Baurecht

Erkundungs- und Sicherungsmaßnahmen für aufgelassenen Kalksteintiefbau

Aktenzeichen  W 5 K 15.1109

Datum:
14.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 15093
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, Art. 8 Abs. 1
VwGO § 114 S. 2

 

Leitsatz

1. Ein Ermessensfehler in Form des Ermessensausfalls liegt bei der Ausübung des Auswahlermessens über die zu ergreifenden Maßnahmen vor, wenn sich weder aus dem Bescheid, insbes. seiner Begründung noch aus anderen Umständen, insbes. dem sonstigen Akteninhalt ergibt, dass tatsächlich gegebene und weniger belastende Alternativmaßnahmen von der Behörde überhaupt nicht in Betracht gezogen worden sind. (Rn. 65 – 74) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es liegt kein Fall des Nachschiebens von Gründen iSd § 114 S. 2 VwGO vor, wenn es hinsichtlich des Auswahlermessens bzgl. der Frage von Alternativen zu den angeordneten Maßnahmen im behördlichen Verfahren keine Ermessensentscheidung gab und erst aufgrund der Erkenntnisse im gerichtlichen Verfahren Ermessenserwägungen im Hinblick auf die Auswahl von Alternativen angestellt werden. (Rn. 77 – 79) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Regierung von Oberfranken – Bergamt Nordbayern – vom 29. September 2015 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage hat im Hauptantrag Erfolg, da dieser zulässig und in der Sache begründet ist.
I.
Die Klage ist im Hauptantrag zulässig. Die Anfechtungsklage ist statthaft nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO, und zwar auch insoweit als die Klägerin die Nichtigkeit des Bescheids der Regierung von Oberfranken – Bergamt Nordbayern – vom 29. September 2015 geltend macht. Nach h.M. ist die Anfechtungsklage auch gegen einen nichtigen Verwaltungsakt mit dem Ziel der Aufhebung des Verwaltungsakts statthaft (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 42 Rn. 15; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 42 Rn. 3).
II.
Die Klage ist im Hauptantrag auch begründet. Der Bescheid der Regierung von Oberfranken – Bergamt Nordbayern – vom 29. September 2015 ist zwar nicht nichtig; er ist aber rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die von der Klägerseite geäußerten Bedenken hinsichtlich der (Teil-) Nichtigkeit des streitgegenständlichen Bescheids, mit der Begründung, dass die in Ziffer 5 angeordnete Maßnahme der Erstellung eines Sicherungskonzepts binnen drei Monaten nach den eingeholten fachtechnischen Stellungnahmen nicht umsetzbar sei, können von der Kammer nicht geteilt werden.
Die (Teil-)Nichtigkeit ergibt sich nicht aus Art. 44 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG, wonach ein Verwaltungsakt nichtig ist, den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann. Der Nichtigkeitsgrund des Art. 44 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG erfasst nämlich nach seinem eindeutigen Wortlaut nur Fälle der objektiven tatsächlichen Unmöglichkeit, wenn nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft und Technik niemand in der Lage wäre, den Verwaltungsakt auszuführen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl. 2017, § 44 Rn. 39, 42; BayVGH, U.v. 27.5.2007 – 22 B 04.891 – juris Rn. 15). Die Regelung findet dagegen keine Anwendung, wenn nur der Adressat des Verwaltungsakts aus wirtschaftlichen, finanziellen oder anderen in seiner Person liegenden Gründen subjektiv außerstande ist, die ihm auferlegte, objektiv mögliche Verpflichtung zu erfüllen. Maßgeblich ist demnach alleine, ob die angeordneten Maßnahmen von niemandem innerhalb der in Ziffer 5 des Bescheids genannten Fristen ausgeführt werden können. Dies wird von Klägerseite schon nicht behauptet. Die bloße Unzumutbarkeit genügt für die Annahme des objektiven Unvermögens nicht (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 44 Rn. 39, 42).
Im Übrigen liegt hier auch gar kein Fall der rechtlichen Unmöglichkeit vor, denn die Erstellung des geforderten Sicherungskonzepts ist unstreitig möglich. Strittig ist zwischen den Beteiligten nur, ob dies in der festgelegte Frist möglich ist. Sollte dies nicht der Fall sein, hätte dies aber allenfalls die Anpassung der Frist zur Folge. Die Betroffenen haben in derartigen Fällen einen Anspruch auf Verlängerung der Frist, wenn sie rechtzeitig einen entsprechenden Antrag stellen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 32 Rn. 44).
Von einer Nichtigkeit nach der allgemeinen Bestimmung des Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG kann ebenfalls nicht ausgegangen werden. Danach ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Ein derartig offenkundiger und schwerwiegender Fehler ist vorliegend allerdings nicht ersichtlich.
2. Der Bescheid des Bergamts Nordbayern vom 29. September 2015 ist allerdings rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der streitgegenständliche Bescheid ist zwar formell rechtmäßig, insbesondere war das Bergamt Nordbayern für den Erlass zuständig (2.1.). Der Bescheid erweist sich allerdings aus materiellen Gründen als rechtswidrig. Zwar ist vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG auszugehen (2.2.). Es fehlt aber vorliegend – unabhängig davon, ob die Klägerin richtiger Adressat des Bescheids i.S.v. Art. 9 LStVG ist (2.3.) – an einer ordnungsgemäßen Ausübung des Auswahlermessens bzgl. der angeordneten Maßnahmen (2.4.). Darüber hinaus erweist sich die Maßnahme der sog. „kraftschlüssigen“ Verfüllung als materiell rechtswidrig (2.5.). Im Einzelnen:
2.1. Der streitgegenständliche Bescheid ist aus formellen Gründen nicht zu beanstanden, insbesondere war die Regierung von Oberfranken – Bergamt Nordbayern – für seinen Erlass zuständig.
