Baurecht

Erfolgloser Eilantrag des Nachbarn gegen Baugenehmigung zum Neubau einer Lagerhalle

Aktenzeichen  M 11 SN 16.4493

Datum:
10.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 30, § 34, § 212a Abs. 1
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3

 

Leitsatz

1. Festsetzungen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung sowie der überbaubaren Grundstücksflächen haben grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion. Es hängt vom Willen der Gemeinde als Planungsträgerin ab, ob diesbezügliche Festsetzungen des Bebauungsplans dem Nachbarschutz dienen. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Einhaltung der landesrechtlich geforderten Abstandsfläche spricht regelmäßig indiziell dafür, dass eine “erdrückende Wirkung” oder “unzumutbare Verschattung” durch ein Bauvorhaben nicht eintritt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich gegen eine dem Beigeladenen für das Grundstück Fl. Nr. … der Gemarkung … erteilte Baugenehmigung zum Neubau einer Lagerhalle mit zwei Nutzungseinheiten (Lager für Sanitätshaus mit Werkstatt und Lager für Baumaterialien).
Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks Fl. Nr. … der Gemarkung …, das sich nördlich des streitgegenständlichen Grundstücks anschließt.
Unter dem 29. April 2016 beantragte der Beigeladene die streitgegenständliche Baugenehmigung.
Die Stadt … erteilte mit Beschluss vom 10. Mai 2016 das Einvernehmen.
Am 18. Juli 2016 erging eine Teilbaugenehmigung für die Fundamente und die Bodenplatte einschließlich der erforderlichen Erdarbeiten.
Aus einer Stellungnahme des Sachgebietes Immissionsschutz des Antragsgegners (Landratsamt …; im Folgenden: Landratsamt) vom 25. Juli 2016 geht hervor, dass das Vorhaben im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. … der Stadt … liege. Im Lagerbereich für das Baugewerbe sollten Baumaterialien gelagert werden. Es finde ein temporärer Betrieb für wenige Stunden am Tag statt. Die Be- und Entladung erfolge per Hand. Das Sanitätslager enthalte Pflegebetten, Rollstühle, Messgeräte usw. Die Leihgeräte würden anschließend repariert. Es würden sich zwei Mitarbeiter in der Anlage befinden. Der Betrieb laufe von 7.00-18.00 Uhr. Es würde üblicherweise ein Kunde am Tag kommen.
Für die maßgeblichen Immissionsorte auf den Fl. Nrn. …, …, … und … wurde ein um 6 dB(A) reduzierter Immissionsrichtwert von 59 dB(A) tagsüber und 44 dB(A) nachts als Auflage festgelegt.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 29. August 2016 erteilte der Antragsgegner dem Beigeladenen die Baugenehmigung für den Neubau der Lagerhallen mit zwei Nutzungseinheiten. Die vom Sachgebiet „Immissionsschutz“ vorgeschlagenen Auflagen wurden beigefügt.
Der Bevollmächtigte der Antragsteller erhob am 4. Oktober 2016 gegen den Bescheid Klage (M 11 K 16.4492).
Mit Schriftsatz vom gleichen Tag ließen die Antragsteller einen Eilantrag stellen und beantragen,
die Vollziehung der erteilten Baugenehmigung auszusetzen und
dem Antragsgegner aufzugeben, die Baustelle stillzulegen.
Zur Begründung wurde angegeben:
Die Antragsteller seien Eigentümer des Grundstücks „…-Str. 8“ in … Auf dem Baugrundstück habe eine Lagerhalle aus Holz gestanden, die einstöckig gewesen sei. Sie habe nur eine Fläche von ungefähr einem Drittel des nunmehrigen Bauvorhabens ausgefüllt. Das jetzige Vorhaben stehe nahezu an der Grenze zum Grundstück der Antragsteller und sei zweigeschossig. Es habe eine Stockwerkshöhe von mindestens 3,50 m. Das Haus der Antragsteller stehe nun im Dunkeln. Das Vorhaben füge sich nicht in die nähere Umgebung ein. Es handele sich nicht um eine bloße Ersetzung eines alten Gebäudes. Die zu erwartenden lautstarken Arbeiten würden die Nutzbarkeit des Gartens einschränken. Das Vorhaben verstoße gegen das Rücksichtnahmegebot.
Am 20. Oktober 2016 ging ein unter dem 4. Oktober 2016 erstellter Schriftsatz des Bevollmächtigten der Antragsteller ein, wonach um eine dringende Entscheidung gebeten wurde, da demnächst der Dachstuhl erstellt würde.
Mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2016 beantragte der Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Das Vorhaben füge sich in die nähere Umgebung ein. Beim Maß der baulichen Nutzung käme es auf die nach außen wahrnehmbare Erscheinung des Gebäudes an. Das Gebäude habe ein Pultdach mit einer Höhe von 5,30 m – 8,84 m. In der Nähe befänden sich vergleichbare Gebäude. Der einfache Bebauungsplan Nr. … würde als Art der Nutzung „Gewerbegebiet“ vorschreiben. Die Abstandsflächen würden daher 0,25 H, mindestens 3 m betragen. Diese seien eingehalten. Die Fachstelle „Immissionsschutz“ gehe nicht davon aus, dass schädliche Umwelteinwirkungen durch die Lager- und Büronutzung sowie durch die Werkstatt für Kleinreparaturen verursacht würden.
Mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2016, eingegangen beim Verwaltungsgericht München am 3. November 2016, erwiderte der Bevollmächtigte der Antragsteller:
Trotz der Einhaltung der Abstandsflächen liege ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot vor. Der Lärm durch die Baumaßnahmen sowie der Lärm nach Inbetriebnahme seien nicht hinnehmbar.
Mit Schriftsatz vom 2. November 2016, eingegangen beim Verwaltungsgericht München am 8. November 2016, teilte der Beigeladene mit:
Das Sanitätshaus stehe schon lange auf dem Grundstück, nämlich bevor die Antragsteller ihr Grundstück erworben hätten. Die zukünftigen Geräusche und Gerüche würden sich im Verhältnis zu jetzt nicht ändern. Lärm würde eher von der benachbarten Müllsortierungsanlage entstehen. In der Nähe gebe es weitere hohe Gewerbebauten. Es handele sich um ein Gewerbe- und nicht um ein Wohngebiet. Auf dem Grundstück der Antragsteller sei allerdings kein Gewerbe erkennbar. Dort gebe es nur 4 Wohneinheiten und einem Pool. Eine Verschattung durch das Gebäude des Beigeladenen erfolge nicht. Das Grundstück der Antragsteller sei von allen Seiten mit hohen Hecken umrahmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten im Verfahren M 11 K 16.4492 und in diesem Verfahren Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Gemäß § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung anordnen. Hierbei kommt es auf eine Abwägung der Interessen des Bauherrn an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung mit den Interessen des Dritten, keine vollendeten, nur schwer wieder rückgängig zu machenden Tatsachen entstehen zu lassen, an.
Im Regelfall ist es unbillig, einem Bauwilligen die Nutzung seines Eigentums durch Gebrauch der ihm erteilten Baugenehmigung zu verwehren, wenn eine dem summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entsprechende vorläufige Prüfung des Rechtsbehelfs ergibt, dass dieser letztlich erfolglos bleiben wird. Ist demgegenüber der Rechtsbehelf offensichtlich begründet, so überwiegt das Interesse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, so kommt es darauf an, ob das Interesse eines Beteiligten es verlangt, dass die Betroffenen sich so behandeln lassen müssen, als ob der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar sei. Bei der Abwägung ist den Belangen der Betroffenen umso mehr Gewicht beizumessen, je stärker und je irreparabler der Eingriff in ihre Rechte wäre (BVerfG,B. v. 18.7.1973 – 1 BvR 155/73 -, 1 BvR 23/73 -, BVerfGE 35, 382; zur Bewertung der Interessenlage vgl. auch BayVGH, B. v. 14.1.1991 – 14 CS 90.3166 -, BayVBl 1991, 275).
Die im Eilverfahren auch ohne Durchführung eines Augenscheins mögliche Überprüfung der Angelegenheit anhand der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Behördenakten samt Plänen ergibt, dass die Klage der Antragsteller in der Hauptsache aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird.
Zu berücksichtigen ist im vorliegenden Fall, dass Nachbarn – wie sich aus § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergibt – eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten können, wenn sie hierdurch in einem ihnen zustehenden subjektiv öffentlichen Recht verletzt werden. Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke dienen. Eine baurechtliche Nachbarklage kann allerdings auch dann Erfolg haben, wenn ein Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt (BVerwG, U. v. 25.2.1977 – 4 C 22.75 -, BVerwGE 52, 122).
Vorliegend verletzt die angefochtene Baugenehmigung die Antragsteller voraussichtlich nicht in ihren Rechten.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit beurteilt sich hier gemäß § 29 Abs. 1 BauGB nach § 30 BauGB und § 30 Abs. 3 i. V. m. § 34 BauGB. Der insoweit maßgebliche einfache Bebauungsplan enthält Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung und keine Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung. Die Antragsteller werden jedoch durch die streitgegenständliche Baugenehmigung insofern nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt.
Der Bebauungsplan Nr. … setzt ein „Gewerbegebiet“ fest, so dass durch die Genehmigung von gewerblichen Lagerhallen der Gebietserhaltungsanspruch der Antragsteller nicht verletzt wird.
Anders als bei der Festsetzung der Nutzungsart haben Festsetzungen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung sowie der überbaubaren Grundstücksfläche grundsätzlich bereits keine nachbarschützende Funktion (vgl. BVerwG, B. v. 23.6.1995 – 4 B 52/95; BayVGH, B. v. 5.3.2010 – 2 ZB 07.788).
Vielmehr hängt es vom Willen der Gemeinde als Planungsträgerin ab, ob die Festsetzungen des Bebauungsplanes auf der Grundlage von §§ 16 ff. bzw. §§ 22 ff. BauNVO dem Nachbarschutz dienen.
Der einschlägige Bebauungsplan regelt keine Festsetzungen des Maßes der baulichen Nutzung.
Das Bauvorhaben ist auch nicht rücksichtslos.
Das Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbarn nicht das Recht, vor jeglicher Beeinträchtigung – insbesondere von jeglicher Verschlechterung – verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung kann erst bejaht werden, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht. Ob dies der Fall ist, ist im Wege einer Gesamtschau, die den konkreten Einzelfall in den Blick nimmt, zu ermitteln. Das Gebot der Rücksichtnahme soll dabei einen angemessenen Interessenausgleich gewähren.
Daran gemessen dürfte eine Verletzung des planungsrechtlichen Rücksichtnahmegebotes nicht vorliegen.
Die Stellungnahme des Sachgebietes „Immissionsschutz“ vom 25. Juli 2016 ergibt, dass die kleine Reparaturwerkstatt von Leihgeräten des Sanitätshauses und das Handwerkslager für Baumaterialien die Lärmwerte für ein „Gewerbegebiet“ – die um 6 dB(A) reduziert wurden – in Höhe von 59 dB(A) tags bzw. 44 dB(A) nachts einhalten dürften. Die Werte wurden im Bescheid beauflagt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragsteller insoweit unzumutbar beeinträchtigt werden. Sollten die Lärmwerte überschritten werden, müssten sich die Antragsteller an die Bauaufsichtsbehörde wenden. Dies gilt auch, wenn der Baulärm zu laut sein sollte.
In Bezug auf die Größe des Gebäudes ist in die Abwägung einzustellen, dass die landesrechtlichen Vorschriften über die Grenzabstände – die eine ausreichende Belichtung, Besonnung und Belüftung sicherstellen sollen – eingehalten sind. Das ergibt sich – obwohl es nicht zum Prüfprogramm des vereinfachten Genehmigungsverfahrens gehört – aus den Darstellungen in den genehmigten Plänen. Das bedeutet zwar nicht, dass damit von einem solchen Bauvorhaben in keinem Fall eine „erdrückende“ Wirkung ausgehen kann. Jedoch spricht die Einhaltung der landesrechtlich verlangten Abstandsfläche regelmäßig indiziell dafür, dass eine „erdrückende Wirkung“ oder „unzumutbare Verschattung“ nicht eintritt (BVerwG, B. v. 11.1.1999 – 4 B 128.98, NVwZ 1999, 879; BayVGH, B. v. 15.3.2011 – 15 CS 11.9).
Eine „erdrückende Wirkung“ geht von dem Gebäude, das 3 m von der Grenze entfernt ist und die im Gewerbegebiet zulässige Abstandsfläche von 0,25 H einhält (Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO) nicht aus. Das Gesamtgebäude ist lediglich 8,84 m hoch. Eine „erdrückende“ Wirkung ergibt sich auch nicht dadurch, dass das Vorhaben etwa 37 m lang ist.
Auch ansonsten ist kein Grund ersichtlich, weshalb das Vorhaben rücksichtslos sein könnte. Eine „einmauernde“ und „abriegelnde“ Wirkung liegt nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i. V. m. dem Streitwertkatalog.


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