Baurecht

Erfolgloser Eilantrag eines Nachbarn gegen eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Hotels mit Tiefgarage

Aktenzeichen  1 CS 17.2159

Datum:
8.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO

 

Leitsatz

1 Ist der Rohbau eines Gebäudes fertig gestellt, kann das mit einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung verfolgte Ziel, die Schaffung vollendeter Tatsachen in Bezug auf den Baukörper und seine Auswirkungen zu verhindern, nicht mehr erreicht werden. Damit fehlt es am für den Eilrechtsschutz erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Art. 6 Abs. 2 S. 2 BayBO vermittelt dem Anlieger der gegenüberliegenden Straßenseite nur einen Anspruch darauf, „seine“ Straßenhälfte für die Anrechnung von Abstandsflächen eigener Bauwerke zu verwenden, gewährt aber keinen Nachbarschutz, wenn die fragliche Straßenhälfte für die Aufnahme von Abstandsflächen (planungsrechtlich) zulässiger Vorhaben des Nachbarn nicht in Betracht kommt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 SN 17.4263 2017-10-04 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro fest-gesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe rechtfertigen nicht, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern und der Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 17. November 2016 zu gewähren.
Die Antragstellerin macht die Nichteinhaltung der erforderlichen Abstandsflächen geltend sowie eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme, das sie auf eine „Riegelwirkung“ bzw. eine „erdrückende Wirkung“ des Gebäudes aufgrund seiner Kubatur und Situierung stützt. Insoweit fehlt es für ihren Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO bereits an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse, soweit sie sich durch die bauliche Anlage als solche in ihren Rechten verletzt sieht. Denn nach dem unwidersprochenen Vortrag des Antragsgegners und der Beigeladenen sowie der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Fotos ist der Rohbau fertig gestellt. In einem solchen Fall kann das mit einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung verfolgte Ziel, die Schaffung vollendeter Tatsachen in Bezug auf den Baukörper und seine Auswirkungen zu verhindern, nicht mehr erreicht werden. Die Inanspruchnahme des Gerichts durch den Nachbarn für seine subjektive Rechtsstellung stellt sich daher als unnütz dar (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2015 – 9 CS 15.1762 – juris Rn. 18; B.v. 12.8.2010 – 2 CS 10.20 – juris Rn. 2; B.v. 14.6.2007 – 1 CS 07.265 – juris Rn. 16; Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 66; zur Fertigstellung des Rohbaus vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2010 – 2 CS 10.465 – juris Rn. 2). Das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses als Prozessvoraussetzung ist von Amts wegen in jeder Lage des Prozesses zu prüfen (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2015 a.a.O.). Es kann auch während eines Prozesses entfallen.
Anders verhält es sich zwar, soweit der Nachbar geltend macht, (auch) durch die Nutzung der baulichen Anlage in seinen Rechten verletzt zu werden. Diese mögliche Rechtsverletzung kann grundsätzlich auch nach der Fertigstellung mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung noch verbessert werden mit der Folge, dass das Rechtsschutzbedürfnis für den einstweiligen Rechtsschutz insoweit weiterbesteht (vgl. BayVGH, B.v. 12.8.2010 a.a.O.). Das Interesse des Nachbarn ist in dieser Situation darauf gerichtet, die „vorzeitige Aufnahme“ oder Fortsetzung der Nutzung der baulichen Anlage bis zur abschließenden Entscheidung in der Hauptsache zu verhindern. Richtet sich das nachbarliche Interesse in dieser Weise auf eine – vorbeugende – Nutzungsuntersagung, ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes indessen auch das Interesse des Bauherrn an der einstweiligen Aufnahme bzw. Weiterführung der genehmigten Nutzung zu berücksichtigen mit der Folge, dass dem Nachbarn, jedenfalls vorübergehend bis zur Entscheidung in der Hauptsache, die mit der Nutzung einhergehenden Beeinträchtigungen zuzumuten sein können. Nur wenn diese Beeinträchtigungen erkennbar und erheblich über das Maß dessen hinausgehen, was die Nachbarn letztlich hinzunehmen haben werden, ist es gerechtfertigt, bereits vor der Entscheidung in der Hauptsache die Nutzung der baulichen Anlage im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu unterbinden.
Die Antragstellerin macht insoweit zum einen eine Verletzung des in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO zum Ausdruck kommenden Gebots der Rücksichtnahme geltend, weil es ihr gegenüber zu unzumutbaren Lärmimmissionen kommen soll. Da das Verwaltungsgericht die Erfolgsaussichten insoweit als offen angesehen hat, weil die angegriffene Baugenehmigung einerseits für die Ostfassade des streitgegenständlichen Gebäudes Lärmschutzauflagen vorgesehen hat, andererseits aber darauf verzichtet hat, Grenzwerte zugunsten der Nachbarn festzusetzen und sich aus dem vorliegenden Bericht des Ingenieurbüros Greiner vom 9. April 2015 ergibt, dass die Immissionsrichtwerte an der bestehenden Wohnbebauung außerhalb des Plangebiets „nachts gerade eingehalten werden“, war eine gesonderte Auseinandersetzung im Beschwerdeverfahren zu dieser Frage entbehrlich. Es ist allerdings nicht erkennbar, dass die vom Betrieb des streitgegenständlichen Gebäudes ausgehenden Geräuschimmissionen so gravierend wären, dass eine vorbeugende bzw. sofortige Unterbindung der Nutzung geboten wäre. Zudem ließen sich Beeinträchtigungen im Wege des bauaufsichtlichen Einschreitens im Falle einer dauerhaften Überschreitung der Lärmwerte im vorliegenden Fall leicht vermeiden, indem beispielsweise die Nutzung der zu dem Wohngebäude der Antragstellerin gerichteten Dachterrasse im Obergeschoss in den Nachtstunden untersagt wird.
Zum anderen macht die Antragstellerin geltend, dass mit der Aufnahme der Nutzung unzumutbare Einsichtsmöglichkeiten aus den Fenstern und dem zurückspringenden Dachgeschoss einhergingen. Zwar dürfte insoweit eine bloße Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen (hier im Hinblick auf die tatsächlichen Umstände, vgl. Seite 2 des Schriftsatzes vom 6. November 2017) nicht dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügen. Im vorliegenden Fall können die Ausführungen der Antragstellerin im Schriftsatz vom 5. Dezember 2017, die Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme folge (auch) aus der Schaffung neuer Einsichtsmöglichkeiten durch die Errichtung der terrassenähnlichen Dachgeschossnutzung sowie der zahlreichen Fenster des Gebäudes, nach Auffassung des Senats jedenfalls deshalb gewürdigt werden, weil sie sich auf den im Beschwerdeverfahren aufgetretenen neuen Gesichtspunkt der Fertigstellung des Rohbaus beziehen (vgl. dazu Guckelberger in Sodan/Ziekow, 4. Aufl. 2014, § 146 Rn. 99 f.).
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin führt dies aber nicht zum Erfolg der Beschwerde. Eine Verletzung ihrer Nachbarrechte ist auch in bauordnungsrechtlicher Hinsicht mit für dieses Eilverfahren hinreichender Sicherheit auszuschließen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Antragstellerin sich mit Erfolg darauf berufen kann, dass die von dem Gebäude der Beigeladenen einzuhaltende Abstandsfläche die Lagerhaus Straße mehr als zur Hälfte beansprucht. Denn Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO vermittelt dem Anlieger der gegenüberliegenden Straßenseite nur einen Anspruch darauf, „seine“ Straßenhälfte für die Anrechnung von Abstandsflächen eigener Bauwerke zu verwenden, gewährt also keinen Nachbarschutz, wenn die fragliche Straßenhälfte für die Aufnahme von Abstandsflächen (planungsrechtlich) zulässiger Vorhaben des Nachbarn nicht in Betracht kommt. Das trifft hier insofern zu, als das Sondereigentum der Antragstellerin an ihrer Wohnung sie nicht zu Baumaßnahmen berechtigt, die eine Inanspruchnahme der ihrer Wohnung zugewandten Straßenhälfte für Abstandsflächen erfordern könnte (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2004 – 2 CS 04.18 – juris Rn. 3).
Mit der Aufnahme oder Fortsetzung der Nutzung des Gebäudes werden daher auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens keine Fakten geschaffen, die bei einem Unterliegen der Beigeladenen im Hauptsacheverfahren nicht oder jedenfalls nur schwer wieder rückgängig zu machen wären und deshalb die Durchsetzung etwaiger Nachbarrechte der Antragstellerin unverhältnismäßig erschweren könnten. Gleichermaßen ist in den Blick zu nehmen, dass der Antragsgegner nach der Außervollzugsetzung des Bebauungsplans 112 bis zur Entscheidung in der Hauptsache mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Juni 2017 (1 NE 17.716) nach Presseberichten im Frühjahr 2018 erneut über den Bebauungsplan beschließen möchte (vgl. Immobilien-Zeitung vom 26. November 2017) und dabei die Situierung des Gebäudes im Hinblick auf die Abstandsflächenvorschriften nach städtebaulich vertretbaren Gesichtspunkten regeln könnte.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, der Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten nach § 162 Abs. 3 VwGO zu erstatten, weil sie einen Antrag gestellt und sich damit dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG und orientiert sich an Nummern 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben