Baurecht

Erfolglose Nachbarklage gegen Vorbescheid – Kein Rechtsmissbrauch durch Grundstücksteilung

Aktenzeichen  1 ZB 15.1560

Datum:
1.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 43631
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1, Art. 68 Abs. 4, Art. 71 Abs. 1 S. 4
BauGB § 34

 

Leitsatz

1. Nicht jede Ausnutzung einer durch Grundstücksteilung erlangten Rechtsposition stellt einen Missbrauch dar. Hinzukommen müssen zusätzliche Elemente nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Insbesondere ist darauf abzustellen, ob der Standort der Anlage, der mit der Grundstücksteilung zur Baurechtsmäßigkeit verholfen werden soll, das Interesse der Grundstücksnachbarn an ausreichender Belichtung, Belüftung und Besonnung einseitig und ohne dass dies durch triftige Erwägungen des Bauherrn gerechtfertigt wäre, hintanstellt. (redaktioneller Leitsatz)
2. Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1 BayBO bietet einem Grundstückseigentümer keinen Schutz davor, dass mehrere Nachbargrundstücke ihm gegenüber jeweils die Privilegierungen des Abstandsflächenrechts in Anspruch nehmen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

9 K 14.3081 2015-05-13 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Kläger, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Die innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel im Sinn dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B. v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B. v. 10.03.2004 – 7 AV 4/03 – juris). Das ist nicht der Fall.
Die Kläger wenden sich als Grundstücksnachbarn gegen einen dem Beigeladenen zu 1 vom Beklagten erteilten Vorbescheid vom 11.06.2014. Darin wird festgestellt, dass das Grundstück des Beigeladenen zu 1 geteilt werden könne, das (bereits errichtete) Nebengebäude bauplanungs- und bauordnungsrechtlich zulässig sei und nach vollzogener Grundstücksteilung verfahrensfrei errichtet werden könne. Der Vorbescheid wurde unter den Auflagen erteilt, das Nebengebäude an der Westseite zum Grundstück der Kläger mit einer Brandwand zu errichten und die Zufahrt durch eine Dienstbarkeit zu sichern.
Das Verwaltungsgericht hat ungeachtet der Frage, ob das Begehren des Beigeladenen zu 1 vorbescheidsfähig ist – zutreffend – die Klage abgewiesen, die darauf gerichtet war, den Vorbescheid aufzuheben. Die Kläger werden durch den angegriffenen Vorbescheid nicht in ihren Rechten verletzt. Eine Verletzung von Normen, die dem Schutz der Nachbarn zu dienen bestimmt sind, ist nicht ersichtlich.
1.1 Die grundlegende Annahme des Verwaltungsgerichts, die Grundstücksteilung im hier zu entscheidenden Fall sei nicht als rechtsmissbräuchlich zu beurteilen mit der Folge, dass das im Vorbescheid behandelte Nebengebäude die Abstandsflächenvorschriften (hier Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO) einhält, wird durch das Zulassungsvorbringen nicht ernsthaft erschüttert. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass nicht jede Ausnutzung einer durch Grundstücksteilung erlangten Rechtsposition einen Missbrauch darstellt. Hinzukommen müssen vielmehr zusätzliche Elemente, welche erst den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs zu begründen vermögen. Dabei ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen, insbesondere ob der Standort der Anlage, der mit der Grundstücksteilung zur Baurechtmäßigkeit verholfen werden soll, das Interesse der Grundstücksnachbarn an ausreichender Belichtung, Belüftung und Besonnung einseitig und ohne dass dies durch triftige Erwägungen des Bauherrn gerechtfertigt wäre, hintanstellt (vgl. NdsOVG, U. v. 7.3.2005 – 1 LB 174.04 – juris Rn. 34 f. unter Bezugnahme auf NdsOVG, B. v. 26.2.2004 – 1 LA 210/03 – juris). Das ist hier nicht der Fall. Das im Vorbescheid behandelte Nebengebäude wird vom eigenen Nebengebäude der Kläger auf deren Grundstück vollständig verdeckt. Insoweit ist eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes nicht erkennbar.
Zudem erscheint auch eine selbstständige Nutzung des verfahrensgegenständlichen Grundstücks, das nach der Grundstücksteilung eine Größe von ca. 240 m² aufweist, ungeachtet etwaiger Bedenken im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 34 BauGB nicht völlig ausgeschlossen. Somit fehlen – auch wenn es im vorliegenden Fall durchaus möglich erscheint, dass die Grundstücksteilung (auch) unter Bezugnahme auf die Privilegierung des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO realisiert wurde – die erforderlichen zusätzlichen Elemente, die erst den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs zu begründen vermögen. Die mögliche weitere Nutzung der in dem verfahrensgegenständlichen Nebengebäude untergebrachten Wärmepumpe für das bestehende Wohnhaus steht dem nicht entgegen. Im Hinblick auf Art. 71 Abs. 1 Satz 4 BayBO i. V. m. Art. 68 Abs. 4 BayBO kommt es darüber hinaus auch für das Zulassungsverfahren nicht entscheidungserheblich auf eine anhängige zivilrechtliche Streitigkeit oder einen vorangegangen Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht an.
Auch aus der von den Klägern weiter angeführten Rechtsprechung lassen sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ableiten. Die Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B. v. 2.1.2012 – 22 ZB 10.2691 – juris) und des Bundesverfassungsgerichts (Nichtannahmebeschluss v. 24.8.2000 – 1 BvR 83/97 – juris), in denen im Zusammenhang mit den Kosten einer Sanierung wegen schädlicher Bodenveränderungen aus früherem Gewerbebetrieb die Teilung des belasteten Grundstücks wegen Verstoßes gegen die guten Sitten als rechtswidrig angesehen wurde mit der Folge der Nichtigkeit dieses Rechtsgeschäfts, weil es allein der Schädigung der öffentlichen Hand diente, um eine Haftung des neuen Grundstücks für die aufgewandten Sanierungskosten zu unterlaufen, sind mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Art. 6 Abs. 9 Nr. 1 BayBO bietet einem Grundstückseigentümer keinen Schutz davor, dass mehrere Nachbargrundstücke ihm gegenüber jeweils die Privilegierungen des Abstandsflächenrechts in Anspruch nehmen.
1.2 Auch die weiteren Einwände gegen das Urteil vermögen die Zulassung der Berufung nicht zu begründen. Hinsichtlich der in dem Nebengebäude der Beigeladenen zu 1 untergebrachten Wärmepumpe scheidet eine eventuelle Rechtsverletzung der Kläger durch davon ausgehende Immissionen bereits mangels Feststellungswirkung aus, da die Wärmepumpe nicht Gegenstand des angegriffenen Vorbescheids ist.
Auch soweit die Kläger sich auf eine mangelnde Realisierbarkeit der Zufahrt zum abgeteilten südlichen Grundstück berufen, die nunmehr durch die geforderte Grunddienstbarkeit gesichert ist, ist eine Verletzung von nachbarschützenden Vorschriften des Bauplanungsrechts nicht ersichtlich. Das Erfordernis der gesicherten Erschließung vermittelt keinen Nachbarschutz (vgl. BayVGH, B. v. 29.6.1984 – 14 ZB B 84.1629 – BayVBl 1985, 309; U. v. 22.3.1999 – 15 B 98.207 – BayVBl 1999, 662).
Schließlich ist auch gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, eine Rechtsverletzung der Kläger im Hinblick auf den Brandschutz sei fernliegend, da der angegriffene Vorbescheid die Errichtung einer Brandwand zur Auflage mache, nichts zu erinnern.
2. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass die Streitsache keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist, die eine Zulassung der Berufung erforderlich machen würden.
3. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn eine im Zulassungsantrag formulierte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus relevant ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. BVerwG, B. v. 30.3.2005 – NVwZ 2005, 709; B. v. 9.6.1999 – NVwZ 1999, 1231). Die Kläger haben hier jedoch lediglich allgemein beanstandet, dass die Ausnutzung einer formal möglichen Rechtsposition zulasten Dritter sittenwidrig sei, ohne indes eine klärungsfähige Sach- oder Rechtsfrage zu formulieren und deren fallübergreifende Bedeutung zu erläutern. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist daher mangels Substantiierung nicht in der von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geforderten Weise geltend gemacht worden.
4. Die Berufung ist schließlich nicht wegen einer Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen. Die von den Klägern behauptete Abweichung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts von den Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B. v. 2.1.2012 – 22 ZB 10.2691) und des Bundesverfassungsgerichts (Nichtannahmebeschluss v. 24.8.2000 – 1 BvR 83/97) ist weder dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) noch hinsichtlich der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg (B. v. 20.1.1998 – 10 S 233.97) gegeben.
Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO setzt voraus, dass das angefochtene Urteil mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Im Zulassungsantrag muss ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenüber gestellt werden (vgl. BVerwG, B. v. 11.8.1998 – NVwZ 1999, 406; B. v. 28.1.2004 – NVwZ 2004, 889; B. v. 26.6.1995 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO Nr. 2).
Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen im Zulassungsantrag nicht. Die Kläger behaupten allenfalls eine Abweichung von den Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverfassungsgerichts (sowie des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg), wonach Grundstücksteilungen im Zusammenhang mit Fragen der Haftung für Altlasten nach ständiger Rechtsprechung als sittenwidrig angesehen würden. Sie zeigen aber nicht auf, welcher die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragende Rechtssatz von einem Rechtssatz der angeführten Gerichte abweichen soll. Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung demgegenüber ersichtlich die Rechtsprechung des OVG Lüneburg (B. v. 26.2.2004 – 1 LA 210/03 – juris) zum Abstandsflächenrecht zugrunde gelegt.
5. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen, weil sie sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert haben (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 sowie § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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