Baurecht

Fehlende Genehmigungsfähigkeit der Nachgenehmigung eines vor über einem Jahrzehnt abgebrochenen Gebäudes

Aktenzeichen  M 9 K 17.4482

Datum:
25.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 164453
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 51
BauGB § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1, S. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Klage ist zulässig, auch im zweiten Klageantrag. Die Verpflichtung zur Aufhebung eines bestandskräftigen Verwaltungsakts ist zwar grundsätzlich mit der Verpflichtungsklage geltend zu machen. Hier ist aber die Anfechtungsklage statthaft, da im Fall der erfolgreichen Anfechtung des Ablehnungsbescheids vom 5. August 2017 wegen des vom Landratsamt angenommenen Wiederaufgreifensgrunds trotz der Bestandskraft die Aufhebung des Bescheids vom 5. September 2006 genügen würde, um die Beseitigungsanordnung aus der Welt zu schaffen.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid, d.h. die Ablehnung der Aufhebung des Bescheids vom 5. September 2006, ist rechtmäßig und kann die Klägerin deshalb nicht in ihren Rechten verletzen, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Das Landratsamt geht im angefochtenen Bescheid vom 5. August 2017 zu Recht davon aus, dass das Vorhaben der Umnutzung des Gebäudes “A” zu Wohnzwecken einschließlich Teilumbau bauplanungsrechtlich nicht genehmigungsfähig ist.
Genehmigungsgrundlage kann mangels Privilegierung, die auch von der Klägerin für das hier streitgegenständliche Gebäude nicht behauptet wird, nur § 35 Abs. 2 BauGB sein. Das Vorhaben beeinträchtigt jedoch die öffentlichen Belange gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1, 5 und 7 BauGB. Eine Ausblendung dieser im Einleitungssatz von § 35 Abs. 4 Satz 1 BauGB genannten öffentlichen Belange kommt nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen des sogenannten Teilprivilegierungstatbestandes von § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB (i.V.m. § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB), den die Klägerin für sich in Anspruch nehmen will, nicht vorliegen. Gemäß § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB gilt in begründeten Einzelfällen die Rechtsfolge des Satzes 1 auch für die Neuerrichtung eines Gebäudes im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1, dem eine andere Nutzung zugewiesen werden soll, wenn das ursprüngliche Gebäude vom äußeren Erscheinungsbild auch zur Wahrung der Kulturlandschaft erhaltenswert ist, keine stärkere Belastung des Außenbereichs zu erwarten ist als in Fällen des Satzes 1 und die Neuerrichtung auch mit nachbarlichen Interessen vereinbar ist; Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis g gilt entsprechend.
1. Die Vorschrift wurde vom Landratsamt zu Recht auf den vorliegenden Sachverhalt nicht angewendet.
Die Rechtsauffassung, dass § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB grundsätzlich auch auf Gebäude anwendbar ist, die neu errichtet werden sollen, obwohl sie zum Zeitpunkt der Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde nicht mehr vorhanden, sondern bereits (teilweise) beseitigt sind, überzeugt nicht.
Dass der Wortlaut des § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB von “Neuerrichtung eines Gebäudes” und nicht von “Neuerrichtung eines noch bestehenden Gebäudes” spricht, besagt nichts, da es sich um den Satz 2 der Vorschrift handelt, der an die Formulierungen des Satzes 1, insbesondere an § 35 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BauGB, anknüpft. Die Formulierung einer Eingrenzung auf bestehende Gebäude im Zusammenhang mit der Neuerrichtung verwendet das Gesetz auch an anderer Stelle nicht. Regelmäßig entspricht es dem Sprachgebrauch des BauGB, dass “Gebäude” nur bestehende sind und nicht solche, die bereits abgebrochen wurden. Der Sprachgebrauch des Gesetzes (z.B. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB) würde es daher eher erwarten lassen, klarzustellen, dass auch bereits abgebrochene bzw. verschwundene Gebäude erfasst sein sollen, wenn das mit der Regelung tatsächlich erreicht werden soll. Zudem spricht die Verwendung des Präsens beim Tatbestandsmerkmal, dass das ursprüngliche Gebäude vom äußeren Erscheinungsbild zur Wahrung der Kulturlandschaft erhaltenswert ist (vgl. hierzu Stüer, DVBl. 2012, 1017 (1023)), gegen die Anwendung auf nicht mehr bestehende Gebäude.
Eine Auslegung unter Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs lässt ebenfalls nicht den Schluss zu, dass die Regelung für bereits abgerissene Gebäude gilt. Der wegen der Verweisung in § 35 Abs. 4 Satz 2 Hs. 2 BauGB bestehende systematische Zusammenhang mit § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB besagt nur, dass durch § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB wegen der Rechtsfolge der Neuerrichtung anstatt nur der Nutzungsänderung auch Fälle einbezogen werden sollen, bei denen eine Nutzungsänderung wegen der maroden Substanz nicht mehr in Frage kommt. Daraus folgt, dass, anders als nach Satz 1, die (vollständige) Beseitigung bei beabsichtigter Nutzungsänderung auf dieser Grundlage möglich ist. Daraus folgt nicht, dass irgendwann die Möglichkeit einer Neuerrichtung mit neuer Nutzung, ohne irgendeine zeitliche Beschränkung nach einem bereits erfolgten Abbruch, hier vor mehr als einem Jahrzehnt, besteht. Das würde zu einer vom Wortlaut der Vorschrift nicht abgedeckten Entgrenzung des Tatbestands führen.
Die Auslegung der Vorschrift unter systematischen Gesichtspunkten zeigt vielmehr, dass nur noch vorhandene, wenn auch baufällige Gebäude gemeint sind. Denn die tatbestandliche Bewertung, ob das ursprüngliche Gebäude vom äußeren Erscheinungsbild auch zur Wahrung der Kulturlandschaft erhaltenswert ist, ist nur möglich, wenn dieses Gebäude nicht bereits vor Längerem abgebrochen worden ist. Dass ein Abbruch mit der Absicht der Neuerrichtung als ein im Wesentlichen einheitlicher Planungsvorgang noch von § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB erfasst sein kann, ist ein anderer Fall als der hier vorliegende, wo der Abriss und eine (Teil-) Neuerrichtung bereits mehr als ein Jahrzehnt zurückliegen. Deswegen kann weder das Tatbestandsmerkmal, dass das ursprüngliche Gebäude vom äußeren Erscheinungsbild zur Wahrung der Kulturlandschaft erhaltenswert ist, noch der Gebäudezustand sinnvoll beurteilt werden. Das gleiche gilt hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals, dass dem neu zu errichtenden Gebäude eine “andere Nutzung zugewiesen werden soll”. Auch das erfordert zur Beurteilung eine Anknüpfung an die Nutzung eines bestehenden Gebäudes, nicht an eine Nutzung eines seit über einem Jahrzehnt nicht mehr bestehenden Gebäudes.
Nur dieses Verständnis ist mit dem Sinn und Zweck der Regelung des § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB zu vereinbaren. Diese Vorschrift soll gerade ermöglichen, dass ein Eigentümer nicht zum kostenintensiven Erhalt eines Gebäudes gezwungen wird, um die Teilprivilegierung von § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB nutzen zu können. Vielmehr soll – wirtschaftlich sinnvoll – ermöglicht werden, dass ein Eigentümer trotz des wegen der maroden Substanz unausweichlichen Abrisses wieder ein neues Gebäude errichten kann (vgl. nur Dürr in: Brügelmann, BauGB, § 35 Rn. 169). Dieses Verständnis entspricht auch der nahezu einhelligen Kommentarliteratur zu der Vorschrift (vgl. Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 35 Rn. 163a und auch Rn. 163, jeweils m.w.N.). Zudem besteht Einigkeit, dass die Vorschrift den Zweck verfolgt, den Strukturwandel in der Landwirtschaft zu erleichtern. Dieser Zweck greift hier, bei einem bereits vor langer Zeit entprivilegierten Gebäude, nicht.
