Baurecht

Erschließung eines Baugrundstücks

Aktenzeichen  15 ZB 20.1366

Datum:
7.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24723
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2, Art. 63 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Eine Erschließung in der in Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO genannten Konstellation ist nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn es sich um Wohnbebauung handelt. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 5 K 19.130 2020-04-30 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 80.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung zum Ausbau eines Bestandsgebäudes zu einer Pension mit 24 Zimmern und 59 Betten im EG (gewerbliche Zimmervermietung – nicht Bordell) sowie eines Büros mit Betriebsleiterwohnung im OG auf FlNr. … Gemarkung L … (Baugrundstück).
Das Baugrundstück liegt nicht an einer öffentlichen Verkehrsfläche, sondern grenzt im Westen an die FlNrn. … … und … Gemarkung L …, die an der Z …straße anliegen. Diese Grundstücke stehen derzeit noch im Eigentum des Klägers und sind mit Geh- und Fahrtrechten für das Baugrundstück belastet. Der Kläger hat die Grundstücke aber im Jahr 2016 mit notariellem Kaufvertrag verkauft und es sind Auflassungsvormerkungen im Grundbuch eingetragen. Besitz, Nutzen und Lasten der Grundstücke sind im Jahr 2016 auf den Erwerber übergegangen. Der Kläger hat vorgetragen, dass eine Veränderung der Grundstückssituation nicht möglich sei, da der Erwerber daran kein Interesse habe.
Die Beklagte hat die Erteilung einer Baugenehmigung unter Hinweis auf Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 BayBO mit Bescheid vom 2. Januar 2019 abgelehnt. Das Vorhaben widerspreche den bauordnungsrechtlichen Vorschriften, da die Erschließung i.S.d. Art. 4 BayBO nicht gesichert sei. Eine Ausnahme nach Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO sei nicht gegeben, da es sich nicht um ein Wohngebäude handele, sondern um eine gewerbliche Nutzung. Es könne auch keine Abweichung nach Art. 63 BayBO erteilt werden, da keine atypische Grundstückssituation vorliege. Werde das Baugrundstück mit dem Wegegrundstück FlNr. … verschmolzen, wäre es hinreichend erschlossen.
Die Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der begehrten Baugenehmigung hat das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 30. April 2020 abgewiesen. Ob angesichts der Tatsache, dass der Kläger zwar noch formal Eigentümer der unmittelbar an die öffentliche Verkehrsfläche angrenzenden Grundstücke sei, hinsichtlich der bauplanungsrechtlichen Erschließung noch von einer Eigentümeridentität ausgegangen werden könne oder die eingetragene Grunddienstbarkeit bauplanungsrechtlich eine auf Dauer angelegte, ausreichende Sicherung der Erschließung bewirke, könne dahinstehen, denn es fehle an einer den bauordnungsrechtlichen Vorschriften entsprechenden gesicherten Erschließung des Hinterliegergrundstücks. Eine Abweichung, die vom Kläger schon nicht beantragt worden sei, könne nicht erteilt werden, da die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO nicht vorlägen. Es könne dabei dahinstehen, ob im Rahmen einer Abweichung von Art. 4 BayBO weiterhin eine atypische Grundstückssituation erforderlich sei, denn im vorliegenden Fall sei die Erteilung einer Abweichung unter Berücksichtigung des Zwecks der Vorschrift nicht mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Die Erteilung einer Abweichung dürfe nicht zur beliebigen Korrektur der vom Gesetzgeber im öffentlichen Interesse getroffenen gesetzlichen Regelung führen. Private Interessen des Bauherrn, mögen sie auch noch so berechtigt sein, rechtfertigten dagegen grundsätzlich – abgesehen von den Fällen einer unbeabsichtigten