzuweisen:
Bei der Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen, genauer von Lärmimmissionen, ist grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen des Immissionsschutzrechts zurückzugreifen. Das Bundesimmissionsschutzgesetz legt diese Grenze und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereiches grundsätzlich allgemein fest (BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6/98 – BVerwGE 109, 314). Was die Zumutbarkeit von Lärmimmissionen angeht, können anerkanntermaßen grundsätzlich die TA Lärm (Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz – Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm, vom 26.8.1998, GMBl. S. 503) bzw. die darin enthaltenen Immissionsrichtwerte herangezogen werden. Die TA Lärm gehört zu den sogenannten „normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften“, welche vorbehaltlich abweichender Erkenntnisse im Regelfall der gerichtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden.
2.3.5. Zu berücksichtigen ist aber zum einen, dass die Orientierungswerte der TA Lärm vorliegend schon deshalb nicht angewandt werden können, weil (Ziffer 1 Abs. 2 Buchst. h) der TA-Lärm Anlagen für soziale Zwecke von ihrem Anwendungsbereich ausnimmt. Unter Anlagen für soziale Zwecke im Sinne der BauNVO sind alle Einrichtungen mit Unterbringungs- und Betreuungszwecken zu verstehen, bei denen nach außen wahrnehmbare, für den jeweiligen sozialen Zweck typische menschliche Lebensäußerungen im Vordergrund stehen. Als typische Beispiele sind u.a. Einrichtungen für Kinder- und Jugendliche, wie Jugendheime, Kinderhorte, sog. Eltern-Kind-Gruppen als Einrichtungen für die Kinderbetreuung, Fürsorgeeinrichtungen und ähnliche Einrichtungen anzusehen (vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, 13. Aufl. 2019, Vorbem. §§ 2-9 Rn. 14). Die streitgegenständliche Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe ist als derartige Anlage für soziale Zwecke einzustufen (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 9.8.2018 – 1 LB 194/15; Hamburgisches OVG, B.v. 28.11.2012 – 2 Bs 210/12; OVG Münster, U.v. 15.8.1995 – 11 A 850/92; alle juris).
2.3.6. Zu berücksichtigen ist im vorliegenden Fall zum anderen auch die Vorschrift des § 22 Abs. 1a BImSchG, wonach Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie beispielsweise Ballspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden, im Regelfall keine schädlichen Umwelteinwirkungen sind. Bei der Beurteilung derartiger Geräuscheinwirkungen dürfen Immissionsgrenz- und Richtwerte nicht herangezogen werden (§ 22 Abs. 1a Satz 2 BImSchG). Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, soll mit dieser Vorschrift zum Ausdruck gebracht werden, dass Kinderlärm unter einem besonderen Toleranzgebot der Gesellschaft steht, und Geräusche spielender Kinder als Ausdruck der kindlichen Entwicklung und Entfaltung grundsätzlich zumutbar sind und hiergegen gerichtete Abwehransprüche auf seltene Einzelfälle beschränkt bleiben sollen (BT-Drs. 17/4836 S. 4). Eine ähnliche Vorschrift enthält auch das Bayerische Gesetz über Anforderungen an den Lärmschutz bei Kinder- und Jugendspieleinrichtungen (BayKJG), das in Art. 2 in Bezug auf Kindertageseinrichtungen bestimmt, dass die natürlichen Lebensäußerungen von Kindern, die Ausdruck natürlichen Spielens oder anderer kindlicher Verhaltensweisen sind, als sozialadäquat hinzunehmen sind. Nach Ansicht des bayerischen Landesgesetzgebers soll eine Beurteilung von „Kinderlärm“ nach den Vorschriften des BImSchG in Bayern künftig nicht mehr stattfinden (LT-Drs. 16/8124 S. 6).
Ausgehend von der in § 22 Abs. 1a BImSchG und Art. 2 BayKJG gesetzlich normierten festgeschriebenen Privilegierung von Kinderlärm ist nicht das Geringste dafür vorgetragen bzw. sonst wie ersichtlich, dass die von dem streitgegenständlichen Vorhaben zu erwartende Lärmentwicklung für die Klägerin unzumutbar sein könnte.
