Baurecht

Erteilung einer Baugenehmigung unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmen – Erfolglose Klage der Gemeinde

Aktenzeichen  W 5 K 17.946

Datum:
24.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2534
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 42 Abs. 1 Alt. 1, § 113 Abs. 1 S. 1
BauGB § 36 Abs. 2 S. 1, S. 3
BayBO Art. 67 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, Art. 71
VGemO Art. 4 Abs. 2 S. 2, S. 3
BayVwVfG Art. 44, Art. 46
BV Art. 11 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

1 Das gemeindliche Einvernehmen ist ein als Mitentscheidungsrecht ausgestattetes Sicherungsinstrument des Baugesetzbuchs, mit dem die Gemeinde als sachnahe und fachkundige Behörde und als Trägerin der Planungshoheit in Genehmigungsverfahren mitentscheidend an der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens beteiligt wird (BVerwG BeckRS 2000, 21708). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Zum Verhältnis eines bestandskräftigen Vorbescheids zu einer nachfolgenden Baugenehmigung im Rahmen des Rechtsschutzes der betroffenen Gemeinde. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3 Wird ein unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens erteilter Vorbescheid an eine Verwaltungsgemeinschaft zugestellt, der die Gemeinde angehört, muss die Gemeinde diese Zustellung über Art. 4 Abs. 2 S. 3 VGemO gegen sich gelten lassen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen des Beigeladenen zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die gegen die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens gerichtete Anfechtungsklage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.
1. Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen keine Bedenken.
Die gegen die Baugenehmigung vom 29. Mai 2017 erhobene Anfechtungsklage ist statthaft. Selbst wenn man in der unter Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids erfolgten Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens einen eigenständigen Verwaltungsakt sehen sollte, scheidet eine isolierte Anfechtung der Ersatzvornahme aus (§ 44a Satz 1 VwGO) und entspräche auch nicht dem Begehren der Klägerin, da andernfalls die Genehmigung in Bestandskraft erwachsen würde (VGH Mannheim, U.v. 21.2.2017 – 3 S 1748/14 – juris m.w.N.; Greim-Diroll in: BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, Spanowsky/Manssen, 9. Ed., Stand: 30.11.2018, Art. 67 Rn. 22 m.w.N.).
Die Klägerin ist klagebefugt i.S.v. § 42 Abs. 2 VwGO. Als Standortgemeinde kann sie sich auf eine mögliche Verletzung ihrer Planungshoheit und damit ihres Selbstverwaltungsrechts (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV) durch die erteilte Genehmigung berufen, da diese unter Ersetzung des zuvor von ihr verweigerten Einvernehmens nach § 36 BauGB erging.
Die Klägerin hat auch die Klagefrist eingehalten. Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden. Die formlose Übermittlung des Bescheids vom 29. Mai 2017 an die Verwaltungsgemeinschaft Marktheidenfeld am 1. Juni 2017 hatte vorliegend keine fristauslösende Wirkung. Denn gemäß Art. 68 Abs. 2 Satz 3 BayBO ist die Baugenehmigung neben dem Antragsteller auch der Gemeinde zuzustellen, wenn diese – wie hier – dem Bauvorhaben nicht zugestimmt hat. Maßgeblich für den Fristbeginn kann daher nur die förmliche Zustellung des Baugenehmigungsbescheids vom 29. Mai 2017 an die Klägerin sein. Diese Zustellung erfolgte ausweislich des vom 1. Bürgermeister der Klägerin unterzeichneten Empfangsbekenntnisses am 3. August 2017 (vgl. Bl. 2 der unpaginierten Verfahrensakte der Klägerin). Damit wurde die bei Gericht am 29. August 2017 eingegangene Klage rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist erhoben.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtene Genehmigung unter Ersetzung ihres Einvernehmens nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat ihr Einvernehmen nach § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB zu Unrecht verweigert. Das Landratsamt Main-Spessart hat das gemeindliche Einvernehmen im Baugenehmigungsbescheid vom 29. Mai 2017 zu Recht gemäß Art. 67 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO ersetzt.
