Baurecht

Erschließungsbeitragspflicht bei Zweiterschließung und Erschließungseinheit

Aktenzeichen  6 ZB 21.20

Datum:
9.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4234
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, Nr. 4, Nr. 5, § 124a Abs. 5 S. 2
BayKAG Art. 5a
BauGB § 125 Abs. 2, § 129 Abs. 1 S. 1, § 130 Abs. 2 S. 3, § 131 Abs. 1, § 132 Nr. 4, § 133 Abs. 1, Abs. 2 S. 1
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine vorhandene (historische) Straße, die nach Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts entzogen ist, liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 Erschließungsfunktion besessen hat und für diesen Zweck endgültig hergestellt war.(Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist grundsätzlich rechtlich nicht zu beanstanden, wenn eine Gemeinde etwa wegen der vorhandenen Bebauung und des geringen Verkehrsaufkommens auf die ursprünglich beabsichtigte Beseitigung einer Engstelle oder die Anlegung einer Wendeanlage verzichtet. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Von der Einholung eines Sachverständigengutachtens darf abgesehen werden, wenn das Gericht durch Anwendung allgemeinkundiger Tatsachen, von denen sich verständige und erfahrene Menschen jederzeit durch Benutzung allgemein zugänglicher Erkenntnisquellen unschwer überzeugen können, entscheiden kann.(Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 3 K 18.949 2020-09-24 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 24. September 2020 – W 3 K 18.949 – in seinem klageabweisenden Teil wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 59.233,45 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts in seinem klageabweisenden Teil zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Die innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 VwGO greifen nicht durch (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 83.266,76 Euro für die erstmalige und endgültige Herstellung des H …wegs, den die beklagte Stadt mit der abzweigenden Stichstraße P.weg als Erschließungseinheit zusammen abgerechnet hat (Beitragsbescheid der Beklagten vom 17.1.2018; Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 10.7.2018). Sie ist Eigentümerin des 5.938 qm großen, gewerblich genutzten und mit einer Halle bebauten Buchgrundstücks mit den FlNrn. … und …, das im Süden auf einer Länge von etwa 32 m an den H H1.weg angrenzt. Um eine ebene Nutzfläche auf dem ursprünglich hängigen Gelände zu ermöglichen, wurde von einem früheren Eigentümer im Jahr 1954 auf dem Grundstück – unter anderem – entlang der Grenze zum H H1.weg eine 6 m hohe öffnungslose Mauer errichtet. An das öffentliche Verkehrsnetz ist das Grundstück der Klägerin über die westlich verlaufende G H2. Straße angebunden.
Ihrer Klage hat das Verwaltungsgericht nach Einnahme eines Augenscheins mit Urteil vom 24. September 2020 teilweise stattgegeben und den Beitragsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids unter Abweisung der Klage im Übrigen insoweit aufgehoben, als die Klägerin zu einem höheren Erschließungsbeitrag als 59.233,45 Euro veranlagt worden ist. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte habe mit Beschluss des Planungs- und Verkehrssenats vom 18. September 2012 wirksam den H H1.weg und den P.weg als Erschließungseinheit zusammengefasst. Beide Straßen seien als Erschließungsanlagen erst durch die abgerechneten Baumaßnahmen endgültig hergestellt worden. Die Beklagte habe den umlagefähigen Aufwand richtig berechnet. Die Klägerin habe keine nachvollziehbaren Tatsachen und Beweismittel angegeben, die ihr umfangreiches Bestreiten substantiieren könnten. Die sachliche Beitragspflicht sei am 7. November 2017 entstanden, als die Beklagte ihr weitergehendes Bauprogramm für den P.weg aufgegeben und eine Abwägungsentscheidung nach § 125 Abs. 2 BauGB getroffen habe. Das klägerische Grundstück werde durch den H H1.weg erschlossen. Es liege in einem Mischgebiet, so dass ein Heranfahrenkönnen an das Grundstück ausreiche. Die 6 m hohe Mauer an der Grenze zur Straße sei ein selbst geschaffenes Hindernis und damit unbeachtlich. Die Beklagte habe zurecht keine Ermäßigung für eine Mehrfacherschließung gewährt, aber zu Unrecht einen Artzuschlag für das klägerische Grundstück angesetzt.