Die Nachbarverträglichkeit derartiger Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen – wie der hier streitgegenständlichen – beurteilt sich nach allem nicht (wie die Klägerin meint) nach den Orientierungswerten der TA Lärm, sondern vielmehr nach einer wertenden Betrachtung des konkreten Einzelfalls und hat sich nach der durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit zu orientieren. Dabei sind wertende Elemente wie Herkömmlichkeit, soziale Adäquanz und allgemeine Akzeptanz mitbestimmend. Mit dem Begriff der sozialen Adäquanz, der auch im Anwendungsbereich der TA Lärm seine Berücksichtigung findet (Ziffer 3.2.2 Buchst. c) TA Lärm), werden Verhaltensweisen beschrieben, die sich im Rahmen des menschlichen Zusammenlebens möglicherweise für den Einzelnen nachteilig auswirken, jedoch von der Bevölkerung insgesamt akzeptiert werden, weil sie sich in den Grenzen des sozial Üblichen und Tolerierbaren halten (so OVG Saarland, U.v. 11.9.2008 – 2 C 186/08 – juris). Derartige besondere Umstände der sozialen Adäquanz können nach Art und Gewicht wesentlichen Einfluss auf die Beurteilung von Lärmimmissionen haben mit der Folge, dass von den betroffenen Nachbarn im Einzelfall mehr Verständnis und Akzeptanz erwartet werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 31.3.2006 – 22 B 05.1683 – juris; B.v. 12.5.2004 – 22 ZB 04.234 – NVwZ-RR 2004, 735 f.). Vor diesem Hintergrund unterliegen Lärmimmissionen, die von Anlagen für soziale Zwecke ausgehen, weder dem Anwendungsbereich der TA Lärm (vgl. Ziffer. 1 Abs. 2 Buchst. h TA Lärm) noch sonstigen Verordnungen oder gesetzeskonkretisierenden Verwaltungsvorschriften (so auch OVG Lüneburg, B.v. 3.1.2011 – 1 ME 146/10 – juris).
Gemessen an diesen rechtlichen Grundsätzen gehen von dem geplanten Vorhaben keine Lärmimmissionen aus, die der Klägerin nicht mehr zumutbar wären. Ein extremer Ausnahmefall, der außergewöhnliche Besonderheiten aufweisen würde, ist nicht gegeben. Im vorliegenden Fall ergeben sich besondere Umstände der sozialen Adäquanz der Lärmimmissionen daraus, dass es sich bei der hier zu beurteilenden Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe um eine Anlage für soziale Zwecke handelt. Die Evangelische Kinder- und Jugendhilfe nimmt mit der Betreuung autistischer und psychisch kranker Kinder und Jugendlicher eine öffentliche Aufgabe wahr, deren Erfüllung im besonderen öffentlichen Interesse liegt und deren Funktionsfähigkeit gewährleistet sein muss (vgl. BayVGH, U.v. 31.3.2006 – 22 B 05.1683 – juris). Von der Klägerin als betroffene Nachbarin kann deshalb – insbesondere auch aufgrund der Lage ihres Grundstücks am Rande eines Wohngebiets hin zum Außenbereich – hier mehr Verständnis und Akzeptanz erwartet werden.
