Baurecht

Erfolglose Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohnhauses im Außenbereich

Aktenzeichen  AN 9 K 20.00179

Datum:
1.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2148
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35
BauNVO § 15
WHG § 78

 

Leitsatz

1. Ein Anspruch des Nachbarn auf Aufhebung einer Baugenehmigung setzt voraus, dass die Baugenehmigung rechtswidrig ist und er zugleich in seinen Rechten verletzt wird, was der Fall ist, wenn die zur Rechtswidrigkeit führende Norm  drittschützende Wirkung hat und die Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die Gegenstand der Prüfung im Baugenehmigungsverfahren waren. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Gesetzgeber hat in § 78 WHG eine spezielle Inhalts- und Schrankenbestimmung des Bodeneigentums getroffen und besonderes Verfahren normiert, in welchem die fraglichen Belange zu prüfen sind, was bedeutet, dass auch bei einem Außenbereichsvorhaben die Prüfung der Belange des Hochwasserschutzes nicht im Rahmen des baurechtlichen Rücksichtnahmegebotes erfolgen kann. ((Rn. 30 – 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3.Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4.Die Berufung wird zugelassen.   

Gründe

A.
Klagegegenstand ist die dem Beigeladenen mit Bescheid vom 30. Dezember 2019 erteilte Baugenehmigung.
B.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der streitgegenständliche Genehmigungsbescheid verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung hat ein Nachbar nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr setzt ein Anspruch auf Aufhebung weiter voraus, dass der Nachbar durch die Baugenehmigung zugleich in seinen Rechten verletzt wird, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das ist dann der Fall, wenn die zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führende Norm zumindest auch dem Schutze der Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat (vgl. beispielsweise BVerwG, U.v. 6.10.1989 – 4 C 14.87 – juris Rn.9). Weiterhin ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann erfolgreich angreifen kann, wenn die Rechtswidrigkeit der Genehmigung sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die Gegenstand der Prüfung im Baugenehmigungsverfahren waren (siehe hierzu BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20; VG Ansbach, B.v. 19.4. 2018 – AN 3 S 18.00458 – juris Rn. 62). Liegt ein Verstoß gegen eine Vorschrift vor, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, so trifft auch die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und der Nachbar muss den entsprechenden Rechtsschutz gegen das Vorhaben anderweitig suchen (vgl. BayVGH, B.v. 14.10.2008 – 2 CS 08/2132 – juris Rn. 3).
2. Vorliegend sind keine drittschützenden Vorschriften, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, erkennbar, gegen die verstoßen wurde.
2.1 Soweit der Kläger Bedenken bezüglich der Ausweisung des Baugebiets im Überschwemmungsgebiet, der Überschwemmungsgefahren, der erfolgten Aufschüttungen, der Entwässerung des Niederschlagswassers sowie bezüglich der angeführten negativen Wirkungen durch Hochwasser auf das klägerische Grundstück anführt, gilt Folgendes:
2.1.1 Nach früheren Entscheidungen des BayVGH war davon auszugehen, dass ein nach § 34 oder § 35 BauGB zu beurteilendes Bauvorhaben gegen das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme verstößt, wenn infolge seiner Umsetzung die Hochwassergefahr für ein benachbartes Grundstück sich unzumutbar erhöht bzw. wenn es am geplanten Standort den Hochwasserabfluss so stark beeinträchtigt, dass ein Nachbargrundstück unzumutbar belastet würde (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 2.5.2003 – 25 CSS 03.32 – juris Rn. 3).
Im Falle eines – wie vorliegend – nach § 35 BauGB zu beurteilenden Außenbereichsvorhabens wurde dies damit begründet, dass der Hochwasserschutz in Gestalt des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 BauGB als möglicher beeinträchtigter oder entgegenstehender Belang gesetzlich verankert sei (siehe hierzu BayVGH, B.v. 24.1.2001 – 1 ZS 00.3650 – juris Rn. 10).
Im Einklang mit dieser Begründung vertrat der 14. Senat des BayVGH mangels gesetzlicher Verankerung für § 34 BauGB die Auffassung, dass Fragen des Hochwasserschutzes im Anwendungsbereich des § 34 BauGB nicht über das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot zu prüfen seien, da Belange des Hochwasserschutzes bei einem Vorhaben nach § 34 BauGB – anders als bei einem Außenbereichsvorhaben (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 BauGB) – nicht zu den bauplanungsrechtlich zu berücksichtigenden Kriterien gehörten (BayVGH, B.v. 6.6.2002 – 14 B 99.2545 – juris Rn. 14; VGH Mannheim, B.v. 18.11.2013 – 5 S 2037/13 – juris Rn. 13).