2. Die vielfältigen materiellen und verfahrensrechtlichen Einwände, die in der Zulassungsschrift gegen das erstinstanzliche Urteil in seinem klageabweisenden Teil vorgebracht werden, führen unter keinem Gesichtspunkt zur Zulassung der Berufung. Soweit die Klägerin meint, ein Gewerbezuschlag (grundstücksbezogener Artzuschlag nach § 6 Abs. 10 Satz 1 EBS) hätte nicht angesetzt werden dürfen, übersieht sie, dass das Verwaltungsgericht ihr insoweit gefolgt ist (S. 50 f. des Urteils) und den Beitragsbescheid hinsichtlich des entsprechenden Beitragsteils von 24.033,31 Euro aufgehoben hat.
a) An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils in seinem klageabweisenden Teil bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Solche Zweifel wären begründet, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat mit ausführlichen und überzeugenden Erwägungen ausgeführt, dass die Klägerin dem Grunde nach und in der noch streitigen Höhe nach Art. 5a KAG in Verbindung mit §§ 128 ff. BauGB erschließungsbeitragspflichtig ist. Der Zulassungsantrag hält dem erstinstanzlichen Urteil nichts Stichhaltiges entgegen, das Zweifel an seiner Richtigkeit begründet und weiterer Prüfung in einem Berufungsverfahren bedarf.
aa) Der Einwand, aus der maßgeblichen „subjektiven Sicht des Bürgers“ sei die abgerechnete Straße als historische Straße schon seit 1845 vorhanden gewesen und dürfe heute nicht mehr erschließungsbeitragsrechtlich abgerechnet werden, geht an der Rechtslage vorbei.
Eine vorhandene (historische) Straße, die nach Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG (früher § 242 Abs. 1 BauGB) dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts entzogen ist, liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 Erschließungsfunktion besessen hat und für diesen Zweck endgültig hergestellt war (vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2017 – 6 ZB 17.840 – juris Rn. 13 m.w.N.). Beide Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht mit zutreffender Begründung verneint. Das von der Zulassungsschrift als Beleg für eine „subjektive“ Betrachtungsweise entgegengehaltene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 15.5.2013 – 9 C 3.12 – NVwZ 2013, 1293) betrifft eine gänzlich andere Fragestellung, nämlich die Auslegung und Anwendung des § 132 Nr. 4 BauGB, wonach die Merkmale der endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage durch Satzung zu regeln sind.
bb) Ebenfalls ohne Erfolg bleibt die Rüge, das Verwaltungsgericht habe die Bildung einer Erschließungseinheit aus den Straßen H H1.weg und P.weg zu Unrecht als wirksam angesehen.
Die Zulassungsschrift verkennt schon im Ausgangspunkt, dass die gemeinsame Abrechnung von Hauptstraße (H H1.weg) und funktional abhängiger Nebenstraße (P.weg) nach § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB grundsätzlich und nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts auch im konkreten Fall dazu dient, die Anlieger an der Hauptstraße (darunter die Klägerin) gegenüber einer Einzelabrechnung der Anlagen zu entlasten; die Anlieger an der Nebenstraße sollen durch die gemeinsame Abrechnung an den regelmäßig höheren Kosten für die Herstellung der auch ihnen vorteilhaften Hauptstraße beteiligt werden (vgl. BayVGH, B.v. 14.12.2020 – 6 B 20.1619 – juris Rn. 25).
Das Verwaltungsgericht hat im Übrigen zu Recht ausgeführt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Zusammenfassungsentscheidung vorgelegen haben, insbesondere die sachlichen Beitragspflichten für die einzelnen Anlagen noch nicht entstanden waren, und die Entscheidung der Beklagten vom 18. September 2012 frei von Ermessensfehlern ist. Die gegenteiligen Behauptungen in der Zulassungsschrift sind nicht plausibel und bedürfen keiner weiteren Klärung. Die Vermutung, die Überlegungen der Beklagten seien „allein aus Gründen der Abrechenbarkeit“ erfolgt, deutet nicht etwa auf einen Ermessensfehler hin, sondern entspricht gerade dem Gesetzeszweck.
cc) Die weitere Rüge, entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei der Beschluss des Planungs- und Verkehrssenats der Beklagten vom 7. November 2017 über die Abwägungsentscheidung und die Aufgabe des ursprünglichen Bauprogramms für den P.weg wegen der dort verbleibenden verkehrsgefährdenden Engstelle willkürlich, greift nicht durch.
Sie spricht zwei gemeindliche Entscheidungen an, die rechtlich zu unterscheiden und vom Verwaltungsgericht dementsprechend differenziert erörtert worden sind: zum einen die Änderung des formlosen Bauprogramms für den P.weg als Maßstab für die Beurteilung, welche flächenmäßigen Teileinrichtungen in welchem Umfang die Gesamtfläche dieser Straße in Anspruch nehmen sollen, damit sie als Erschließungsanlage endgültig hergestellt im Sinn von § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB gilt (S. 28, 29 des Urteils), zum anderen die bebauungsplanersetzende Abwägungsentscheidung nach § 125 Abs. 2 BauGB als weitere Voraussetzung für das Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflichten (S. 28, 30 bis 36 des Urteils).
Die Rüge der Klägerin vermag schon deshalb keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zu begründen, weil sie den differenzierten, normorientierten und auf den Einzelfall abstellenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts lediglich die eigene Wertung entgegensetzt, die verbleibende Engstelle von 4,0 m unterschreite die nach den einschlägigen Regelwerken zwingend erforderliche Mindestausbaubreite von 4,35 m, was auch unter einen vom Verwaltungsgericht nicht beachteten Sachverständigenbeweis gestellt worden sei. Dabei übersieht die Klägerin, dass die in Rede stehende Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06) ebenso wie die frühere Empfehlung für die Anlage von Erschließungsstraßen (EAE 85/95) nur empfehlenden Charakter hat. Ihr kommt keine verbindliche Wirkung im Sinn einer Norm zu. Die Gemeinden können bei der Planung anhand der konkreten örtlichen Situation im notwendigen Umfang hiervon abweichen. Es ist deshalb grundsätzlich rechtlich nicht zu beanstanden, wenn eine Gemeinde etwa wegen der vorhandenen Bebauung und des geringen Verkehrsaufkommens auf die ursprünglich beabsichtigte Beseitigung einer Engstelle oder die Anlegung einer Wendeanlage verzichtet (etwa BayVGH, B.v. 23.2.2015 – 6 ZB 13. 978 – juris Rn. 15). Etwas anderes gilt erst dann, wenn die Gemeinde im Rahmen ihrer planerischen Gestaltungsfreiheit die Belange des Verkehrs in unvertretbarer Weise missachtet hätte, d.h. wenn die gewählte Lösung im Hinblick auf die Anforderungen des Verkehrs schlechthin nicht akzeptabel wäre (BayVGH, B.v. 30.10.2013 – 6 ZB 11.245 – juris Rn. 10). Davon kann indes mit Blick auf den P.weg aus den vom Verwaltungsgericht angeführten Gründen offenkundig keine Rede sein. Einzelne Engstellen führen nicht zur Funktionslosigkeit der Gesamtanlage (BayVGH, B.v. 23.8.2010 – 6 ZB 09.1394 – juris Rn. 5).
Erst die beiden – wirksamen – Entscheidungen haben, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, zum Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflichten geführt, weshalb bei Bescheidserlass entgegen der Sichtweise der Klägerin keine Festsetzungsverjährung eingetreten war.
dd) Das Verwaltungsgericht ist ferner zu Recht davon ausgegangen, dass das gewerblich genutzte Grundstück der Klägerin durch den H H1.weg erschlossen (im Sinn von § 131 Abs. 1 und § 133 Abs. 1 BauGB) und damit erschließungsbeitragspflichtig ist. Dem steht nicht entgegen, dass es über die G H2. Straße an das Verkehrsnetz angebunden ist und entlang der gesamten Grenze zum H H1.weg im Jahr 1954 eine öffnungslose 6 m hohe Mauer errichtet und dahinter das hängige Grundstück aufgefüllt worden ist.
Unbeachtlich ist zunächst die vorhandene Verkehrsanbindung an die G H2. Straße. Erschließungsbeiträge werden für die „erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage“ erhoben, nicht für die „erstmalige Erschließung“ eines Grundstücks. Deshalb ist es ohne weiteres möglich, dass ein Grundstück für mehrere Anbaustraßen gleichzeitig oder zeitlich aufeinanderfolgend beitragspflichtig wird. Es muss bei der Prüfung des Erschlossenseins durch eine hinzutretende Anbaustraße die dem betreffenden Grundstück bereits durch eine bestehende Anbaustraße vermittelte Bebaubarkeit hinweggedacht werden (ständige Rechtsprechung; etwa BayVGH, U.v. 6.6.2019 – 6 B 19.246 – juris Rn. 22 m.w.N.).
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist für die Annahme des Erschlossenseins nicht erforderlich, dass vom H H1.weg auf ihr gewerblich genutztes Grundstück mit Kraftfahrzeugen heraufgefahren werden kann. Erschlossen ist ein Grundstück, wenn ihm die Anlage in erschließungsbeitragsrechtlicher Weise, d.h. in einer auf die bauliche oder vergleichbare Nutzbarkeit der Grundstücke gerichtete Funktion die Zugänglichkeit vermittelt (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, U.v. 12.11.2014 – 9 C 4.13 – juris Rn. 11 m.w.N.; BayVGH, U.v. 27.7.2016 – 6 B 15.1833 – juris Rn. 21). Die Frage des Erschlossenseins eines Grundstücks hängt in erster Linie davon ab, welche Anforderungen an die Form der Erreichbarkeit zu stellen sind. Dies wird wesentlich vom Bebauungsrecht bestimmt. Fehlen besondere planerische Festsetzungen, richten sich die bebauungsrechtlichen Erreichbarkeitsanforderungen für Grundstücke in beplanten wie unbeplanten Gebieten im Grundsatz nach dem jeweiligen festgesetzten oder faktischen Gebietscharakter. Liegt das Grundstück – wie vorliegend vom Verwaltungsgericht unbestritten festgestellt – in einem faktischen Mischgebiet, genügt das Heranfahren- und Betretenkönnen (BayVGH, B.v. 9.2.2010 – 6 ZB 08.393 – juris Rn. 5; Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 13 Rn. 56). Ein Herauffahrenkönnen ist nicht erforderlich, da der ein Erschlossensein begründende Erschließungsvorteil nicht verlangt, dass die Erschließungsanlage dem Grundstück eine Bebaubarkeit für alle nach § 6 Abs. 2 BauNVO zulässigen Nutzungsarten ermöglicht (BayVGH, U.v. 14.11.2013 – 6 B 12.704 – juris Rn. 27). Dabei ist es unerheblich, welche dieser zulässigen Nutzungsarten tatsächlich verwirklicht sind; denn für die Frage des Erschlossenseins ist eine normative Betrachtung geboten, die auf die abstrakte Bebaubarkeit abstellt (BayVGH, B.v. 9.2.2010 – 6 ZB 08.393 – juris Rn. 5).