Härte – keine Abweichung von den gesetzlich angeordneten Rechtsfolgen. Der Kläger sei weiterhin Eigentümer der unmittelbar an der öffentlichen Verkehrsfläche anliegenden Grundstücke FlNrn. … … und … Es wäre ihm ohne weiteres möglich gewesen, durch eine Verschmelzung des Hinterliegergrundstücks mit dem Zufahrtsgrundstück FlNr. … sicherzustellen, dass auch das schon bebaute Grundstück FlNr. … in einer angemessenen Breite an einer öffentlichen Verkehrsfläche anliege. Würde man auch in den Fällen, in denen der Bauherr sich durch sein eigenes Verhalten die Möglichkeit nimmt, die gesetzlichen Anforderungen einzuhalten, anschließend das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung von eben diesen gesetzlichen Anforderungen bejahen, machte dies die gesetzliche Regelung und die damit vom Gesetzgeber verfolgte Zielsetzung obsolet.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem die Beklagte entgegentritt. Das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass eine Abweichung auch im vorliegenden Fall möglich bleiben müsse, da der Kläger rechtlicher Laie sei und in Bezug auf die Teilung der Flurstücke wie auch in Bezug auf die Veräußerungen durch fachkundige Notare betreut worden sei. Die Notare hätten ihn nicht darauf hingewiesen, dass durch die Teilung und Veräußerung der Grundstücke rechtliche Probleme im Hinblick auf die Erschließung des Hinterliegergrundstücks entstehen könnten. Eine Abweichung könne auch nicht daran scheitern, dass es zu früheren Zeitpunkten alternative Lösungsmöglichkeiten gegeben habe. Die hier praktizierte Form der Erschließung eines Hinterliegers durch die Einräumung von Geh- und Fahrtrechten werde in zahlreichen Fällen als ausreichend betrachtet. Die Erteilung einer Abweichung von Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 BayBO sei mehr oder weniger gleichwertig. Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung seien gegeben und die Beklagte habe ein entsprechendes Ermessen. Eine Abweichung sei auch mit dem umfangreichen Schriftverkehr beantragt worden. Bereits der Umstand, dass der Notar nicht auf die Problematik hingewiesen habe, verleihe der Rechtssache besondere rechtliche Schwierigkeit. Im Übrigen werde auf den Vortrag in erster Instanz verwiesen. Dort wird insbesondere ausgeführt, die Erschließung sei gesichert, da der Kläger weiterhin Eigentümer aller Grundstücke sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Mit der Antragsbegründung, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungsverfahren beschränkt (BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI-04 – VerfGHE 59, 47/52; E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 124a Rn. 54), werden die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Solche Zweifel liegen (nur) vor, wenn der Rechtsmittelführer einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453.12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16; B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587.17 – DVBl 2019, 1400 Rn. 32 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall.
Unabhängig davon, ob der Verweis auf den erstinstanzlichen Vortrag überhaupt beachtlich ist (vgl. Happ a.a.O. § 124a Rn. 59), kann nicht davon ausgegangen werden, dass auch hinsichtlich der notwendigen bauordnungsrechtlichen Erschließung von einer Eigentümeridentität ausgegangen werden kann, denn die Grundstücke werden gerade nicht einheitlich genutzt und der Kläger hat es nach Übergang von Besitz, Nutzen und Lasten im Jahr 2016 an den Käufer nach seinen eigenen Ausführungen nicht mehr in der Hand, die bauordnungsrechtlichen Anforderungen an die Erreichbarkeit des Hinterliegergrundstücks zu erfüllen (vgl. BVerwG, U.v. 28.3.2007 – 9 C 4.06 – BVerwGE 128, 246 Leitsatz).
Soweit der Kläger mit seiner Antragsbegründung geltend macht, die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 BayBO lägen vor, sind damit keine ernstlichen Zweifel an der Auffassung des Verwaltungsgerichts dargelegt. Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von den Anforderungen dieses Gesetzes zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 BayBO vereinbar sind. Dabei kommen drei Fallgruppen in Betracht. Die erste Fallgruppe umfasst die Konstellationen, in denen die Ziele der gesetzlichen Anforderung ebenso gut, aber auf andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise erreicht werden können. Die zweite Gruppe umfasst die Fälle, in denen die Ziele unabhängig von den Anforderungen der jeweiligen Norm erreicht werden können. In der dritten Fallgruppe werden die Ziele zwar verfehlt, die Zurückstellung der Ziele ist aber mit den öffentlichen Belangen vereinbar, weil andere öffentliche oder private Belange überwiegen und eine Zurückstellung des gesetzlichen Ziels erfordern (vgl. Dhom/Simon in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand Januar 2020, Art. 63 Rn. 22, 30). Das Verwaltungsgericht ist unter Hinweis auf die Kommentarliteratur hier davon ausgegangen, dass die Ziele der gesetzlichen Vorschrift nicht erreicht werden und die Zurückstellung der Ziele auch nicht mit den öffentlichen Belangen vereinbar sei, da private Interessen, abgesehen von Fällen einer unbeabsichtigten Härte, keine Abweichung rechtfertigten. Das Verhalten des Klägers, sich durch eine Grundstücksteilung selbst den Zugang zur öffentlichen Straße abzuschneiden, stelle keine unbeabsichtigte Härte dar. Dem hält der Kläger nur entgegen, er sei juristischer Laie und die Notare hätten ihn nicht hinreichend beraten, ohne darzulegen, ob einem Notar überhaupt eine Beratung zu baurechtlichen Fragen obliegt und welche Fragen mit dem Notar konkret geklärt wurden. Aus welchen Gründen es sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts um eine unbeabsichtigte Härte handeln sollte, bei der auch eine Zurückstellung der Ziele des Gesetzes zugunsten privater Belange möglich sein soll, wird nicht weiter ausgeführt. Auch die Behauptung, die Erschließung eines Hinterliegers in der vorliegenden Form werde in zahlreichen Fällen als ausreichend betrachtet, berücksichtigt nicht, dass eine solche Erschließung in der in Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO genannten Konstellation nur dann ausnahmsweise zulässig ist, wenn es sich um Wohnbebauung handelt und die Umstände auf dem klägerischen Grundstück diesen Voraussetzungen gerade nicht entsprechen. Damit kann die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht in Zweifel gezogen werden.
Es kann daher dahinstehen, ob eine Abweichung nach Art. 63 BayBO von einem gesetzlich vorgesehenen Abweichungstatbestand (hier Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 BayBO) überhaupt möglich ist (verneinend König in Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 4. Auflage 2012, Art. 63 Rn. 5; einschränkend Dhom/Simon a.a.O. Art. 63 Rn. 20).
Darüber hinaus braucht auch nicht entschieden zu werden, ob im Fall des selbst herbeigeführten Fehlens der bauordnungsrechtlichen Erschließung, das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde ohnehin regelmäßig dahingehend reduziert ist, dass eine Abweichung nicht in Betracht kommt. Jedenfalls würde es wohl nicht genügen, wenn der Bauwerber behauptet, der Erwerber sei nicht bereit, an einer Bereinigung der Situation mitzuwirken, sondern er müsste zumindest nachweisen, dass er alle rechtlichen Möglichkeiten (z.B. Anfechtung des Kaufvertrags und Klage gegen den Erwerber) erfolglos ausgeschöpft hat. Ansonsten wäre Umgehungsmöglichkeiten Tür und Tor geöffnet.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Dazu müsste das Verfahren das normale Maß erheblich übersteigende Schwierigkeiten aufweisen (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 15 ZB 17.635 – juris Rn. 37; B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 42 m.w.N.). Solche Schwierigkeiten werden mit der Antragsbegründung nicht substantiiert aufgezeigt und liegen auch nicht vor. Aus dem Umstand, dass die Notare den Kläger bezüglich der bauordnungsrechtlichen Situation seiner Auffassung nach nicht hinreichend beraten haben, ergeben sich keine solche Schwierigkeiten, denn der Kläger legt schon nicht dar, dass die Notare zu einer solchen Beratung verpflichtet sind.
3. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 2 VwGO) zu tragen.
4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 9.1.2.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Eyermann, VwGO, Anhang) und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag, gegen den die Beteiligten keine Einwände erhoben haben.
5. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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