Baurecht

Erlöschen einer Baugenehmigung durch Aliud-Bauvorhaben und Änderungsgenehmigung

Aktenzeichen  M 11 K 15.1755

Datum:
30.6.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 134282
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 69
BauGB § 14, § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2
BayVwVfG Art. 43 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Eine Baugenehmigung ist erloschen, wenn die Bauherren bei der Ausführung von den genehmigten Bauvorlagen so wesentlich abgewichen sind, dass im Ergebnis nicht das genehmigte, sondern ein anderes Bauvorhaben, ein sogenanntes „aliud“ erstellt wurde. Ob und inwieweit die Errichtung eines Vorhabens trotz Abweichungen noch als ein Gebrauchmachen von einer hierfür erteilten Genehmigung angesehen werden kann, bemisst sich dabei nach den durch die planabweichende Ausführung geschaffenen und nicht etwa nach dem mit einer späteren Genehmigung erst angestrebten Zustand. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
2 Mit dem Begriff der Grundzüge der Planung bezeichnet das Gesetz die durch die Hauptziele der Planung bestimmte Grundkonzeption eines Bauleitplans. Beim Bebauungsplan manifestieren sich die Grundzüge in den seine Hauptziele umsetzenden Festsetzungen. Was zum planerischen Grundkonzept zählt, beurteilt sich jeweils nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Gemeinde. Unter welchen Voraussetzungen die Grundzüge der Planung berührt werden, lässt sich nicht allgemeingültig formulieren; maßgeblich ist die jeweilige Planungssituation.   (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Klage ist unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Erteilung der beantragten (Änderungs-)Baugenehmigung, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 BayBO. Der streitgegenständliche (Änderungs-)Bauantrag geht ins Leere, da die Baugenehmigung, auf die er sich bezieht, erloschen ist (nachfolgend unter 1.). Unabhängig davon ist auch der (Änderungs-)Bauantrag für sich betrachtet nicht genehmigungsfähig (nachfolgend unter 2.).
1. Eine Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung der mit dem streitgegenständlichen Bauantrag verfolgten Baugenehmigung kommt von vorneherein deswegen nicht in Betracht, weil die ursprüngliche Baugenehmigung vom 19. August 2009, auf welcher der streitgegenständliche Bauantrag aufbaut, erloschen ist. Dabei kann offen bleiben, ob es sich beim streitgegenständlichen Bauantrag nach dem Willen des Bauherrn um einen selbständigen Bauantrag oder um einen Änderungsantrag handelt (vgl. hierzu Gaßner in: Simon/Busse, BayBO 122. EL 2016, Art. 64 Rn. 46). Denn in jedem Fall setzt der streitgegenständliche Bauantrag hinsichtlich Vorhabensbezeichnung, Beschreibung und vor allem hinsichtlich der Bauvorlagen die Existenz der ursprünglichen Baugenehmigung von 2009 voraus; ohne diese, also nur für sich betrachtet, ist er in keinem Fall genehmigungsfähig. Dafür fehlte es schon daran, dass die streitgegenständlichen Bauvorlagen unter Zugrundelegung der Vorschriften der Bauvorlagenverordnung (BauvorlV) den Anforderungen nur genügen, wenn eine Bezugnahme auf die ursprüngliche Baugenehmigung möglich ist. Ohne diese ist der gegenständliche Bauantrag, der naturgemäß nur die Änderungen zum vermeintlich genehmigten Vorhaben darstellt, untauglich, abgesehen davon, dass der gegenständliche Bauantrag davon ausgeht, dass er auf einem bereits genehmigten Vorhaben aufbauen kann.
Die ursprüngliche Baugenehmigung vom 19.August 2009 ist erloschen, weil von ihr im Rechtssinne kein Gebrauch gemacht worden ist.
