Baurecht

Erfolgreiches Eilverfahren gegen eine Baugenehmigung für die Sanierung und den Umbau eines Geschäftshauses zum Bürgerhaus

Aktenzeichen  W 5 S 20.700

Datum:
7.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 19529
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
BauGB § 34, § 212a
BauNVO § 6, § 15 Abs. 1 S. 2
BayBO Art. 60, Art. 68 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots kommt dann in Betracht, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird, was vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht kommt. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Lärm- und Geräusch-Immissionen sind grundsätzlich unzumutbar und verletzen das Rücksichtnahmegebot, wenn sie geeignet sind, erhebliche Belästigungen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG für die Nachbarschaft hervorzurufen (st. Rspr., z.B. BVerwG, BauR 1999, 152). (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Verstoß gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme liegt dann vor, wenn eine Baugenehmigung nicht sicherstellt, dass ein Vorhaben keine zu Lasten des Nachbarn schädliche Umwelteinwirkungen, die den Rahmen des Zumutbaren übersteigen, verursacht. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller vom 22. Mai 2020 gegen die Baugenehmigung des Landratsamts Bad Kissingen vom 24. April 2020 (Az. W 5 K 20.699) wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Landratsamts Bad Kissingen vom 24. April 2020, mit welchem der Beigeladenen die Baugenehmigung für die Sanierung und den Umbau eines Geschäftshauses zum Bürgerhaus erteilt wurde.
1. Der Antragsteller zu 1) ist Eigentümer der mit Geschäfts- und Wohngebäuden bebauten Grundstücke Fl.Nr. …0 (** … **) sowie Fl.Nr. …2 (* … *) der Gemarkung Hammelburg. Die Antragsteller zu 2) und 3) sind diesbezüglich Nießbrauchsberechtigte. Das streitgegenständliche Bauvorhaben befindet auf dem Grundstück mit der Fl.Nr. …5 der Gemarkung Hammelburg und grenzt westlich an die Grundstücke Fl.Nrn. …2 und …0 an.
Für diesen Bereich existiert kein Bebauungsplan.
Nach Durchführung des Genehmigungsverfahrens, in welchem unter anderem das Sachgebiet 42/Immissionsschutz, der Behindertenbeauftragte sowie das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege gehört wurden und von der Beigeladenen eine Schallimmissionsprognose eingeholt wurde, erteilte das Landratsamt Bad Kissingen mit Bescheid vom 24. April 2020 die Baugenehmigung für den Umbau und die Sanierung eines Geschäftshauses zum Bürgerhaus mit Stadtbibliothek und Tourist-Information sowie eines Verbindungsgangs im Kellergeschoss zum Rathaus. Der Baugenehmigung beigefügt sind die fachtechnische Stellungnahme der hauptamtlichen Fachkraft für technischen Umweltschutz vom 12. Februar 2020 (Az: …*) sowie die Betriebsbeschreibung vom 28. Januar 2020.
Aus der Betriebsbeschreibung vom 28. Januar 2020 ergibt sich folgende beabsichtigte Nutzung des Gebäudes: Die Kellerräume sollen als Registratur, Archiv und Lagerräume genutzt werden, das Erdgeschoss im nördlichen Bereich als Infocenter für Bibliothek und Tourismus. Im südlichen Bereich des Erdgeschosses befindet sich der Bürgersaal, der für Stadtratssitzungen und Veranstaltungen aller Art (Bürgerversammlungen, Infoveranstaltungen, Konferenzen, Trauungen, Musikdarbietungen, Kabarett sowie Kinoveranstaltungen), aber nicht für private Feierlichkeiten zur Verfügung stehen soll. Während der üblichen Öffnungszeiten soll der Zugang zum Gebäude von Westen und Norden her erfolgen, bei Veranstaltungen im 1. Obergeschoss und Dachgeschoss soll auch die Möglichkeit eines Zugangs von Osten bestehen. Im 1. Obergeschoss sind die Räumlichkeiten in Richtung Marktplatz als Bibliotheks- und Präsentationsfläche vorgesehen. Darüber hinaus befinden sich dort Büroräume sowie Räume für kleinere Veranstaltungen wie z.B. Besprechungen, Ausstellungen, Volkshochschulkurse, Vorträge und Lesungen. Ähnliche Nutzungen sind im Dachgeschoss vorgesehen. Das Bürgerhaus soll an allen Wochentagen genutzt werden, wobei die Öffnungszeiten des Infocenters, der Büros und der Bibliothek von 7.00 bis maximal 19.00 Uhr angegeben werden. Die Nutzung des Bürgersaals sowie der multifunktionalen Räume für Veranstaltungen kann montags bis freitags von 8.00 bis 24.00 Uhr, samstags von 10.00 bis 24.00 Uhr sowie sonntags von 10.00 bis 22.00 Uhr erfolgen.
