Baurecht

Erfolgreiche Klage auf Bauvorbescheid: Keine Möglichkeit im Bebauungsplan Schank- und Speisewirtschaften in einem allgemeinen Wohngebiet “nur kontingentiert” zuzulassen

Aktenzeichen  M 8 K 20.1949

Datum:
14.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22109
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 71
BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1
BauNVO § 1 Abs. 5, § 1 Abs. 9, § 1 Abs. 10, § 4 Abs. 2 Alt. 2 (idF bis zum 30.9.2017)

 

Leitsatz

1. § 1 Abs. 5 BauNVO (hier: in der Fassung v. 27.1.1990) dient ausschließlich der Modifizierung der allgemeinen Zulässigkeit von Nutzungen, ermöglicht also nur Festsetzungen hinsichtlich der Nutzungsart und keine Kontingentierung bzw. anzahl- oder flächenmäßige Begrenzung von Nutzungen (hier: bezüglich der Nutzungsart “Schank- und Speisewirtschaft” gem. § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO 1990). (Rn. 42) (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach § 1 Abs. 5 BauNVO 1990  ist ferner ausschließlich der Ausschluss bzw. die ausnahmsweise Zulässigkeit von im Baugebiet allgemein zulässigen Nutzungen insgesamt möglich. Eine Beschränkung auf eine bestimmte Anzahl oder gebietsbezogene Flächenobergrenze für eine Nutzungsart kann auf § 1 Abs. 5 BauNVO 1990 dagegen nicht gestützt werden. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Kombination von Ausschluss und ausnahmsweiser Zulässigkeit ist bei Anwendung des § 1 Abs. 5 BauNVO 1990 so nicht vorgesehen. Die Regelung von „Gegenausnahmen“ wäre allenfalls iVm § 1 Abs. 9 BauNVO 1990 denkbar. (Rn. 58) (redaktioneller Leitsatz)
4. Selbst wenn die textlichen Festsetzung eines Bebauungsplans den Vorgaben des § 1 Abs. 5 BauNVO 1990 entsprechend zunächst alle (gebietsversorgenden) Schank- und Speisewirtschaften von der Zulässigkeit ausschließen wollte und gemäß § 1 Abs. 9 BauNVO 1990 dann als Gegenausnahme „eine gewisse Anzahl von Schank- und Speisewirtschaften mit einer gewissen Betriebsfläche“ wieder ausnahmsweise zulassen wollte, wird hierdurch keine Regelung über die weiter konkretisierte Art der Nutzung bzw. Unterarten, sondern über Nutzungsoptionen getroffen. Eine solche Regelung kann jedoch auf § 1 Abs. 9 BauNVO 1990 nicht gestützt werden. (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)
5. § 1 Abs. 10 BauNVO 1990 bietet keine Rechtsgrundlage für die kontingentierte ausnahmsweise Zulässigkeit von Nutzungen, sondern nur für die ausnahmsweise Zulässigkeit von Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsänderungen und Erneuerungen bestimmter vorhandener, gebietsfremder baulicher Anlagen. (Rn. 66) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Vorbescheid vom 8.4.2020 nach PlanNr. … wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Vorbescheidsantrag vom 13.3.2020 nach PlanNr. … positiv zu verbescheiden.
II.Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.  

Gründe

Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch auf positive Beantwortung der Vorbescheidsfrage vom 13. März 2020 nach PlanNr. … unter Aufhebung des negativen Vorbescheids vom 8. April 2020, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. Art. 71 Satz 4 BayBO, Art. 68 Abs. 1 BayBO, Art. 59 Satz 1 Nr. 1a) BayBO i.V.m. §§ 29 ff. BauGB.
Das Vorhaben – eine gebietsversorgende Schank- und Speisewirtschaft i.S.d. § 4 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. BauNVO 1990 – ist seiner Art nach ausschließlich an der Festsetzung „allgemeines Wohngebiet“ des einfachen Bebauungsplans zu messen. Die in § 2 Abs. 1 der textlichen Festsetzung getroffene Einschränkung für Schank- und Speisewirtschaften vermag dem Vorhaben nicht entgegengehalten zu werden. Diese Festsetzung findet weder im BauGB noch in der BauNVO eine Stütze und ist daher unwirksam. Diese Unwirksamkeit führt jedoch nur zu einer Teilnichtigkeit des Bebauungsplans, da weitere getroffenen Festsetzungen (insbesondere die Festsetzung der Gebietsart) noch geeignet sind, einen sinnvollen Beitrag zur städtebaulichen Entwicklung zu leisten.
1. Gemäß Art. 71 Satz 1 BayBO ist vor Einreichung eines Bauantrags auf Antrag zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens vorweg ein Vorbescheid zu erteilen. Als feststellender Verwaltungsakt stellt der Vorbescheid im Rahmen der vom Bauherrn gestellten Fragen die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die Gegenstand der Prüfung im Rahmen des einschlägigen Genehmigungsverfahrens sind, fest. Er entfaltet insoweit während seiner Geltungsdauer – in der Regel drei Jahre (Art. 71 Satz 2 BayBO) – Bindungswirkung für das nachfolgende Baugenehmigungsverfahren.
Die auf die planungsrechtliche Zulässigkeit der Art der baulichen Nutzung nach gerichtete Frage des Vorbescheidsantrags war positiv zu beantworten, da dem geplanten Bauvorhaben insoweit keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Vorbescheidsverfahren zu prüfen sind, Art. 71 Satz 4 BayBO, Art. 68 Abs. 1 BayBO, Art. 59 Satz 1 Nr. 1a) BayBO i.V.m. §§ 29 ff BauGB.
2. Die im streitgegenständlichen Vorbescheidsantrag gestellte Frage war so auszulegen, dass damit nur die planungsrechtliche Zulässigkeit hinsichtlich der Art der Nutzung abgefragt werden sollte.
Bei der Auslegung von Anträgen sind die für die Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Rechtsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden. Danach kommt es nicht auf den inneren Willen der erklärenden Partei, sondern darauf an, wie die Erklärung aus der Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtungsweise zu verstehen ist. Dabei tritt der Wortlaut hinter Sinn und Zweck der Erklärung zurück. Entscheidend ist der geäußerte Wille des Erklärenden, wie er aus der Erklärung und sonstigen Umständen für den Erklärungsempfänger erkennbar wird. Maßgeblich für den Inhalt eines Antrages ist daher, wie die Behörde ihn unter Berücksichtigung aller ihr erkennbaren Umstände nach Treu und Glauben zu verstehen hat. Dabei muss sich die Auslegung auf den Antrag in seiner Gesamtheit und das mit ihm erkennbar verfolgte Rechtsschutzziel beziehen (Decker in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Werkstand: 141. EL März 2021, Art. 71 Rn. 36; BVerwG, U.v. 12.12.2001 – 8 C 17/01 – BVerwGE 115, 302, m. w. N.).
Die Vorbescheidsfrage zielt auf die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den Vorgaben des Bebauungsplans, insbesondere mit § 2 Abs. 1 des Satzungstextes ab. Dies wird aus der Formulierung, ob „die Zusammenlegung der Verkaufsflächen zu einer Speise- und Schankwirtschaft im WA 11 – im Sinne des Bebauungsplans Nr. …, § 2 Abs. 1 – bauplanungsrechtlich zulässig sei“ deutlich. Da der einfache Bebauungsplan ausschließlich Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung trifft, wurde im Rahmen des Vorbescheids folglich auch nicht die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens in Gänze, sondern seiner Art nach abgefragt.
3. Das Vorhaben ist seiner Art nach bauplanungsrechtlich zulässig, § 30 Abs. 3 BauGB.
Abgefragt wurde die Zulässigkeit einer Schank- und Speisewirtschaft mit 26 Gastplätzen und Öffnungszeiten bis maximal 22:00 Uhr.
3.1. Die Festsetzung § 2 Abs. 1 „Nutzung in den allgemeinen Wohngebieten“ des Bebauungsplans, wonach auch im hier maßgeblichen „WA 11“ Schank- und Speisewirtschaften jeweils nur bis zu der im Plan festgesetzten Zahl und Betriebsfläche (hier drei und 630 m²) ausnahmsweise zulässig sind, wenn nach der Struktur der Umgebung und den örtlichen Verhältnissen eine Störung der Wohnbebauung nicht zu erwarten ist, ist unwirksam und kann dem Vorhaben nicht entgegengehalten werden. Der Ermächtigungsrahmen von BauGB und BauNVO 1990 (abzustellen ist auf die BauNVO in der Fassung vom 27. Januar 1990, da der Bebauungsplan während der Geltung dieser Fassung der BauNVO in Kraft getreten ist; im Folgenden: BauNVO) wurde bei dieser Festsetzung überschritten.
3.2. Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1, Alt. 1 BauGB kann im Bebauungsplan aus städtebaulichen Gründen die Art der baulichen Nutzung festgesetzt werden. Art der baulichen Nutzung im Sinne der Vorschrift ist nur die allgemeingebietliche Nutzungsweise, wie sie in § 1 Abs. 2 BauNVO – abschließend – bestimmt ist. Die Gemeinde bestimmt durch den Bebauungsplan Inhalt und Schranken des im Planbereich gelegenen Grundeigentums. Hierfür bedarf sie gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG einer gesetzlichen Grundlage. Diese ist in § 9 BauGB und den ergänzenden Vorschriften der nach § 9a BauGB (und den ihm entsprechenden früheren Regelungen) erlassenen BauNVO enthalten. Durch sie wird der festsetzungsfähige Inhalt eines Bebauungsplans abschließend geregelt (BVerwG, U.v. 27.10.2011 – 4 CN 7.10 – ZfBR 2012, 151, m.w.N.). Zu Festsetzungen, die nicht auf § 9 BauGB oder auf die BauNVO gestützt werden können, ist die Gemeinde nicht ermächtigt (BVerwG, U.v. 27.10.2011 – 4 CN 7.10 – ZfBR 2012, 151, m.w.N.; vgl. auch: Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Werkstand: 141. EL Februar 2021, § 9 Rn. 20), sie ist insbesondere dem Typenzwang der in der BauNVO enthaltenen Baugebiete unterworfen (BVerwG, B.v. 12.12.1990 – 4 NB 13/90 – NVwZ-RR 1991, 455).
Durch die Festsetzung von Baugebieten werden die Vorschriften der §§ 2 ff. BauNVO Bestandteil des Bebauungsplans, soweit nicht auf Grund des § 1 Abs. 4 bis 10 BauNVO etwas anderes bestimmt wird (§ 1 Abs. 3 Satz 2 u. 3 BauNVO). Grundsätzlich hat also die planende Gemeinde die Möglichkeit, die innerhalb der Baugebietstypen zulässigen Nutzungen nach § 1 Abs. 4-9 BauNVO unter der Voraussetzung der Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung der Gebiete zu modifizieren und ausnahmsweise sogar nach § 1 Abs. 10 BauNVO im Gebietstyp an sich unzulässige Nutzungen als „Fremdkörper“ planungsrechtlich abzusichern („Feinsteuerung“). Diese Gestaltungsmöglichkeiten dienen dem Zweck, Nutzungskonflikte entweder auszuschließen oder auf ein erträgliches Maß zu reduzieren (Spannowsky in: BeckOK BauNVO, Spannowsky/Hornmann/Kämper, 25. Edition Stand: 15.12.2020, § 1 Rn. 147 f., m.w.N.). Die planerischen Festsetzungen, die in einem Bebauungsplan abweichend von den baugebietstypischen Zulässigkeitsbestimmungen getroffen werden, müssen allerdings im Einklang mit den gesetzlich geregelten Feinsteuerungsmöglichkeiten stehen (Spannowsky in: BeckOK BauNVO, Spannowsky/Hornmann/Kämper, 25. Edition Stand: 15.12.2020, § 1 Rn. 170).
3.3. Laut Begründung des Bebauungsplans verfolgt dieser das Ziel, den Stadtteil … durch Begrenzung von Gaststätten und Vergnügungsstätten als Wohnviertel zu erhalten und das Wohnumfeld zu verbessern („Kneipenstopp für …“, vgl. S. 4, 18 u. 21 der Begründung).
3.3.1. Für die Wohnbevölkerung ergäben sich vor allem Belästigungen in den Abend- und Nachtstunden durch den mit dem Gaststättenbetrieb verbundenen Besucherverkehr (S. 11 u. 18 der Begründung). Bei einer weiteren Zunahme der Gaststätten wäre zu erwarten, dass der Konflikt zwischen der Gaststättennutzung mit der Folge der Lärmeinwirkung und dem Wohnen mit dem Anspruch auf Ruhe in verstärktem Maße auftrete (S. 15 der Begründung). Die Versorgung des Gebiets mit Gaststätten werde als „ausreichend“ erachtet (S. 12 der Begründung, 21.500 Einwohner und 128 Gaststätten).