Nach Art. 69 Abs. 1 Hs. 1 BayBO hatte sie eine Geltungsdauer von vier Jahren, gerechnet von ihrer Unanfechtbarkeit an. Nachdem sie den Bauherrn am 27. August 2009 zugestellt worden war, verlor sie ihre Gültigkeit mit Ablauf des 27. August 2013. Zwar war zu diesem Zeitpunkt nach den unstreitigen Angaben der Beteiligten – nach Auskunft des Landratsamts datiert die Baubeginnsanzeige vom 28. Mai 2013 – zu diesem Zeitpunkt mit den Arbeiten bereits begonnen worden, wie es die genannte Vorschrift verlangt. Darauf kommt es hier jedoch nicht an. Denn die Baugenehmigung ist zu dem angegebenen Zeitpunkt deshalb erloschen (vgl. Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG), weil die Bauherren bei der Ausführung von den genehmigten Bauvorlagen so wesentlich abgewichen sind, dass im Ergebnis nicht das genehmigte, sondern ein anderes Bauvorhaben, ein sogenanntes „aliud“ erstellt wurde. Ob und inwieweit die Errichtung eines Vorhabens trotz Abweichungen noch als ein Gebrauchmachen von einer hierfür erteilten Genehmigung angesehen werden kann, bemisst sich dabei nach den durch die planabweichende Ausführung geschaffenen und nicht etwa nach dem mit einer späteren Genehmigung (wie hier der begehrten) erst angestrebten Zustand.
Als für die Identität eines Bauvorhabens wesentliche Merkmale wurden in der Rechtsprechung (vgl. hierzu Lechner in: Simon/Busse, BayBO, 122. EL Januar 2016, Art. 68 Rn. 120f.) Standort, Grundfläche, Bauvolumen, Zweckbestimmung, Höhe, Dachform oder Erscheinungsbild herausgestellt und hierbei geringfügige Abweichungen von vornherein für unbeachtlich erklärt. Die Annahme, ein Vorhaben sei wegen Abweichungen von der Baugenehmigung oder den genehmigten Bauvorlagen als ein „aliud“ zu betrachten, ist deshalb nur dann gerechtfertigt, wenn diese Abweichungen die Grenze einer gewissen „Erheblichkeit“ überschreiten. Wegen der Situationsgebundenheit des Eigentums und damit der Situationsbezogenheit der für die Zulassung von Bauvorhaben entscheidenden Umstände können bei der Bestimmung dieser Grenze nicht für alle Fälle gleiche Größen wie etwa in Zahlen ausdrückbare Maße angegeben werden. Ausschlaggebend ist vielmehr darauf abzustellen, ob die oder einige der Belange, die bei der Genehmigung des Vorhabens zu berücksichtigen waren, neuerlich oder ob andere oder zusätzlich andere Belange erstmals so erheblich berührt werden, dass sich die Zulässigkeitsfrage neu stellt. Dabei kommt es zunächst nicht darauf an, ob sich das planabweichend ausgeführte Vorhaben im Gegensatz zu dem genehmigten als nicht (mehr) genehmigungsfähig darstellt, wenngleich die fehlende Genehmigungsfähigkeit im Einzelfall ein Indiz für die Notwendigkeit einer neuen baurechtlichen Beurteilung bilden kann. Ebenso wird eine bereits von Anfang an gegebene und sich durch die Planabweichung intensivierende Unzulässigkeit vielfach das Erfordernis einer neuen baurechtlichen Prüfung anzeigen. Auf ein „aliud“ kann schließlich hinweisen, dass ein Vorhaben ohne Zerstörung seiner Substanz oder wesentlicher Teile mit der ursprünglich erteilten Genehmigung nicht in Übereinstimmung gebracht werden kann. Unter diesen Gesichtspunkten ist das bestehende Haus als „aliud“ zu qualifizieren.
Nahezu alle soeben genannten indiziell relevanten Merkmale liegen vor, so dass jedenfalls in ihrer Gesamtschau davon auszugehen ist, dass vorliegend ein „aliud“ errichtet wurde und nicht von der ursprünglichen Baugenehmigung vom 19. August 2009 Gebrauch gemacht wurde.
Im Einzelnen:
Ob es ausreicht, dass die im hier streitgegenständlichen neuen Bauantrag als einziges neu zu errichtendes Bauteil beantragte Schließung des Versprungs auf der Südwestseite des Gebäudes im Obergeschoss auch im Erdgeschoss nach Auskunft des Klägers zu 2) in der mündlichen Verhandlung (Sitzungsprotokoll S. 3 oben) nicht nur ohne Genehmigung, sondern gleichzeitig mit dem ursprünglichen Bau hergestellt wurde (Sitzungsprotokoll S. 2 unten: das Gebäude sei in einem Guss vor ca. 1 V Jahren errichtet worden“), kann dabei offen bleiben.
Insofern wäre zwar ein Unterschied zu machen zu der – hier auf Grund der Aussage des Klägers zu 2) nachgewiesenermaßen nicht vorliegenden – Situation, dass ursprünglich plankonform gebaut worden wäre und der Versprung erst nachträglich geschlossen worden wäre; dann würde allein deswegen kein aliud vorliegen, da dann von der ursprünglichen Baugenehmigung wenigstens dem äußeren Anschein nach Gebrauch gemacht worden wäre. Auf der Grundlage der hier vorliegenden Situation, in der die Bauherren gleich auch dem äußeren Anschein nach ein anderes Gebäude „hingestellt“ haben, würde es zwar in Betracht kommen, allein deswegen bereits ein „aliud“ anzunehmen, da der Versprung zwar flächenmäßig nicht viel, von der Wirkung her, wie sich das Gericht im Augenscheinstermin überzeugen konnte, aber sehr viel ausmacht. Darauf kommt es aber deswegen nicht an, weil auch eine Vielzahl weiterer Abweichungen zwischen dem ursprünglich genehmigten Plan und der tatsächlichen Ausführung zu verzeichnen sind.
Vergleicht man einerseits den genehmigten, vom 13. November 2008 datierenden Eingabeplan – Grundrisse, Ansichten, Schnitt mit den im hiesigen Verfahren eingereichten Bauvorlagen, so zeigen sich durchgehend erhebliche Abweichungen. Dabei lässt sich aus den im hiesigen Verfahren eingereichten Bauvorlagen datierend vom 2. Februar 2014 – Grundrisse, Ansichten, Schnitt wegen der entsprechend Anlage 1 Nr. 2 BauvorlV eingezeichneten Bestandsbebauung ablesen, wie das Vorhaben tatsächlich errichtet wurde.
Hinsichtlich der Grundrisse zeigen sich in allen drei Geschossen (Keller-, Erdund Obergeschoss) erhebliche Abweichungen bezogen sowohl auf die Errichtung als auch auf die genehmigte / tatsächlich vorhandene Nutzung, wobei letztere insbesondere deswegen relevant ist, weil sich insofern möglicherweise auch hinsichtlich der Genehmigungsfähigkeit andere Anforderungen stellen, was ebenfalls, wie oben dargelegt ein Indiz für das Vorliegen eines „aliud“ ist.
In allen drei Geschossen ist die Raumaufteilung komplett unterschiedlich. Die im Kellergeschoss mit Bescheid vom 18. August 2009 genehmigten Zwischenwände sind im Bestand größtenteils nicht umgesetzt. Im Erdgeschoss ist dagegen im Bestand eine Zwischenwand enthalten, die in dem genehmigten Plan fehlt. Im Obergeschoss wiederum sind die genehmigte Zwischenwand und die dadurch gegebene Raumaufteilung im Bestand nicht verwirklicht, dafür ist im Bestand ein im genehmigten Plan nicht enthaltenes WC eingebaut. Außerdem geht aus dem Vergleich der Baupläne hervor, dass die Treppen in sämtlichen drei Geschossen (!) komplett anders errichtet wurden als genehmigt. Auch die in den Plänen eingezeichneten Nutzungen stimmen mit einer teilweisen Ausnahme im Obergeschoss nicht überein.
Auch aus einem Vergleich der Ansichten und des Schnitts ergeben sich erhebliche Abweichungen zwischen dem ursprünglich genehmigten Plan und der tatsächlichen Ausführung. Aus sämtlichen Ansichten und dem Schnitt geht hervor, dass die Fenster und Fenstertüren komplett unterschiedlich sind, sowohl in der Anordnung als auch in der Anzahl.
Schließlich differiert auch die Stellplatzaufteilung und -anzahl, letztere kann sich ebenfalls auf die Genehmigungsfähigkeit auswirken. Obwohl die dargestellten Unterschiede bereits ausreichen, um in der erforderlichen Gesamtbetrachtung von einem errichteten „aliud“ und deswegen von einem Erlöschen der Baugenehmigung vom 19. August 2009 auszugehen, kommen noch weitere maßgebliche Umstände hinzu:
Nach dem oben Gesagten weist insbesondere der Umstand auf das Vorliegen eines „aliud“ hin, dass ein Vorhaben ohne Zerstörung seiner Substanz oder wesentlicher Teile mit der ursprünglich erteilten Genehmigung nicht in Übereinstimmung gebracht werden kann. Das liegt hier vor. Jedenfalls in Bezug auf den baugenehmigungswidrig geschlossenen Versprung im Erdgeschoss auf der Südwestseite ist das nämlich der Fall. Dieser kann ohne Substanzzerstörung wesentlicher Teile nicht rückgängig gemacht werden. Ob dieser im Wege der Befreiung legalisiert werden kann (dazu sogleich unter 2.) gehört begrifflich nicht zu der hier zu prüfenden Frage, ob ein „aliud“ vorliegt.
Zuletzt kann (siehe oben) auch die fehlende Genehmigungsfähigkeit im Einzelfall ein Indiz für die Notwendigkeit einer neuen baurechtlichen Beurteilung bilden. Auch diese ist hier gegeben. Denn zum Zeitpunkt des Baubeginns -nach der unwidersprochenen Angabe des Landratsamts datiert die Baubeginnsanzeige vom 28. Mai 2013 – war das Vorhaben so, wie es tatsächlich errichtet wurde, gar nicht (mehr) genehmigungsfähig. Denn spätestens Mitte 2012 war u.a. für das Vorhabensgrundstück erstmals die Veränderungssperre der Beigeladenen zur Sicherung des mittlerweile in Kraft getretenen Bebauungsplans erlassen worden. Danach war das Vorhaben wegen der mit den Versprüngen – sowohl mit dem genehmigten im Obergeschoss als auch mit dem nichtgenehmigten, tatsächlich aber gleichzeitig errichteten im Erdgeschoss – ausgelösten Überschreitung der Baugrenzen nicht mehr genehmigungsfähig, allerdings mit dem Unterschied, dass der obergeschossige Vorsprung deswegen, weil er Teil der Baugenehmigung vom 19. August 2009 war, formellen Bestandsschutz genossen und für sich genommen hätte errichtet werden dürfen, wohingegen der erdgeschossige Vorsprung jedenfalls einen sog. Schwarzbau darstellte. Durch die gemeinsame Errichtung fehlte dem Vorhaben jedoch ab dann insgesamt die Genehmigungsfähigkeit; der formelle Bestandsschutz ist durch das Erlöschen der Baugenehmigung nicht mehr gegeben.
2. Unabhängig davon ist das Vorhaben auch deswegen nicht genehmigungsfähig, weil jedenfalls die Anpassung der Kubatur nicht genehmigungsfähig ist, was insgesamt zu einer Nicht-Genehmigungsfähigkeit des Antrags führt, ohne dass es darauf ankommt, ob die mitbeantragte Nutzungsänderung für sich genommen genehmigungsfähig wäre.
Die Anpassung der Kubatur, i.e. die Schließung des obergeschossigen Versprungs auf der südwestlichen Gebäudeseite auch im Erdgeschoss, ist bauplanungsrechtlich unzulässig, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Var. 1 BayBO, § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 78 für das Gebiet „Ortszentrum …“ Teilbebauungsplan 1 der Beigeladenen.
Der Bauantrag beurteilt sich in bauplanungsrechtlicher Hinsicht nach den Festsetzungen dieses Bebauungsplans. Der Streit zwischen den Beteiligten um die Frage, von wann bis wann genau die den damals noch in Aufstellung befindlichen Bebauungsplan sichernde Veränderungssperre galt, ist hierfür nicht relevant. Denn zum Entscheidungszeitpunkt für diese Klage, das ist der Tag der mündlichen Verhandlung, war der Bebauungsplan unstreitig in Kraft, so dass es auf die Veränderungssperre nicht mehr ankommt.
Die Festsetzung des Bebauungsplans unter Nr. I. 3.1 bzw. 3.2 i.V.m. den zeichnerischen Festsetzungen bedeutet für das streitgegenständliche Vorhaben, dass dieses die überbaubaren Grundstücksflächen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB) überschreitet, damit den Festsetzungen widerspricht und unzulässig ist.
Eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB kann hierfür nicht erteilt werden, weil es bereits an der Voraussetzung fehlt, dass die Grundzüge der Planung dadurch nicht berührt werden, so dass es nicht darauf ankommt, ob das Landratsamt zu Recht darauf hinweist, dass eine Befreiung nicht beantragt wurde.
Mit dem Begriff der Grundzüge der Planung bezeichnet das Gesetz die durch die Hauptziele der Planung bestimmte Grundkonzeption eines Bauleitplans (BayVGH, B.v.17.11.2016 – 15 ZB 15.468 -, juris Rn. 9 m.w.N.). Beim Bebauungsplan manifestieren sich die Grundzüge in den seine Hauptziele umsetzenden Festsetzungen (vgl. König, Baurecht Bayern, 5. Aufl. 2015 Rn. 431). Was zum planerischen Grundkonzept zählt, beurteilt sich jeweils nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Gemeinde. Unter welchen Voraussetzungen die Grundzüge der Planung berührt werden, lässt sich nicht allgemeingültig formulieren; maßgeblich ist die jeweilige Planungssituation. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwider läuft. Je tiefer die Befreiung in den mit der Planung gefundenen Interessenausgleich eingreift, desto eher liegt es nahe, dass das Planungskonzept in einem Maße berührt wird, das eine (Um-)Planung erforderlich macht (vgl. BVerwG, B.v.05.03.1999 – 4 B 5.99 -, NVwZ 1999, 1110; B.v.19.05.2004 – 4 B 35.04 -, BRS 67 Nr. 83; U.v.18.11.2010 – 4 C 10/09 -, BVerwGE 138, 166 = juris Rn. 37).
Danach gehören die von der Beigeladenen festgesetzten Baufenster zu den Grundzügen ihrer Planung.
Ausweislich der Begründung des Bebauungsplans ging es der Beigeladenen mit dem Bebauungsplan gerade und hauptsächlich darum, die Nachverdichtung nicht noch stärker ausgreifen zu lassen, sondern sie im Wesentlichen auf dem jetzigen Stand „einzufrieren“. Zum Teil wird hinsichtlich einiger Grundstücke auch versucht, ein geringeres Baurecht als bisher festzusetzen. Gerade auch das Zurücksetzen von Baugrenzen ist ein maßgebliches Ziel der Bauleitplanung der Beigeladenen. Vor diesem Hintergrund gehört die Festsetzung der Baufenster zu den Grundzügen der Planung, von der eine Befreiung nicht möglich ist. Es handelt sich auch bezogen auf die Flächensteigerung nicht um eine völlig unwesentliche Überschreitung. Für die Befreiung spricht lediglich der besondere Umstand, auf den der Klägerbevollmächtigte auch hinweist, dass die Überschreitung im Obergeschoss faktisch bereits geschehen ist. Doch auch abgesehen davon, dass insoweit, sogar bezogen auf das ganze Gebäude, keine Baugenehmigung vorliegt (dazu oben 1.), ändert dieser Umstand nichts daran, dass dadurch die Grundzüge der Planung berührt würden. Denn die Beigeladene hat sich ausweislich der Begründung (dort S. 3) zu ihrem Bebauungsplan, zu dieser Planung u.a. auch deswegen entschlossen, um bereits geschehenen „Fehlentwicklungen entgegenzuwirken“. Das bedeutet, dass auch das nur erdgeschossige Überschreiten der Baugrenze einen Grundzug der Planung berührt und damit nicht befreiungsfähig ist.
Nach alledem ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO sowie aus § 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene hat einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt (§ 154 Abs. 3 Hs. 1 VwGO), weshalb es der Billigkeit entspricht, dass die unterliegenden Kläger die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen haben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708ff. ZPO.


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