Baurecht

Erfolgreiche Nachbarklage gegen Unterkunft zur Unterbringung von Wohnungslosen und Flüchtlingen im Gebewerbegebiet

Aktenzeichen  M 8 K 15.5442

Datum:
19.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 6 Abs. 5 S. 2
BauGB BauGB § 29 Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1, § 246 Abs. 10
BauNVO BauNVO § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2, § 15 Abs. 1
BImSchG BImSchG § 22 Abs. 1 S. 1
BayVwVfG BayVwVfG Art. 47

 

Leitsatz

1. Der Gebietserhaltungsanspruch gewährt dem Eigentümer eines Grundstücks hinsichtlich der durch einen Bebauungsplan festgesetzten Nutzungsart einen Abwehranspruch gegen die Genehmigung eines Bauvorhabens im Plangebiet, das von der zulässigen Nutzungsart abweicht und zwar unabhängig davon, ob die zugelassene gebietswidrige Nutzung den Nachbarn selbst unzumutbar beeinträchtigt oder nicht. (redaktioneller Leitsatz)
2. Gewerbegebiete dienen in erster Linie der Unterbringung von gewerblichen Betrieben. In Gewerbegebieten soll grundsätzlich nicht gewohnt werden; dies ergibt sich bestätigend aus der Ausnahmevorschrift des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO, wonach nur Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber/-leiter zugelassen werden können. (redaktioneller Leitsatz)
3. In Gewerbegebieten scheidet die Zulassung von Wohnunterkünften für Flüchtlinge und andere Personen in prekären Unterbringungssituationen auf der Grundlage von § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1 BauGB iVm § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO regelmäßig aus. (redaktioneller Leitsatz)
4. Störungen und Belästigungen, die von einer baulichen Anlage ausgehen, sind nur insoweit im Rahmen des Baurechts auf ihre Nachbarverträglichkeit zu prüfen, als sie typischerweise bei der bestimmungsgemäßen Nutzung auftreten und von bodenrechtlicher Relevanz sind. Es ist nicht Aufgabe des Baurechts, (befürchtete) soziale Spannungen zu lösen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid vom 9. November 2015, Plannr. …, wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.
Die von der Beklagten mit Bescheid vom 9. November 2015, Plannr. …, dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Dachgeschossaufstockung und Nutzungsänderung des bisher dreigeschossigen Büro- und Geschäftshauses FlNr. …, Gemarkung … (Am … 21), in eine Unterkunft zur vorübergehenden Unterbringung von Wohnungslosen und Flüchtlingen ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, a.a.O.).
2. Der Klägerin steht gegen das Bauvorhaben des Beigeladenen ein Abwehrrecht aufgrund des Gebietserhaltungsanspruchs zu.
2.1 Die planungsrechtliche Zulässigkeit des streitbefangenen Vorhabens richtet sich nach § 29 Abs. 1, § 30 Abs. 1 BauGB, da für den Bereich, in dem sowohl das streitgegenständliche Grundstück der Beigeladenen FlNr. … als auch das nordwestlich benachbarte Grundstück FlNr. … der Klägerin liegt, der qualifizierte Bebauungsplan Nr. … der Beklagten gilt. Dieser setzt als Art der baulichen Nutzung dort ein Gewerbegebiet (GE 3) im Sinne des § 8 BauNVO fest. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.
2.2. Durch die angefochtene Baugenehmigung wird der Gebietserhaltungsanspruch der Klägerin verletzt. Der Gebietserhaltungsanspruch wurde in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als Rechtsinstitut des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes entwickelt (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151). Er gewährt dem Eigentümer eines Grundstücks hinsichtlich der durch einen Bebauungsplan festgesetzten Nutzungsart einen Abwehranspruch gegen die Genehmigung eines Bauvorhabens im Plangebiet, das von der zulässigen Nutzungsart abweicht und zwar unabhängig davon, ob die zugelassene gebietswidrige Nutzung den Nachbarn selbst unzumutbar beeinträchtigt oder nicht (vgl. z.B. Stühler, BauR 2011, 1576, 1577; Decker, JA 2007, 55, 56). Denn die Festsetzung von Baugebieten durch einen Bebauungsplan hat grundsätzlich nachbarschützende Wirkung zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993, a.a.O.). Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen bodenrechtlichen Austauschverhältnisses. Soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen. Im Rahmen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses soll daher jeder Planbetroffene im Baugebiet das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindern können (vgl. aktuell BayVGH, B.v. 22.8.2016 – 2 CS 16.737 – juris Rn. 3). Im Ergebnis ist der Anspruch auf Gebietserhaltung mithin darauf gerichtet, solche Nachbarvorhaben zu verhindern, die weder regelmäßig noch ausnahmsweise in einem Baugebiet zulässig sind.