2.1. Über die Zulässigkeit von Bauvorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB wird im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden (§ 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Das Erfordernis des gemeindlichen Einvernehmens dient dabei der Sicherung der in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und in Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV verankerten gemeindlichen Planungshoheit. Das gemeindliche Einvernehmen ist ein als Mitentscheidungsrecht ausgestattetes Sicherungsinstrument des Baugesetzbuchs, mit dem die Gemeinde als sachnahe und fachkundige Behörde und als Trägerin der Planungshoheit in Genehmigungsverfahren mitentscheidend an der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens beteiligt wird (BVerwG, U.v. 14.4.2000 – 4 C 5/99 – juris). Entspricht ein zulässiges Vorhaben nicht den planerischen Vorstellungen der Gemeinde, kann diese den Maßstab für die Zulässigkeitsprüfung durch Aufstellung oder Änderung eines Bebauungsplans ändern und planungssichernde Maßnahmen ergreifen. Ein fehlendes Einvernehmen darf die Baugenehmigungsbehörde nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB i.V.m. Art. 67 Abs. 1 Satz 1 BayBO nur ersetzen, wenn es zu Unrecht verweigert worden ist, weil das Vorhaben nach den §§ 31 und 33 bis 35 BauGB zulässig ist. Der materielle Prüfungsrahmen ist entsprechend auf das Bauplanungsrecht reduziert, unterliegt jedoch mit Blick auf die aus der Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV) abzuleitende gemeindliche Planungshoheit – anders als bei privaten Dritten – keiner weiteren Einschränkung (OVG des Saarlandes, B.v. 2.8.2018 – 2 B 170/18 – juris).
Vorliegend hält die angefochtene Baugenehmigung, die zugleich als Ersatzvornahme i.S.v. Art. 113 GO bezüglich der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens gilt (Art. 67 Abs. 3 Satz 1 BayBO), die bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvorschriften im vollen Umfang ein. Dies ergibt sich aus den drei Bauvorbescheiden vom 20. September 2013 i.d.F. der Verlängerungsbescheide vom 23. November 2016, die gegenüber der Klägerin in Bestandskraft erwachsen sind und aufgrund derer eine Bindungswirkung hinsichtlich der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens eingetreten ist.
2.1.1. Ein bestandskräftiger Vorbescheid hat in der entschiedenen Bauvoranfrage – hier bezüglich der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens – eine grundsätzlich auf drei Jahre (vgl. Art. 71 Satz 2 BayBO) befristete Bindungswirkung für die Bauaufsichtsbehörde, die Gemeinde und die im Verfahren beteiligten Nachbarn. Als Vorwegentscheidung eines Teils der Baugenehmigung bindet er folglich die am späteren Baugenehmigungsverfahren Beteiligten. Der im Vorbescheid vorweg entschiedene Teil der Baugenehmigung ist im späteren Baugenehmigungsverfahren nicht mehr von der Bauaufsichtsbehörde zu prüfen. Über ihn ist deshalb nicht mehr bei Erteilung der Baugenehmigung zu entscheiden. Vielmehr entscheidet ein Vorbescheid über das, was Gegenstand der Prüfung des Vorbescheidsverfahrens war, abschließend. Die nachfolgende Baugenehmigung, wenn sie innerhalb der 3-jährigen Geltungsdauer des Vorbescheids beantragt worden ist, übernimmt demzufolge den Inhalt eines bestandskräftigen Vorbescheides nur redaktionell oder als Hinweis, aber ohne eine eigene, Dritte beschwerende Regelung. Die in der Sache von einem Dritten trotzdem gegen die Baugenehmigung erhobene Klage ist dann zwar nicht unzulässig, wohl aber unbegründet, soweit sich der Dritte auf Feststellungen stützt, die ihm gegenüber durch den Vorbescheid bereits bestandskräftig geworden sind (Decker in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 131. EL Oktober 2018, Art. 71 Rn. 98).
2.1.2. Hier sind die Bauvorbescheide vom 20. September 2013 i.d.F. der Verlängerungsbescheide vom 23. November 2016 gegenüber der Klägerin in Bestandskraft erwachsen, weshalb diese gegen die Erteilung der Baugenehmigung für das nur geringfügig abweichende Vorhaben des Beigeladenen keine sachlich begründenden Einwendungen mehr erheben kann.
