Baurecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag wegen Beseitigungsanordnung bzgl. eines Gebäudes im Außenbereich

Aktenzeichen  1 ZB 18.1164

Datum:
14.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36092
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 55 Abs. 1, 76 S. 1
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, Abs. 3
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2

 

Leitsatz

1. Weicht der Bauherr bei der Ausführung hinsichtlich der Identität des Bauvorhabens und seiner Wesensmerkmale so wesentlich von der Baugenehmigung ab, dass er nicht das genehmigte, sondern ein anderes Bauvorhaben, nämlich ein „aliud“ erstellt, so erlischt die Baugenehmigung, ohne dass von ihr im Rechtssinn Gebrauch gemacht worden wäre.(Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein planabweichend ausgeführtes Vorhaben ist allgemein ein aliud, wenn durch die Abweichung Belange, die bei der Baugenehmigung zu berücksichtigen waren, neuerdings oder andere zusätzliche Belange erstmals so erheblich berührt werden, dass sich die Zulässigkeitsfrage des Bauvorhabens neu stellt.  (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 16.3608 2018-03-08 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 8. März 2018 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf je 75.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger wendet sich gegen eine Beseitigungsanordnung für ein Gebäude im Außenbereich auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung L* …
Das Landratsamt genehmigte mit Bescheid vom 3. März 2010 den Neubau eines Garagengebäudes für Maschinen und Geräte zur Bearbeitung der Langlaufloipe und zur Schneeräumung in Holzkonstruktion. Bei einer Baukontrolle am 10. August 2010 stellte das Landratsamt fest, dass das Gebäude planabweichend u.a. in Ziegelbauweise errichtet wurde und verfügte die Einstellung des Baus. Bei weiteren Baukontrollen wurde festgestellt, dass die Baueinstellung nicht eingehalten und das Vorhaben fertiggestellt wurde. Der Kläger stellte in der Folge einen Tekturantrag mit der Bezeichnung „Teilbereich – Außenwände statt Holzkonstruktion – Ziegelmauerwerk“, den das Landratsamt abgelehnt hat. Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 8. März 2018 abgewiesen (M 11 K 16.572); den Antrag auf Zulassung der Berufung hat der Senat mit Beschluss vom heutigen Tag abgelehnt (1 ZB 18.1166).
Das Landratsamt ordnete mit Bescheid vom 19. Juli 2016 die vollständige Beseitigung des Gebäudes an. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass das Gebäude entgegen den genehmigten Plänen in Ziegelbauweise errichtet worden sei. Zudem sei in dem Gebäude ein Aufenthaltsraum mit WC für einen Waldkindergarten und ein Kamin eingebaut. Die Bauausführung des Gebäudes in Ziegelbauweise und mit Wärmeschutz sei nicht erforderlich und entspreche auch nicht der ortsüblichen Bauweise solcher Nebengebäude zur Unterbringung von Maschinen und Fahrzeugen im Außenbereich. Die jahrelange Vermietung des Gebäudes an den Waldkindergarten zeige auch, dass ein Gebäude in der ausgeführten Größe für die Unterbringung der Maschinen und Geräte nicht notwendig sei.
Die gegen die streitgegenständliche Beseitigungsanordnung erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 8. März 2018 abgewiesen. Die Beseitigungsanordnung sei zu Recht ergangen. Das Vorhaben entspreche nicht der erteilten Genehmigung und sei bauplanungsrechtlich auch nicht genehmigungsfähig. Ein Teilrückbau auf den genehmigten Bestand komme nicht in Betracht, da die Baugenehmigung zwischenzeitlich erloschen sei. Das errichtete Gebäude unterscheide sich baulich und in seinen Wirkungen so stark von dem genehmigten Vorhaben, dass es sich nicht nur als planabweichende Ausführung, sondern als ein mit dem genehmigten Vorhaben nicht identisches anderes Vorhaben darstelle.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und besonderer rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor oder werden bereits nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Bescheid des Beklagten vom 19. Juli 2016 rechtmäßig ist.
1.1 Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass das Gebäude ohne die nach Art. 55 Abs. 1 BayBO erforderliche Baugenehmigung errichtet wurde. Eine genehmigungsbedürftige Anlage ist nicht nur formell illegal, wenn sie ohne die nach Art. 55 Abs. 1 BayBO erforderliche Baugenehmigung errichtet oder geändert wird, sondern auch dann, wenn bei der Bauausführung in wesentlichen Punkten von den genehmigten Plänen abgewichen wird (BayVGH, B.v. 13.2.2014 – 1 ZB 12.2710 – juris Rn. 3). Weicht der Bauherr bei der Ausführung hinsichtlich der Identität des Bauvorhabens und seiner Wesensmerkmale so wesentlich von der Baugenehmigung ab, dass er nicht das genehmigte, sondern ein anderes Bauvorhaben, nämlich ein „aliud“ erstellt, so erlischt die Baugenehmigung, ohne dass von ihr im Rechtssinn Gebrauch gemacht worden wäre. Ein planabweichend ausgeführtes Vorhaben ist allgemein ein aliud, wenn durch die Abweichung Belange, die bei der Baugenehmigung zu berücksichtigen waren, neuerdings oder andere zusätzliche Belange erstmals so erheblich berührt werden, dass sich die Zulässigkeitsfrage des Bauvorhabens neu stellt (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 1 ZB 17.1173 – juris Rn. 4). Auf ein aliud weist auch hin, dass ein Vorhaben ohne Zerstörung seiner Substanz oder wesentlicher Teile mit der erteilten Baugenehmigung nicht in Übereinstimmung gebracht werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.1991 – 20 CS 89.1224 – juris Rn. 15). So liegt der Fall hier.
Entgegen der genehmigten Eingabeplanung wurde das Gebäude nicht in Holzkonstruktion, sondern im Bereich des Erdgeschosses in Ziegelbauweise errichtet. Weiter wurde planabweichend ein separat zugänglicher Aufenthaltsraum mit Toilette geschaffen, die Lage und Anzahl der Tore, Türen und Fenster gegenüber der Eingabeplanung grundlegend verändert, ein Kamin eingebaut und das Gebäude infolge der Aufdachdämmung um ca. 30 cm höher errichtet. Das Gebäude erweckt – auch wenn es im Hinblick auf seine Lage auf dem Grundstück und den weiteren Abmessungen der ursprünglichen Genehmigung entsprechen mag – aufgrund der planabweichenden Bauausführung ausweislich der in den Behördenakten enthaltenen Lichtbildern (vgl. insbesondere BA Bl. 159 f.) nicht mehr den Eindruck des genehmigten Garagengebäudes für Maschinen und Geräte, das insbesondere durch zwei große Tore auf der südlichen Traufseite geprägt war, sondern den Eindruck eines Gebäudes zu Aufenthaltszwecken mit an der Giebelseite integrierter Garage.
1.2 Das Vorhaben ist auch nicht genehmigungsfähig. Der Senat nimmt hierzu Bezug auf seine Ausführungen im Beschluss vom heutigen Tag im Parallelverfahren 1 ZB 18.1166. Auch der über den Teilbereich, für den eine Genehmigung beantragt wurde, hinausgehende Teil ist aus den genannten Rechtsgründen nicht genehmigungsfähig.
1.3 Ohne Erfolg macht das Zulassungsvorbringen geltend, dass durch einen Austausch des Ziegelmauerwerks gegen eine Holzkonstruktion sowie der Entfernung des Aufenthaltsraums rechtmäßige Zustände hergestellt werden könnten und deshalb die Beseitigungsanordnung unverhältnismäßig sei. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist infolge der planabweichenden Errichtung des Gebäudes als aliud die Baugenehmigung erloschen, so dass auch durch den angeführten Rückbau kein formell rechtmäßiger Zustand hergestellt werden kann. Eine andere Bewertung ist auch nicht im Hinblick auf die Ausführungen des Klägers veranlasst, dass das Landratsamt im Rahmen des öffentlichen Vertrags vom September 2011 selbst davon ausgegangen sei, dass durch einen entsprechenden Rück- bzw. Umbau ein baurechtskonformer Zustand hergestellt werden könne. Unabhängig davon, dass es sich um eine vergleichsweise Regelung gehandelt hat und der Beklagte den Zustand nach Rückbau nur (vorübergehend) geduldet hätte, ist der Kläger der Vereinbarung nicht fristgemäß nachgekommen, so dass die Vereinbarung hinfällig geworden ist.
Soweit der Kläger geltend macht, dass er einen Anspruch auf Erteilung einer (neuen) Baugenehmigung für ein Gebäude in Holzbauweise entsprechend dem Inhalt der ursprünglich erteilten Baugenehmigung habe, vermag dies eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Denn das bestehende Gebäude kann mit einem wirtschaftlichen Aufwand nicht so umgebaut werden, dass es dem ursprünglich genehmigten Gebäude entspricht; ein Gebäude mit der bestehenden Raumaufteilung und dem Dachaufbau ist nicht genehmigungsfähig.
1.4. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen auch nicht, soweit das Verwaltungsgericht angenommen hat, der Beklagte habe sein Ermessen im Rahmen der Beseitigungsanordnung ordnungsgemäß ausgeübt. Der Kläger hält das Vorgehen des Beklagten für willkürlich, da in Bezug auf den für den Waldkindergarten auf dem Grundstück aufgestellten Bauwagen mit Aufenthaltsraumqualität keine behördlichen Maßnahmen ergriffen worden seien. Eine dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG widersprechende Ermessensausübung kommt in Betracht, wenn eine Behörde ihr Ermessen ohne erkennbaren Grund unterschiedlich, systemwidrig oder planlos ausübt (vgl. BVerwG, B.v. 23.11.1998 – 4 B 99.98 – BauR 1999, 734; BayVGH, U.v. 9.5.2018 – 1 B 14.2215 – BayVBl 2019, 23). Dies ist hier nicht erkennbar. Die Landesanwaltschaft Bayern hat in der Erwiderung zum Zulassungsantrag dargestellt, dass die Aufstellung des Bauwagens für den Waldkindergarten als Notlösung bis zur abschließenden Klärung der baurechtlichen Situation im vorliegenden Verfahren diene und die Bauaufsichtsbehörde nach Abschluss dieses Verfahrens beabsichtige, den Vorgang aufzugreifen. Eine Ungleichbehandlung und eine willkürliche Ausübung des Beseitigungsermessens sind daher nicht erkennbar.
Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, dass der Beklagte selbst das Bestehen des Gebäudes in seiner Bauausführung explizit über Jahre hinweg gebilligt habe. Dies ist nicht zutreffend. Das Landratsamt hat bereits im Rahmen der ersten Baukontrolle am 10. August 2010 mündlich die Baueinstellung verfügt und diese mit Bescheid vom 11. August 2011 schriftlich bestätigt. Eine Duldung des Gebäudes in seiner Gesamtheit erfolgte nicht, vielmehr sah auch die Duldungsvereinbarung einen weitgehenden Rückbau der Außenwände vor. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Beklagte die Nutzung des Aufenthaltsraums durch den Waldkindergarten zunächst hingenommen hat und die Nutzung des streitgegenständlichen Gebäudes nach den Angaben im Zulassungsvorbringen von der Betriebserlaubnis nach § 9 BayKiBiG umfasst gewesen ist. Denn die Duldung des Aufenthaltsraums für den Waldkindergarten stand – wie sich aus dem öffentlich-rechtlichen Vertrag vom September 2011 ergibt – im Zusammenhang mit dem vom Kläger vorzunehmenden Rückbau. Im Übrigen kommt der Betriebserlaubnis nach § 9 BayKiBiG i.V.m. § 45 SGB VIII aufgrund des dortigen kindeswohlbezogenen Prüfungsmaßstabs keine die Baugenehmigung ersetzende Wirkung zu. Soweit der Kläger darauf abstellt, dass es seitens des Beklagten treuwidrig sei, die vollständige Beseitigung des Gebäudes nach Entfallen der Nutzung durch den Waldkindergarten zu verlangen, lässt er unberücksichtigt, dass er zu keinem Zeitpunkt auf einen Bestand des planabweichend errichteten Gebäudes vertrauen konnte, vielmehr hat er sich bewusst über die bereits frühzeitig ausgesprochene Baueinstellung hinweggesetzt und das Vorhaben nach seinen eigenen Vorstellungen losgelöst von den Vorgaben der Baugenehmigung verwirklicht.
2. Tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen nicht vor. Die auftretenden Fragen können anhand der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und der hierzu erfolgten Rechtsprechung beantwortet werden. Auf die Rechtsausführungen im Beschluss wird Bezug genommen.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 9.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013). Hiernach bemisst sich der Streitwert für eine Beseitigungsanordnung am Zeitwert der zu beseitigenden Substanz zuzüglich der Abrisskosten. Der Senat legt hierfür die Angaben des Klägers zu den Gesamtbaukosten im Rahmen der Bauantragstellung vom 30. September 2009 in Höhe von 117.300 Euro zugrunde. Unter Berücksichtigung eines Abzugs für die inzwischen rund zehn Jahre alte Bausubstanz erachtet der Senat einen Streitwert von 75.000 Euro als angemessen. Die Abänderungsbefugnis für die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ergibt sich aus § 63 Abs. 3 GKG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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