Die örtliche und sachliche Zuständigkeit des Bergamts Nordbayern folgt aus Art. 55 Abs. 1 Satz 1 LStVG i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 und § 3 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über Organisation und Zuständigkeiten der Bergbehörden vom 9. November 2013 (BergBehördV). Nach Art. 55 Abs. 1 Satz 1 LStVG kann das Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie durch Verordnung im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr abweichend von Art. 6 LStVG die Sicherheitsbehörden bestimmen, die für die Abwehr von Gefahren aus bergbaulichen Anlagen zuständig sind, welche nicht mehr der Bergaufsicht unterliegen. Von der Verordnungsermächtigung wurde Gebrauch gemacht durch den Erlass der BergBehördV vom 9. November 2013. Nach deren § 2 Abs. 3 Satz 1 sind die Bergämter als Sicherheitsbehörden nach dem LStVG für Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren aus verlassenen Grubenbauen, die nicht mehr der Bergaufsicht unterliegen, sachlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 3 Abs. 2 Satz 1 BergBehördV, wonach das Bergamt Nordbayern u.a. für den Regierungsbezirk Unterfranken zuständig ist.
2.2. Als Rechtsgrundlage für die im streitgegenständlichen Bescheid getroffenen Anordnungen kommt Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG zur Anwendung. Danach können die Sicherheitsbehörden – und damit im vorliegenden Fall das Bergamt Nordbayern – bei fehlender gesetzlicher Ermächtigung im Einzelfall Anordnungen zur Erfüllung ihrer Aufgaben nur treffen, um Gefahren abzuwehren oder Störungen zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder die Freiheit von Menschen oder Sachwerte, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint, bedrohen oder verletzen.
Eine solche Anordnung darf jedoch nur verfügt werden, wenn im zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter (hier: Leben und Gesundheit) vorliegt.
Unter einer konkreten Gefahr im Sinne des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG wird ein Zustand verstanden, der aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls bei verständiger, objektiver Würdigung bei ungehindertem Geschehensablauf den Eintritt eines Schadens für die geschützten Rechtsgüter mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit erwarten lässt, wobei an diese Wahrscheinlichkeit umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer der zu erwartende Schaden und je ranghöher das bedrohte Rechtsgut ist (vgl. Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand: Sept. 2015, Art. 7 Rn. 56-56c). Es kommt demnach entscheidend auf eine Prognose durch die handelnde Behörde aus ex-ante-Sicht an, die hinreichend fundiert sein muss, was bedeutet, dass Tatsachen oder sonstige gewichtige Anhaltspunkte im konkreten Einzelfall vorhanden sein müssen, welche die Annahme eines zu erwartenden Schadenseintritts begründen (vgl. Schmidbauer/Steiner, PAG, 4. Aufl. 2014, Art. 11 Rn. 24 ff.; BeckOK PolR Bayern/Holzner, Stand: 1.4.2018, § 11 PAG Rn. 27 ff.).
Das Bergamt Nordbayern hat im Bescheid vom 29. September 2015 dargelegt (S. 9), dass sich aufgrund eigener Ermittlungen ergeben habe, dass die Kalksteintiefbaue unter den relevanten Grundstücken akut verbruchgefährdet seien. Es bestehe die konkrete Gefahr, dass es über den Kalksteintiefbauen zu Schäden an der Tagesoberfläche und an der Bebauung auf den Flurstücken …5, …6 und …7 der Gemarkung Kitzingen kommen werde. Diese altbergbaulich bedingten Schäden an der Tagesoberfläche träten in Form von muldenförmigen Senkungen, Riss- und Spaltenbildungen sowie von kraterähnlichen Verbrüchen auf. In Abhängigkeit von der Intensität der Deformationen könnten diese erheblichen Schäden an den Wohngebäuden, wie Rissbildungen, Schiefstellungen oder auch Mauerwerksbrüche verursachen. Diese Beeinträchtigung bzw. Schädigung der Wohnbebauung und der zugehörigen infrastrukturellen Einrichtung führe – so das Bergamt – unweigerlich zu einer Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit der sich hier aufhaltenden Personen.
Im Rahmen des Erörterungstermins hat Herr Ltd. Bergdirektor D… vom Bergamt Nordbayern erklärt, dass es sich hier um einen Untertagebergbau als tagesnahem Abbau handele, der nicht in Vollversatz ausgeführt worden sei. Der vom Bergamt beigezogene Sachverständige Dr. … (Ingenieurbüro Dr. … GmbH) hat auf die Nachfragen des Gerichts bzw. der Klägerseite, wie wahrscheinlich ein Schadensereignis i.S.d. Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG sei, angegeben, dass er es angesichts der festgestellten Größenordnung der Hohlräume untertage und des bisher stattgefundenen Bruchprozesses für wahrscheinlich halte, dass es zu einem Tagesbruch komme; er könne aber nicht sagen, zu welchem Zeitpunkt. Herr Prof. Dr. K…, der von der Klägerseite beigezogen wurde, regte zwar an, dass noch die Tragfähigkeit der Bodenplatten in den Häusern sowie die Tagesbrüche im Hinblick auf die Geometrieverhältnisse überprüft werden sollten, erklärte aber ausdrücklich, dass er den Ausführungen von Herrn Dr. … grundsätzlich zustimme. Nach diesen Aussagen der im Erörterungstermin gehörten Sachverständigen hat die Kammer keine Zweifel an der Einschätzung des Beklagten, dass es zu einem Tagesbruch kommen kann und die sich auf den vg. Grundstücken aufhaltenden Personen in ihrer körperlichen Unversehrtheit gefährdet werden.
Letztlich wird dies auch von Klägerseite nicht mehr in Abrede gestellt. So führt der Bevollmächtigte der Klägerin im Schriftsatz vom 19. April 2018 aus, dass die Gefahr in plötzlich auftretenden Tagesbrüchen liege. Diese könnten im Bereich der Gebäude aber auch im Bereich der eingefriedeten Hausgärten auftreten. Menschen könnten in plötzlich auftretende Erdöffnungen stürzen und sich verletzen; hierdurch könnten Menschen jedenfalls in ihrer Gesundheit gefährdet werden.
2.3. Strittig ist zwischen den Beteiligten (Klägerseite einerseits und Beklagter und Beigeladene andererseits), ob die Klägerin hier Handlungsstörerin i.S.v. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG ist.
Nach dieser Vorschrift sind dann, wenn das Verhalten oder der Zustand einer Person gefahrenabwehrende Maßnahmen notwendig macht, diese gegen die Person zu richten, die die Gefahr oder Störung verursacht hat. Dies ist der Handlungsstörer, auch Verhaltensverantwortlicher genannt.
Im Rahmen des Art. 9 Abs. 1 LStVG gilt die Theorie der unmittelbaren Verursachung (vgl. BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern/Lindner, Stand: 1.4.2018, Art. 9 LStVG Rn. 29). Die Verursachung kann in einem Tun, Dulden oder Unterlassen bestehen. Der Kreis der Handlungsstörer, der sich bei der Anwendung der Äquivalenztheorie ergäbe, ist nach überwiegender Meinung zu verengen. Nach heute h.M. soll die rechtsstaatlich notwendige Verengung des Kreises der Handlungsstörer durch das Kriterium der Unmittelbarkeit erfolgen. Handlungsstörer ist danach nur derjenige, dessen Verhalten eine Gefahr unmittelbar verursacht. Nach einer häufig vertretenen Formel verursacht eine Person eine Gefahr unmittelbar, wenn ihr Handeln „die Gefahrengrenze überschreitet“ oder „die letzte Ursache für die Gefahr“ setzt. Eine Gefahr ist dann ursächlich in diesem Sinn, wenn sie aus einem zuvor noch gefahrlosen Zustand eine Gefahr werden lässt (vgl. BeckOK PolR Bayern/Lindner, Art. 7 PAG Rn. 25; vgl. hierzu auch Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 9 Rn. 21). Bei Beteiligung mehrerer Verursacher kommt es nicht darauf an, wer zeitlich die letzte Bedingung für den Gefahreneintritt gesetzt hat (OVG Koblenz, U.v. 26.1.2012 – 8 A 11081/11.OVG – UPR 2012, 234; Schmidbauer/Steiner, PAG, Art. 7 Rn. 9-12).
Die Klägerin wäre dann – wie die Klägerseite vorbringt – nicht Störer, wenn die konkrete Gefahr in Form von Tagesbrüchen auf den Grundstücken der Beigeladenen bereits durch die Anlage des Stollens bzw. die Beschaffenheit des Muschelkalks und nicht erst durch die Errichtung der Wohngebäude bzw. die Nutzung als Wohngrundstücke entstanden wäre. Fraglich ist also, ob schon durch die erstgenannte Ursache die Gefahrenschwelle überschritten wurde, oder ob die Gefahrschwelle erst durch die neue Nutzung der Geländeoberfläche, insbesondere die Bebauung mit Wohngebäuden entstanden ist. Inmitten steht insoweit die Fragestellung, ob damit zunächst, also durch die Schaffung der Stollen bei Ausbau des Kalksteinbruchs, lediglich eine latente Gefahr vorgelegen hat und eine konkrete Gefahr erst später entstanden ist.
Eine sog. latente Gefahr liegt vor, wenn eine konkrete Gefahr erst in der Zukunft möglicherweise entstehen wird, indem weitere Handlungen oder Umstände hinzutreten. Es fehlt also an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts in naher Zukunft (Schmidbauer/Steiner, PAG, Art. 11 Rn. 56). Im Fall der sog. latenten Gefahr soll eine Handlung mit andauernder Wirkung vorliegen, die sich zunächst nicht störend auswirkt, sondern erst durch weitere Ereignisse zur Gefahr wird (Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 9 Rn. 23).
Hierzu hat der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung folgenden unbedingten Beweisantrag gestellt: „Wesentliche Ursache für die Entstehung von Hochbrüchen und Tagesbrüchen (= Gefahr) auf den Grundstücken Fl.Nrn. …5, …6, …7, …9 und …10, jeweils Gemarkung Kitzingen, sind die Umstände Tiefe der Grubenbaue unter GOK, Abbaugeometrie (Höhe und Breite der Abbaue bzw. Pfeiler oder Strecken), die Festigkeitseigenschaften des Gebirges insbesondere auch vorhanden Klüfte, Verwitterungsgrad etc., eventuell vorhanden Karsthohlräume, Wirkung von Wasser bzw. Frost-Tau-Wechsel und nicht die Errichtung der Wohngebäude gemäß der Baugenehmigungsbescheide vom 22.03.1968 (Wohngebäude …-Nord …b), vom 18.02.1966 (Wohngebäude …-Nord …c, vom 12.12.1977 (Wohngebäude …-Nord …d) durch Einholung eines Sachverständigengutachtens“.
Die Kammer hat diesen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung abgelehnt, weil hierdurch eine Tatsache bewiesen werden soll, die für die Entscheidung nicht von Bedeutung ist. Denn die Tatsache ist nicht geeignet, die gerichtliche Entscheidung in irgendeiner Weise zu beeinflussen (rechtliche Irrelevanz). Ein solcher Fall liegt vor, wenn der Klage aus anderen Gründen stattzugeben wäre. Dies ist hier der Fall.
Vorliegend war nämlich der Bescheid der Regierung von Oberfranken – Bergamt Nordbayern – vom 29. September 2015 aufzuheben und der Klage im Hauptantrag stattzugeben, weil der streitgegenständliche Bescheid sich aus anderen Gründen als der Störereigenschaft der Klägerin – nämlich wegen der nicht ordnungsgemäßen Ermessensausübung bzw. wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Bestimmtheit – zur Überzeugung der Kammer, den diese im Verlauf der mündlichen Verhandlung wie auch im Rahmen des gerichtlichen Erörterungstermins gewonnen hat, als rechtswidrig erweist. Damit konnte der Beweisantrag analog § 244 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 StPO wegen rechtlicher Irrelevanz abgelehnt werden. Die Sache war entscheidungsreif, durch die Einholung des Sachverständigengutachtens wäre die Entscheidung auf unabsehbare Zeit verzögert worden.
Nachdem sich der streitgegenständliche Bescheid – wie im Folgenden ausgeführt wird – aus anderen Gründen als rechtswidrig erweist, bedurfte auch die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage des richtigen Adressaten, also die Frage, ob die Klägerin als Handlungsstörer anzusehen ist, in diesem Verfahren keiner abschließenden Klärung.
2.4. Der streitgegenständliche Bescheid leidet hinsichtlich der Ausübung des Auswahlermessens bzgl. der angeordneten Maßnahmen an einem Ermessensausfall. Im Einzelnen:
2.4.1. Der Erlass von Anordnungen für den Einzelfall nach Art. 7 Abs. 2 LStVG liegt im Ermessen der Behörde. Die von dieser zu treffende Entscheidung umfasst sowohl die Frage, ob sie handeln will (Entschließungsermessen) als auch die Frage, wie sie handeln will (Auswahlermessen). Hinsichtlich des Auswahlermessens ist zu differenzieren zwischen der Frage, gegen wen eine Maßnahme ergriffen wird, und der Frage, welche von mehreren Maßnahmen ergriffen werden (Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 46). Dabei hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (Art. 40 BayVwVfG).
Ein Ermessensfehler liegt zunächst dann vor, wenn die Behörde überhaupt kein Ermessen ausgeübt hat (sog. Ermessensausfall), wenn sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschreitet (sog. Ermessensüberschreitung), wenn sie nicht alle nach Lage des Falles betroffenen Belange in ihre Ermessensentscheidung eingestellt, sie ihre Entscheidung also auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage getroffen hat (sog. Ermessensdefizit) und schließlich wenn von dem durch die Befugnisnorm eingeräumten Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist, die Behörde sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen oder ein Belang willkürlich falsch gewichtet (sog. Ermessensfehlgebrauch) worden ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rn. 14 ff.).
Ob die Ermessensausübung im Einzelfall pflichtgemäß oder fehlerhaft erfolgte, lässt sich nur anhand der nach Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG erforderlichen Begründung des Bescheids ermitteln (Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rn. 14 ff.). Eine bezüglich der Ermessensausübung fehlende oder unzureichende Begründung indiziert einen Ermessensnicht- oder -fehlgebrauch, sofern sich nicht aus den Umständen anderes ergibt. Die von Art. 39 Abs. 1 BayVwVfG verlangten Ermessensbegründungen haben verfahrensrechtlichen Charakter, geben also für die materielle Frage, ob Ermessen überhaupt oder missbräuchlich ausgeübt und seine Grenzen eingehalten worden sind, nur Anhaltspunkte, denen andere Belege, z.B. aus Aktenvermerken, gleich stehen (Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rn. 29 m.w.N.). Fehlt in einer gegebenen Begründung ein wesentlicher Gesichtspunkt, so spricht dies für die Annahme, dass dieser Punkt auch tatsächlich übersehen wurde (Eyermann, VwGO, § 114 Rn. 23). Das Fehlen einer Ermessensbegründung ist ein starkes Indiz für einen materiellen Ermessensausfall (Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rn. 29 m.w.N.).
2.4.2.  In der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids wird insoweit lediglich ausgeführt, dass bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG der Erlass von Anordnungen im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde stehe. Das Bergamt halte ein Einschreiten im öffentlichen Interesse für notwendig. Nur durch die unter den Ziffern 1 bis 3 und 5 erlassene Anordnung zur Verwahrung der Kalksteintiefbaue könne sichergestellt werden, dass die hochrangigen Rechtsgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der Nutzer der betroffenen Grundstücke geschützt würden. Mildere Mittel zur Gefahrenabwehr seien nicht ersichtlich (vgl. S. 10 des Bescheids vom 29.9.2015).
Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass im streitgegenständlichen Bescheid keinerlei Ausführungen zu anderen als den angeordneten Maßnahmen enthalten sind. Auch der Behördenakte lassen sich keine Anhaltspunkte entnehmen, dass irgendwelche Alternativmaßnahmen in die Entscheidung einbezogen worden wären. Damit wurden bei der Anordnung der Sicherungsmaßnahmen im streitgegenständlichen Bescheid offensichtlich Alternativmaßnahmen völlig außen vor gelassen, also überhaupt nicht in Betracht gezogen.
Derartige Alternativmaßnahmen zu der im Grundsatz in Ziffer 1 des Bescheids angeordneten Maßnahme der Verwahrung, um die bestehende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit an der Tagesoberfläche zu beseitigen, sind aber zur Überzeugung des Gerichts tatsächlich gegeben und hätten damit in die Auswahlentscheidung der Behörde einfließen müssen. Dies hat der Erörterungstermin wie auch die mündliche Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts zweifelsfrei ergeben.