Die Bestandskraft ist gegenüber der Klägerin eingetreten, weil sie gegen die – auf Grundlage des gerichtlichen Vergleichs vom 3. November 2016 im Verfahren W 5 K 15.1101 (vgl. Bl. 165 ff. der zugehörigen Gerichtsakte) – mit den Bescheiden vom 23. November 2016 erfolgten Verlängerungen der Bauvorbescheide vom 20. September 2013 keine Rechtsmittel eingelegt hat. Dem Eintritt der Bestandskraft steht insbesondere nicht entgegen, dass die Verlängerungsbescheide nicht unmittelbar der Klägerin, sondern der Verwaltungsgemeinschaft Marktheidenfeld gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden sind (vgl. Bl. 50 bzw. Bl. 51 der Behördenrestakten zum Verfahren W 5 K 16.1267). Die Zustellungen an die Verwaltungsgemeinschaft Marktheidenfeld muss die Klägerin als deren Mitgliedsgemeinde gegen sich gelten lassen. Geht es – wie in der vorliegenden bauplanungsrechtlichen Angelegenheit – um die Erfüllung der eigenen Aufgaben der Gemeinde, bleibt diese zwar in der Sache zuständig (Art. 4 Abs. 2 Satz 1 VGemO), während die Verwaltungsgemeinschaft grundsätzlich die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises wahrnimmt (Art. 4 Abs. 1 Satz 1 VGemO). Allerdings hat eine Verwaltungsgemeinschaft auch im eigenen Wirkungskreis ihrer Mitgliedsgemeinden eine Bürofunktion. Sie führt – wie sich aus Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 VGemO ergibt – die Aufgaben des eigenen Wirkungskreises nach Satz 3 und 4 als Behörde der jeweiligen Mitgliedsgemeinde nach deren Weisung aus. Ihr obliegen nach Art. 4 Abs. 2 Satz 3 VGemO die verwaltungsmäßige Vorbereitung und der verwaltungsmäßige Vollzug der Beschlüsse der Mitgliedsgemeinden sowie die Besorgung der laufenden Angelegenheiten, die für die Mitgliedsgemeinden keine grundsätzliche Bedeutung haben und keine erheblichen Verpflichtungen erwarten lassen. Der Empfang der drei Verlängerungsbescheide vom 23. November 2016, der aufgrund der Einvernehmensersetzung dem eigenen Wirkungskreis der Gemeinde zuzuordnen ist, stellt eine ebensolche laufende Angelegenheit dar, die weder grundsätzliche Bedeutung hat noch erhebliche Verpflichtungen der Klägerin erwarten lässt. Damit oblag der Verwaltungsgemeinschaft die Entgegennahme der Bescheide, obgleich diese den eigenen Wirkungskreis der Klägerin berührten. Dem entsprechend hat die Verwaltungsgemeinschaft ihr Handeln für die Klägerin auf den Empfangsbekenntnissen selbst klar zum Ausdruck gebracht, indem der Mitarbeiter der Verwaltungsgemeinschaft seiner Unterschriftsleistung das Kürzel „i.A.“ beigefügt hat. Da die Verwaltungsgemeinschaft vorliegend in Ausübung ihrer sich aus Art. 4 Abs. 2 Satz 3 VGemO ergebenden Bürofunktion die Bescheide für die Klägerin entgegengenommen hat, bedurfte es keines eigenen Empfangs der Bescheide durch einen Gemeindevertreter (z.B. den 1. Bürgermeister). Auch ohne einen solchen Nachweis einer unmittelbaren Zustellung an die Gemeinde wurde demnach der Lauf der Klagefrist zulasten der Klägerin ausgelöst, so dass mit Ablauf der Klagefrist ihr gegenüber die Vorbescheide vom 20. September 2013 i.d.F. der Verlängerungsbescheide vom 23. November 2016 in Bestandskraft erwachsen sind.
2.1.3. Der sachliche Umfang der durch die verlängerten Vorbescheide hervorgerufenen Bindungswirkung erstreckt sich auf das durch die streitgegenständliche Baugenehmigung genehmigte Bauvorhaben des Beigeladenen.
