Baurecht

Erfolglose Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung unter Befreiung von einer Baugrenze

Aktenzeichen  M 9 K 18.4318

Datum:
18.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21995
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BauGB § 1 Abs. 3 S. 2, Abs. 8, § 3 Abs. 1, Abs. 2, § 31 Abs. 2

 

Leitsatz

Eine objektiv rechtswidrige Abweichung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans führt selbst dann nicht zu einer Verletzung subjektiver Rechte des Nachbarn, wenn die Baugenehmigungsbehörde derartige objektiv rechtswidrige Abweichungen bereits wiederholt erteilt und dadurch das Plangebiet verändert hat. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Kläger als Gesamtschuldner haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.    
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt die Kläger nicht in subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen eine Baugenehmigung kann nur dann Erfolg haben, wenn die Baugenehmigung Vorschriften verletzt, die dem Schutz des Dritten zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im vorliegenden gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung beschränkt sich vielmehr darauf, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln und die im Baugenehmigungsverfahren prüfungsgegenständlich sind, verletzt sind (statt aller BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8/84 – NVwZ 1987, 409).
Zunächst wird zur Begründung vollumfänglich auf die Entscheidungen im Eilverfahren Bezug genommen, die die Klägerseite nicht infrage zu stellen vermag. Das wiederholte Zitieren von Rechtsprechung zum Zwei-Personen-Verhältnis (Bauwerber – Baugenehmigungsbehörde) ist nicht zielführend.
Hinsichtlich des neuen Vortrags, durch die auf § 31 Abs. 2 BauGB gestützte Befreiungsentscheidung seien Beteiligungsrechte verkürzt worden, wird Folgendes ausgeführt bzw. ergänzt:
Angriffspunkt der Drittanfechtungsklage ist nur die Baugenehmigung inklusive der Befreiungsentscheidung. Für diese Konstellation – d. h. für die Anfechtung einer Einzelbaugenehmigung durch einen Nachbarn – hat das Bundesverwaltungsgericht wiederholt entschieden, dass es selbst in solchen Fällen keinen subjektiven Anspruch auf Planaufstellung gibt (vgl. auch § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB), in denen objektiv-rechtlich die Aufstellung eines Bauleitplanes geboten sein mag – was im Übrigen vorliegend nicht ersichtlich ist -; auch das Unterlassen der Bürgerbeteiligung nach § 3 Abs. 1, Abs. 2 BauGB führt dann nicht zu einer Verletzung subjektiver Rechte (BVerwG, B.v. 16.12.1992 – 4 B 202/92 – juris; B.v. 3.8.1982 – 4 B 145/82 – juris). Die Bürgerbeteiligung im Bebauungsplanverfahren wurde nicht in Erfüllung einer grundrechtlichen Schutzpflicht erlassen, sondern sie hat die dem Gemeinwohl dienende Aufgabe, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde vorzubereiten und zu leiten (BVerwG, B.v. 16.12.1992, a. a. O.). Wie § 1 Abs. 8 BauGB zeigt, ist diese zur geforderten Aufstellung eines Bauleitplans ergangene Rechtsprechung auch auf eine geforderte Änderung zu übertragen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat weiter klargestellt, dass auch eine objektivrechtswidrige Abweichung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans selbst dann nicht zu einer Verletzung subjektiver Rechte des Nachbarn führt, wenn die Baugenehmigungsbehörde derartige objektiv-rechtswidrige Abweichungen bereits wiederholt erteilt und dadurch das Plangebiet verändert hat (BVerwG, U.v. 10.12.1982 – 4 C 49/79 – juris, zu Ausnahmen).
D.h. selbst dann, wenn vorliegend durch die Befreiungsentscheidung Grundzüge des Bebauungsplans umgestaltet würden, so wäre das irrelevant; das Gericht muss und wird sich dazu in der Drittanfechtungssituation nicht verhalten.
Das Bundesverwaltungsgericht hat weiter unmissverständlich festgestellt, dass im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB beachtliche nachbarliche Rechtspositionen von vorn herein nur solche materieller Natur sind (BVerwG, B.v. 17.11.2015 – 4 B 35.15 – ZfBR 2016, 156; BeckOK BauGB, Stand: 45. Ed. 1.5.2019, § 31 Rn. 68a). Auch deshalb ist die behauptete Umgehung von Verfahrens- bzw. Beteiligungsrechten im Rahmen des Drittrechtsbehelfs von vorn herein irrelevant.
Das Gericht schließt sich dieser bereits in der mündlichen Verhandlung ausführlich dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung an. Auch die neue Argumentation ist somit in keiner Hinsicht geeignet, der Klage zum Erfolg zu verhelfen, worauf der Bevollmächtigte vor Ort nachdrücklich hingewiesen wurde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladenen haben auf eine Antragstellung verzichtet, womit es unbillig wäre, die Kläger auch mit ihren außergerichtlichen Kosten zu belasten. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit fußt auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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