Das durch Auslegung zu ermittelnde Ziel des Bebauungsplans ist es mithin, eine Zunahme von Störungen der Wohnbevölkerung in den Abend- und Nachtstunden aufgrund der mit dem Betrieb von Gaststätten und Vergnügungsstätten verbundenen Lärmeinwirkungen dadurch zu vermeiden, dass Einrichtungen der genannten Art eingeschränkt werden und somit keine neuen Lärmquellen entstehen können (vgl. S. 20 der Begründung). Ferner soll eine weitere Vermehrung von gastronomischen Betrieben und Vergnügungseinrichtungen verhindert werden (S. 15 der Begründung).
Zu diesem Zweck wurde als Art der Nutzung in Übereinstimmung mit der vorhandenen, das Gebiet prägenden Nutzung überwiegend WA (sowie in untergeordnetem Rahmen WB und MI) festgesetzt (S. 18 der Begründung). Dabei sei berücksichtigt worden, dass die vorhandenen genehmigten Lokale Bestandsschutz genießen würden (S. 21 der Begründung). In Gebieten mit bestehenden Gaststätten würden diese durch die im Plan festgesetzte zulässige Anzahl auf den Bestand beschränkt. Zudem werde durch die im Plan bestimmte Begrenzung der Betriebsflächen bewirkt, dass sich die zulässigen Gaststätten in ihrem räumlichen Umfang nicht erheblich ausdehnen könnten. Diese der Anzahl nach festgelegten Gaststätten würden nur ausnahmsweise zugelassen, um in jedem einzelnen Fall, in dem eine Schank- und Speisewirtschaft von neuem zugelassen werden solle, prüfen und beurteilen zu können, ob die planungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Genehmigung erneut gegeben seien, insbesondere ob wiederum eine Gaststätte in dem jeweiligen Gebiet gestattet werden könne (vgl. S. 22 der Begründung).
3.3.2. Das Planungsziel der Beklagten war es also, über § 2 Abs. 1 des Satzungstextes das bei Planerlass vorhandene Verhältnis von Schank- und Speisewirtschaften zur Wohnnutzung, welches als „ausreichend“ erachtet wurde, städtebaulich festzuschreiben, ohne weitere, darüber hinausgehende Entwicklungsmöglichkeiten gastronomischer Betriebe zu eröffnen.
Die Festsetzung in § 2 Abs. 1 ist dementsprechend so auszulegen, dass auch neue Schank- und Speisewirtschaften bis zu der im Plan festgesetzten Zahl und Betriebsfläche ausnahmsweise zulässig sein sollen, wenn im Altbestand etwa durch Betriebsaufgabe „ein Platz frei wird“ und wenn – so die weitere Voraussetzung – nach der Struktur der Umgebung und den örtlichen Verhältnissen eine Störung der Wohnbebauung nicht zu erwarten ist. Über das Kontingent hinaus sollen Schank- und Speisewirtschaften dagegen nicht, auch nicht ausnahmsweise zulässig sein. Die Festsetzung kombiniert demnach die kontingentierte ausnahmsweise Zulässigkeit von Nutzungen mit dem Ausschluss der Nutzungen, welche das Kontingent übersteigen. Die beiden Vorgaben bedingen sich gegenseitig, ersichtlich ist die eine ohne die Geltung der anderen nicht gewollt. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Bestreben der Beklagten, den vorhandenen Schank- und Speisewirtschaften eine gewisse planungsrechtliche Sicherung (nicht Entwicklungsmöglichkeit) im neuen Bebauungsplangefüge zukommen zu lassen.
Rechtsgrundlage für § 2 Abs. 1 des Bebauungsplans soll § 1 Abs. 5 BauNVO sein (S. 21 der Begründung).
3.4. Hierauf kann diese Festsetzung jedoch nicht gestützt werden, denn § 1 Abs. 5 BauNVO dient ausschließlich der Modifizierung der allgemeinen Zulässigkeit von Nutzungen, ermöglicht also nur Festsetzungen hinsichtlich der Nutzungsart und keine Kontingentierung bzw. anzahl- oder flächenmäßige Begrenzung von Nutzungen.
3.4.1. Nach § 1 Abs. 5 BauNVO kann im Bebauungsplan festgesetzt werden, dass bestimmte Arten von Nutzungen, die nach den §§ 2, 4 bis 9 und 13 BauNVO allgemein zulässig sind, nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen werden können, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt. Bei der Anwendung des § 1 Abs. 5 BauNVO ist ferner Voraussetzung, dass besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen (BVerwG, B.v. 3.5.1993 – 4 NB 13/93 – juris Rn. 6; B.v. 6.8.2013 – 4 BN 8.13 – ZfBR 2013, 781).
§ 1 Abs. 5 BauNVO ermöglicht die Modifikationen eines Baugebietstyps (hier des allgemeinen Wohngebiets) in Bezug auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis der dort allgemein zulässigen Nutzungen. Mit dem in § 1 Abs. 5 BauNVO verwendeten Begriff „Nutzung“ sind dabei ausschließlich die einzelnen Nutzungen gemeint, wie sie in den jeweiligen Absätzen 2 der Baugebietsvorschriften aufgezählt sind (Roeser in: König/Roeser/Stock, Baunutzungsverordnung, 4. Auflage 2019, § 1 Rn. 51 u. 69; Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Werkstand: 141. EL Februar 2021, § 1 BauNVO Rn. 65). Nach § 1 Abs. 5 BauNVO kann also nur eine Feinsteuerung hinsichtlich der typisierten, dem jeweiligen Baugebiet als allgemein zulässig zugeordneten Nutzungsarten vorgenommen werden. Ausgeschlossen oder für ausnahmsweise zulässig erklärt werden kann dabei jede einzelne der in den jeweiligen Absätzen 2 der betreffenden Baugebietsvorschrift genannten Nutzungsarten (BVerwG, B.v. 22.5.1987 – 4 N 4.86 – BVerwGE 77, 308; U.v. 26.3.2009 – 4 C 21.07 – ZfBR 2009, 463; B.v. 3.5.1993 – 4 NB 13/93 – juris Rn. 5; Spannowsky in: BeckOK BauNVO, Spannowsky/Hornmann/Kämper, 25. Edition Stand: 15.12.2020, § 1 Rn. 215).
3.4.2. Eine Regelung hinsichtlich der Nutzungsart „Schank- und Speisewirtschaften“ kann – dieses berücksichtigend – auf der Grundlage des § 1 Abs. 5 BauNVO i.V.m. § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO daher nicht getroffen werden.
Nicht der Gebietsversorgung dienende Schank- und Speisewirtschaften sind im WA von vornherein nicht allgemein zulässig und können damit auch nicht über § 1 Abs. 5 BauNVO für (nur) ausnahmsweise zulässig erklärt werden. Nach der von der Beklagten getroffenen Regelung könnte jedoch auch eine nicht der Versorgung des Gebiets dienende „Schank- und Speisewirtschaft“ im WA ausnahmsweise zugelassen werden. Eine ausnahmsweise Zulassung von solchen Schank- und Speisewirtschaften ist allerdings aufgrund der Typisierung im WA ausgeschlossen. Diese Schank- und Speisewirtschaften unterfallen auch nicht den in § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO geregelten „sonstigen nicht störenden Gewerbebetrieben“. Insoweit regelt die speziellere Nutzungsart die Zulässigkeit abschließend (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2020 – 15 ZB 19.1505 – juris Rn. 17; König/Roeser/Stock, BauNVO, § 4 Rn. 33 und Rn. 74; Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Werkstand: 141. EL Februar 2021, § 4 BauNVO Rn. 66 u. 118, § 2 BauNVO Rn. 88).
Eine Auslegung dahingehend, dass die Beklagte nur solche Schank- und Speisewirtschaften zum Regelungsgegenstand des § 2 Abs. 1 machen wollte, welche der Versorgung des Gebiets dienen, kann vorliegend anhand der Planbegründung und des daraus erkennbaren Willens der Plangeberin nicht vorgenommen werden.
Zwar kann der Regelungsgehalt einer Festsetzung auch – innerhalb der Grenzen, die sich aus dem sich aus dem Bebauungsplan und seiner Begründung erschließenden planerischen Willen der Gemeinde ergeben – durch Auslegung ermittelt werden (BVerwG, B.v. 17.12.1998 – 4 NB 4.97 – NVwZ 1999, 984; BayVGH, U.v. 17.10.2019 – 1 N 17.1142 – juris Rn. 23). Aus der Begründung zum Bebauungsplan ergibt sich jedoch, dass die Beklagte den als „ausreichend“ ermittelten Bestand an Schank- und Speisewirtschaften im Plangebiet regeln und dessen Ausweitung verhindern wollte (s.o.). Eine Differenzierung hinsichtlich solcher Schank- und Speisewirtschaften, welche gebietsversorgend sind und solchen, welche aufgrund eines größeren Einzugsbereichs etwa im WA nicht zulässig sind, war nicht gewollt und erfolgte nicht, da „die vorhandenen, genehmigten Lokale Bestandsschutz genießen“ (vgl. S. 16 u. 21 der Begründung) und insgesamt – unabhängig von der Typisierung nach der BauNVO -eine bauplanungsrechtliche Regelung erfahren sollten. Unter dem Punkt „Begriffsbestimmung“ wird der Begriff „Schank- und Speisewirtschaften“, wie ihn die Beklagte bei der Aufstellung ihres Bebauungsplans verstanden hat, dementsprechend erläutert. Darunter sind danach alle die „Betriebe, die Getränke und/oder zubereitete Speisen zum alsbaldigen Verzehr an Ort und Stelle verabreichen“ zu verstehen (S. 16 der Begründung).
3.4.3. Nach § 1 Abs. 5 BauNVO ist ferner ausschließlich der Ausschluss bzw. die ausnahmsweise Zulässigkeit von im Baugebiet allgemein zulässigen Nutzungen insgesamt möglich. Eine Beschränkung auf eine bestimmte Anzahl oder gebietsbezogene Flächenobergrenze für eine Nutzungsart kann auf § 1 Abs. 5 BauNVO dagegen nicht gestützt werden. Hierfür bietet die BauNVO keine Festsetzungsermächtigung (Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Werkstand: 140. EL Oktober 2020, § 4 BauNVO Rn. 37).
Bei der hier getroffenen Festsetzung, wonach „Schank- und Speisewirtschaften jeweils nur bis zu der im Plan festgesetzten Zahl und Betriebsfläche“ ausnahmsweise zulässig sind, wird keine Festsetzung zur Nutzungsart im obigen Sinne, die einer Regelung nach § 1 Abs. 5 BauNVO zugänglich wäre, getroffen. Es wird kein abstrakt bestimmbarer Anlagentyp erfasst oder umrissen. „Eine bestimmte Anzahl von Schank- und Speisewirtschaften“ bzw. „Schank- und Speisewirtschaften mit einer gewissen Gesamtbetriebsfläche“ sind keine bestimmte, in der BauNVO typisierte, allgemein zulässige Nutzungsart und erst recht keine solche, welche § 4 Abs. 2 BauNVO zum Gegenstand hat.
Der Nutzungstyp „Schank- und Speisewirtschaft“ kennt keine (typisierten) Unterarten, die anhand einer Flächen- bzw. Größenbegrenzung definiert werden. Ob eine „Schank- und Speisewirtschaft“ etwa gebietsversorgend ist (speziellere Nutzungsart zu „Schank- und Speisewirtschaften“, vgl. Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch Werkstand: 141. EL Februar 2021, § 4 BauNVO Rn. 88) hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und kann nicht typisierend für alle Schank- und Speisewirtschaften anhand einer gewissen Betriebsflächengröße festgemacht werden. Denn wie groß eine Schank- und Speisewirtschaft sein darf, um nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO zulassungsfähig zu sein, lässt sich nicht nach Mindest- oder Höchstzahlen entscheiden, sondern hängt maßgeblich von den jeweiligen demographischen und sozialen Gegebenheiten in der Umgebung ab, zu denen eine angemessene Relation gewahrt bleiben muss (BVerwG, B.v. 3.9.1998 – 4 B 85-98 – NJW 1998, 3792). Den Betriebstypus einer „in der Summe“ städtebaulich unerwünschten Schank- und Speisewirtschaft gibt es nicht (VGH BW, U.v. 25.9.2007 – 3 S 1492/06 – juris Rn. 31).
3.4.4. Grundsätzlich sieht die BauNVO ferner (die hier getroffene) Festlegung eines ganz konkreten Mischungsverhältnisses (im „WA 11“ etwa ausschließlich drei Betriebe im Gesamtgebiet) von Nutzungen im Bebauungsplan – über die Einordnung von Nutzungsarten als allgemein oder ausnahmsweise zulässig hinaus – nicht vor (OVG MV, U.v. 6.11.2019 – 3 K 489/15 – NordOer 2020, 509, m.w.N.).
Die nummerische Beschränkung zulässiger Anlagen trägt zur Kennzeichnung der Art der zulässigen Nutzung nichts bei. Sie qualifiziert nicht einen Anlagentyp, sondern quantifiziert Nutzungsoptionen (BVerwG, U.v. 17.10.2019 – 4 CN 8/18 – juris Rn. 18). Eine vorhabenunabhängige Kontingentierung von Nutzungsoptionen ist der Baunutzungsverordnung jedoch grundsätzlich fremd (vgl. BVerwG, U.v. 3.4.2008 – 4 CN 3/07 – juris Rn. 14 ff.; U.v. 17.10.2019 – 4 CN 8/18 – juris Rn. 16 ff.; OVG RhPf, U.v. 12.3.1993 – 10 C 12147/91 – juris Rn. 11 ff.; VGH BW, U.v. 25.9.2007 – 3 S 1492/06 – juris Rn. 23 ff., OVG NW, U.v. 6.12.2018 – 7 A 2379/16 – juris Rn. 37 ff.; vgl. demgegenüber zur Zulässigkeit von vorhabenbezogenen Verkaufsflächenbeschränkungen: BVerwG, U.v. 24.3.2010 – 4 CN 3.09 – ZfBR 2010, 471). Dort, wo die Verordnung die Festlegung von Nutzungsanteilen (Quoten) oder die Quantifizierung einer Nutzungsart zulässt, wie in § 4a Abs. 4 Nr. 2 BauNVO und § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO und in Gestalt der Beschränkung freiberuflicher Berufsausübung auf „Räume“ in den Baugebieten der §§ 2 bis 4 BauNVO (vgl. § 13 BauNVO), wird dies ausdrücklich geregelt (BVerwG, U.v. 3.4.2008 – 4 CN 3.07 – juris Rn. 17, m.w.N.).
Die Kontingentierung der für „Schank- und Speisewirtschaften“ ausnahmsweise zur Verfügung stehenden Flächen für das gesamte allgemeine Wohngebiet „WA 11“ widerspricht dem Regelungsansatz, demzufolge im Geltungsbereich eines Bebauungsplans im Grunde jedes Baugrundstück für jede nach dem Nutzungskatalog der jeweiligen Baugebietsvorschrift zulässige Nutzung in Betracht kommen können soll. Die Kontingentierung zulässiger Nutzungsarten birgt die Gefahr eines „Windhundrennens“ und schließt die Möglichkeit ein, dass Grundeigentümer im Fall der Erschöpfung des Kontingents von der kontingentierten Nutzung ausgeschlossen sind (vgl. BVerwG, U.v. 3.4.2008 – 4 CN 3.07 – juris Rn. 17). Dieser Grundsatz beansprucht auch in der hier vorliegenden Situation – Kontingentierung der zulässigen Ausnahmen – Geltung.
Auch die Verwirklichung einer nur ausnahmsweise zulässigen Nutzungsart im Baugebiet muss bei Vorliegen der weiteren Voraussetzung i.S.d. § 31 Abs. 1 BauGB grundsätzlich jedem Grundstückseigentümer zumindest dem Grunde nach zugänglich sein. Ob eine Ausnahme i.S.d. § 1 Abs. 5 BauNVO i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB zulässig ist, ist stets eine Einzelfallentscheidung unter Wahrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses (vgl. Reidt in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 14. Auflage 2019, § 31 Rn. 14). Eine Rechtsgrundlage, die Menge der zulässigen Ausnahmen zahlen- oder flächenmäßig festzusetzen, existiert weder im BauGB noch in der BauNVO.
3.4.5. Angesichts dessen kann offenbleiben, ob durch die Festsetzung der Typenzwang der BauNVO auch insoweit verlassen wurde, als die jeweilige durch die Kontingentierung festgesetzte Anzahl an Schank- und Speisewirtschaften ersichtlich völlig unabhängig von Größe und Lage, der Bewohneranzahl und den sonstigen Eigenheiten des jeweiligen Baugebiets anhand des zufällig vorhandenen Bestands an gebietsversorgenden und nicht der Versorgung des Gebiets dienenden Schank- und Speisewirtschaften bei der Planaufstellung gewählt wurde (vgl. VG München, U.v. 6.6.2011 – M 8 K 10.2392 – n.V.). Im von der Größe her dem „WA 11“ vergleichbaren „WA 30“ sollen etwa im Gegensatz zum „WA 11“ anstatt drei sieben Schank- und Speisewirtschaften mit einer Betriebsfläche von insgesamt 2055 m² ausnahmsweise zulässig sein. Im Ergebnis hat die Beklagte durch die Festsetzung das jeweils im Bestand vorhandene Verhältnis von Wohnnutzung zu Schank- und Speisewirtschaften „festgeschrieben“, sodass es letztendlich ausschließlich dem Zufall unterliegt, ob damit ein der Baunutzungsverordnung entsprechendes Gebiet umschrieben bzw. festgesetzt wurde oder nicht.
3.4.6. § 1 Abs. 5 BauNVO knüpft Festsetzungen, die auf seiner Grundlage getroffen werden, daran, dass sie i.S.d. § 1 Abs. 3 BauGB für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich sind. Denn § 1 Abs. 3 BauGB gilt für die Planung insgesamt und für jede ihrer Festsetzungen (VGH BW, U.v. 9.8.2013 – 8 S 2145/12 – juris Rn. 54). Es kann aufgrund des oben gesagten jedoch auch offenbleiben, ob die zur Verwirklichung der Ziele des Bebauungsplans – Erhalt und Schutz der Wohnqualität bzw. Schutz der Wohnruhe vor den Auswirkungen der von Schank- und Speisewirtschaften ausgehenden Belästigungen (s.o.) – eine über die Festsetzung der Gebietsart hinausgehende Einschränkung weiterer Nutzungen überhaupt erforderlich war. Dies erscheint jedoch insbesondere vor dem Hintergrund zweifelhaft, dass bereits durch die Festsetzung der Gebietsart „WA“ und der damit einhergehenden „Gebietsversorgungsklausel“ für Schank- und Speisewirtschaften der gebietstypische Schutz der Wohnruhe im allgemeinen Wohngebiet vor Störungen durch Schank- und Speisewirtschaften gewährleistet wird (Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Werkstand: 141. EL Februar 2021, § 4 BauNVO Rn. 36) und einer Fehlentwicklung zu Lasten der einen oder anderen Nutzung regelmäßig durch § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO entgegengewirkt werden kann (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Werkstand: 141. EL Februar 2021, § 4 BauNVO Rn. 56 u. 66).
3.5. Eine – hier vorgenommene Kombination von Ausschluss und ausnahmsweiser Zulässigkeit – ist bei Anwendung des § 1 Abs. 5 BauNVO so nicht vorgesehen. Die Regelung von „Gegenausnahmen“ wäre allenfalls i.V.m. § 1 Abs. 9 BauNVO denkbar. Auch der Ermächtigungsrahmen des § 1 Abs. 9 BauNVO wurde jedoch durch die streitgegenständliche Kontingentierung überschritten.
3.5.1. Nach § 1 Abs. 9 BauNVO kann, wenn besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen, im Bebauungsplan bei Anwendung des § 1 Abs. 5 bis 8 BauNVO festgesetzt werden, dass nur bestimmte Arten der in den Baugebieten allgemein (oder ausnahmsweise) zulässigen baulichen oder sonstigen Anlagen zulässig oder nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen werden können.
§ 1 Abs. 9 BauNVO knüpft damit an die Regelungen in § 1 Abs. 5 bis 8 BauNVO an und lässt weitere Differenzierungen in Bezug auf bestimmte Arten der in den Baugebieten allgemein (oder ausnahmsweise) zulässigen baulichen oder sonstigen Anlagen zu. Damit ist zugleich der Zweck dieser weitergehenden Differenzierungsmöglichkeit umschrieben: Sie eröffnet eine detailliertere Steuerungsmöglichkeit (Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Werkstand: 141. EL Februar 2021, § 1 BauNVO Rn. 98). Es handelt sich bei dem in § 1 Abs. 9 BauNVO verwendeten Begriff „Arten baulicher Anlagen“ um eine Konkretisierung des Begriffs der baulichen Nutzung und durch die Beschränkung auf „bestimmte Arten“ um einen Unterfall i.S.v. Unterarten von Nutzungen (BVerwG, U.v. 22.5.1987 – 4 C 77.84 – NVwZ 1987, 1074; B.v. 22.5.1987 – 4 N 4.86 – NVwZ 1987, 1072; U.v. 12.12.1996 – 4 C 17.95 – NVwZ 1997, 902). Dies bedeutet, dass sich die Festsetzungen nach § 1 Abs. 9 BauNVO nicht auf die in den Baugebietsvorschriften verwendeten Nutzungsbegriffe wie im Fall des § 1 Abs. 5 BauNVO beziehen, sondern auf weiter konkretisierte Nutzungen (Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Werkstand: 141. EL Februar 2021, § 1 BauNVO Rn. 100). Die Planungsfreiheit ist allerdings dadurch begrenzt, dass sich die Differenzierung auf bestimmte Anlagentypen beziehen muss, die es in der sozialen und ökonomischen Realität bereits gibt (BayVGH, U.v. 15.6.2016 – 15 N 15.1583 – juris Rn. 21, m.w.N.).
3.5.2. Zwar ist es grundsätzlich möglich, dass durch eine Kombination von § 1 Abs. 5 und Abs. 9 BauNVO der vollständige Ausschluss einer Nutzungsart durch Gegenausnahmen für bestimmte Arten von Anlagen der betreffenden Nutzungsart wieder ein Stück zurückgenommen wird (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.2009 – 4 C 21.07 – ZfBR 2009, 463).
Allerdings gilt auch hier das oben Gesagte. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass die Beklagte mit § 2 Abs. 1 der textlichen Festsetzung den Vorgaben des § 1 Abs. 5 BauNVO entsprechend zunächst alle (gebietsversorgenden) Schank- und Speisewirtschaften von der Zulässigkeit ausschließen wollte und gemäß § 1 Abs. 9 BauNVO dann als Gegenausnahme „eine gewisse Anzahl von Schank- und Speisewirtschaften mit einer gewissen Betriebsfläche“ wieder ausnahmsweise zulassen wollte, wird hierdurch keine Regelung über die weiter konkretisierte Art der Nutzung bzw. Unterarten, sondern über Nutzungsoptionen getroffen. Eine solche Regelung kann jedoch auf § 1 Abs. 9 BauNVO nicht gestützt werden, denn Festsetzungen auf der Grundlage des § 1 Abs. 9 BauNVO müssen stets bestimmte Anlagentypen umschreiben (BVerwG U.v. 22.5.1987 – 4 C 77.84 – NVwZ 1987, 1074; B.v. 15.8.1991 – 4 N 1.89 – NVwZ 1992, 879; B.v. 4.10.2001 – 4 BN 45.01 – juris; VGH BW, U.v. 25.9.2007 – 3 S 1492/06 – juris Rn. 31).
Dies gilt auch dann, wenn man die Festsetzung so auslegen wollte, dass die Beklagte (gebietsversorgende) Schank- und Speisewirtschaften nicht zulassen (§ 1 Abs. 5 BauNVO) und über eine Gegenausnahme die bei Planaufstellung im Bestand vorhandenen Betriebe für ausnahmsweise zulässig erklären (§ 1 Abs. 9 BauNVO) und über die Kontingentierung lediglich das Ausnahmeermessen nach § 31 Abs. 1 BauGB steuern wollte. Es verbleibt dabei, dass auch eine – bereits vorhandene – gewisse Anzahl Schank- und Speisewirtschaften mit einer gewissen Betriebsfläche keinen eigenständigen mit den Vorgaben des BauGB und der BauNVO regelbaren Nutzungstypus darstellt.
3.6. Auch § 1 Abs. 10 Satz 1 BauNVO scheidet als Rechtsgrundlage aus.
§ 1 Abs. 10 Satz 1 BauNVO umfasst nur die Regelung bereits vorhandener Anlagen (vgl. VGH BW, U.v. 25.9.2007 – 3 S 1492/06 – juris Ls 2 u. Rn. 25). Nach dieser Vorschrift kann bei der Festsetzung eines Baugebiets nach den §§ 2 bis 9 BauNVO in überwiegend bebauten Gebieten bestimmt werden, dass Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsänderungen und Erneuerungen bestimmter vorhandener baulicher Anlagen, die im festgesetzten Gebiet unzulässig wären, bauplanungsrechtlich abgesichert werden, indem sie als allgemein zulässig oder ausnahmsweise zulässig festgesetzt werden („Fremdkörperfestsetzung“). Die Vorschrift ist auch anwendbar, wenn eine bestehende Anlage im festgesetzten Baugebiet nur infolge einer planerischen Feinsteuerung nach § 1 Abs. 5 BauNVO unzulässig wäre (BVerwG, B.v. 11.05.1999 – 4 BN 15/99 – juris, Ls 3; VGH BW, U.v. 9.8.2013 – 8 S 2145/12 – juris Rn. 57, m.w.N.).
3.6.1. Diese Vorschrift bietet dementsprechend keine Rechtsgrundlage für die kontingentierte ausnahmsweise Zulässigkeit von Nutzungen, sondern nur für die ausnahmsweise Zulässigkeit von Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsänderungen und Erneuerungen bestimmter vorhandener, gebietsfremder baulicher Anlagen.
Regelungsgegenstand des § 2 Abs. 1 der Satzung ist jedoch eine von den vorhandenen Anlagen unabhängige, abstrakte Festsetzung in Bezug auf die ausnahmsweise Zulässigkeit einer bestimmten Anzahl an „Schank- und Speisewirtschaften“ mit einer gewissen Gesamtbetriebsfläche. Die von der Beklagten getroffene Regelung erfasst also gerade nicht nur die bei Planaufstellung vorhandenen Schank- und Speisewirtschaften. Vielmehr wird auch die ausnahmsweise Zulässigkeit neuer Schank- und Speisewirtschaften bis zu einer gewissen Anzahl und Betriebsfläche geregelt („wenn ein Platz frei wird“).
3.6.2. Die Festsetzung kann auch nicht so ausgelegt werden, dass in Ergänzung zu dem Ausschluss von (gebietsversorgenden) Schank- und Speisewirtschaften i.S.d. § 1 Abs. 5 BauNVO „Fremdkörperfestsetzungen“ (§ 1 Abs. 10 BauNVO) hinsichtlich des bei Planaufstellung vorhandenen Bestands an Schank- und Speisewirtschaften gewollt waren. Dies widerspräche neben dem klaren Wortlaut der Regelung auch dem offensichtlichen Willen der Plangeberin (vgl. zur Auslegung von Festsetzungen: BVerwG, B.v. 17.12.1998 – 4 NB 4.97 – NVwZ 1999, 984; BayVGH, U.v. 17.10.2019 – 1 N 17.1142 – juris Rn. 23).
Zwar finden sich im Bebauungsplan Kreise, mit denen laut Legende „vorhandene Schank- und Speisewirtschaften“ gekennzeichnet werden. Auch im streitgegenständlichen „WA 11“ gibt es drei entsprechende Kennzeichnungen. Allerdings befindet sich in der dem Bebauungsplan beigefügten Zeichenerklärung das zur Kennzeichnung verwendete Planzeichen unter dem Oberpunkt „C) Hinweise“ und nicht unter „A) Festsetzungen“. Festgesetzt werden nach dem Willen der Plangeberin ausweislich der Legende zum Bebauungsplan ausschließlich die Grenzen des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans, die Grenzen der Baugebiete, die nicht überplanten, vom räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplans ausgenommenen Flächen, allgemeine und besondere Wohngebiete sowie Mischgebiete und die Anzahl der höchstens zulässigen Schank- und Speisewirtschaften im Baugebiet, die Gesamtbetriebsfläche der Schank- und Speisewirtschaften als Höchstgrenzen im Baugebiet sowie die Verbindung zusammengehörender Baugebiete. Der Bestand der bei Planungserlass vorhandenen Schank- und Speisewirtschaften gehört ausdrücklich nicht dazu.
Dieses bestätigen auch § 2 Abs. 3 des Satzungstextes sowie die Begründung des Bebauungsplans, wonach hinsichtlich der vorhandenen Handwerks- und Kleingewerbebetriebe eine auf § 1 Abs. 10 BauNVO gestützte – schon vom Wortlaut her völlig anderslautende – Regelung getroffen wurde (S. 18 der Begründung), während für die Beschränkung von Schank- und Speisewirtschaften ausdrücklich auf § 1 Abs. 5 BauNVO zurückgegriffen wurde. Den vorhandenen Gaststätten wurde Bestandsschutz nur im Rahmen der „erteilten Baugenehmigung“ zugestanden (S. 21 der Begründung). Ein „erweiterter bauplanungsrechtlicher Bestandsschutz“ mit entsprechender Absicherung von Entwicklungsmöglichkeiten gemäß § 1 Abs. 10 BauNVO war für die schon vorhandenen Schank- und Speisewirtschaften gerade nicht gewollt (s.o.).
Selbst wenn man dem nicht folgen wollte, hätten die festgesetzten Anlagen im Bebauungsplan, um den Vorgaben des § 1 Abs. 10 BauNVO zu genügen, eindeutig bestimmt werden müssen. Denn aus der anlagenbezogenen Festsetzung muss sich zweifelsfrei ergeben, auf welche konkret vorhandenen Anlagen sich der erweiterte Bestandsschutz in welchem Umfang bezieht. Dies folgt aus der Vorgabe, dass es sich um „bestimmte“ bauliche oder sonstige Anlagen handeln muss (vgl. VGH BW, U.v. 9.8.2013 – 8 S 2145/12 – juris Rn. 57 m.w.N.). Durch die nachrichtliche Kennzeichnung („Hinweis“) der Gebäude, in denen sich bei Aufstellung des Bebauungsplans Schank- und Speisewirtschaften befanden, wird diese Vorgabe jedoch nicht erfüllt. Der Umfang der einzelnen Schank- und Speisewirtschaften ist nicht ansatzweise erkennbar. Weiterhin ist etwa dann, wenn sich – wie beim Vorhabengebäude – mehrere Gaststätten in einem Anwesen befinden, nicht ermittelbar, welche Gaststätte erfasst sein sollte.
3.7. Die Unwirksamkeit der Festsetzungen zur ausnahmsweisen Zulässigkeit von Schank- und Speisewirtschaften führt nicht zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans (ebenso zur streitgegenständlichen Festsetzung: BayVGH, B.v. 28.11.2012 – 2 ZB 11.1669 – juris Rn. 9).
Die Ungültigkeit einzelner Festsetzungen eines Bebauungsplans führt nur dann nicht zur Gesamtunwirksamkeit des Plans, wenn die übrigen Festsetzungen für sich betrachtet noch eine den Anforderungen des § 1 BauGB gerecht werdende, sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken können und wenn zusätzlich die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch einen Plan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (st.Rspr., BVerwG, B.v. 29.3.1993 – 4 NB 10.91 – BRS 55, Nr. 30 = NVwZ 1994, 271f.).
Diese Voraussetzungen können hier für die Festsetzung der Art der baulichen Nutzung als WA und WB (oder MI) als erfüllt angesehen werden. Die Ausweisung als allgemeines oder besonderes Wohngebiet erfüllt unabhängig von der fehlgeschlagenen Planung hinsichtlich der Schank- und Speisewirtschaften den beabsichtigten Planungszweck, die Wohnbevölkerung vor Lärmbeeinträchtigungen zu schützen. Hierdurch wird eine Fortentwicklung des Gebiets in städtebaulich unerwünschter Weise verhindert und den besonderen Anforderungen des Wohnens an Ruhe Rechnung getragen (vgl. die Vorgaben der TA Lärm).
Ziel des Bebauungsplans ist es, eine Zunahme von Störungen der Wohnbevölkerung in den Abend- und Nachtstunden aufgrund der mit dem Betrieb von Gaststätten und Vergnügungsstätten verbundenen Lärmeinwirkungen dadurch zu vermeiden, dass Einrichtungen der genannten Art eingeschränkt werden und somit keine neuen Lärmquellen entstehen können (s.o., S. 20 der Begründung). Angesichts dieser im Aufstellungsverfahren und der Planbegründung dokumentierten Planungsziele der Beklagten ist mit der notwendigen Sicherheit davon auszugehen, dass sie den Bebauungsplan auch ohne eine (fehlerhafte) Festsetzung hinsichtlich der Schank- und Speisewirtschaften beschlossen hätte (vgl. hierzu ausführlich: BayVGH, B.v. 28.11.2012 – 2 ZB 11.1669 – juris Rn. 9).
3.8. Ob das Vorhaben seiner Art nach planungsrechtlich zulässig ist, beurteilt sich allein nach § 4 BauNVO. Danach sind die der Versorgung des Gebiets dienenden Schank- und Speisewirtschaften allgemein zulässig, § 4 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. BauNVO.
Bei dem Vorhaben handelt es sich um eine solche gebietsversorgende Schank- und Speisewirtschaft.
Eine Schank- und Speisewirtschaft dient der Versorgung des Gebiets, wenn sie sich dem allgemeinen Wohngebiet, in dem sie liegt, funktional zuordnen lässt (BVerwG, U.v. 20.3.2019 – 4 C 5.18 – ZfBR 2019, 577, m.w.N.). Maßgeblich für die Qualifizierung als gebietsbezogene Anlage sind objektive Kriterien, wie insbesondere die Größe und sonstige Beschaffenheit der Anlage, die sich daraus ergebenden Erfordernisse einer wirtschaftlich tragfähigen Ausnutzung, die örtlichen Gegebenheiten und die – möglicherweise regional unterschiedlichen – typischen Verhaltensweisen in der Bevölkerung. Danach ist zu beurteilen, ob die Anlage absehbar nur oder zumindest in einem erheblichen Umfang von den Bewohnern des umliegenden Gebiets besucht wird oder ob ein darüberhinausgehender Besucherkreis zu erwarten ist, der zum Verlust des Gebietsbezugs führt (BVerwG, U.v. 29.10.1998 – 4 C 9.97 – NVwZ 1999, 417). Ein solcher Bezug fehlt, wenn die Gaststätte auf einen Personenkreis ausgerichtet ist, der nahezu zwangsläufig An- und Abfahrtverkehr mit den damit verbundenen gebietsinadäquaten Begleiterscheinungen verursacht (BVerwG, U.v. 20.3.2019 – 4 C 5.18 – ZfBR 2019, 577). Das Gebiet, dessen Versorgung die Schank- und Speisewirtschaft dienen muss, ist überdies nicht zwangsläufig identisch mit dem festgesetzten allgemeinen Wohngebiet. Es kann auch auf angrenzende beplante oder unbeplante Gebiete ausgreifen, die zumindest auch dem Wohnen dienen. Ob eine Gaststätte der Versorgung des Gebiets dient, ist vom verbraucherbezogenen Einzugsbereich her zu bestimmen (Aschke in: Kröninger/Aschke/Jeromin, Baugesetzbuch, 4. Auflage 2018, § 4 BauNVO Rn. 6).
Laut den zur Genehmigung gestellten Plänen und der Betriebsbeschreibung verfügt das Vorhaben mit einer Gesamtbetriebsgröße von 79,90 m² über 26 Gastplätze. Ferner sind Betriebszeiten bis maximal 22:00 Uhr vorgesehen. Das Vorhaben liegt in einem relativ großen allgemeinen Wohngebiet, welches von weiteren allgemeinen Wohngebieten umgeben ist und an ein Mischgebiet grenzt. Die beantragte Schrank- und Speisewirtschaft ist aufgrund ihrer geringen Größe (26 Gastplätze) und der Einbettung in das allgemeine Wohngebiet ersichtlich nicht darauf ausgerichtet bzw. geeignet, gebietsfremde Gäste anzuziehen, zumal kein außergewöhnliches Speisenangebot vorgesehen ist.
Ansatzpunkte dafür, dass das Vorhaben im Einzelfall nach § 15 BauNVO unzulässig sein könnte, sind nicht ersichtlich, auch nicht aufgrund der bereits im Gebiet vorhandenen Schank- und Speisewirtschaften (vgl Bl. 26-34 der Behördenakte). Das Vorhaben soll am Rande des relativ großen „WA 11“ an einer breiten Straße im Erdgeschoss verwirklicht werden und ist fußläufig zu erreichen. Dass durch das Vorhaben gebietsunverträgliche Unruhe in das allgemeine Wohngebiet hineingetragen wird, ist angesichts dessen nicht zu besorgen, zumal die Öffnungszeiten lediglich bis 22:00 Uhr betragen und zwei bereits vorhandene Betriebe zusammengelegt werden.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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