Baurecht

Erfolglose Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung zur Nutzungsänderung von Büronutzung zu Bordellnutzung im Gewerbegebiet

Aktenzeichen  2 B 17.1741

Datum:
13.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2018, 601
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 42 Abs. 2, § 91 Abs. 1, § 113 Abs. 1 S. 1, § 124 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 1
BauNVO § 8 Abs. 2 Nr. 1, § 15 Abs. 1 S. 1, S. 2
BayBO Art. 2 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Ein sog. Gebietserhaltungsanspruch besteht nicht, wenn die betreffenden Grundstücke in verschiedenen Baugebieten eines Bebauungsplans liegen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Bordell ist als Gewerbebetrieb aller Art im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO in einem Gewerbegebiet allgemein zulässig (wie BVerwG BeckRS 2014, 52752; BeckRS 2015, 55600). (redaktioneller Leitsatz)
3 Der sozioökonomische Begriff des Trading-Down-Effekts kennzeichnet eine Entwicklung, die auf der Beobachtung wirtschaftlicher Aktivitäten und ihrer Auswirkungen auf gesellschaftliche Prozesse beruht. Ihre Erfassung und Bewertung ist der Ebene der Sachverhaltsermittlung zuzuordnen und obliegt den Tatsachengerichten. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 8 K 15.2623 2015-11-16 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 16. November 2015 wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen in zweiter Instanz. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten in erster Instanz selbst. Die ausgeschiedene Klägerin … Grundstücksverwaltungsgesellschaft mbH & Co. Objekt Eins KG trägt ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen selbst.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Beigeladenen (§ 124 Abs. 1 VwGO) ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die Baugenehmigung vom 25. Februar 2015 aufgehoben, denn die Klägerin wird durch diese nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
1. Die ursprüngliche Klägerin … Grundstücksverwaltungsgesellschaft mbH & Co. Objekt Eins KG ist aus dem vorliegenden Verfahren ausgeschieden. Die neue Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 270/2 der Gemarkung F* … ist für sie in das laufende Berufungsverfahren eingetreten. Hierbei handelt es sich um eine Klageänderung nach § 91 Abs. 1 VwGO (vgl. BVerwG, U.v. 3.7.1987 – 4 C 12.84 – NJW 1988, 1228), in die die Beklagte und der Beigeladene eingewilligt haben. Im Übrigen ist die Klageänderung auch sachdienlich.
2. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für die Berufung des Beigeladenen ist nicht dadurch entfallen, dass er eine weitere Baugenehmigung vom 24. August 2016 für das Grundstück FlNr. 271/14 der Gemarkung F* … erhalten hat. Denn die beiden Baugenehmigungen unterscheiden sich in wesentlichen Punkten. Die Baugenehmigung vom 24. August 2016 enthält keine erkennbaren Einschränkungen hinsichtlich der Betriebszeiten, dagegen werden erhebliche Beschränkungen hinsichtlich der Anbringung von Werbeanlagen beauflagt. Ferner ist auch die neue Baugenehmigung vor dem Verwaltungsgericht angefochten worden. Damit darf der Beigeladene davon ausgehen, dass er in dem vorliegenden Berufungsverfahren schneller zu einer bestandskräftigen Baugenehmigung gelangen kann.
II.
1. Die Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung vom 25. Februar 2015 ist zulässig. Die Klägerin kann sich zumindest auf die von ihr behauptete Verletzung des Rücksichtnahmegebots berufen (§ 42 Abs. 2 VwGO).
2. Die Anfechtungsklage ist jedoch nicht begründet. Durch die Baugenehmigung vom 25. Februar 2015 wird weder der Gebietserhaltungsanspruch noch das Rücksichtnahmegebot zulasten der Klägerin verletzt.
2.1. Die Festsetzungen eines Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung in einem bestimmten Baugebiet sind nachbarschützend. Durch sie werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sind (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151/155). Dieser Gebietserhaltungsanspruch besteht jedoch nicht, wenn die betreffenden Grundstücke in verschiedenen Baugebieten eines Bebauungsplans liegen (vgl. VGH BW, B.v. 23.8.1996 – 10 S 1492.96 – BRS Nr. 160; OVG Münster, B.v. 28.11.2002 – 10 B 1618.02 – BRS 66 Nr. 168; BayVGH, U.v. 14.7.2006 – 1 BV 03.2179 – BayVBl 2007, 334; U.v. 28.6.2012 – 2 B 10.788 –juris). Im vorliegenden Fall liegen das Grundstück der Klägerin und das Baugrundstück zwar im selben Bebauungsplan Nr. 71g der Beklagten, die Grundstücke FlNr. 270/2 und FlNr. 271/14 liegen aber in unterschiedlichen Baugebieten, die durch die M* …straße voneinander getrennt sind. Die Klägerin und der Beigeladene werden demnach im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke nicht zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft im oben genannten Sind verbunden. Selbst bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 71g lägen die beiden Grundstücke in unterschiedlichen durch die M* …straße voneinander getrennten Baugebieten. Die M* …straße ist in diesem Bereich so breit angelegt, dass nicht von einem einheitlichen Gewerbegebiet ausgegangen werden kann.
Im Übrigen wäre hier eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs auch nicht gegeben. Ein Bordell ist als Gewerbebetrieb aller Art im Sinn von § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO (vgl. BVerwG, B.v. 5.6.2014 – 4 BN 8.14 – BRS 82 Nr. 18; B.v. 2.11.2015 – 4 B 32.15 – BauR 2016, 477) in einem Gewerbegebiet allgemein zulässig. Eine Wohnnutzung ist im vorliegenden Fall nicht beabsichtigt. Hierzu wurde bereits in der Betriebsbeschreibung vom 4. September 2014 erklärt, dass eine solche durch eine entsprechende Klausel in den Mietverträgen ausgeschlossen werde. Die in den einzelnen Obergeschossen vorgesehenen Duschbäder/WC‘s sind nach Auffassung des Senats aus hygienischen Gründen erforderlich. Ebenso wenig ist die Mitarbeiterküche im ersten Obergeschoss angesichts der Tatsache zu beanstanden, dass sich dort weitere Einrichtungen befinden wie Büro, Videoüberwachung, Hausmeister, Matratzen-/Bettenlager und Lagern/Waschen/Bügeln. Insoweit ist keine Vergleichbarkeit mit dem Sachverhalt gegeben, der dem Beschluss des Senats vom 2. Mai 2006 (2 BV 05.1739 – juris) zugrunde lag. Dort war den Mieterinnen ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, in den von ihnen angemieteten Appartments zu nächtigen, die zudem über ein eigenes Bad verfügten. Ferner wurde den Mieterinnen ausdrücklich die Möglichkeit geboten, in einer gemeinschaftlichen Küche und einem gemeinschaftlichen Aufenthaltsraum Essen zuzubereiten und dieses zu verzehren.
Bei dem hier umstrittenen Bordell handelt es sich nicht nur um die einzige derartige Nutzung im Baugebiet, sondern im gesamten Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 71g. Die beim Augenschein des Senats in einer Entfernung von ca. 270 m zum Vorhaben in den Blick genommenen bestehenden bzw. bereits untersagten Bordellnutzungen im südlichen Verlauf der M* …straße liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 71n bzw. sind bei Unwirksamkeit dieses Bebauungsplans separat nach § 34 BauGB zu beurteilen, da sie zu weit von den Grundstücken des Beigeladenen sowie der Klägerin entfernt liegen. Dass hier gleichsam ein Sondergebiet für Bordellbetriebe entstünde (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.1983 – 4 C 21.83 – BVerwGE 68, 213/218), kann mithin nicht angenommen werden.
2.2. Die von der Klägerin behauptete Verletzung des Rücksichtnahmegebots zu ihren Lasten ist ebenso wenig gegeben. Ein in einem Gewerbegebiet allgemein nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO zulässiges Bordell oder eine sonstige bauliche Anlage kann im Einzelfall zulasten der Nachbarn und übrigen Anwohner gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme verstoßen, wenn von ihm Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.1983 – 4 C 21.83 – BVerwGE 68, 213/217; U.v. 25.1.2007 – 4 C 1.06 – BVerwGE 128, 118). Hierbei hängt das Maß der nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO gebotenen Rücksichtnahme von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Es sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, gegeneinander abzuwägen. Feste Regeln lassen sich dabei nicht aufstellen. Erforderlich ist eine Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen (vgl. BVerwG, B.v. 3.3.1992 – 4 B 70.91 – BayVBl 1992, 411).
Zunächst ist auch in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Klägerin mit ihrem Grundstück FlNr. 270/2 nicht direkt Nachbarin des Bauvorhabens auf dem Grundstück FlNr. 271/14 ist und auch nicht im selben Baugebiet des Bebauungsplans Nr. 71g liegt. Zwischen dem Anwesen der Klägerin und dem Bauvorhaben liegt zudem die in diesem Bereich breit angelegte M* …straße. Irgendwelche möglichen negativen Auswirkungen des Bordellbetriebs im Anwesen M* …straße 24 werden sich deshalb nicht direkt vor dem Anwesen S* …straße 2 bis 8 abspielen, das sich ohnehin im Osten bis zum Ende der S* …straße erstreckt.
Unabhängig davon und abgesehen von der vom Erstgericht beanstandeten, aber in diesem Umfang nicht mehr vorhandenen Werbung für die Bordellnutzung, sieht der Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass von dem Gewerbegebiet Belästigungen oder Störungen ausgehen könnten, die für die Nachbarn oder in der näheren Umgebung des Vorhabens unzumutbar sein könnten.
Das Verwaltungsgericht ist vorliegend davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung den Betrieb eines Bordells zulasse, ohne die Problematik der für die Betriebe dieser Art üblichen, sehr auffälligen Gestaltung der Fassade mit Werbeanlagen zu regeln, weshalb die Baugenehmigung gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoße und aufzuheben sei. Diese Entscheidung ist aufgrund der Erkenntnisse aus einem Augenschein des Erstgerichts am 16. November 2015 ergangen, wobei eine sehr auffällige Gestaltung des Betriebsgebäudes mit Anlagen der Eigenwerbung festgestellt wurde. Bei der Ortseinsicht durch den Senat am 5. Dezember 2017 war dagegen festzustellen, dass sich dort sowohl an der Zufahrt als auch in Höhe des ersten Obergeschosses in lila Schrift lediglich jeweils ein Werbeschild M* …straße 24 findet. Das Werbeschild in Höhe des ersten Obergeschosses wird durch zwei weiße Strahler beleuchtet. Außerdem besitzen einige Fenster eine lila Folie. Am ca. 270 m entfernten Anwesen M* …straße 39 ist mit Blick vom Anwesen M* …straße 24 aus keine Werbung oder ein sonstiger Hinweis auf die Bordellnutzung mehr zu erkennen. Für die seitens des Erstgerichts dringlich geforderte Regelung der Werbeanlagen bereits in der strittigen Baugenehmigung für die Bordellnutzung finden sich damit keine zwingenden Anhaltspunkte mehr. Im Übrigen hat die Beklagte bereits im Zulassungsverfahren zu Recht darauf hingewiesen, dass zwischen der Genehmigung von Gebäuden und der Genehmigung von Werbeanlagen im Sinn von Art. 2 BayBO zu unterscheiden ist. Beides sind separate bauliche Anlagen nach Art. 2 Abs. 1 BayBO. Wenn eine bauliche Anlage wie eine Werbetafel an einer baulichen Anlage wie einem Gebäude errichtet werden soll, ist – da es sich nicht um die gleiche bauliche Anlage handelt – beispielsweise die Frage einer Verunstaltung im Sinn von Art. 8 BayBO nach unterschiedlichen Maßstäben zu prüfen (vgl. BayVGH, B.v. 6.2.2016 – 2 ZB 15.2503 – BayVBl 2016, 597). Demnach wird die Bauaufsichtsbehörde gehalten sein, bei einer verunstaltenden Wirkung oder einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch die Anbringung einer Werbeanlage gegen die Errichtung der Werbeanlage vorzugehen. Ein bauaufsichtliches Einschreiten im Hinblick auf das Gebäude, an dem die Werbeanlage angebracht ist, dürfte regelmäßig gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen. Ebenso scheitert die Aufhebung der Baugenehmigung für ein Gebäude wegen der dort angebrachten Werbeanlagen an diesem Grundsatz.
Soweit sich die Klägerin für die von ihr behauptete Verletzung des Rücksichtnahmegebots auf die Stellungnahme des Polizeipräsidiums München vom 4. Dezember 2014 stützen will, ist festzustellen, dass diese Stellungnahme überholt ist. Nach den Feststellungen des Senats beim Augenscheinstermin am 5. Dezember 2017 sowie nach der von Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2017 übergebenen Aufstellung wurde bei der überwiegenden Zahl der im südlichen Bereich der M* …straße vorhandenen Bordellnutzungen die Nutzung untersagt und auch vom Betreiber aufgegeben. Zudem ist das Vorhaben des Beigeladenen entgegen der Stellungnahme des Polizeipräsidiums München vom 4. Dezember 2014 nicht mit 18 Zimmern, sondern nur mit zwölf Zimmern verwirklicht worden.
Die Baugenehmigung vom 25. Februar 2015 verstößt auch nicht deshalb zulasten der Klägerin gegen das Rücksichtnahmegebot, weil ein quasi Rund-um-die-Uhr-Betrieb des Bordells zugelassen würde. Wie in der ergänzenden Betriebsbeschreibung vom 16. Januar 2015 dargelegt wird, ist es vielmehr beabsichtigt, eine sogenannte Putzstunde von 4.00 Uhr morgens bis 6.00 Uhr morgens zu fixieren. Mithin wird ein Dauerbetrieb des Bordells ausgeschlossen. Damit wird zusätzlich sichergestellt, dass keine Wohnnutzung in den Arbeitszimmern erfolgen kann. Zudem ist sich auch die Klägerin darüber im Klaren, dass mögliche Ausstrahlungen der Bordellnutzung in der Nacht sich kaum auf die Büronutzung sowie das Fitnessstudio in ihrem Anwesen auswirken werden. Deshalb hat sie auch in der mündlichen Verhandlung des Senats erklären lassen, dass sich unter Tags die negativen Auswirkungen der Bordellnutzung über die M* …straße hin auf ihr Anwesen erstrecken würden. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass sich die am Anwesen des Beigeladenen noch vorhandenen Werbeanlagen bei Tageslicht noch weniger stark auswirken und eine entsprechend geringere Anreizwirkung haben werden. Auch ansonsten sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass sich mögliche negative Auswirkungen des Bordellbetriebs insbesondere am Tag zeigen werden.
Soweit die Klägerin eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots zu ihren Lasten durch den Eintritt eines sogenannten Trading-Down-Effekts behauptet, kann dem nicht gefolgt werden. Der sozioökonomische Begriff des Trading-Down-Effekts kennzeichnet eine Entwicklung, die auf der Beobachtung wirtschaftlicher Aktivitäten und ihrer Auswirkungen auf gesellschaftliche Prozesse beruht. Ihre Erfassung und Bewertung ist der Ebene der Sachverhaltsermittlung zuzuordnen und obliegt den Tatsachengerichten (vgl. BVerwG, B.v. 10.1.2013 – 4 B 48.12 – BauR 2013, 934). Fragen im Zusammenhang mit der Entstehung eines sog. Trading-Down-Effekts wurden vom Bundesverwaltungsgericht bislang insbesondere im Zusammenhang mit den besonderen städtebaulichen Gründen für Festsetzungen in einem Bebauungsplan (vgl. B.v. 21.12.1992 – 4 B 182.92 – BRS 55 Nr. 42) und im Rahmen einer Verpflichtungsklage des Bauherrn bei der Frage des objektiven Einfügens eines Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB geprüft (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.1994 – 4 C 13.33 – BauR 1995, 361; B.v. 4.9.2008 – 4 BN 9.08 – BRS 73 Nr. 26). Auch bei den klägerseits angeführten Entscheidungen (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2015 – 9 ZB 12.1912 – juris; B.v. 14.5.2014 – 1 ZB 13.886 – juris; OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 23.6.2015 – 10 B 7.13 – juris) handelte es sich nicht um Klagen von Nachbarn, die sich zur subjektivrechtlichen Seite des Rücksichtnahmegebots auf das Eintreten eines sogenannten Trading-Down-Effekts berufen hätten.
In jedem Fall könnte der sogenannte Trading-Down-Effekt nur innerhalb eines bestimmten Baugebiets relevant werden (vgl. BayVGH, U.v. 15.4.2010 – 2 B 09.2419 – BauR 2011, 1143; U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – BayVBl 2013, 51; U.v. 20.12. 2012 – 2 B 12.1977 – BayVBl 2013, 275). Denn für die Bejahung eines Trading-Down-Effekts müsste sich das geplante Vorhaben so negativ auswirken, dass das Baugebiet mit seiner Zulassung seinen Charakter verlöre. Ein solcher extremer Ausnahmefall (vgl. BayVGH, U.v. 15.12.2010 – 2 B 09.2419 – BauR 2011, 1143; Stange, Baunutzungsverordnung, 3. Aufl. 2015, § 8 Rn. 59) kann hier nicht angenommen werden.
Wie jedoch bereits oben festgestellt wurde, liegen das Bauvorhaben und das Anwesen der Klägerin nicht im selben Baugebiet des Bebauungsplans 71g. Selbst wenn der Bebauungsplan Nr. 71g unwirksam sein sollte, lägen sie wegen der trennenden Wirkung der in diesem Bereich breit ausgebauten M* …straße nicht im selben Baugebiet, wozu unten noch auszuführen sein wird.
Selbst bei einer Unwirksamkeit der Bebauungspläne Nr. 71g und 71n wäre auch keine Wechselwirkung mit der ca. 270 m entfernten Bordellnutzung im südlichen Bereich der M* …straße gegeben. Weder das Bauvorhaben noch das Anwesen der Klägerin lägen im selben Baugebiet wie das Bordell im Anwesen M* …straße 39.
Unabhängig davon handelt es sich hier um die einzige Bordellnutzung im Baugebiet, im Gebiet des Bebauungsplans Nr. 71g bzw. in der näheren Umgebung des klägerischen Anwesens. Auch ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO kann damit ausgeschlossen werden. Ebenso wenig handelt es sich vom Baukörper oder von der Nutzung her um einen Fremdkörper im maßgeblichen Gebiet. Es handelt sich vielmehr um eine allgemein zulässige Nutzung in einem festgesetzten bzw. faktischen Gewerbegebiet. Der Beigeladene weist zu Recht darauf hin, dass sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 25.11.1983 – 4 C 21.83 – BVerwGE 68, 213/215; B.v. 2.11.2015 – 4 B 32.15 – BauR 2016, 477) nicht ergibt, dass Bordelle nur an einem Standort zulässig sind, der außerhalb oder allenfalls am Rand des „Blickfelds“ und der Treffpunkte einer größeren und allgemeinen Öffentlichkeit bzw. vorliegend am Rand eines Gewerbegebiets liegt. Vielmehr ist auch hier eine Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen erforderlich (vgl. BVerwG, U.v. 5.8.1983 – 4 C 96.79 – BVerwGE 67, 334/339; B.v. 3.3.1992 – 4 B 70.91 – BayVBl 1992, 411).
Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich auch nicht um ein Gebiet mit hochwertigen Gewerbebetrieben, das durch das Vorhaben des Beigeladenen eine deutliche Abwertung erfahren könnte. Auf der westlichen Seite der M* …straße in der näheren Umgebung des Vorhabensgrundstücks findet sich ein fünfgeschossiges Gebäude, in dem zukünftig Büronutzung stattfinden soll, sowie ein weiteres fünfgeschossiges Gebäude, in dem bereits Büronutzung vorhanden ist. Im zweigeschossigen Anbau sind ein Beschriftungswerk sowie sonstiges Kleingewerbe untergebracht. Weiter Richtung Norden finden sich Warenlager, Autohändler sowie ein Discounter und Richtung Süden sind mehrere Autohäuser sowie eine zweigeschossige Lagerhalle und ein kleiner Imbiss vorhanden. Auf der östlichen Seite der M* …straße findet sich in einem fünfgeschossigen Gebäude überwiegend Nutzung durch ein Fitnessstudio sowie Büronutzung. Ferner besteht in einem Keller eine „Eventlocation“. Weiter Richtung Norden sind ein Reifen- und Autoservice, ein Geschäft für Wassersportartikel sowie das Bürogebäude einer Krankenkasse vorhanden. Damit stellt sich die Umgebung des Bauvorhabens als die für ein durchschnittliches Gewerbegebiet typische Mischung unterschiedlichster Gewerbe- und Büronutzungen dar. Auf dem Anwesen der Klägerin besteht ein fünfgeschossiger Gebäudekomplex, in dem Büronutzung sowie ein Fitnessstudio untergebracht sind. Sofern die Klägerin darauf hinweist, dass sie über mehrere Mieter mit einer gewerblichen Tätigkeit im gehobenen Segment verfüge, reicht auch dies nicht aus, um eine weitgehende Prägung des Gebiets durch hochwertige Gewerbebetriebe zu belegen. Denn südlich des Anwesens der Klägerin folgen ein Gartencenter, ein Baumarkt sowie ein Discounter. Unabhängig davon, auf welche Weise und wie weit man den Umgriff um das Bauvorhaben zieht, sind damit keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass es sich um ein durch hochwertige Gewerbebetriebe geprägtes Gebiet handeln könnte. Zudem weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass östlich der M* …straße bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 71g aufgrund der vorhandenen großflächigen Einzelhandelsbetriebe kein Gewerbegebiet im Sinn von § 8 BauNVO mehr angenommen werden könnten. Damit würde jedoch im Umfeld des klägerischen Anwesens auf der östlichen Seite der M* …straße bereits eine Gemengelage bestehen. Demgegenüber wäre auf der westlichen Seite der M* …straße im Umfeld des Bauvorhabens ein faktisches Gewerbegebiet gegeben. Selbst wenn man jedoch nicht von einer trennenden Wirkung der M* …straße in diesem Bereich ausginge, würde durch das relativ kleine Bauvorhaben mit einer Bordellnutzung in zwölf Arbeitszimmern entgegen der Auffassung der Klägerin kein Übergewicht dieser Nutzung entstehen. Wie bereits ausgeführt, kann die in einer Entfernung von ca. 270 m im Süden der M* …straße bestehende Bordellnutzung insoweit nicht miteinbezogen werden. Insoweit würde sich die Bordellnutzung mit zwölf Zimmern selbst im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB einfügen und folglich keine bodenrechtlichen Spannungen begründen.
Soweit in dem nicht nachgelassenen, von einem nicht näher bezeichneten Rechtsanwalt im Auftrag unterzeichneten Schriftsatz vom 18. Dezember 2017 auf eine Stellungnahme des Referats für Stadtplanung und Bauordnung der Beklagten vom 14. November 2014 verwiesen wird, ist hervorzuheben, dass es im vorliegenden Rechtsstreit nicht darauf ankommt, ob das Gebiet im Gewerbeflächen- und Siedlungsprogramm der Beklagten als B-Fläche für höherwertiges Gewerbe ausgewiesen ist, sondern darauf, welche Arten von Gewerbeansiedlungen im maßgeblichen Gebiet tatsächlich vorhanden sind. Ebenso wenig kommt es vorliegend darauf an, ob in den von der Klägerin mittels Ausführungen der Beklagten in Bezug genommenen weiteren Verfahren die Zunahme einer Gesamtsituation mit den typischen Begleiterscheinungen eines Rotlichtviertels zu befürchten ist. Wie bereits oben ausgeführt wurde, ist im vorliegenden Fall die Entstehung einer solchen kritischen Gesamtsituation allein durch die Zulassung des begrenzten Einzelvorhabens des Beigeladenen in der Nähe des klägerischen Anwesens nicht zu erwarten.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht vorliegend der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, da er dort einen Antrag gestellt hat, während er in der ersten Instanz keinen Antrag gestellt hat. Über die außergerichtlichen Kosten der ausgeschiedenen früheren Klägerin ist nach § 161 Abs. 1 VwGO ebenfalls im Endurteil zu entscheiden (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.1999 – 4 C 99.227 – NVwZ-RR 1999, 695).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinn von § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.


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