Es ist des Weiteren zu berücksichtigen, dass es sich um eine relativ kleine Gruppe sowohl autistischer als auch psychisch kranker Kinder und Jugendlicher handelt, die im streitgegenständlichen Anwesen untergebracht werden soll. So sollen ausweislich der Maßnahmenbeschreibung als Beilage zum Bauantrag vom März 2017 (vgl. Bauakte Bl. 20 ff.) in den beiden oberen Stockwerken des „…hauses“ jeweils eine Wohngruppe für psychisch kranke Kinder im Alter von sechs bis 15 Jahren mit einer maximalen Belegungsdichte von neun Plätzen im Obergeschoss und acht Plätzen im Dachgeschoss und im Ersatzneubau acht autistische Kinder untergebracht werden. Im Erdgeschoss des „…hauses“ sollen Möglichkeiten zur Beschulung im Rahmen einer Außenklasse der …-Schule sowie verschiedene Förderräume geschaffen werden. Aufgrund der Maßnahmenbeschreibung ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um Schüler handelt, die in der Einrichtung untergebracht sind, was auch von der Beigeladenenseite im Rahmen des Augenscheintermins bekräftigt wurde. Es ist kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass es sich um „auswärtige“ Schüler handeln würde, die im „…haus“ beschult werden sollen. In dem zweigeschossigen Ersatzneubau anstelle der …halle sind neben zwei Förderräumen und einer Wohnung für betreutes Wohnen mit zwei Plätzen im Obergeschoss acht Einzelzimmer für autistische Kinder, ein Zimmer für den Betreuer und eine weitere Wohngemeinschaft mit zwei Plätzen für das betreute Wohnen vorgesehen. Maximal sollen also lediglich 25 Kinder und Jugendliche auf dem streitgegenständlichen Anwesen untergebracht werden. Dafür, dass bei 25 Kindern und Jugendlichen aber mit einer erheblichen und unzumutbaren Lärmbelästigung zu rechnen ist, wie die Klägerin behauptet hat, ist nichts ersichtlich. Zum anderen ist der Abstand zwischen dem streitgegenständlichen Anwesen und dem Wohngrundstück der Klägerin relativ groß. So liegt das streitgegenständliche Gebäude ca. 210 m vom Wohnhaus der Klägerin entfernt und der Abstand des Wohngrundstücks vom Baugrundstück beträgt immerhin noch 80 m.
Nach allem kann vorliegend ein Verstoß gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme unter dem Aspekt unzumutbarer Lärmbeeinträchtigungen ausgeschlossen werden.
2.4. Soweit von der Klägerin unter Verweis auf einige Zeitungsartikel (u.a. ..de vom 20.12.2012: „Heim für Intensivtäter vorerst geschlossen“) vorgetragen wird, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung deshalb gegen das Gebot der Rücksichtnahme bzw. gegen Art. 2 Abs. 2 GG bzw. Art. 100 i.V.m. Art. 101 BV verstoße, weil von den in derartigen Einrichtungen betreuten Kindern teilweise fremdgefährdendes Verhalten ausgehe, die Beklagte das Ausmaß dieser Fremdgefährdung nicht erkannt habe, jedoch im Rahmen des Verwaltungsverfahrens der Schutz der Nachbarschaft in geeigneter Weise hätte sichergestellt werden müssen, kann dies der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. So verkennt die Klägerin bereits die Zielgruppe der stationären Unterbringung. Es handelt sich bei den in der streitgegenständlichen Einrichtung unterzubringenden Personen gerade nicht um gewalttätige Jugendliche oder jugendliche Intensivtäter, sondern – ausweislich der Maßnahmenbeschreibung als Beilage zum Bauantrag vom März 2017 (vgl. Bauakte Bl. 20 ff.) – um autistische und psychisch kranke Kinder und Jugendliche, die eine heilpädagogische Behandlung erhalten sollen. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass von diesen Kindern und Jugendlichen eine Sicherheitsgefahr für das Leben und die körperliche Unversehrtheit von Nachbarn ausgehen könnte, sind nicht ansatzweise ersichtlich. Im Übrigen bleibt noch festzuhalten, dass sich aus den von der Klägerin vorgelegten Zeitungsartikeln über die Flucht gewalttätiger Jugendlicher aus einem Heim für Intensivtäter schon kein Anhaltspunkt entnehmen lässt, der für eine Sicherheitsgefahr der Nachbarn gesprochen hätte, sondern lediglich der Umstand, dass es zu einem Entweichen aus dem Heim und einer sich anschließenden Flucht gekommen ist.
Nach allem war die Klage abzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich der Beigeladene durch eigene Antragstellung am Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entsprach es der Billigkeit, seine außergerichtlichen Aufwendungen der Klägerin aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.