2.1.2 In der Rechtsprechung wird zunehmend vertreten, dass der Hochwasserschutz unter Einschluss der Gewährleistung von Retentionsflächen wegen Spezialität der Normen zum wasserrechtlichen Genehmigungsverfahren gem. § 78 WHG überhaupt nicht vom baurechtlichen Rücksichtnahmegebot umfasst sei. Die Anwendung des Rücksichtnahmegebots über bauplanungsrechtliche Normen finde ihre Grenze jedenfalls dort, wo der Gesetzgeber – wie in § 78 WHG – eine spezielle Inhalts- und Schrankenbestimmung des Bodeneigentums getroffen habe und wo ein besonderes Verfahren existiere, in welchem die fraglichen Belange zu prüfen seien. § 78 Abs. 5 Satz 1 WHG habe das Ziel, jede Verschlechterung der Hochwassersituation zu vermeiden, womit ein strengerer Maßstab gegeben sei als durch das Kriterium der Unzumutbarkeit im Sinne des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebotes. Das baurechtliche Rücksichtnahmegebot habe daneben keinen Raum (siehe hier OVG Hamburg, B.v. 28.1.2016 – 2 Bs 254/15 – juris Rn. 22; VG München, B.v. 22.8.2016 – M 1 SN 16.2810 – juris Rn. 23; B.v. 6.12.2017 – M 11 SN 17.4959 – juris; B.v. 15.1.2019 – M 9 SN 18.4926 – juris Rn. 31; Rossi in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG/AbwAG, Stand August 2019, § 78 WHG Rn. 71).
2.1.3 Die Kammer schließt sich der letztgenannten Auffassung an, dass aufgrund der Spezialität und aufgrund des strengeren Maßstabes des § 78 WHG im Vergleich zum baurechtlichen Rücksichtnahmegebot der Hochwasserschutz und die damit im Zusammenhang stehenden möglichen Beeinträchtigungen nur im Rahmen von § 78 WHG zu prüfen sind. Hierfür spricht auch die mittlerweile erfolgte Verankerung des wasserrechtlichen Drittschutzes in § 78 Abs. 5 Satz 2 WHG.
Geht man aber von einem Vorrang des § 78 WHG aus, so muss dieser unabhängig von einer Situierung des Vorhabens im Innen- oder Außenbereich gelten. Die Tatsache, dass § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 BauGB den Hochwasserschutz als öffentlichen Belang benennt, ändert das soeben dargestellte Spezialitätsverhältnis nicht. Der Vorrang des § 78 WHG bleibt bestehen. Das bedeutet, dass auch bei einem Außenbereichsvorhaben die Prüfung der Belange des Hochwasserschutzes nicht im Rahmen des baurechtlichen Rücksichtnahmegebotes erfolgen kann (so ausdrücklich VG München B.v. 15.1.2019 – M 9 SN 18.4926 – juris Rn. 31 mit Unterscheidung zwischen bauplanungsrechtlichem und wasserrechtlichem Rücksichtnahmegebot).
2.1.4 Eine Verletzung seiner Rechte aufgrund eines Verstoßes gegen hochwasserschutzrechtliche Bestimmungen kann durch den Kläger somit nicht im gegen die Baugenehmigung gerichteten Verfahren geltend gemacht werden, sondern nur in einem Verfahren gegen die Erteilung der Genehmigungen nach § 78 Abs. 5 WHG und § 78a Abs. 2 WHG.
2.2 Anhaltspunkte für eine Verletzung des baurechtlichen Rücksichtnahmegebotes sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
2.3 Auch hinsichtlich der erteilten Abweichungen bezüglich der Abstandsflächen ist eine Verletzung klägerischer Rechte nicht erkennbar, da keine Abweichung in Richtung Westen zum Grundstück des Klägers hin erteilt wurde, sondern nur Abweichungen nach Norden und Süden.
2.4 Auch durch die in der Baugenehmigung enthaltene Genehmigung nach Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 BayWG sind keine den Kläger schützenden Rechte betroffen. Die Genehmigung nach Art. 20 BayWG hat eine rein ordnungsrechtliche Funktion und dient ausschließlich der Verhinderung nachteiliger Wirkungen von Anlagen auf die Strömungs- und Abflussverhältnisse eines oberirdischen Gewässers; ein Nachbarschutz ist somit gerade nicht zu begründen (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 11.6.2013 – 8 ZB 12.725 – juris Rn. 9 ff; VG München, B.v. 28.12.2016 – M 1 SN 16.5502 – juris Rn. 39; Knopp in Sieder/Zeitler, BayWG, Stand Februar 2019, Art. 20 Rn. 22).
2.5 Bezüglich der Tatsache, dass in der streitgegenständlichen Baugenehmigung der Hinweis unterblieben ist, dass das streitgegenständliche Grundstück im Überschwemmungsgebiet liege und die wasserrechtlichen Ausnahmegenehmigungen sowie deren Auflagen und Hinweise zu beachten seien, ist schon nicht erkennbar, welche Drittschutz vermittelnde Norm dadurch verletzt sein sollte.
Jedenfalls sind die Geltung der wasserrechtlichen Genehmigung und die Zugehörigkeit zum Überschwemmungsgebiet aber unabhängig von Hinweisen in einer Baugenehmigung gegeben. Eine Rechtsverletzung durch den unterbliebenen Hinweis scheidet somit aus.
2.6 Soweit der Kläger auf die Auffüllung von Flutmulden oder die Lagerung von Aushubmaterial auf anderen Grundstücken abstellt, ist dies jedenfalls nicht durch die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung bedingt. Eine Rechtsverletzung des Klägers scheidet somit auch unter diesem Gesichtspunkt aus.
Es ist insofern generell zwischen der Rechtmäßigkeit einer angefochtenen Genehmigung und eventuellen Defiziten bei der Umsetzung der dem Beigeladenen oder benachbarten Grundstückeigentümern erteilten Genehmigungen zu unterscheiden, die ihrerseits nicht zur Rechtswidrigkeit der Genehmigungen selbst führen, sondern lediglich dazu, dass beispielsweise die Einhaltung von Auflagen verlangt werden kann.
C.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kosten des Verfahrens trägt gem. § 154 Abs. 1 VwGO der Kläger. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst, da er keinen Antrag gestellt hat und sich damit nicht dem Kostenrisiko aus § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben