Baurecht

Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Privatgutachtens

Aktenzeichen  M 1 M 15.3540

Datum:
24.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 44511
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 162 Abs. 1
VV-RVG Nr. 3202

 

Leitsatz

1. Aufwendungen für private Sachverständigengutachten sind nur ausnahmsweise dann iSv § 162 Abs. 1 VwGO zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig, wenn bei Betrachtung ex ante den Beteiligten komplizierte fachtechnische Fragen gewissermaßen in eine „prozessuale Notlage“ versetzen, als ihm Stellungnahmen abverlangt werden, die er ohne fachkundigen Rat nicht abzugeben vermag (hier bejaht für ein Lärmgutachten). (redaktioneller Leitsatz)
2. Verwirft das Berufungsgericht die Berufung ohne Termin durch Beschluss als unzulässig, fällt auch dann keine Terminsgebühr an, wenn es über die Frage, wie das Berufungsverfahren ohne mündliche Verhandlung beendet werden sollte, zu Telefonaten zwischen dem Berichterstatter und einem Verfahrensbevollmächtigten gekommen ist. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 B 14.835 2014-12-08 Bes VGHMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Soweit die Hauptsache bezüglich einer 0,3 Gebühr gemäß Nr. 3404 VV-RVG i. H. v. 162,79 Euro übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II.
Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 15. Juli 2015 und der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. Juli 2015 werden insoweit aufgehoben, als darin die Anerkennung der Kosten für das Sachverständigengutachten der … GmbH vom …. September 2012 und die Kosten für die Teilnahme des Sachverständigen an der mündlichen Verhandlung vom 4. Dezember 2012 nicht anerkannt wurden.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
III.
Die abschließende Kostenfestsetzung wird auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle übertragen.
IV.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu zwei Zwölfteln, der Beklagte und die Beigeladene zu je fünf Zwölfteln zu tragen.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich mit seiner Erinnerung gegen zwei Kostenfestsetzungsbeschlüsse, soweit darin seinem Kostenfestsetzungsantrag nicht entsprochen wurde.
Mit Urteil vom 4. Dezember 2012 (M 1 K 11.3584) hat die Kammer der Klage gegen die Baugenehmigung für die beigeladene Gemeinde zur Errichtung eines … auf einem Sportgelände stattgegeben. Die Kosten des Verfahrens wurden dem Beklagten und der Beigeladenen je zur Hälfte auferlegt. Aufgrund der ersten mündlichen Verhandlung in diesem Verfahren am 14. Februar 2012 erging ein Beweisbeschluss für ein Sachverständigengutachten zur Frage der am Grundstück des Klägers zu erwartenden Lärmimmissionen. Das gerichtliche Gutachten wurde vom Beklagten und der Beigeladenen in Zweifel gezogen und in der zweiten mündlichen Verhandlung am 4. Dezember 2012 vom Sachverständigen erläutert. Es war Grundlage für das Urteil und die Aufhebung der Baugenehmigung, denn zur Überzeugung der Kammer ergab sich daraus eine Überschreitung der zulässigen Lärmwerte.
Der Bayer. Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Beigeladenen gegen das Urteil zugelassen und sie unter dem 8. Dezember 2014 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung verworfen (1 B 14.835), weil sie nicht innerhalb der dafür vorgesehenen Frist begründet wurde, und weil wegen einer inzwischen erfolgten Rücknahme des Bauantrags das Rechtsschutzbedürfnis für die Berufung fehle. Die Kosten des Berufungsverfahrens wurden der Beigeladenen auferlegt. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 9. März 2015 zurück.
Unter dem …. Januar 2015 hat der Klägerbevollmächtigte einen Kostenfestsetzungsantrag für die 1. und 2. Instanz gestellt, der u. a. auch je eine Terminsgebühr für beide Instanzen in Höhe von je 494 Euro und die Erstattung der Kosten für ein vom Kläger in Auftrag gegebenes Lärmgutachten der … GmbH vom ….September 2012 in Höhe von 2.296,70 Euro sowie 588,33 Euro für die Teilnahme des Sachverständigen an der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht umfasste.
Unter dem 25. März 2015 wurde der Kostenfestsetzungsantrag bezüglich des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht ergänzt. Es wurde beantragt, 0,3 Gebühr nach Nr. … VV-RVG für ein einfaches Schreiben i. H. v. 136,80 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer, gesamt 162,79 Euro, festzusetzen.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 15. Juli 2015 wurden die im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht München entstandenen notwendigen Aufwendungen auf 1.249,50 Euro festgesetzt. Der Beklagte habe von diesen Kosten die Hälfte, somit 624,75 Euro zu tragen. Die Kosten für das privat in Auftrag gegebene Gutachten der … … … GmbH wurden nicht anerkannt.
Mit weiterem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. Juli 2015 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle über die dem Kläger vor dem Verwaltungsgericht München und dem Bayer. Verwaltungsgerichtshof entstanden notwendigen Aufwendungen entschieden und diese auf 2.057,75 Euro festgesetzt, wovon die Beigeladene 1.433 Euro zu tragen habe. Auch hier wurden die Kosten für das privat in Auftrag gegebene Gutachten nicht anerkannt. Ferner wurde die für die 2. Instanz geltend gemachte Terminsgebühr gekürzt, weil vor dem Bayer. Verwaltungsgerichtshof keine mündliche Verhandlung stattgefunden habe.
Am …. Juli 2015 ging der Antrag des Klägerbevollmächtigten auf Entscheidung des Gerichts gegen die beiden Kostenfestsetzungsbeschlüsse ein. Die Nichtberücksichtigung der 0,3 Gebühr gemäß Nr. 3404 VV-RVG im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Höhe von 162,79 Euro inclusive Mehrwertsteuer sei rechtswidrig. Die Kosten für das privat in Auftrag gegebene Lärmgutachten seien zu Unrecht unberücksichtigt geblieben. Sie seien ausnahmsweise erstattungsfähig. Das Gerichtsgutachten sei ihm durch das Gericht mit der Gelegenheit zur Stellungnahme übersandt worden. Der Beklagte habe durch seine untere Immissionsschutzbehörde die Möglichkeit gehabt, sich fachlich zu äußern und dies auch getan. Auch die Beigeladene habe sich auf Grundlage der fachlichen Stellungnahme eines Ingenieurbüros geäußert. Dies habe ihn in eine prozessuale Notlage gebracht, die es unabweisbar erforderlich gemacht habe, dass auch er sich fachkundige Unterstützung hole. Nur so habe er substantiiert zu schwierigen fachlichen Fragen Stellung nehmen können. Die zusätzlich für die Teilnahme des Sachverständigen an der mündlichen Verhandlung notwendig gewordenen Kosten in Höhe von 588,33 Euro seien ebenfalls zu erstatten. Aufgrund mehrerer Telefonate des Klägerbevollmächtigten mit dem Berichterstatter beim Bayer. Verwaltungsgerichtshof sei eine Terminsgebühr auch für die 2. Instanz anzuerkennen, denn in diesen Telefonaten sei es darum gegangen, wie das Verfahren ohne mündliche Verhandlung zu beenden sei.
Mit rechtskräftigem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 13. August 2015, dem Klägerbevollmächtigten zugestellt am 18. August 2015, wurden die für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht geltend gemachten Auslagen i. H. v. 162,79 Euro antragsgemäß festgesetzt und dem Antrag insoweit abgeholfen. Unter dem gleichen Datum wurde dem Antrag auf Entscheidung des Gerichts im Übrigen nicht abgeholfen und die Sache der Kammer vorgelegt.
Mit Schriftsatz vom …. März 2016 hat der Klägerbevollmächtigte bezogen auf die 0,3 Gebühr nach Nr. 3404 VV-RVG für ein einfaches Schreiben i. H. v. 136,80 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer, gesamt 162,79 Euro, die Hauptsache für erledigt erklärt. Der Beklagte hat der Hauptsacheerledigungserklärung unter dem 21. März 2016 zugestimmt.
II.
Die Kostenerinnerung hat sich in der Hauptsache bereits durch den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 13. August 2015 erledigt, soweit die Berücksichtigung einer 0,3 Gebühr gemäß Nr. 3404 für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erstrebt wurde. Das Verfahren war insoweit einzustellen und gemäß § 161 Abs. 2 VwGO im Rahmen der Kostenentscheidung auch über die Kosten des erledigten Teils zu entscheiden.
Die Erinnerung nach §§ 165, 151 VwGO ist im Übrigen zulässig, insbesondere wurde sie innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der ablehnenden Kostenfestsetzungsbeschlüsse erhoben.
Die Erinnerung ist zum Teil, in Höhe der Kosten für das private Lärmgutachten und für die Teilnahme des Gutachters an der mündlichen Verhandlung, begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
Gemäß § 162 Abs. 1 VwGO sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten erstattungsfähig. Diese Bestimmung enthält den Grundsatz, dass die in einem Rechtsstreit unterlegene Partei der obsiegenden Partei die entstandenen Kosten zu erstatten hat, und zwar nur in dem Umfang, wie es zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war. Der Beschränkung der Erstattungsfähigkeit auf die notwendigen Kosten entspricht das Gebot einer sparsamen, im Gegensatz zu einer optimalen Prozessführung. Danach ist jede Partei gehalten, die Kosten ihrer Prozessführung an der Wahrnehmung des berechtigten prozessualen Interesses auszurichten. Sie ist verpflichtet, ihre Kosten so niedrig zu halten, wie es bei Berücksichtigung ihrer vollen Belange, jedoch unter Beachtung einer möglichst wirtschaftlichen Prozessführung möglich ist (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 162 Rn. 3). Aufwendungen für private Sachverständigengutachten sind regelmäßig nicht notwendig im Sinne von § 162 Abs. 1 VwGO. Das ergibt sich aus dem erwähnten, das gesamte Kostenrecht beherrschenden Grundsatz sparsamer Prozessführung und vor allem aus der Tatsache, dass das Verwaltungsgericht wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) zur umfassenden Aufbereitung des notwendigen Prozessstoffs verpflichtet ist.
1. Die Kosten des Klägers für das privat in Auftrag gegebene Lärmgutachten vom …. September 2012 in Höhe von 2.296,70 Euro und die Kosten für die Teilnahme des Sachverständigen an der mündlichen Verhandlung vom 4. Dezember 2012 in Höhe von 588,33 Euro sind ausnahmsweise erstattungsfähig.
Ein Privatgutachten kann, sofern es tatsächlich in den Prozess eingeführt wurde, ausnahmsweise zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sein, wenn aus exante-Sicht komplizierte fachtechnische Fragen den Beteiligten insoweit gewissermaßen in eine „prozessuale Notlage“ versetzen, als ihm Stellungnahmen hierzu abverlangt werden, die er ohne fachkundigen Rat nicht abzugeben vermag. Insoweit kann auch der Grundsatz der „Waffengleichheit“ eine Rolle spielen (Schmidt in Eyermann, a. a. O., § 162 Rn. 4). So liegt es hier.
Demgemäß sind die Kosten für das vom Kläger privat in Auftrag gegebene Lärmgutachten ausnahmsweise erstattungsfähig, weil es von der Prozesssituation herausgefordert war, in den Prozess eingeführt wurde und auch ausreichend substantiiert war. Die Kammer hatte die Beteiligten ausdrücklich und unter Fristsetzung zur Stellungnahme zu dem Gerichtsgutachten von August 2012 aufgefordert, wonach die Lärmrichtwerte der Sportanlagenlärmschutzverordnung zulasten des Klägers überschritten seien. Das Landratsamt Erding hat unter dem …. September 2012 eine umfangreiche fachtechnische Stellungnahme abgegeben und das Gutachten inhaltlich angegriffen. Die Beigeladene hat unter dem …. Oktober 2012 ein Sachverständigengutachten eines lärmsachverständigen Ingenieurbüros vorgelegt und in das Verfahren eingeführt, mit dem das Gerichtsgutachten ebenfalls in Zweifel gezogen wurde. Der Kläger hat das von ihm in Auftrag gegebene schalltechnische Gutachten der … GmbH vom …. September 2012 am …. Oktober 2012 in das Verfahren eingeführt, um damit seine Rechtsposition und das Gerichtsgutachten zu verteidigen. In der mündlichen Verhandlung am 4. Dezember 2012 waren sämtliche Gutachter sowie die Immissionsschutzfachkraft des Landratsamts anwesend. Um sich an der Erörterung der Lärmsituation unter Berücksichtigung des vom Gericht eingeholten Gutachtens angemessen beteiligen zu können, war auch die Anwesenheit des klägerischen Gutachters in der mündlichen Verhandlung vom 4. Dezember 2012 ausnahmsweise als erforderlich zu erachten.
2. Soweit der Kläger eine Terminsgebühr in Höhe von 494 Euro für das Verfahren vor dem Bayer. Verwaltungsgerichtshof geltend macht, ist die Erinnerung zurückzuweisen, denn die Berufung wurde als unzulässig verworfen, ohne dass ein Termin anberaumt worden wäre oder stattgefunden hätte. Telefonate mit dem Berichterstatter über die Frage, wie das Berufungsverfahren ohne mündliche Verhandlung beendet werden sollte, sind durch die Verfahrensgebühr mit abgegolten und der Teilnahme an einem Termin nicht vergleichbar. Auch die vom Klägerbevollmächtigten vorgetragenen prozessökonomischen Erwägungen führen insoweit zu keinem anderen Ergebnis, denn gemäß § 125 Abs. 2 VwGO hätte die unzulässige Berufung auch ohne die Zustimmung des Klägers im schriftlichen Verfahren durch Beschluss verworfen werden können.
3. Die Übertragung der abschließenden Kostenfestsetzung auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beruht auf § 173 VwGO, § 572 Abs. 3 ZPO (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, Rn. 9 f. zu § 165).
4. Die Entscheidung über die Kosten des Erinnerungsverfahrens folgt aus § 155 Abs. 2, § 159, § 161 Abs. 2 VwGO. Da der Kläger unter Einbeziehung des erledigten Teils (insoweit hätte er obsiegt) insgesamt etwa zu einem Sechstel unterlegen ist, hat er die Kosten zu zwei Zwölfteln zu tragen. Beklagter und Beigeladene sind mit zehn Zwölfteln unterlegen und hieran etwa gleich beteiligt.
Eine Festsetzung des Streitwerts ist entbehrlich, weil das Erinnerungsverfahren gerichtsgebührenfrei ist.
Die Entscheidung in Nr. I und in Nr. IV dieses Beschlusses, soweit sie auf § 161 Abs. 2 VwGO beruht, ist unanfechtbar. Die nachfolgende Rechtsmittelbelehrung bezieht sich auf den Beschluss im Übrigen.

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