Die Bindung bezieht sich nur auf Vorhaben, die inhaltlich dem Vorbescheid vollständig entsprechen oder von diesem ohne Veränderung der Grundkonzeption allenfalls geringfügig abweichen (Decker in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 131. EL Oktober 2018, Art. 71 Rn. 106). Wird das Vorhaben hingegen derart verändert, dass es in rechtserheblicher Weise von den entschiedenen Punkten abweicht und die Genehmigungsfrage neu aufwirft, entfällt die Bindungswirkung des Vorbescheids (VGH München, U.v. 4.11.1996 – 1 B 94.2923; B.v. 2.11.2011 – 9 CS 11.2732; OVG Münster, U.v. 23.4.1996 – 10 A 620/91 – alle juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen weicht das genehmigte Bauvorhaben des Beigeladenen in bauplanungsrechtlicher Hinsicht lediglich geringfügig von den Inhalten der verlängerten Bauvorbescheide ab, so dass die Genehmigungssituation nicht nochmals neu aufgeworfen wird. Vorliegend wurde mit den verlängerten Vorbescheiden die grundsätzliche bauplanungsrechtliche Zulässigkeit für die bestehenden Wohneinheiten im Dach-, Keller- und Erdgeschoss des Gebäudes Fl.Nr. …0 der Gemarkung B* … festgestellt und zwar ohne dass die Eintragung einer Grunddienstbarkeit im Grundbuch zur Bedingung gemacht wurde (vgl. jeweilige Ziffer 2 der Verlängerungsbescheide vom 23.11.2016) und ohne sachliche Beschränkung auf eine Altenteilerwohnung im Dachgeschoss (vgl. Ziffer 3 des zugehörigen Bescheids vom 23.11.2016). Aus den Eingabeplänen zur Baugenehmigung wird ersichtlich, dass der Gebäudezuschnitt unverändert bleibt und auch die vorhandenen Wohnungen dem Grundriss nach nicht wesentlich geändert werden sollen. Soweit das Kellergeschoss nunmehr vermietet werden und nicht länger für eine Eigennutzung vorgesehen sein soll, ist dies für die hier maßgebliche Frage nach der Reichweite der Bindungswirkung ohne Relevanz. Hierdurch werden nämlich keinerlei baugenehmigungsrelevante Fragen neu aufgeworfen. Insbesondere für die bauplanungsrechtliche Frage eines potentiellen Nutzungskonflikts mit der Umgebungsbebauung macht es keinen Unterschied, ob die Wohnungen selbst bewohnt oder vermietet werden, da sich der Schutzanspruch der Bewohner gegen Immissionen aus der Umgebung nicht ändert (vgl. auch immissionsschutzrechtliche Stellungnahme des Landratsamts Main-Spessart vom 2.5.2017, Bl. 41 der Behördenakte zum Verfahren W 5 K 17.622). Die Genehmigungsfrage wird auch nicht dadurch neu aufgeworfen, dass das Vorhaben des Beigeladenen im Baugenehmigungsverfahren neben dem Hauptgebäude noch die Errichtung von zwei Garagen und von fünf Stellplätzen vorsieht. Die Grundkonzeption des Gesamtvorhabens wird hierdurch nur unwesentlich verändert. Es ist auch weder vorgetragen noch nach Aktenlage ersichtlich, dass eigens von der Garagennutzung im Nebengebäude oder von den Stellplätzen relevante bauplanungsrechtliche Fragen ausgehen könnten.
2.2. Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung ist auch nicht deshalb aufzuheben, weil das Landratsamt Main-Spessart vor der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens keine Anhörung der Klägerin durchgeführt hat.
Gemäß Art. 67 Abs. 4 Satz 1 BayBO ist die Gemeinde vor Erlass der Genehmigung anzuhören. Dabei ist ihr Gelegenheit zu geben, binnen angemessener Frist erneut über das gemeindliche Einvernehmen zu entscheiden (Art. 67 Abs. 4 Satz 2 BayBO). Diesen formalen Anforderungen ist das Landratsamt Main-Spessart vorliegend nicht nachgekommen, weshalb die Erteilung der Baugenehmigung in verfahrensfehlerhafter Weise erfolgte.
Allerdings kann gemäß Art. 46 BayVwVfG die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der – wie hier – nicht nach Art. 44 BayVwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. In der vorliegenden Fallkonstellation ist es aus Sicht der Kammer offensichtlich, dass die unterbliebene Anhörung der Klägerin die Entscheidung des Landratsamts Main-Spessart über die Erteilung der Baugenehmigung für den Beigeladenen nicht beeinflusst hat. Denn selbst im Fall einer Anhörung der Klägerin hätte diese keine Möglichkeit gehabt, in irgendeiner Weise durch Wahrnehmung ihrer Planungshoheit die materielle Rechtslage in Bezug auf den zur Genehmigung gestellten Bebauungsanspruch zu beeinflussen. Vielmehr hätte sie aufgrund der bestehenden Bindungswirkung durch die verlängerten Vorbescheide das Bauvorhaben des Beigeladenen bauplanungsrechtlich für zulässig erachten und ihr Einvernehmen erteilen müssen. Liegt ein wirksamer Vorbescheid vor, bleibt dieser von nachträglichen Änderungen der Sach- bzw. Rechtslage unberührt und verliert seine Bindungswirkung nicht (Decker in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 131. EL Oktober 2018, Art. 71 Rn. 111 m.w.N.). Diese Bindungswirkung kann insbesondere nicht durch eine nachträgliche Bauleitplanung der Klägerin, insbesondere nicht durch die Aufstellung eines Bebauungsplans, durchbrochen werden. Folglich steht der Klägerin ungeachtet des vorgenannten Verfahrensverstoßes kein Anfechtungsrecht hinsichtlich der dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigung zu.
Demgegenüber lässt sich auch nicht einwenden, dass Art. 46 BayVwVfG keine Anwendung auf sog. absolute Verfahrensrechte findet, also solche Vorschriften, die nicht nur der Ordnung des Verfahrens dienen, sondern dem Betroffenen eine eigene, unabhängig vom materiellen Recht durchsetzbare Rechtsposition gewähren wollen. In der Literatur wird vertreten, dass es sich bei § 36 BauGB um ein ebensolches, die Anwendung von Art. 46 BayVwVfG ausschließendes, absolutes Verfahrensrecht handele (Schemmer in: BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, 42. Ed., Stand: 1.10.2018, § 46 Rn. 26 und 29). Die Kammer teilt zwar für den Regelfall die Einschätzung, dass allein die Missachtung des gesetzlich gewährleisteten Rechts der Gemeinde auf Einvernehmen nach § 36 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung führen kann (BVerwG, B.v. 11.8.2008 – 4 B 25/08 – juris; vgl. auch VGH München, U.v. 20.10.1998 – 20 A 98.40022 – juris). Andernfalls wäre es Gemeinden verwehrt, in Wahrnehmung ihrer Planungshoheit auch nach Eingang des Bauantrags die planungsrechtlichen Grundlagen für die Zulässigkeit des Vorhabens zu ändern und zur Sicherung der Planung die Mittel der Veränderungssperre oder der Zurückstellung von Baugesuchen zu ergreifen. Es spricht aus Sicht der Kammer zudem einiges dafür, auch bei Verfahrensfehlern im Rahmen des hier durchgeführten Ersetzungsverfahrens nach Art. 67 BayBO, die auf eine nicht ordnungsgemäße Beteiligung der Gemeinde herauslaufen (unterbliebene Anhörung, zu kurze Frist), allein aus diesem Grund in der Regel zu einer Aufhebung der Baugenehmigung zu gelangen (so VG Augsburg, U.v. 14.9.2011 – Au 4 K 11.558 – juris; Greim-Diroll in: BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, Spannowsky/Manssen, 9. Ed., Stand: 30.11.2018, Art. 67 Rn. 24: „bei schwerwiegenden Fehlern“). Diese Situationen sind jedoch nicht vergleichbar mit Fällen, in denen die Behörde aufgrund eines bestandskräftigen Vorbescheids von der Einholung des gemeindlichen Einvernehmens gänzlich abgesehen hat. Vielmehr bedarf es dann keiner erneuten Einholung eines gemeindlichen Einvernehmens (OVG des Landes Sachsen-Anhalt, B.v. 23.4.2003 – 2 M 37/03 – juris). Nichts anderes kann aus Sicht der Kammer in der vorliegenden Fallkonstellation gelten. Die Vorschrift des Art. 67 BayBO vermag der Klägerin aufgrund der Bindungswirkung der verlängerten Vorbescheide keine hinter dem Anhörungsrecht stehende materiell-rechtliche Rechtsposition mehr zu vermitteln. Vielmehr musste die Klägerin infolge der Bindungswirkung von der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens des Beigeladenen ausgehen. Ihr stand auch keine Möglichkeit zu, in Wahrnehmung ihrer kommunalen Planungshoheit ein hiervon abweichendes rechtliches Ergebnis zu erzielen. Damit kommen die Erwägungen, die im oben beschriebenen Regelfall die Rechtsverletzung der Gemeinde in ihrer kommunalen Planungshoheit begründen, im vorliegenden Fall gerade nicht zum Tragen, mit der Folge, dass Art. 67 BayBO in der vorliegenden Fallkonstellation kein die Anwendung von Art. 46 BayVwVfG ausschließendes, absolutes Verfahrensrecht der Klägerin begründet.
2.3. Aus den dargestellten Gründen war die Klage deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da sich der Beigeladene durch eigene Antragstellung am Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entsprach es der Billigkeit, seine außergerichtlichen Kosten der unterlegenen Klägerin aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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