Nach den fachkundigen Aussagen der von Klägerseite beigezogenen Sachverständigen Prof. Dr. K… und Dr. M… wie auch des von Beklagtenseite beigezogenen Sachverständigen Dr. … im Erörterungstermin bestehen durchaus Alternativen zu der in Ziffer 3 des Bescheids angeordneten Maßnahme der vollständigen, also der hohlraumfreien und kraftschlüssigen Verfüllung der Grubenbaue einschließlich vorhandener Hochbrüche mit einem hydraulisch abbindenden Material. So hat Herr Ltd. Bergdirektor D… auf die Frage des Gerichts, ob es Alternativen zu der angeordneten Maßnahme gebe, im Erörterungstermin erklärt, dass sich aus seiner Sicht insgesamt drei Alternativen stellten. Die erste Alternative sei die, die sie angeordnet hätten. Die zweite Alternative bestehe in einer offenen Baugrube und deren Verfüllung. Die dritte Alternative stelle sich dar als Erkundung und Verfüllung der Hohlräume über Bohrungslöcher. Herr Dr. … ergänzte, dass eine vierte Alternative in einer Kombination der letzten Alternative mit der angeordneten Maßnahme bestehe. Herr D… führte hierzu weiter aus, dass sich aus Behördensicht nur die Alternative 1 als die einzig Richtige dargestellt habe, die Alternativen 2 und 3 seien im konkreten Fall keine Alternativen gewesen.
Insbesondere haben Herr Prof. Dr. K… und Herr Dr. M… in diesem Zusammenhang die Möglichkeit einer vollständigen oder zumindest teilweisen Verfüllung über Bohrlöcher aufgezeigt. Herr Dr. … hat die weitere Variante, die Kombination aus einer Verfüllung – wie sie angeordnet wurde – und einer Verfüllung über Bohrlöcher aufgezeigt. Demgegenüber kann die pauschale Aussage des Ltd. Bergdirektors Dammer, dass die Alternative der Verfüllung der Hohlräume über Bohrlöcher keine Möglichkeit sei, um hier eine dauerhafte und nachsorgefreie Verwahrung im Hinblick auf das Sanierungsziel zu erreichen, nicht nachvollzogen werden. Die Ausführungen von Herrn Prof. Dr. K…, dass die Alternative der Verfüllung über Bohrlöcher im Altbergbau durchaus eingesetzt werde und diese hier durchaus als eine geeignete Alternative anzusehen sei, vermag demgegenüber zu überzeugen. Und zwar ebenso wie dessen weitere Aussage, dass sich die Frage stelle, ob man den ganzen Bereich vollständig hohlraumfrei verfüllen müsse oder ob nicht hiervon in Teilbereichen Abstriche gemacht werden können.
Letztlich hat es das Bergamt Nordbayern im Rahmen der getroffenen Entscheidung unterlassen, sämtliche im vorliegenden Fall in Betracht kommenden Maßnahmen zu ermitteln bzw. es hat jedenfalls alternative Maßnahmen nicht in seiner Entscheidung berücksichtigt. Weder aus der Begründung des Bescheids noch aus dem sonstigen Akteninhalt ergibt sich, dass das Bergamt alternativ in Betracht kommende Maßnahmen überhaupt in Erwägung gezogen hat. Dies überrascht umso mehr, als ausweislich der geotechnischen Stellungnahmen des Ingenieurbüros Dr. … GmbH vom 17. März 2015 und vom 4. Juni 2015 lediglich eine zeitnahe Erkundung, Sicherung und hohlraumfreie Verfüllung der Grubenbaue empfohlen wird. Aus welchen Gründen aus Sicht des Bergamtes nur die hohlraumfreie und kraftschlüssige Verfüllung die Gefahrenabwehr gewährleisten kann, wurde weder in der maßgeblichen Entscheidung noch im vorausgegangenen behördlichen Verfahren thematisiert. Darüber hinaus wurden nach den Angaben der Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung bei der Maßnahme der Deutschen Bahn Alternativen geprüft, die dann aber ausgeschieden wurden. Eine Alternativenprüfung wäre dann aber erst recht bei der Anordnung in Bezug auf die Grundstücke der Beigeladenen durchzuführen gewesen.
Darüber hinaus stellt sich vorliegend die Frage der Alternativen nicht nur hinsichtlich der Verwahrung, sondern schon hinsichtlich der weiteren Erkundung. Insoweit hat die Klägerseite zu Recht die Frage aufgeworfen, ob es erforderlich sei, dass die Erkundungsmaßnahmen erst durchgeführt werden könnten, wenn zuvor ein Schacht abgeteuft worden sei – wie dies die Beklagtenseite fordert – oder ob es (auch unter Kostengesichtspunkten) nicht eine einfachere Alternative darstellen würde, wenn der bisher von untertage nicht erkundete Bereich durch Bohrungen erkundet würde. Nach der Überzeugung der Kammer, die diese im Rahmen des Erörterungstermins bzw. der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, besteht durchaus neben der einzig von der Behörde angeordneten bergmännischen Erkundung im unmittelbaren Zusammenhang mit der Verwahrung die Möglichkeit einer Erkundung mittels Bohrlöcher. Hierzu hat Herr Dr. M… im Erörterungstermin erläutert, dass eine Erkundung über Bohrungen mittels leichten Bohrgeräts möglich und auch kostengünstig durchzuführen sei. Die Beklagtenseite ist dem in der mündlichen Verhandlung lediglich pauschal mit der Aussage gegenübergetreten, dass hierdurch nur Kosten verursacht würden, Schäden auftreten könnten und die Methode nicht dem Stand der Technik entspreche. Insbesondere diese letztgenannte Aussage des Sachverständigen Dr. … kann von Seiten der Kammer in keiner Weise nachvollzogen werden, zumal die Erkundung über Bohrlöcher auch von ihm selbst im Erörterungstermin noch als geeignete Maßnahme angesehen wurde. Jedenfalls hat Herr Prof. Dr. K… durchgängig im Erörterungstermin und in der mündlichen Verhandlung und für die Kammer nachvollziehbar erklärt, dass er hierin eine geeignete Alternative zur Erkundung untertage sehe. Er halte dies für eine sehr sinnvolle Maßnahme, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass hier ein sog. Kammer-Pfeiler-Abbau vorliege. So sei es hier möglich und sinnvoll, an den Grundstücksgrenzen quasi zu versuchen, in die Hohlräume zu bohren und so die Außengrenzen des Abbaus festzustellen, um dann in einem weiteren Schritt Bohrungen innerhalb des Grundstücks vorzunehmen. Sinn machen diese Bohrungen jedenfalls dann – so die ohne weiteres für die Kammer plausible und nachvollziehbare Aussage von Herrn Prof. Dr. K… –, wenn man über Alternativen zu der angeordneten Verwahrungsmaßnahme nachdenken würde. Denn es wäre dann erst nach der Erkundung zu entscheiden, ob beispielsweise eine Verfüllung über Bohrlöcher in Teilbereichen die kostengünstigere Variante wäre.
Schließlich fehlt aus Sicht der Kammer im streitgegenständlichen Bescheid eine Auseinandersetzung zu der Alternative eines mehrstufigen Vorgehens in dem Sinne, dass dem Störer zunächst lediglich die Erkundung und die Erstellung und Vorlage eines Sicherungskonzepts auferlegt wird und erst in einem weiteren Schritt – nach Bewertung und eventuell erforderlicher Anpassung des Sicherungskonzepts – die Beseitigung der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit an der Tagesoberfläche. Insoweit hat Herr Dr. M… bereits in der Stellungnahme vom 18. Januar 2016 darauf hingewiesen, dass es für die Erstellung des geforderten Sicherungskonzepts zwingend erforderlich sei, den Umfang und den Zustand des zu sichernden Bereiches zu kennen. Ohne vorherige ausreichende Erkundung sei es nicht möglich, ein fundiertes Sicherungskonzept auszuarbeiten. Herr Prof. Dr. K… hat hierzu im Rahmen des Erörterungstermins erklärt, dass die bisher durchgeführte Erkundung lediglich für die Erstellung eines Grobkonzepts ausreichend sei, nicht aber wenn es darum gehen solle, im Sicherungskonzept zusätzliche Alternativmaßnahmen aufzuzeigen. Angesichts dieser Einschätzungen ist im derzeitigen Verfahrensstadium – also ohne vollständige Erkundung und Vorlage eines Sicherungskonzepts – nicht auszuschließen, dass die angeordneten Maßnahmen zur vollständigen Verfüllung sich als nicht erforderlich erweisen bzw. dass nicht andere, weniger eingreifende Maßnahmen denkbar sind.
Damit ist aber die Ermessensentscheidung über die angeordneten Maßnahmen unter Berücksichtigung des § 114 Satz 1 VwGO ermessensfehlerhaft ergangen.
2.4.3. Zwar kann gemäß § 114 Satz 2 VwGO die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Die Regierung von Oberfranken hat in ihrer Stellungnahme vom 7. Mai 2018 Ausführungen zu Alternativmaßnahmen gemacht und explizit erklärt, von der Möglichkeit des Nachschiebens von Gründen Gebrauch zu machen.
Insoweit bedarf es aber einer Abgrenzung zwischen der bloßen Ergänzung defizitärer Ermessenserwägungen (insofern treffend der Wortlaut von § 114 Satz 2 VwGO) und der neuen Ermessensentschließung (Eyermann, VwGO, § 114 Rn. 90). Im Anwendungsbereich des § 114 Satz 2 VwGO liegen jedoch nur Fälle, in welchen bei einem Ermessensverwaltungsakt unvollständige Ermessenserwägungen ergänzt wurden, nicht hingegen jene, in denen es an Ermessenserwägungen bisher fehlte, das Ermessen also gar nicht ausgeübt wurde und nun erstmals ausgeübt wird oder wesentliche Teile der Ermessenserwägungen ausgetauscht oder erst nachträglich nachgeschoben wurden (Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rn. 50 m.w.N.; Eyermann, VwGO, § 114 Rn. 90).
Die ganz h.M. (vgl. BeckOK VwGO/Decker, § 114 VwGO Rn. 40 ff. m.w.N.) geht im Hinblick auf den Wortlaut „ergänzen“ in § 114 Satz 2 VwGO davon aus, dass ein (völliges) Auswechseln der Ermessenserwägungen ebenso nicht unter die Vorschrift subsumiert werden kann, wie eine erstmalige Begründung einer Ermessensentscheidung, z.B. weil erst im Prozess erkannt wird, dass der Behörde ein Ermessensspielraum eröffnet ist bzw. war (vgl. BVerfG, B.v. 9.7.2007 – 2 BvR 206/07 – NVwZ 2007, 1178). § 114 Satz 2 VwGO setzt mithin voraus, dass schon vorher bei der behördlichen Entscheidung Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts angestellt worden sind, das Ermessen also in irgendeiner Weise betätigt worden ist (OVG Lüneburg, B.v. 13.4.2007 – 2 LB 14/07 – BeckRS 2007, 22992; BayVGH, U.v. 18.1.2010 – 11 BV 08.789 – BayVBl 2010, 371).
Hier lagen im verwaltungsbehördlichen Verfahren einschließlich des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids hinsichtlich der Auswahlentscheidung bzgl. der Alternativen zu den angeordneten Maßnahmen keine unvollständigen Ermessenserwägungen vor. Vielmehr gab es hinsichtlich des Auswahlermessens bzgl. der Frage von Alternativmaßnahmen keine Ermessensentscheidung. Wenn nun aufgrund der Erkenntnisse des Erörterungstermins erstmals Ermessenserwägungen im Hinblick auf die Auswahl von Alternativen angestellt werden, liegt hierin kein Fall des Nachschiebens von Gründen i.S.d. § 114 Satz 2 VwGO. Der streitgegenständliche Bescheid leidet hinsichtlich der Ausübung des Auswahlermessens bzgl. der angeordneten Maßnahmen an einem Ermessensausfall und erweist sich deshalb als materiell rechtswidrig.
2.5. Darüber hinaus verstößt nach Auffassung der Kammer der streitgegenständliche Bescheid gegen den Grundsatz der hinreichenden Bestimmtheit und ist mit erheblichen Zweifeln an der Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) behaftet. Im Einzelnen:
2.5.1.  Nach Art. 8 Abs. 1 LStVG hat die Behörde unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenige zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt. Die – im Rahmen des Auswahlermessens – gewählte Maßnahme muss geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne (also angemessen) sein.
Ein Verwaltungsakt muss hinreichend bestimmt sein (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Dies ist keine Frage der formellen, sondern der materiellen Rechtmäßigkeit. Hinreichende Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes bedeutet, dass der Inhalt der getroffenen Regelung, der Entscheidungssatz, gegebenenfalls im Zusammenhang mit den Gründen und den sonstigen bekannten oder ohne weiteres erkennbaren Umständen, für die Beteiligten, insbesondere für den Adressaten des Verwaltungsaktes so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein muss, dass sie ihr Verhalten danach richten können. Der Entscheidungssatz muss aus sich heraus verständlich sein (Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 37 Rn. 5, 12). Zum anderen muss der Verwaltungsakt geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können (vgl. BVerwG, U.v. 15.2.1990 – 4 C 41/87 – juris Rn. 29).
2.5.2.  Zunächst stellt sich – worauf die Klägerseite in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat – die Frage nach dem räumlichen Umfang der Anordnung zur Erkundung und Verwahrung.
Allgemein wird in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids die Verpflichtung der Klägerin ausgesprochen, den „Bereich der Wohnbebauung … Nord …b, …c und …d in Kitzingen“ entsprechend dem unter der Ziffer 2 dargelegten räumlichen Umfang zu verwahren. In Ziffer 2 Absatz 1 wird festgelegt, dass sich die Anordnung auf die drei vg. Wohnbaugrundstücke sowie die Zuwegungsgrundstücke Fl.Nrn. …9 und …10 bezieht.
Von Klägerseite wurde insoweit gerügt, dass nicht klar sei, ob der räumliche Umfang der Erkundung und Verwahrung durch diese Grundstücksgrenzen begrenzt sei oder ob er darüber hinausgehe, wenn im nächsten Absatz in Satz 3 der Anordnung davon die Rede sei, dass sich „die Grubenbaue von hier weiter in östliche Richtung erstrecken und derzeit noch unbekannt sind“. Problematisch ist in der Tat, dass die in Absatz 2 Satz 1 der Anordnung hinsichtlich der Lage der Kalksteintiefbaue in Bezug genommenen Lagepläne der geotechnischen Stellungnahmen des Ingenieurbüros Dr. … GmbH Eintragungen enthalten, wonach sich der Abbaubereich über die Grenzen der vg. Grundstücke hinaus erstreckt. So finden sich hier auch Eintragungen, wonach der Abbaubereich hineinreicht in das nordwestlich des Grundstücks Fl.Nr. …7 (… Nord …d) gelegene Grundstück Fl.Nr. …1 und an das nordöstlich gelegene Grundstück Fl.Nr. …8 (vgl. geotechnische Stellungnahme, Lageplan vom 18.3.2015). Allerdings ist aus Sicht der Kammer der Wortlaut der Regelung in Absatz 2 der Ziffer 2 der Anordnung eindeutig, wenn dort davon die Rede ist, dass die risslich unbekannten Kalksteintiefbaue „unter den aufgeführten Grundstücken“ Bestandteil der angeordneten Verwahrungsmaßnahme sind. Mithin geht die Kammer davon aus, dass der räumliche Umfang der Anordnung in Ziffer 2 der streitgegenständlichen Anordnung eindeutig begrenzt ist durch die Grundstücke Fl.Nrn…5, …6, …7, …9 und …10, zumal auch in dem als Anlage 1 beigefügten Lageplan, der ausweislich des Satzes 2 des Absatzes 1 der Ziffer 2 der die von der Verpflichtung betroffenen Grundstücke festlegen soll, (nur) diese gelb markiert sind.
2.5.3. Allerdings liegt nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck des Gerichts hinsichtlich der angeordneten Maßnahme der hohlraumfreien und kraftschlüssigen Verfüllung der Grubenbaue ein Verstoß gegen den Grundsatz der Bestimmtheit vor, der mit erheblichen Zweifeln an einer Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) einhergeht. Im Einzelnen:
Das Bergamt Nordbayern hat in Ziffer 3 Absatz 3 des streitgegenständlichen Bescheids angeordnet, dass die Verwahrung „eine vollständige, d.h. hohlraumfreie und kraftschlüssige Verfüllung der Grubenbaue einschließlich vorhandener Hochbrüche mit einem hydraulisch abbindenden Material“ zu beinhalten habe. Aus der maßgeblichen Sicht des Empfängers ist nicht hinreichend klar, was unter einen „kraftschlüssigen Verfüllung“ zu verstehen ist und mit welchen Maßnahmen der Empfänger den Anforderungen einer wirksamen Gefahrenbeseitigung genügt.
Das Bergamt hat in der Bescheidsbegründung keinerlei Ausführungen dazu gemacht, was unter kraftschlüssiger Verfüllung zu verstehen und aus welchen Gründen diese – im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und hier insbesondere des Übermaßverbots – erforderlich ist.