Gemäß den Auflagen unter Ziffern 10. und 11. der streitgegenständlichen Baugenehmigung sind die fachtechnische Stellungnahme der hauptamtlichen Fachkraft für technischen Umweltschutz vom 12. Februar 2020 (Az: …*) sowie die Betriebsbeschreibung vom 28. Januar 2020 Bestandteil der bauaufsichtlichen Genehmigung. Die Annahmen im Schallgutachten der Firma W* … (Berichtsnummer: … vom 31. Januar 2020) sind zwingend einzuhalten.
2. Mit Schriftsatz vom 20. Mai 2020, eingegangen bei Gericht am 22. Mai 2020, erhoben die Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 24. April 2020 (W 5 K 20.699). Über die Klage ist bislang noch nicht entschieden. Mit Schriftsatz vom 20. Mai 2020 beantragten die Antragsteller im vorliegenden Verfahren:
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 20. Mai 2020 wird angeordnet.
Begründet wurde der Antrag damit, dass der Genehmigungsbescheid rechtswidrig sei und an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Genehmigungsbescheids kein überwiegendes Interesse bestehe. Das Landratsamt gehe entgegen der Meinung in Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass es sich um einen Umbau handele. Bei einem völlig neuen Haus mit einer neuen Nutzung, die weit entfernt sei von einer Kaufhausnutzung, sei jedoch von der ursprünglichen Identität nichts übrig, womit man nicht mehr von einem Umbau ausgehen könne. Bezüglich der Art der baulichen Nutzung, die sich nach § 34 BauGB richte, sei man von einem Mischgebiet ausgegangen. Hinsichtlich der Verwaltungsnutzung, Bibliothek, VHS und Veranstaltungsnutzung liege wohl eine zulässige Nutzung vor. Die beiden letztgenannten Nutzungen stellten jedoch einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme in § 15 BauNVO dar. Das Vorhaben ließe in unmittelbarer Nähe zu den Wohnungen der Antragsteller eine kulturelle Nutzung (Bürgersaal mit über 300 Personen) an allen Tagen außer Sonntag bis 24.00 Uhr zu. Es habe Veranstaltungsräume, die in die engste Gasse am Platz mit Fenstern versehen seien, die für das Stoßlüften geöffnet werden dürften. Das Vorhaben ermögliche auch einen Ein- und Ausgang und das Rauchen in dieser bisher ruhigen Gasse. Zudem werde durch das Fenster zur Gasse den sich dort aufhaltenden Personen ermöglicht, vom Bürgerhaus direkt in die Wohnungen … * und … … … zu blicken. Der Umweltgutachter führe in der technischen Stellungnahme aus, dass es keine technischen Regeln gegen den Lärm von Besuchern beim Verlassen des Gebäudes gebe. Dies habe aber § 15 Abs. 3 BauNVO berücksichtigt und festgelegt, dass die Zulässigkeit von baulichen Anlagen in den Baugebieten nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der hierzu erlassenen Verordnungen zu beurteilen sei. Es gehe bei dem Gebot der Rücksichtnahme nicht um Lästigkeiten, sondern um massive Nutzungskonflikte, die in der engen Gasse zu den Gebäuden der Antragsteller ungelöst seien. Eine Wohnung in der … * habe ihre Fenster ausschließlich in die enge Gasse, die Fenster der Wohnung der Antragsteller zu 2) und 3) seien vorwiegend zur bisher sehr ruhigen Gasse hin orientiert. Darüber hinaus seien wirksame organisatorische Maßnahmen bezüglich der Raucher nicht ergriffen worden. Die Lautäußerungen und die Luftverunreinigung durch die Raucher stellten nicht nur eine Belästigung dar, sondern eine Störung, die bei rücksichtsvoller Planung zu verhindern gewesen wäre. Die Baugenehmigung verstoße somit gegen § 15 Abs. 2 und 3 BauNVO. Des weiteren sei festzustellen, dass mit dem Neubau nicht an eine Grundstücksgrenze gebaut werde, sondern ein Teil der Gasse überbaut werde. Auch die Trauf- und Firsthöhe stelle einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme gemäß § 34 Abs. 1 BauGB dar und füge sich insoweit nicht ein. Das Vorhaben werde höher und rücke im Verhältnis zum Bestandsgebäude näher an das Wohn- und Geschäftshaus der Antragsteller heran. Der Entfall der Gauben beim Bestandsgebäude könne die Situation nicht verbessern. Eine verlässliche Prognose hinsichtlich der Belichtung und Belüftung sei nicht ansatzweise erstellt worden. Schließlich werde der Mindestabstand zwischen den Gebäuden der Antragsteller und dem Vorhaben der Stadt durch die Nichteinhaltung der Grenzen des Baugrundstücks verkürzt. Die Baugenehmigung sei wegen eines Verstoßes gegen die Mindestabstandsflächenregelung unzulässig, da hier planungsrechtlich nicht an die Grundstücksgrenze gebaut werden müsse oder dürfe, da diese überschritten sei.
3. Mit Schriftsatz vom 8. Juni 2020 beantragte das Landratsamt Bad Kissingen für den Antragsgegner:
Der mit Schreiben des Antragstellers vom 20.05.2020 gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Bescheids des Landratsamts Bad Kissingen vom 24.04.2020, Az.: … (Hauptsacheverfahren Az. W 5 K 20.699), wird abgelehnt.
Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass die Baugenehmigung vom 24. April 2020 rechtmäßig sei. Das Landratsamt habe die Interessen der Nachbarschaft bei der Entscheidung über den Antrag auf Baugenehmigung berücksichtigt und diesen durch die Festsetzung von Auflagen im Baugenehmigungsbescheid Rechnung getragen. Selbst wenn die vom Antragsteller vorgetragene Rechtsauffassung, dass es sich nicht um einen „Umbau“, sondern vielmehr um einen Neubau handele, zuträfe, änderte dies nichts daran, dass an dieser Stelle auch ein entsprechender Neubau planungsrechtlich mit der genehmigten Nutzung zulässig sei. Der Bereich des Marktplatzes sei von geschlossener Bauweise geprägt. Daher sei es planungsrechtlich geboten, auch einen Neubau auf der Grundstücksgrenze zu errichten. Das genehmigte Bauvorhaben verstoße zudem nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Die Antragsteller seien der Ansicht, dass die Besucher des Bürgerhauses bei einer Veranstaltung in der Regel den Eingang von Osten wählen würden. Dieser werde jedoch allenfalls von Beschäftigten sowie von Besuchern der Volkshochschule, bei denen es sich in der Regel um einen kleinen Personenkreis handele, benutzt. In erster Linie diene der Ausgang auf der Ostseite als zweiter Flucht- und Rettungsweg. Bei Veranstaltungen im Bürgersaal sowie dem Besuch der Bibliothek und der Tourist-Info erfolge der Zugang über den Haupteingang im Norden bzw. über den Eingang im Westen. Der Einwand des Antragstellers, dass die Fenster zum „Schillingsgässchen“ beim Stoßlüften geöffnet würden, könne nicht nachvollzogen werden. Die östliche Außenwand werde durchgehend als Brandwand mit zugelassenen Brandschutzfenstern ausgebildet, welche nicht geöffnet werden könnten. Die nötige Entlüftung der Räume erfolge durch eine Lüftungsanlage. Richtig sei, dass theoretisch täglich kulturelle Veranstaltungen bis 24.00 Uhr außer sonntags (22.00 Uhr) zulässig seien. Jedoch seien diesbezüglich in der streitgegenständlichen Baugenehmigung Auflagen zum Schutz der Nachbarschaft festgesetzt worden. Die Anzahl der Großveranstaltungen mit einer größeren Besucheranzahl und eventuell auch Musikdarbietungen sei auf maximal 18 Kalendertage im Jahr beschränkt. Auch die Nutzung des Bürgersaals für private Feiern, die regelmäßig lärmtechnisch schwer zu kontrollieren seien, sei seitens der Beigeladenen zum Schutz der Nachbarschaft ausgeschlossen worden. Soweit der Antragsteller geltend mache, dass ein Einblick direkt in die Wohnung … und … … ermöglicht werde, werde darauf hingewiesen, dass die Wohnnutzung des Anwesens … … lediglich im Dachgeschoss genehmigt worden sei. Eine Einsichtnahme in die Räume im Dachgeschoss erscheine jedoch nur sehr erschwert möglich. Zudem entfielen im Bestandsgebäude (ehemaliges Kaufhaus) wesentlich mehr Öffnungen, als neue hinzukämen. Soweit der Antragsteller geltend mache, dass die Nachtruhe von acht Stunden nicht gewährleistet werden könne, sei anzumerken, dass die Betriebszeiten der Schalträume und des Bürgersaals frühestens um 8.00 Uhr (wochentags) bzw. um 10.00 Uhr (Samstag/Sonntag) begännen. Im Übrigen werde auf die Ausführungen im Baugenehmigungsbescheid vom 24. April 2020 verwiesen.
4. Die Beigeladene äußerte sich nicht.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren sowie im Hauptsacheverfahren (W 5 K 20.699) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag der Antragsteller gemäß § 80a Abs. 3 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB, gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 22. Mai 2020 (W 5 K 20.699) gegen die vom Landratsamt Bad Kissingen mit Bescheid vom 24. April 2020 der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung hat Erfolg, da er zulässig und begründet ist.
1. Der Antrag ist zulässig.
Die aufschiebende Wirkung der Drittanfechtungsklage der Antragsteller im Verfahren W 5 K 20.699 (§ 80 Abs. 1 VwGO) entfällt vorliegend, weil sie sich gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens wenden (§ 212a BauBG). In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise anordnen (§ 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO). Ein derartiger Antrag kann unmittelbar bei Gericht gestellt werden.
Die Antragsteller sind als Eigentümer bzw. (dinglich) Nießbrauchberechtigte auch antragsbefugt entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO.
2. Der Antrag ist begründet.
Im Rahmen des Antrags nach § 80a Abs. 3 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind – die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden. Dabei stehen sich das Suspensivinteresse des Nachbarn und das Interesse des Bauherrn, von der Baugenehmigung sofort Gebrauch zu machen, grundsätzlich gleichwertig gegenüber. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Fällt die Erfolgsprognose zu Gunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung also nach summarischer Prüfung gegenüber dem Nachbarn als rechtswidrig, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.1991 – 1 CS 91.439 – juris). Hat dagegen die Anfechtungsklage von Nachbarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist das im Rahmen der vorzunehmenden und zu Lasten der Antragsteller ausfallenden Interessensabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris Rn. 18). Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine reine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011, a.a.O.).
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit (auch) auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind, weil dieser in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 26.9.1991 – 4 C 5.87 – juris; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris m.w.N.). Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, B.v. 24.3.2009, a.a.O. Rn. 20). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung des Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B. v. 16.1.1997 – 4 B 244.96 – juris Rn. 3; BayVGH, B. v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2132 – juris Rn. 3).
Dies zugrunde gelegt, wird die Klage der Antragsteller nach summarischer Überprüfung voraussichtlich Erfolg haben. Sie erweist sich voraussichtlich als zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid des Landratsamts Bad Kissingen verletzt sie in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), da das Vorhaben gegen das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme verstößt.
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind; insoweit ist das Landratsamt Bad Kissingen hier zutreffender Weise vom regulären Genehmigungsverfahren des Art. 60 BayBO ausgegangen, da es sich bei dem streitgegenständlichen Vorhaben um einen Sonderbau nach Art. 2 Abs. 4 Nrn. 6 und 7 a) BayBO handelt.
2.1. Für eine Verletzung des Bauordnungsrechts (Art. 60 Satz 1 Nr. 2 BayBO), insbesondere des Abstandsflächenrechts, ist nichts ersichtlich.
Den Antragstellern ist zwar insoweit zuzustimmen, als sie aufgrund der Nutzungsänderung des Gebäudes auf dem Nachbargrundstück eine abstandsflächenrechtliche Neubeurteilung für erforderlich erachten. Dies ist schon deshalb der Fall, da durch die Nutzungsänderung von Geschäftshaus in Bürgerhaus mit einer vielfältigen Nutzung bis in die Nachtstunden eine mögliche negative Beeinflussung und mögliche wesentliche Verstärkung nachteiliger Auswirkungen auf den nachbarlichen „Wohnfrieden“ im Raum stehen (vgl. BayVGH, U.v. 13.9.2012 – 2 B 12.109; B.v. 27.2.2015 – 15 ZB 13.2384; beide juris). Die Abstandsflächen gemäß der Vorschrift des Art. 6 BayBO werden jedoch zum Grundstück der Antragsteller eingehalten.
Nach dem Grundsatz des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden einzuhalten. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO sind Abstandsflächen nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenzen gebaut werden muss oder darf. Diese Regelung räumt dem Städtebaurecht den Vorrang ein, soweit es die Errichtung von Gebäuden ohne Grenzabstand regelt. Dazu gehören die Vorschriften über die geschlossene (§ 22 Abs. 3 BauNVO) und abweichende Bauweise (§ 22 Abs. 4 BauNVO). Dieser Vorrang des Planungsrechts gilt nicht nur für Festsetzungen in Bebauungsplänen, vielmehr kommt auch der tatsächlich vorhandenen Bauweise im nicht überplanten Innenbereich grundsätzlich der Vorrang vor dem Abstandsflächenrecht zu (Simon/Busse, BayBO, Stand: 136. EL Jan. 2020, Art. 6 Rn. 33 f. m.w.N. zur Rspr.).
Im unbeplanten Innenbereich – wie vorliegend – kommt es nach § 34 Abs. 1 BauGB auf die Eigenart der näheren Umgebung an. Das Vorhaben befindet sich im Kern der Altstadt von Hammelburg. Die dort vorherrschende, zum Teil historische Bebauung ist überwiegend geschlossen (vgl. § 22 Abs. 3 BauNVO), d.h. die Häuser sind überwiegend ohne seitlichen Grenzabstand aneinandergebaut. Daraus ergibt sich, dass auch die Beigeladene mit ihrem in der Nutzung geänderten Vorhaben „Bürgerhaus“ an die Grundstücksgrenzen heranrücken können muss.
Unbeachtlich bleibt dabei, dass das Vorhaben der Beigeladenen nicht nur „an“ die Grenze, sondern teilweise als Überbau hinein in die Gasse („Schillingsgässchen“) errichtet werden soll. Nach summarischer Prüfung spricht alles dafür, dass bei der Anwendung der abstandsrechtlichen Vorschriften der Überbau im Ergebnis einem Grenzanbau gleichzustellen ist, so dass Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO jedenfalls entsprechend anzuwenden ist (BayVGH, B.v. 24.8.2016 – 9 CS 15.1695 – juris). Das Gebot des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO, wonach Abstandsflächen auf dem Baugrundstück selbst liegen müssen, dient nämlich weder dazu, einen Überbau abzuwenden, noch bezweckt es, einen Überbau besser zu stellen als ein ohne Einhaltung der erforderlichen Abstandsflächen an oder nahe der Grenze stehendes Gebäude. Diese Handhabung erscheint auch mit Blick auf die zivilrechtliche Lösung des Problems von Überbauten als sachgerecht (BayVGH, B.v. 24.8.2016 – 9 CS 15.1695 – juris). Hinzu kommt, dass ein etwaiger Überbau vorliegend nicht die Grundstücke der Antragsteller betrifft, sondern öffentlichen Straßengrund.
Ebenso wenig ist ein Verstoß bei der Prüfung anderer öffentlich-rechtlicher Anforderungen zu erkennen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Anforderungen entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird (Art. 60 Satz 1 Nr. 3 BayBO).
2.2. Jedoch ist nach summarischer Prüfung aus bauplanungsrechtlichen Gründen von einem Erfolg der Antragsteller im Hauptsacheverfahren auszugehen. Im vorliegenden Fall ist nach Überzeugung der Kammer ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts (Art. 60 Satz 1 Nr. 1 BayBO) gegeben.
2.2.1. Die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich nach § 34 Abs. 1 BauGB und § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO, da für diesen Bereich der Stadt Hammelburg kein Bebauungsplan existiert.
Die Zulassung des Vorhabens verletzt den Gebietserhaltungsanspruch der Antragsteller nicht. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung im unbeplanten Innenbereich einem Baugebiet i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 1 Abs. 2, §§ 2 ff. BauNVO, hat der mit seinem Grundstück im selben Baugebiet gelegene Nachbar einen Schutzanspruch auf Bewahrung der Gebietsart, der über das Rücksichtnahmegebot hinausgeht (vgl. BVerwG, B.v. 11.4.1996 – 4 B 51/96 – NVwZ-RR 1997, 463 = juris Rn. 10 m.w.N.; U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151 = juris Rn. 13; B.v. 22.12.2011 – 4 B 32/11 – juris Rn. 5). Für diesen Fall ordnet § 34 Abs. 2 BauGB an, dass sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach beurteilt, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet allgemein oder ausnahmsweise zulässig wäre (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.2010 – 4 C 7/10 – NVwZ 2011, 436 = juris Rn. 15).
Die Kammer geht entsprechend dem Vortrag der Parteien zu der Umgebungsbebauung und den vorliegenden Planunterlagen vom Vorliegen eines faktischen Mischgebiets aus, was auch unter den Beteiligten unstreitig ist. Nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO sind Anlagen für Verwaltungen und kulturelle Zwecke, unter welche die streitgegenständliche Anlage zu fassen ist, in einem Mischgebiet zulässig. Die genehmigte Nutzungsänderung genügt daher dem Erfordernis der Gebietsverträglichkeit (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 Abs. 1 BauNVO), welches sich aus dem typisierenden Ansatz der Baugebietsvorschriften in der Baunutzungsverordnung rechtfertigt.
2.2.2. Das streitgegenständliche Bauvorhaben widerspricht aber dem in § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO verankerten planungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme, soweit es dem Schutz der Antragsteller zu dienen bestimmt ist.
Nach § 15 Abs. 1 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang und Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebietes widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
Das Gebot der Rücksichtnahme (grundlegend BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22/75 – juris) soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Die an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellenden Anforderungen hängen im Wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die den Antragstellern aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihnen als Nachbarn billigerweise noch zumutbar ist (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, Vorbem. zu §§ 29 – 38 Rn. 49).
Das streitgegenständliche Bauvorhaben verletzt nach diesen Maßstäben das Rücksichtnahmegebot. Die anhand des Rücksichtnahmegebots durchzuführende Interessenabwägung führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass die Antragsteller dem Interesse der Beigeladenen an der Verwirklichung des Vorhabens überwiegende eigene Interessen entgegenzusetzen haben.
2.2.2.1. Die Kammer kann zwar nach summarischer Prüfung eine erdrückende oder einmauernde Wirkung im Hinblick auf die Gebäudehöhe und -länge sowie in Bezug auf die Stellung und Entfernung der Baukörper zueinander zu Lasten der Antragsteller nicht feststellen. In der Rechtsprechung zum Rücksichtnahmegebot ist anerkannt, dass eine Verletzung (auch) dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zu 2,5-geschossigem Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; vgl. auch BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind u.a. die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung.
Dass das Bauvorhaben der Beigeladenen den Antragstellern gegenüber erdrückende Wirkung entfalten würde, kann nicht gesehen werden. Es ist nicht erkennbar, dass die Zulassung des abstandsflächenrechtlich zulässigen Gebäudes die Zumutbarkeitsschwelle zu Lasten der Antragsteller überschreitet. Eine erdrückende Wirkung des Vorhabens auf das Anwesen der Antragsteller scheidet sowohl von den Ausmaßen als auch von der baulichen Gestaltung aus. Für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes ist kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als das betroffene Gebäude (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris). Hiervon ist vorliegend auszugehen. Aus den Bauunterlagen ergibt sich, dass das Bauvorhaben das Gebäude der Antragsteller zwar überragt, was die Firsthöhe betrifft. Von einem im Verhältnis zum Gebäude der Antragsteller „übergroßen“ Gebäude kann jedoch nicht die Rede sein.
Ebenso wenig kann die Kammer mit Blick auf den Wohnfrieden aufgrund der gegebenen Möglichkeiten der Einsicht in Wohnräume der Antragsteller einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot erkennen. Diesbezüglich weist das Landratsamt zutreffend darauf hin, dass eine Wohnnutzung im Anwesen … … nach den zuletzt genehmigten Planunterlagen vom 11. Januar 1994 nur im Dachgeschoss genehmigt ist und eine Einsichtnahme durch die im Bürgerhaus vorgesehenen Dachliegefenster insoweit nur schwer möglich ist. Darüber hinaus ist den Antragstellern im innerstädtischen, eng bebauten Raum zuzumuten, eigene Vorkehrungen hinsichtlich des Blickschutzes zu treffen.
2.2.2.2.  Das Vorhaben ist aber im Einzelfall nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO unzulässig. Denn von dem Bauvorhaben gehen nach summarischer Prüfung unzumutbare Belästigungen bzw. Störungen für die Antragsteller als Nachbarn aufgrund der Lärmproblematik infolge der Nutzungen im Bürgerhaus aus.
(Lärm- und Geräusch-) Immissionen sind grundsätzlich unzumutbar und verletzen das Rücksichtnahmegebot, wenn sie geeignet sind, erhebliche Belästigungen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG für die Nachbarschaft hervorzurufen (ständige Rspr., vgl. z.B. BVerwG, U.v. 27.8.1998 – 4 C 5.98 – BauR 1999, 152 = juris Rn. 30; BayVGH, B.v. 27.12.2017 – 15 CS 17.2061 – juris Rn. 26; B.v. 31.8.2012 – 14 CS 12.1373 – juris Rn. 31). Bei der Erteilung einer Baugenehmigung ist sicherzustellen, dass bei der Nutzung des genehmigten Vorhabens keine derartigen Belästigungen entstehen. Das Maß der gebotenen Rücksichtnahme hängt auch diesbezüglich von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Gegeneinander abzuwägen sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.10.2017 – 9 CS 16.883 – juris Rn. 24 m.w.N.; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 40; B.v. 9.7.2012 – 22 CS 12.575 – juris Rn. 32 m.w.N.).
Für die Beurteilung der betriebsbedingten Lärmimmissionen des zugelassenen Vorhabens hat das Landratsamt Bad Kissingen in Abstimmung mit den Gutachtern auf die 18. BImSchV (Sportanlagenlärmschutzverordnung; BGBl. I 1991, S. 1588; zuletzt geändert durch Art. 1 zweite ÄndVO vom 1.6.2017, BGBI. I S. 1468) abgestellt. Ob dies im Ergebnis zutreffend ist (vgl. hierzu VG Würzburg, U.v. 17.5.2011 – W 4 K 10.916 – juris Rn. 46 ff.), kann dahingestellt bleiben, da sich hinsichtlich der entscheidenden Lärmrichtwerte keine für die Antragsteller günstigeren Werte aus anderen technischen Regelwerken ergeben. Darüber hinaus ist es der tatrichterlichen Würdigung vorbehalten, im Einzelfall die Erheblichkeit der Lärmbelästigung unter Berücksichtigung der einzelnen Schallereignisse, ihres Schallpegels und ihrer Eigenart (Dauer, Häufigkeit, Impulshaltigkeit) zu beurteilen, solange – wie hier – rechtlich keine bestimmten Mess- und Berechnungsverfahren sowie Lärmwerte vorgegeben sind (BVerwG, B.v. 6.8.2018 – 7 B 4/18 – juris Rn. 4). Insofern ist nicht ersichtlich, inwieweit etwa die im Wesentlichen auf (technischen) Anlagenlärm zugeschnittene TA Lärm (Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz – Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm, vom 26.8.1998, GMBl. S. 503) zwingend geeigneter sein sollte.
Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben und unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls erachtet die Kammer die durch das Bauvorhaben „Bürgerhaus“ ausgelösten Lärmimmissionen für die Antragsteller als unzumutbar, weil die Immissionsrichtwerte der 18. BImSchV in der Nachtzeit bei Beachtung der durch Raucher und Gäste hervorgerufenen Geräusche an den Anwesen der Antragsteller nicht eingehalten sind und somit schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG durch das Vorhaben hervorgerufen werden. Schädliche Umwelteinwirkungen sind nach der auch bauplanungsrechtlich bedeutsamen Legaldefinition des § 3 BImSchG solche Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, erhebliche Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Das Bundes-Immissionsschutzgesetz legt diese Grenze und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereiches grundsätzlich allgemein fest (BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6/98 – BVerwGE 109, 314). Was die Zumutbarkeit von Lärmimmissionen anbetrifft, können anerkanntermaßen technische Regelwerke wie die TA Lärm (Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz – Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm, vom 26.8.1998, GMBl. S. 503) bzw. die darin enthaltenen Immissionsrichtwerte herangezogen werden. Unter diesem Gesichtspunkt bestehen gegen die entsprechende Heranziehung der Werte der 18. BImSchV keine Bedenken, zumal der Immissionsrichtwert im Bereich eines Mischgebiets in der Nachtzeit ab 22 Uhr sowohl in der TA Lärm als auch in der 18. BImSchV mit 45 dB(A) angesetzt ist.
In der Baugenehmigung vom 24. April 2020 wurde demgemäß unter Bezugnahme auf die fachtechnische Stellungnahme des Sachgebiets 42 – Immissionsschutz vom 12. Februar 2020 in der Nachtzeit an den dem Vorhaben nächsten Wohnhäusern ein Immissionsrichtwert von 45 dB(A) – und 55 dB(A) bei seltenen Ereignissen – festgesetzt (vgl. Ziffer II. Auflagen 11.1). Ausweislich der Schallimmissionsprognose des Gutachterbüros W* … vom 31. Januar 2020 ist der Wert von 45 dB (A) jedoch in beiden der geprüften Nutzungsszenarien am Grundstück Fl.Nr. …2 (Immissionsort 4) mit den dort festgestellten 51 dB(A) wesentlich überschritten, wenn die Berechnung Lautäußerungen von Rauchern, d.h. den Personenaufenthalt außerhalb des Bürgerhauses, zur Nachtzeit mit zugrunde legt. Diese Problematik wird sowohl in der fachtechnischen Stellungnahme der hauptamtlichen Fachkraft für technischen Umweltschutz vom 12. Februar 2020 (Az: …*) sowie im Schallgutachten der Firma W* … vom 31. Januar 2020 aufgegriffen und diskutiert. Laut Schallgutachten der Firma W* … wurden diese verhaltensbezogenen Geräuschimmissionen bei der schalltechnischen Beurteilung der Anlagengeräusche nur informativ angegeben, da der Anlagenbetreiber auf diese Geräuschemissionen außerhalb des Bürgerhauses auf öffentlichem Straßengrund nur bedingten Einfluss habe (vgl. S. 14 des Gutachtens). Auch die fachtechnische Stellungnahme des Landratsamts greift diese Argumentation auf und stellt gleichzeitig fest, dass dadurch zwar Konfliktsituationen entstehen können, diese aber ordnungsrechtlich zu regeln seien und nicht Grundlage der Betriebsgenehmigung sein könnten. Es werde daher „empfohlen, auf das Verhalten der sich im öffentlichen Freibereich aufhaltenden Personen mittels organisatorischer Maßnahmen einzuwirken,[…].“ (vgl. S. 4 der Stellungnahme; Bl. 139 und 163 d.A.).
Soweit damit der vor allem durch Raucher hervorgerufene verhaltensbezogene Lärm dem Vorhaben „Bürgerhaus“ nicht zugerechnet wird und die Bewältigung hieraus entstehender Konflikte auf die Ebene des Ordnungsrechts, d.h. eines nachträglichen Einschreitens der zuständigen Sicherheitsbehörden, verlagert wird, kann dem nicht gefolgt werden. Ein solcher Ansatz hätte zur Folge, unmittelbar durch den Anlagenbetrieb hervorgerufene Emissionen und ihre Auswirkungen auf die Nachbarschaft der fachtechnischen und rechtlichen Beurteilung im Genehmigungsverfahren zu entziehen und auf die sicherheitsrechtliche Ebene zu verlagern. Dies kann schon deshalb nicht der Fall sein, da grundsätzlich eine Zurechnung von verhaltensbezogenem Lärm ebenso wie der Zugangs- und Abgangsverkehr gegenüber der betroffenen baulichen Anlage erfolgen muss (vgl. für Betriebe mit gastronomischer Nutzung etwa BayVGH, U.v. 25.11.2015 – 22 BV 13.1686 – juris Rn. 66; OVG Lüneburg, B.v. 18.3.2020 – 12 ME 4/20 – juris Rn. 11). Dies zugrunde gelegt ist es laut streitgegenständlicher Genehmigung möglich, dass an sechs Tagen in der Woche zur Nachtzeit von 22 Uhr bis 24 Uhr die maßgeblichen Immissionsrichtwerte am Anwesen der Antragsteller überschritten werden, da ein Zugang bzw. Ausgang zum Bürgerhaus über den Osteingang für Veranstaltungen im 1. Obergeschoss und im Dachgeschoss immer möglich ist (vgl. Betriebs- und Nutzungsbeschreibung Bl. 165 d.A.) und damit zu erwarten ist, dass sich Besucher im sog. „Schillingsgässchen“ zwischen dem Bauvorhaben und den Anwesen der Antragsteller aufhalten. Damit ist die Zumutbarkeitsgrenze für die Antragsteller als Nachbarn überschritten, da sich der in rechtmäßiger Weise festgesetzte Grenzwert von 45 dB(A) in der Nacht unter den gegenwärtigen Bedingungen als nicht einhaltbar erweist, dies der Genehmigungsbehörde bewusst ist und keine wirksamen Maßnahmen hiergegen getroffen werden.
Wird nämlich ein Lärmgrenzwert festgesetzt, so kommt es darauf an, ob diese Forderung realistisch ist und ob der Wert auch tatsächlich eingehalten werden kann. Überschreiten allerdings die bei der Nutzung einer Anlage entstehenden Immissionen bei regelmäßigem Betrieb die für die Nachbarschaft maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze, dann genügt es zur Sicherung der Nachbarrechte nicht, in der Baugenehmigung den maßgeblichen Immissionsrichtwert als Grenzwert festzulegen und weitere Nebenbestimmungen vorzubehalten. Vielmehr muss die genehmigte Nutzung schon in der Baugenehmigung durch konkrete Regelungen eingeschränkt werden (BayVGH, B.v. 15.11.2011 – 14 AS 11.2328; U.v. 18.7.2002 – 1 B 98.2945; beide juris).
Ein Verstoß gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme liegt dann vor, wenn eine Baugenehmigung nicht sicherstellt, dass ein Vorhaben zu Lasten des Nachbarn schädliche Umwelteinwirkungen, die den Rahmen des Zumutbaren übersteigen, verursacht. Wird eine Baugenehmigung für ein Vorhaben erteilt, von dem Emissionen ausgehen, so muss das im Bescheid festgelegte Betriebsreglement geeignet und ausreichend sein, die Erfüllung der immissionsschutzrechtlichen Schutzpflicht sicherzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2010 – 22 CS 09.3255 – juris). Die Festlegung von Lärmgrenzwerten in einer Baugenehmigung reicht somit alleine nicht aus, wenn nicht sichergestellt ist, dass sie bei dem genehmigten Betrieb auch sicher eingehalten werden können. Enthält die Baugenehmigung keine hinreichende Regelung, um diesen Konflikt zu lösen, ist diese rechtsfehlerhaft und aufzuheben (VG Würzburg, U.v. 3.3.2016 – W 5 K 14.605 – juris Rn. 48 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall war bei Abschluss des Baugenehmigungsverfahrens nicht sichergestellt, dass die für den Nachbarschutz erforderlichen Immissionsrichtwerte gerade im sensiblen Nachtbereich ab 22.00 Uhr eingehalten werden können. Die Bewältigung dieser von der Genehmigungsbehörde eindeutig definierten Konfliktsituation kann auch nicht auf die Beigeladene bzw. auf nachfolgende sicherheits- und ordnungsrechtliche Verfahren verlagert werden. Vielmehr muss durch konkrete immissionsschutzrechtliche Auflagen sichergestellt sein, dass Nachbarn, hier die Antragsteller, vor unzumutbaren Immissionen durch Raucherlärm geschützt sind (BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris Rn. 26).
Eine solche konkrete Nebenbestimmung (z.B. Schließung der Osttüre nach 22.00 Uhr) enthält der streitgegenständliche Bescheid nicht, soweit der Zu- und Ausgang über die Ostseite des Bürgerhauses in der Nachtzeit betroffen ist. Es wird lediglich auf die Betriebsbeschreibung verwiesen, die vorsieht, dass an der Hausfassade keine das Rauchen unterstützende Utensilien wie z.B. Aschenbecher angebracht werden und dass die Raucher durch ein Hinweisschild darauf hingewiesen werden, das Rauchen im Bereich der öffentlichen WCs am Rathaus zu tätigen.
Die somit vorliegenden Überschreitungen des festgesetzten Immissionsrichtwerts hat das Landratsamt Bad Kissingen bei der Erteilung der Baugenehmigung nicht derart berücksichtigt, dass ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot ausgeschlossen wäre. Der angefochtene Bescheid stellt eine Einhaltung des Rücksichtnahmegebots nicht sicher. Dies führt zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Baugenehmigung.
3. Da die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache nicht offen sind, sondern die Klage nach summarischer Prüfung vielmehr Erfolg haben wird, findet keine reine Abwägung der für und gegen den Vollzug der Baugenehmigungen sprechenden Interessen statt.
Dem Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben und die aufschiebende Wirkung anzuordnen. Der Beigeladenen waren die Kosten nicht anteilig aufzuerlegen, da sie keinen Antrag gestellt hat, § 154 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Demnach ist bei Nachbarklagen gegen eine Baugenehmigung von einem Streitwert von 7.500,00 EUR bis 15.000,00 EUR auszugehen, soweit nicht ein höherer wirtschaftlicher Schaden feststellbar ist. Das Gericht hält im vorliegenden Fall einen Streitwert von 10.000,00 EUR für angemessen, der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren ist.


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