Dem Erschlossensein steht schließlich nicht entgegen, dass ein Betreten des (Anlieger-) Grundstücks vom H H1.weg her deshalb ausgeschlossen ist, weil der Rechtsvorgänger der Klägerin im Jahr 1954 an der Grundstücksgrenze zur Straße eine 6 m hohe Mauer errichtet und das Gelände aufgefüllt hat. Es handelt sich, wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat, um ein selbst geschaffenes (künstliches) tatsächliches Zugangshindernis auf dem Anliegergrundstück, das nach der ständigen Senatsrechtsprechung ohne Auswirkung auf das Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht bleibt (BayVGH, B.v. 12.8.2019 – 6 ZB 19.778 – juris Rn. 8 m.w.N.). Gerade in Fällen der Zweiterschließung ist es beitragsrechtlich beispielsweise ohne Belang, ob ein Eigentümer sein Grundstück durch die Errichtung eines Gebäudes, eines Zaunes oder Ähnlichem gegen eine bestimmte Anbaustraße gleichsam verschlossen hat. Denn es kann nicht im Belieben des Anliegers stehen, auf diese Weise – zu Lasten der übrigen Anlieger – darüber zu entscheiden, ob sein Grundstück an der Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands auch für diese Straße teilnimmt und in der weiteren Folge der sachlichen Beitragspflicht unterliegt (BVerwG, U.v. 27.9.2006 – 9 C 4.05 – BVerwGE 126, 378 Rn. 25; BayVGH, B.v. 30.3.2006 – 6 ZB 04.976 – juris Rn. 5). Auf die Frage, wie hoch der Aufwand für eine Beseitigung des selbst geschaffenen Zugangshindernisses wäre, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
Entgegen der Ansicht der Klägerin ist es schließlich unbeachtlich, dass die Errichtung der Mauer und die Aufschüttung des hängigen Geländes schon geraume Zeit zurückliegt und damals bauaufsichtlich genehmigt worden war. Insbesondere beinhaltet die damalige Baugenehmigung durch die Beklagte keinen Verzicht auf etwaige Erschließungsbeiträge im Fall einer Zweiterschließung. Der angeführten Rechtsprechung lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Februar 1978 (IV C 4.75 – juris Rn. 14) betrifft die Erforderlichkeit der Anlage als solche nach § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB, die hier außer Frage steht. Die weiter genannten Entscheidungen (BayVGH, U.v. 10.8.1977 – 269 II 72 – BayVBl 1978, 408; OVG SH, B.v. 4.5.2010 – 1 MB 5/10 – juris; VG Saarland, U.v. 31.7.2019 – 5 K 2421/17 – juris) befassen sich mit den baurechtlichen Auswirkungen von Veränderungen der Geländeoberfläche, haben aber keine Bedeutung für das auf dem Gedanken des Erschließungsvorteils beruhende Erschließungsbeitragsrecht.
ee) Zu Recht hat das Verwaltungsgericht als erschlossenes Grundstück das aus den FlNrn. … und … bestehende Buchgrundstück angesehen. Dass der an den H H1.weg angrenzende Grundstücksteil mit der FlNr. … bei Abschluss der Straßenbaumaßnahmen noch ein eigenes Buchgrundstück gebildet hat und erst am 6. August 2013 mit der FlNr. … zu einem einzigen Buchgrundstück vereinigt worden ist, bleibt erschließungsbeitragsrechtlich entgegen der Ansicht der Klägerin ohne Bedeutung. Maßgebend sind nämlich allein die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse in dem Zeitpunkt, in dem kraft Gesetzes die sachlichen Beitragspflichten entstehen. Das war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat (S. 28 ff. des Urteils), am 7. November 2017, also nach der Zusammenlegung zu einem Buchgrundstück.
ff) Ohne Erfolg bleibt die Rüge, für das klägerische (Buch-) Grundstück hätte zumindest eine Vergünstigung wegen Mehrfacherschließung gewährt werden müssen. Denn die Beklagte hat sich mit § 6 Abs. 11 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 ihrer Erschließungsbeitragssatzung dafür entschieden, eine solche Vergünstigung auf Wohngrundstücke zu beschränken, was rechtlich nicht zu beanstanden ist (BayVGH, U.v. 14.11.2013 – 6 B 12.704 – juris Rn. 38 m.w.N.; U.v. 6.6.2019 – 6 B 19.246 – juris Rn. 35) und das gewerblich genutzte Grundstück der Klägerin ausnimmt.
gg) Eine Anwendung der Tiefenbegrenzungsregelung des § 6 Abs. 3 Nr. 2 EBS zugunsten der Klägerin scheidet schon deshalb aus, weil die bauliche und gewerbliche Nutzung auf ihrem Grundstück über die satzungsmäßig bestimmten Grenzen hinausreicht und das gesamte Grundstück umfasst. Auf die Frage, ob die Vorschrift im unbeplanten Innenbereich überhaupt Anwendung finden kann und wirksam ist, kommt es deshalb nicht an (dazu BayVGH, B.v. 6.10.2016 – 6 ZB 15.1163 – juris Rn. 7 ff.; B.v. 6.4.2017 – 6 B 16.2125 – juris Rn. 35 ff.).
b) Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, die eine Zulassung der Berufung rechtfertigen (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die entscheidungserheblichen Fragen lassen sich aus den oben genannten Gründen ohne weiteres in dem vom Verwaltungsgericht entschiedenen Sinn beantworten, ohne dass es weiterer Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.
c) Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) kann ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung führen. Es fehlt bereits an der Darlegung konkreter und entscheidungserheblicher Rechts- oder Tatsachenfragen von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung. Die angesprochenen abstrakten Fragenkomplexe, „wann eine Straße als historisch gegeben und endgültig hergestellt betrachtet werden muss“ und wie das Erschlossensein bei im Einvernehmen mit den Baubehörden geschaffenen „historischen Geländeveränderungen“ zu bewerten ist, lassen sich auf der Grundlage des Gesetzes und der vorhandenen (umfangreichen) Rechtsprechung ohne weiteres – im Sinn des Verwaltungsgerichts – beantworten. Weiteren grundsätzlichen Klärungsbedarf wirft die vorliegende Fallgestaltung nicht auf.
d) Die Berufung ist auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wegen der geltend gemachten Abweichungen zum Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. August 1977 (269 II 72) und zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Februar 1978 (IV C 4.75) zuzulassen. Das ergibt sich schon daraus, dass die angeführten Divergenzentscheidungen nicht dieselbe Rechtsvorschrift (des landesrechtlichen Erschließungsbeitragsrechts) betreffen, auf die das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich abgestellt hat. Der Sache nach meint die Klägerin, diese Entscheidungen hätten zur Annahme eines beachtlichen Erschließungshindernisses führen müssen; das ist jedoch nicht der Fall (oben a).
e) Schließlich ist die Berufung auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen. Die geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor.
aa) Die Rüge, das Verwaltungsgericht sei ihren Einwänden gegen die Höhe des von der Beklagten angesetzten Erschließungsaufwands nicht nachgegangen, geht schon deshalb fehl, weil die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren nach der letzten Stellungnahme der Beklagten hierzu vom 28. Januar 2020 keine substantiierten Einwände mehr erhoben hatte.
Ohne Darlegung konkreter Umstände bestand für das Verwaltungsgericht kein Anlass, eine vertiefte Prüfung vorzunehmen oder gar einen Sachverständigenbeweis zu erheben (vgl. BayVGH, B.v. 30.3.2006 – 6 ZB 04.976 – juris Rn. 12). Die gerichtliche Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO findet dort ihre Grenze, wo das Vorbringen des Klägers keinen tatsächlichen Anlass zur weiterer Sachaufklärung bietet. Der bloßen Möglichkeit eines fehlerhaft bestimmten Aufwands braucht das Gericht nicht nachzugehen (vgl. BayVGH, U.v. 17.6.1998 – 23 B 95.4088 – juris Rn. 43). Im Übrigen verletzt ein Gericht seine Aufklärungspflicht grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die eine anwaltlich vertretene Partei nicht ausdrücklich beantragt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BVerwG, B.v. 16.4.2012 – 4 B 29.11 – BayVBl 2012, 640; BayVGH, B.v. 9.3.2016 – 6 ZB 15.622 – juris Rn. 15). Die anwaltlich vertretene Klägerin hätte in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag (§ 86 Abs. 2 VwGO) zu Protokoll stellen können (vgl. § 105 VwGO i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO); das ist jedoch ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 24. September 2020 insoweit nicht geschehen. Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten zu kompensieren. Die Tatsache‚ dass ein Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung zur Aufwandshöhe nicht gestellt wurde‚ wäre nur dann unerheblich‚ wenn sich dem Gericht auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Auffassung auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Sachverhaltsermittlung hätte aufdrängen müssen. Das war, wie das Verwaltungsgericht im Zusammenhang mit der Prüfung des angesetzten Erschließungsaufwands zutreffend ausgeführt hat (S. 24 bis 27 des Urteils), nicht der Fall.
Die Rüge, bei entsprechendem Hinweis durch das Gericht wären Beweisanträge auf Einvernahme der zuständigen Sachbearbeiter sowie durch Einholung eines Gutachtens erfolgt, greift ebenfalls nicht. Die den Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG konkretisierende Hinweispflicht des § 86 Abs. 3 VwGO zielt insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen. Eine solche Überraschungsentscheidung liegt aber nur vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (BVerwG, B.v. 27.7.2015 – 9 B 33.15 – juris Rn. 8). Das ist hier ersichtlich nicht der Fall. Im Übrigen folgt aus dem Prozessgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts (vgl. BVerwG, B.v. 15.7.2016 – 5 P 4.16 – juris Rn. 3 m.w.N.). Insbesondere muss ein Gericht die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung oder Bewertung der in der Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse ergibt (BVerwG, B.v. 15.7.2016 a.a.O. Rn. 3 m.w.N.). Das Verwaltungsgericht war daher nicht verpflichtet, in der mündlichen Verhandlung auf die Bewertung der Aufwandsrügen der Klägerin hinzuweisen. Dies verlangt der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht.
bb) Keine Gehörsverletzung ergibt sich aus der Rüge der Klägerin, das Gericht habe ihren – in der mündlichen Verhandlung gestellten – Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Behauptung, dass „im Bereich des Endes der Ausbaustrecke P.weg … eine gefahrlose Straßennutzung im Hinblick auf die … Breite der Straße … nicht möglich ist, weil mit Begegnungsverkehr zu rechnen ist“, nicht unter Hinweis auf seine eigene Sachkunde ablehnen dürfen.
Das Grundrecht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG gebietet (auch) die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge; die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisantrags verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet. Davon kann mit Blick auf den in Rede stehenden Beweisantrag keine Rede sein, selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin unterstellen würde, er betreffe auf der Grundlage der materiellen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts eine entscheidungserhebliche Tatsache. Denn von der Einholung eines Sachverständigengutachtens darf abgesehen werden, wenn das Gericht durch Anwendung allgemeinkundiger Tatsachen, von denen sich verständige und erfahrene Menschen jederzeit durch Benutzung allgemein zugänglicher Erkenntnisquellen unschwer überzeugen können, entscheiden kann (BVerwG, U.v. 10.11.1983 – 3 C 56.82 – juris Rn. 29). Eine solche Erkenntnisquelle für die Bewertung der Engstelle ergibt sich ohne weiteres aus der vom Verwaltungsgericht verwendeten Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen (RASt06). Davon abgesehen ist der Beweisantrag der Sache nach nicht auf eine dem Sachverständigenbeweis zugängliche Tatsache gerichtet, sondern eine allein dem Richter vorbehaltene Bewertung des Gefahrenpotentials der – unstreitig vorhandenen – Engstelle, die zudem nicht entscheidungserheblich ist, weil eine selbst mehr oder weniger gefährliche Engstelle nicht zwingend die Beitragsfähigkeit als Erschließungsanlage entfallen ließe (vgl. oben 2 a) cc)).
cc) Ein Gehörsverstoß ergibt sich schließlich nicht daraus, dass das Verwaltungsgericht die in der mündlichen Verhandlung weiter aus dem Schriftsatz vom 29. August 2018 gestellten Beweisanträge 2 bis 5 abgelehnt hat. Denn nach seiner Rechtsauffassung kam es auf die unter Beweis gestellten Tatsachen nicht entscheidungserheblich an.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47‚ § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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