Das mit Bescheid der Beklagten vom 9. November 2015 im Wege der Ausnahme von der Gewerbegebietsfestsetzung GE 3 des Bebauungsplans Nr. … nach § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung zugelassene Vorhaben des Beigeladenen verletzt zu Lasten der Klägerin den Gebietserhaltungsanspruch. Die streitgegenständlich zugelassene Unterkunft zur Unterbringung von Flüchtlingen und Wohnungslosen verstößt aufgrund ihres Umfangs (206 Betten) und ihrer Zweckbestimmung gegen die allgemeine Zweckbestimmung des im Bebauungsplan Nr. … festgesetzten Gewerbegebiets GE 3 (vgl. § 8 Abs. 1 BauNVO) und ist somit dort gebietsunverträglich, weil sie für eine mehr als nur unbeachtlich kurze Dauer Lebensmittelpunkt der untergebrachten Personen ist und ihr damit wohnähnlicher Charakter zukommt (vgl. aktuell insbesondere Decker in: Jäde/Dirnberger, BauGB/BauNVO, 8. Aufl. 2017, § 8 BauNVO Rn. 16 m.w.N.; BayVGH, B.v. 5.3.2015 – 1 ZB 14.2373 – juris Rn. 3). Nachdem Gewerbegebiete in erster Linie der Unterbringung von gewerblichen Betrieben dienen, soll in ihnen grundsätzlich nicht gewohnt werden. Dies ergibt sich bestätigend auch aus der Ausnahmevorschrift des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO, wonach nur Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber/-leiter – gleichsam als notwendige Ergänzung – zugelassen werden können. Bauvorhaben, die außerhalb des Anwendungsbereichs des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO einer Wohn- oder wohnähnlichen Nutzung zu dienen bestimmt sind, sind mit dem Charakter eines Gewerbegebiets unvereinbar (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2002 – 4 B 86.01 – juris). Diese vom Bundesverwaltungsgericht zu einem Seniorenpflegeheim getroffene Feststellung ist auch auf Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge übertragbar (vgl. Decker in: Jäde/Dirnberger, BauGB/BauNVO, 8. Aufl. 2017, § 246 BauGB Rn. 15 m.w.N). Das Gericht ist daher der Auffassung, dass Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte, auch wenn diese als Anlagen für soziale Zwecke im Sinne des Bauplanungsrechts anzusehen sind, grundsätzlich nicht nach §§ 30, 31 Abs. 1 BauGB, d.h. auch nicht im Wege einer Ausnahme, in Gewerbegebieten zugelassen werden können, weil dies mit dem Gebietscharakter unvereinbar ist. Damit scheidet in Gewerbegebieten die Zulassung von Wohnunterkünften für Flüchtlinge und andere Personen in prekären Unterbringungssituationen (z.B. Wohnungslose) auf der Grundlage von § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO regelmäßig – wie auch hier – aus.
2.3 Zudem scheidet vorliegend ebenfalls eine – auch durch das Verwaltungsgericht grundsätzlich mögliche – Umdeutung (vgl. Art. 47 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG) der für das Vorhaben erteilten Ausnahme in eine Befreiung nach § 246 Abs. 10 BauGB aus, da der in der streitbefangenen Genehmigung zugelassene Nutzungsumfang und -gegenstand (Unterbringung von Flüchtlingen und Wohnungslosen) tatbestandlich nicht von § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB erfasst wird (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2016 – 1 CS 15.2687 – juris Rn. 3). Vielmehr beschränkt diese Vorschrift den Anwendungsbereich explizit auf die Zulassung von Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften oder sonstigen Unterkünften für Flüchtlinge oder Asylbegehrende, während die Zulassung von Anlagen für einen weiterreichenden Personenkreis – wie hier z.B. einer solchen (auch) für Wohnungslose – nicht von der Vorschrift erfasst wird.