Der Sachverständige Dr. M… von der Landesgewerbeanstalt Bayern hat in seiner Stellungnahme vom 18. Januar 2016 (richtig statt: 2015) erläutert, dass für eine kraftschlüssige Verfüllung so vorzugehen sei, dass zuerst der zu verwahrende Bereich mit Versatzdämmen abgegrenzt werde, um ein unkontrolliertes Auslaufen des Verfüllmaterials zu verhindern. Anschließend würden die vorhandenen Hohlräume mit hydraulisch abbindendem Material in fließfähiger Konsistenz verfüllt. Hierbei blieben im Firstbereich der Gewölbe Hohlräume. Um diese kraftschlüssig zu verfüllen, werde über Injektionslanzen, die vor der Verfüllung verlegt werden, mit Druck Verfüllmaterial eingepresst. Dieser Vorgang müsse bei Bedarf mehrmals wiederholt werden, bis keinerlei Hohlraum mehr verblieben sei. Bereits diese Schlussfolgerungen lassen sich aus dem Bescheid nicht zwingend ziehen.
Das Bergamt Nordbayern hat in seiner Stellungnahme vom 3. August 2016 (S. 6 f.) insoweit ausgeführt, dass im vorliegenden Fall die Herstellung einer kraftschlüssigen Verfüllung durch Nachinjektionen nicht erforderlich sei. Lediglich in Verbruchbereichen, welche bis zur Tagesoberfläche reichen, könne aber der Einsatz von Injektionen notwendig werden. Auch diese Differenzierung ist dem Bescheid in keiner Weise zu entnehmen.
Im Rahmen des Erörterungstermins erläuterte Herr Ltd. Bergdirektor D…, dass für ihn hohlraumfreie Verfüllung eine Verfüllung bedeute, ohne dass luftgefüllte Räume zurückblieben. Kraftschlüssige Verfüllung bedeute, dass zusätzlich hierzu die Kräfte zwischen dem Verfüllkörper und dem anstehenden Gebirge übertragen würden. Auf Frage des Gerichts erklärte Herr Dr. …, dass bei der Maßnahme der Deutschen Bahn hohlraumfrei verfüllt worden sei. Nur in ausgewählten Bereichen seien Nachinjektionen durchgeführt worden. Diese Nachinjektionen unter Druck würde er als kraftschlüssige Verfüllung bezeichnen. Die Vertreter des Bergamtes und deren Sachverständiger Dr. …, wie auch Herr Prof. Dr. K… und Herr Dr. M… waren sich schließlich im Erörterungstermin einig, dass „vorliegend eine hohlraumfreie Verfüllung ausreichend ist, um die Sicherheit an der Oberfläche herzustellen“.
Diese Aussagen im Erörterungstermin zugrunde gelegt, spricht vieles dafür, dass die in Ziffer 3 Absatz 3 Satz 1 der streitgegenständlichen Anordnung verlangte „kraftschlüssige Verfüllung der Grubenbaue“ zur Gefahrenabwehr im Bereich der betroffenen Wohngrundstücke nicht erforderlich war und vielmehr eine hohlraumfreie Verfüllung ausgereicht hätte, um der Gefahr für Leben und Gesundheit der sich hier aufhaltenden Personen entgegenzuwirken. Lediglich im Bereich der Verfüllung der Grubenbaue unter der Bahnstrecke wurde eine kraftschlüssige Verfüllung gewählt, da bereits minimale Veränderungen im Untergrund erhebliche Auswirkungen auf den Schienenverkehr haben könnten. Aus den Angaben der Sachverständigen im Erörterungstermin lässt sich jedoch nicht ableiten, dass auch im Bereich der Wohnbebauung eine derartige Maßnahme notwendig wäre. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass selbst durch ein Absenken um einige Zentimeter wohl keine Gefahr eines Tagesbruchs und damit auch keine relevante Gefahr für Leben und Gesundheit von Menschen bestehen kann. Es deutet damit alles darauf hin, dass die Anordnung einer in diesem Sinne verstandenen kraftschlüssigen Verfüllung über das erforderliche Maß zur Gefahrenabwehr hinausgehen würde, so dass ein Verstoß gegen das in Art. 8 Abs. 1 LStVG verankerte Übermaßverbot zu bejahen wäre.
Im Unterschied zum Erörterungstermin bestand dann allerdings im Rahmen der mündlichen Verhandlung zwischen den Beteiligten Uneinigkeit zu der Frage, was unter kraftschlüssiger Verfüllung zu verstehen sei. Herr Ltd. Bergdirektor D… erklärte, dass kraftschlüssige Verfüllung für ihn heiße, dass eine Verfüllung mit einem Baustoff erfolge, der lagestabil sei und die wirkenden Kräfte in das anstehende Gebirge übertrage. Herr Prof. Dr. K… erklärte, dass er die oben wiedergegebene Aussage von Herrn Dr. M… teile. Aus seiner Sicht seien ein Einpressen von Material und damit eine derart verstandene kraftschlüssige Verfüllung hier nicht erforderlich, da auch kleinere Hohlräume hingenommen werden könnten.
Letztlich bestehen nach Aktenlage und unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung erhebliche Unklarheiten, was unter der angeordneten kraftschlüssigen Verfüllung zu verstehen ist. Aus dem streitgegenständlichen Bescheid selbst kann jedenfalls nicht eindeutig entnommen werden, ob hierzu auch – wie von Herrn Dr. M… und Herrn Prof. Dr. K… und Herrn Dr. … im Rahmen des Erörterungstermins übereinstimmend angenommen – zu verstehen ist, dass mit Druck Verfüllmaterial einzupressen ist und insbesondere Nachinjektionen unter Druck vorzunehmen sind. Nach alldem weist der Bescheid hinsichtlich der Anordnung der kraftschlüssigen Verfüllung der Grubenbaue nicht die erforderliche Bestimmtheit auf und ist auch aus diesem Grund aufzuheben.
III.
Über den Hilfsantrag war aufgrund des Erfolges in der Hauptsache nicht mehr zu entscheiden.
IV.
Als Unterlegener hat der Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Eine Kostenbeteiligung der Beigeladenen war nicht veranlasst, weil sie sich nicht durch Antragstellung am Kostenrisiko beteiligt haben (§ 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO). Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Ausspruch über die sofortige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben