Baurecht

Erfolglose Nachbarklage gegen Teediele und Meersalzgrotte im Dorfgebiet

Aktenzeichen  AN 3 K 14.02003

Datum:
31.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 45833
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30 Abs. 1
BauNVO § 1 Abs. 3, § 5 Abs. 2, Abs. 3, § 15 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Liegt keine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs vor, kann von einer gleichwohl gegebenen Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme nur dann ausgegangen werden, wenn ein Bauvorhaben für den Nachbarn schlechthin unzumutbar wäre. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der zu beachtende Grad der Rücksichtnahme verschiebt sich zulasten des Nachbarn, wenn dieser seinerseits ohne die Einhaltung von Abstandsflächen ein Gebäude unmittelbar auf der Grenze zum Baugrundstück errichtet hat. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Baugenehmigungsbescheid des Beklagten verletzt die Kläger nicht in drittschützenden Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Bei der Erteilung einer Baugenehmigung für eine Nutzungsänderung im vereinfachten Verfahren prüft die Baugenehmigungsbehörde die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlage nach den §§ 29 bis 38 BauGB und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinn des Art. 81 Abs. 1 (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO), beantragte Abweichungen im Sinn des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 (Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO) sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird (Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO).
Den Klägern stehen in diesem Prüfumfang keine von der Rechtsordnung geschützten Abwehrrechte gegen die erteilte Baugenehmigung zur Seite. Weder aus dem den Nachbar schützenden planungsrechtlichen Gebietserhaltungsanspruchs, der für Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans aus § 30 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 3 BauNVO hergeleitet wird (vgl. Beck’scher Online-Kommentar BauNVO, Spannowsky/Hormann/Kämper, Stand 1. März 2016, § 1 BauNVO Rn. 142-143), noch aus dem Gebot der Rücksichtnahme, das seine Grundlage in § 30 Abs. 1 BauGB i. V. m. § 15 Abs. 1 BauNVO findet, haben die Kläger einen Anspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung.
1. Für eine Verletzung des nachbarschützenden Anspruchs auf Erhaltung des Gebietscharakters bestehen keine Anhaltspunkte. Zwar geht dieser Anspruch in seiner Schutzfunktion über die bloße Abwehr unzumutbarer Beeinträchtigungen wie im Falle des nachbarlichen Rücksichtnahmegebots hinaus (OVG Magdeburg, ZfBR 2012, 271; Beck’scher Online-Kommentar, BauNVO, a. a. O., § 1 BauNVO Rn. 144-146; VG Würzburg, U.v. 14.3.2016 – W 4 S 16.179 -, juris). Entspricht die Nutzung jedoch – wie vorliegend gegeben – dem Gebietscharakter, so ist für den Anspruch auf Erhaltung des Gebietscharakters kein Raum.
Das Vorhaben der Beigeladenen entspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans, in dem beide streitbefangenen Grundstücke unstreitig liegen, und ist in einem Dorfgebiet nach § 5 BauNVO zulässig. Wenngleich die Kammer dazu tendiert, die Anlage als Mischform der in § 5 Abs. 2 Nrn. 5, 6 und 7 BauNVO genannten Vorhabensarten einzustufen, ergäbe sich auch für den Fall, dass es sich um eine Vergnügungsstätte handeln sollte, seine planungsrechtliche Zulässigkeit aus § 5 Abs. 3 BauNVO, wonach nicht kerngebietsypische Vergnügungsstätten im Sinne des § 4 a Abs. 3 Nr. 2 BauNVO auch in Dorfgebieten ausnahmsweise zugelassen werden können. Denn um eine Vergnügungsstätte, die wegen ihrer Zweckbestimmung oder ihres Umfangs (wegen der von ihr ausgehenden Emissionen) nur in einem Kerngebiet allgemein zulässig ist, handelt es sich bei dem streitbefangenen Vorhaben schon wegen seiner geringen Betriebsgröße nicht.
Nach der zum Gegenstand der Baugenehmigung gemachten Betriebsbeschreibung soll die Teediele im Außenund Innenbereich werktags in der Zeit 9.00 Uhr bis 20.00 Uhr betrieben werden, im Außenbereich ist eine Bestuhlung mit 8 Sitzgelegenheiten zugelassen, die Betriebszeiten im Außenbereich sind auf die Monate April bis Oktober begrenzt, im Innenbereich sind 6 Liegen für die Meersalzgrotte vorgesehen. Nach den Erklärungen der Beigeladenen endet die Betriebszeit der Meersalzgrotte jeweils um 17.00 Uhr.
Wegen der geringen Größe des Vorhabens und der beschränkten Betriebszeiten ist nicht zu befürchten, dass von dem Vorhaben nicht hinnehmbare bodenrechtliche Spannungen ausgehen, die dem Charakter eines Dorfgebietes widersprechen. Ein Widerspruch zu den im Dorfgebiet üblicherweise hinzunehmenden und zu erwartenden Immissionen liegt nicht vor, weshalb das Vorhaben, selbst wenn es als Vergnügungsstätte anzusehen wäre, im Dorfgebiet ausnahmsweise zugelassen werden könnte.
Ist das Vorhaben demnach nach § 30 Abs. 1 BauGB im Dorfgebiet nach der Art der baulichen Nutzung zulässig, so ist für die Verletzung des nachbarschützenden Gebietserhaltungsanspruch kein Raum.
2. Auch für die von den Klägern vorgetragene Verletzung des Rücksichtnahmegebots ergeben sich weder aus ihrem Vortrag noch aus sonstigen Gründen Anhaltspunkte.
Dieses kommt zum Tragen, wenn im Einzelfall trotz planungsrechtlicher Zulässigkeit des Vorhabens von diesem unzumutbare Belastungen für den Nachbarn ausgehen.
Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – juris; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 5). Dieses Rücksichtnahmegebot gibt dem Nachbarn nicht das Recht, vor jeglicher Beeinträchtigung verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht. Eine Gesamtschau der Umstände des konkreten Einzelfalles ist maßgeblich dafür, ob einem Vorhaben diese Wirkung zukommt.
Die Abwägung der nachbarlichen Belange im Rahmen des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots ergibt, dass die Kläger von dem Bauvorhaben nicht unzumutbar betroffen sind. Wie bereits oben dargelegt, besteht schon keine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs, so dass von einer gleichwohl gegebenen Verletzung des Rücksichtnahmegebots nur dann ausgegangen werden könnte, wenn das Bauvorhaben für die Kläger schlechthin unzumutbar wäre.
Dies ist jedoch insbesondere schon deshalb nicht der Fall, weil die Kläger ihrerseits ihr Wohnhaus ohne die Einhaltung von Abstandsflächen unmittelbar auf der Grenze zum Baugrundstück errichtet haben. Mit dieser Gebäudesituierung hat sich der zu beachtende Grad der Rücksichtnahme zulasten der Kläger verschoben. Denn die Kläger fordern damit vom Nachbargrundstück einen höheren Grad von Rücksichtnahme ein – zumal ihr Wohnhaus auch über ein großflächiges Dachgeschossfenster zum Nachbargrundstück verfügt – als es bei Einhaltung der Abstandsflächen auf Seiten der Kläger der Fall wäre. Jedoch geht von dem streitgegenständlichen Bauvorhaben im Rahmen der Baugenehmigung unabhängig von der Frage der Einhaltung von Abstandsflächen im Rahmen des Rücksichtnahmegebots keine unzumutbare Beeinträchtigung für die Kläger aus. Nach dem Gutachten des Technischen Umweltschutzes beim Landratsamt … ist bei Einhaltung der Auflagen mit keinen unzumutbaren Immissionen auf das klägerische Grundstück zu rechnen.
3. Ob ein Verstoß gegen die nachbarschützenden Auflagen im Baugenehmigungsbescheid, den die Kläger mehrfach gerügt haben, zu einer Überschreitung des nach der Baugenehmigung zulässigen Nutzungsrahmens führen, ist nicht Prüfungsgegenstand im verwaltungsgerichtlichen Verfahren und kann daher auch keine Rechtsverletzung bei den Klägern auslösen. Streitgegenstand ist allein die Baugenehmigung. Diese trägt durch die in den Ziffern A. 1 und A. 2 festgesetzten Auflagen den nachbarlichen Belangen in Bezug auf den sicherzustellenden Lärmschutz ausreichend Rechnung.
Die Klage war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Sachgerecht war es deshalb auch, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen den Klägern aufzuerlegen.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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