Soweit der Klägerbevollmächtigte auf die Entstehungsgeschichte verweist, ist dem entgegenzuhalten, dass die Stellungnahme des Bundesrats, aus der er zitiert, gerade die Streichung der ganzen Vorschrift gefordert hat (vgl. hierzu ausführlich VG Göttingen, U.v. 10.8.2017 – 2 A 204/15 – juris Rn. 27ff.). An anderer Stelle der Dokumentation des Gesetzgebungsverfahrens (Stellungnahme des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, BT/Drs. 17/13272, Seite 10) ist ausdrücklich die Rede von “nicht nutzbaren Restgebäuden von Höfen”. Auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung zeigt, dass der Gesetzgeber von vorhandenen Gebäuden ausgeht: “Oft jedoch ist die optisch intakte Bausubstanz marode, sodass nur eine Neuerrichtung in Betracht kommt” (BT-Drs. 17/11468, Seite 15).
2. Unabhängig von der Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit fehlt es außerdem an mehreren tatbestandlichen Voraussetzungen.
Es fehlt bereits daran, dass mit dem streitgegenständlichen ein Gebäude im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB vorlag, was § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB aber verlangt. Seit mindestens über einem Jahrzehnt fehlt es dem Gebäude an jeglicher landwirtschaftlichen Zwecksetzung. Spätestens seit dem (Teil-) Abbruch ist jeglicher etwaiger Bestandsschutz entfallen. Das gilt besonders nach den zwischenzeitlich stattgefundenen Erwerbsvorgängen, seit denen kein landwirtschaftlicher Betrieb mehr geführt wird; weder der Kläger noch sein Rechtsvorgänger haben eine Landwirtschaft betrieben.
Auch eine andere Nutzung im Sinne der Vorschrift kann dem Gebäude in Gestalt der Wohnnutzung nicht zugewiesen werden, weil das voraussetzen würde, dass es eine bisherige landwirtschaftliche Nutzung gegeben hätte.
Es fehlt außerdem an der gemäß § 35 Abs. 4 Satz 2 Hs. 2 BauGB i.V.m. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe d) BauGB erforderlichen Voraussetzung. Das Gebäude, dessen Neuerrichtung verlangt wird, ist nicht genehmigt. Unabhängig von dem streitgegenständlichen Widerruf ist die früher bestehende Baugenehmigung nach Aktenlage bereits mit dem Teilabbruch erloschen.
Dass das “ursprüngliche Gebäude vom äußeren Erscheinungsbild auch zur Wahrung der Kulturlandschaft erhaltenswert (gewesen) ist”, was die Klägerin belegen müsste, kann nicht mehr beurteilt werden, siehe oben. Ebenso wenig erschließt sich, warum ein “begründeter Einzelfall” vorliegen soll. Wann genau dieser unbestimmte Rechtsbegriff vorliegt, ist umstritten und noch nicht geklärt. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Schonung des Außenbereichs ist von dem Ausnahmecharakter der Vorschrift, vergleichbar den übrigen Teilprivilegierungstatbeständen, auszugehen (Decker, KommP spezial 2013, 157). Da der Sinn und Zweck des § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB, den Strukturwandel in der Landwirtschaft zu unterstützen, beim Vorhaben der Klägerin keine Rolle spielt, liegt die Ausnahme hier nicht vor.
Da somit der Bescheid vom 5. August 2017 rechtmäßig ist, bleibt es bei der Rechtmäßigkeit der Beseitigungsanordnung im Bescheid vom 5. September 2006.
Nach alledem wird die Klage abgewiesen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Der Klägerin sind die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen. Der Beigeladene hat sich durch die Antragstellung in ein Kostenrisiko gemäß § 154 Abs. 3 Hs. 1 VwGO begeben, weshalb es der Billigkeit entspricht, dass seine außergerichtlichen Kosten der unterliegenden Klägerin auferlegt werden. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708ff. ZPO.


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