2.4 Ob die weitere tatbestandliche Voraussetzung des § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB, also die Vereinbarkeit einer Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen, vorliegt, braucht sonach – ebenso wie die Frage, ob beim Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB im Regelfall eine Ermessensreduzierung auf Null und damit ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Befreiung anzunehmen ist (vgl. Decker, a.a.O. § 246 BauGB Rn. 46; VG Augsburg, U.v. 21.4.2016 – Au 5 K 15.1897 – juris Rn. 69), – nicht streitig entschieden zu werden. Gleiches gilt für die von der Klage maßgeblich – sinngemäß – thematisierten Fragen nach der Wahrung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme sowie bezüglich der ebenfalls aufgeworfenen bauordnungsrechtlichen Frage nach der Einhaltung der notwendigen Abstandsflächen. Ohne dass es mithin darauf ankommt sei allerdings für etwaige zukünftige Verfahren hierzu auf Folgendes hingewiesen:
2.4.1 Das Vorhaben hält die notwendige Abstandsfläche von 0,25 H gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 2 Hs. 2 BayBO zum Grundstück der Kläger hin ein. Dies indiziert vorliegend insoweit, d.h. bezogen auf die Schutzgüter des Abstandflächenrechts (vgl. Dhom in: Simon/Busse, BayBO, Stand August 2016, Art. 6 Rn.1), auch die Einhaltung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots. Dem landesrechtlichen Abstandsflächenrecht nach Art. 6 BayBO kommt für die Beurteilung des bauplanungsrechtlichen (und daher bundesrechtlichen) Rücksichtnahmegebots unter dem Gesichtspunkt vorgetragener Belastungswirkungen aufgrund eines (vermeintlich) zu geringen Abstands eines großen Baukörpers zwar keine rechtliche Bindungswirkung zu. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots scheidet unter diesem Gesichtspunkt im Sinne einer Indizwirkung aber in aller Regel aus, wenn – wie hier – die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen eingehalten werden. Denn in diesem Fall ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Landesgesetzgeber die diesbezüglichen nachbarlichen Belange und damit das diesbezügliche Konfliktpotenzial in einen vernünftigen und verträglichen Ausgleich gebracht hat (vgl. aktuell BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 29). Ausnahmen sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
2.4.2 Bei der Prüfung, ob ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nach § 15 Abs. 1 BauNVO und/oder gegen das Gebot der Würdigung nachbarlicher Interessen im Rahmen einer Befreiungsentscheidung nach § 246 Abs. 10 BauGB vorliegt, ist zu beachten, dass von einer Unterkunft ausgehende Störungen und Belästigungen nur insofern auf ihre Nachbarverträglichkeit hin zu überprüfen sind, als diese typischerweise und bei bestimmungsgemäßen Nutzung auftreten und von bodenrechtliche Relevanz sind. Sozialen Konflikten oder von Nachbarn befürchteten Belästigungen ist nicht mit den Mitteln des Baurechts, sondern im Einzelfall mit denen des Polizei- bzw. Sicherheits- und Ordnungsrechts oder im Wege des zivilen Nachbarrechts zu begegnen (vgl. OVG NRW, B.v. 29.9.2014 – 2 B 1048.14 – juris). Ein von der Klägerin befürchteter (widerrechtlicher) Aufenthalt von Bewohnern des streitbefangenen Vorhabens auch auf ihrem Grundstück ist somit grundsätzlich kein baurechtlich zu würdigender nachbarlicher Belang. Gleiches gilt für eine befürchtete Minderung der Nutzbarkeit des Grundstücks der Klägerin und eine damit nach ihrer Auffassung einhergehende Gefährdung der Existenz des Gewerbebetriebs des Pächters. Wie vorstehend ausgeführt, sind Störungen und Belästigungen, die von einer baulichen Anlage ausgehen, nur insoweit im Rahmen des Baurechts auf ihre Nachbarverträglichkeit zu prüfen, als sie typischerweise bei der bestimmungsgemäßen Nutzung auftreten und von bodenrechtliche Relevanz sind. Es ist nicht Aufgabe des Baurechts, (befürchtete) soziale Spannungen zu lösen, die beispielsweise wegen der Unterbringung von Asylbewerbern in der Nachbarschaft besorgt werden. Hintergrund dessen ist der Rechtsgrundsatz, dass das Bauplanungsrecht keinen allgemeinen „Milieuschutz“ gewährleistet.
2.4.3 Noch ungeklärt erweist sich allerdings die Frage der Einhaltung des Immissionsrichtwerts in der Nacht auf dem Vorhabengrundstück. Dieser dürfte sich, entsprechend der Schutzwürdigkeit von ausnahmsweise im Gewerbegebiet zulässigen Wohnungen nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO, auch vorliegend nach Nr. 6.1 Buchst. b der TA Lärm bestimmen (vgl. allgemein BVerwG, U.v. 27.5.1983 – 4 C 67.83 – juris). Es ist mit Blick auf die Abstandsempfehlung der Parkplatzlärmstudie (Landesamt für Umwelt, 6. Aufl. 2007, S. 106 f., Tab. 37, wonach ab einem Abstand von 20 m zwischen dem Rand eines Lkw-Parkplatzes und dem nächstgelegenen Immissionsort bei Nutzung des Stellplatzes in der Nacht im Gewerbegebiet keine schalltechnische Einzelfalluntersuchung erforderlich ist) vorliegend nicht ohne weiteres auszuschließen, dass ein Nachtbetrieb von Lkws auf den Grundstück der Klägerin – seine Zulässigkeit an dieser Stelle mangels vorliegender Bauakten für das Grundstück FlNr. … entsprechend dem (jedenfalls bislang nicht substantiiert widersprochenen) klägerischen Vortrag unterstellt (vgl. Schriftsatz vom 29.2.2016, S. 4) – bei Zulassung des streitigen Vorhabens gegebenenfalls nur mehr unter Einschränkungen der dort ausgeübten gewerblichen Tätigkeit (Anlieferung für Getränkehandel in der Nachtzeit) möglich wäre. Sonach bedarf es zur ordnungsgemäßen Würdigung nachbarlicher Interessen – sowohl mit Blick auf § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB als auch auf § 15 Abs. 1 BauNVO – hierzu einer Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten des Einzelfalls, namentlich zunächst mit Blick auf Art und Umfang des in der Baugenehmigung auf dem Grundstück der Klägerin gegebenenfalls zugelassenen Nachtbetriebs. Allerdings ist im Rahmen der Interessenwürdigung sodann gegebenenfalls auch zu berücksichtigen, dass es der Gesetzgeber mit Erlass des § 246 Abs. 10 BauGB zur Bewältigung der stark angestiegenen Zuwanderung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden nach Deutschland grundsätzlich für bauplanungsrechtlich zulässig erachtet hat, dass Menschen aus diesem Personenkreis ihre Unterkunft auch in Gewerbegebieten zu nehmen haben und dabei den typischerweise in einem Gewerbegebiet auftretenden erhöhten Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden. Mit Blick auf die normative Wertung des § 246 Abs. 10 BauGB wird in Teilen der Rechtsprechung daraus auch eine weitergehenden Absenkung des Lärmschutzniveaus abgeleitet (vgl. VG München, B.v. 30.11.2015 – M 1 SN 15. 4780 – juris Rn. 29; VG Augsburg, a.a.O. Rn. 65; VGH BW, B.v. 11.10.2016 – 5 S 605/16 – juris Rn. 32 f.; kritisch dazu tendenziell Decker, a.a.O. § 246 BauGB Rn. 44). Schließlich wäre auch zu beachten, dass der (Nacht-)Betrieb auf dem klägerischen Grundstück auf der Grundlage einer gegebenenfalls bestandskräftigen Baugenehmigung die dynamisch angelegten immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten aus § 22 Abs. 1 Satz 1 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) zu beachten hat. Diese Pflichten beschränken sich gegenüber heranrückender (Wohn-)Bebauung im Rahmen ihrer Schutzwürdigkeit nicht von vornherein nur auf solche Lärmminderungsmaßnahmen, zu denen ein Gewerbebetriebe bereits aufgrund des Schutzes des vorhandenen benachbarten Bestandes verpflichtet ist, sondern können im Einzelfall auch darüber hinausgehen.
Nach alledem war der Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO stattzugeben. Da der Beigeladene keinen eigenen Antrag gestellt hat und sich daher auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entsprach es der Billigkeit, die ihm im Klageverfahren gegebenenfalls entstandenen außergerichtlichen Aufwendungen nicht für erstattungsfähig zu erklären.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 709 Zivilprozessordnung (ZPO).


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