Baurecht

Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis bei Normenkontrolle gegen vorhabenbezogenen Bebauungsplan

Aktenzeichen  1 N 19.1031

Datum:
21.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16286
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47

 

Leitsatz

Bei einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan fehlt regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis für eine Normprüfung, wenn das Vorhaben mit der bestandskräftigen Baugenehmigung umgesetzt und im Wesentlichen verwirklicht ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Der Normenkontrollantrag hat keinen Erfolg.
Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Die Antragstellerin muss hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass sie durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem Recht verletzt wird. Wer sich als außerhalb des Bebauungsplangebiets wohnender Grundstückseigentümer gegen einen Bebauungsplan wendet, muss aufzeigen, dass sein aus dem Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7 BauGB) folgendes Recht verletzt sein kann (vgl. BVerwG, B.v. 29.7.2013 – 4 BN 13.13 – ZfBR 2014, 159). Das bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot hat drittschützenden Charakter hinsichtlich solcher privaten Belange, die für die Abwägung beachtlich sind. Es verleiht Privaten ein subjektives Recht darauf, dass diese Belange in der Abwägung ihrem Gewicht entsprechend abgearbeitet werden (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.2011 – 4 CN 1.10 – BVerwGE 140, 41; U.v. 24.9.1998 – 4 CN 2.98 – BVerwGE 107, 215). Wird wie vorliegend mit dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan ein Bebauungsplan geändert, in dessen Geltungsbereich sich auch das Grundstück der Antragstellerin befindet, ist deren Interesse am Fortbestehen des Bebauungsplans in seiner früheren Fassung grundsätzlich zu berücksichtigen. Die ortsrechtlichen Festsetzungen begründen regelmäßig ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass Veränderungen eines Bebauungsplans, die sich für die Nachbarn nachteilig auswirken können, nur unter Berücksichtigung ihrer Interessen vorgenommen werden. Abweichendes ergibt sich bei (objektiv) geringfügigen Änderungen oder bei solchen Änderungen, die sich nur unwesentlich auf das Nachbargrundstück auswirken können (vgl. BVerwG, B.v. 28.5.2019 – 4 BN 44.18 – ZfBR 2019, 689; B.v. 20.8.1992 – 4 NB 3.92 – NVwZ 1993, 468; BayVGH, U.v. 6.12.2019 – 15 N 18.636 – juris Rn. 18). Die Antragstellerin kann daher geltend machen, dass sie durch die verkehrlichen Auswirkungen der geänderten Planung auf dem Vorhabengrundstück, die eine massivere Bebauung zulässt und eine Tiefgarage als Teil eines städtebaulichen Gesamtkonzepts vorsieht, in abwägungserheblichen Belangen betroffen ist.
Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung besteht aber kein Rechtsschutzbedürfnis mehr. Das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses als Prozessvoraussetzung ist von Amts wegen in jeder Lage des Prozesses zu prüfen, so dass das Rechtsschutzbedürfnis auch während des Prozesses entfallen kann. Maßgebend für das Vorliegen des Rechtsschutzbedürfnisses ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Vor diesem Hintergrund kann es zur Wahrung des Rechtsschutzbedürfnisses für einen Normenkontrollantrag erforderlich sein, im Wege des verwaltungsprozessualen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen vorzugehen, die – bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag – zur vollständigen oder nahezu vollständigen Umsetzung des angefochtenen Bebauungsplans führen können (vgl. BVerwG, B.v. 29.1.2019 – 4 BN 15.18 – juris Rn. 5).
Das Erfordernis eines Rechtschutzbedürfnisses soll verhindern, dass Gerichte in eine Normprüfung eintreten, deren Ergebnis für den Antragsteller wertlos ist, weil es seine Rechtsstellung nicht verbessern kann (vgl. BVerwG, U.v. 27.8.2020 – 4 CN 4.19 – NVwZ 2020, 1758; B.v. 4.6.2008 – 4 BN 13.08 – BauR 2008, 2031). Ist der Bebauungsplan oder die mit dem Antrag bekämpfte einzelne Festsetzung durch genehmigte (oder genehmigungsfreie) Maßnahmen vollständig verwirklicht, wird der Antragsteller in der Regel seine Rechtsstellung durch einen erfolgreichen Angriff auf den Bebauungsplan nicht mehr aktuell verbessern können. An den Wegfall des Bebauungsplans oder einzelner Festsetzungen anknüpfende Ansprüche in Folgeverfahren liegen bei Beachtung des Vertrauensschutzes des Bauherrn regelmäßig fern (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.1999 – 4 CN 5.99 – ZfBR 2000, 53; BayVGH, U.v. 1.6.2015 – 2 N 13.2220 – BayVBl 2015, 864). Insofern kommt eine das Rechtsschutzbedürfnis ausschließende Verwirklichung einer angegriffenen Festsetzung in Betracht, wenn die Festsetzung im Baugebiet räumlich vollständig verwirklicht ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.6.2020 – 4 CN 5.18 – BVerwGE 169, 29; B.v. 29.1.2019 – 4 BN 15.18 – juris Rn. 5). Bei einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan fehlt regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis für eine Normprüfung, wenn das Vorhaben mit der bestandskräftigen Baugenehmigung umgesetzt und im Wesentlichen verwirklicht ist (vgl. BayVGH, B.v. 19.8.2016 – 9 N 15.528 – BayVBl 2017, 609; U.v. 1.6.2015 – 2 N 13.2220 – BayVBl 2015, 864). Ungeachtet dessen richtet es sich nach den jeweiligen Interessen im Einzelfall, ob das Rechtsschutzbedürfnis fehlt (vgl. BVerwG, B.v. 29.9.2015 – 4 BN 25.15 – NVwZ-RR 2016, 86).
Nach diesen Maßgaben fehlt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für den Normenkontrollantrag. Für das Bauvorhaben liegt eine bestandskräftige Baugenehmigung vor, mit der die Festsetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans vollständig umgesetzt werden. Die Bauphase ist bereits erheblich fortgeschritten, vor allem sind die Baumaßnahmen für die Tiefgarage bereits durchgeführt. Soweit die Antragstellerin neben der Situierung der Tiefgaragenzufahrt das Verkehrskonzept der Antragsgegnerin bemängelt, insbesondere die Schaffung eines Kreisverkehrs im Kreuzungsbereich E.straße/F.weg, kann die Unwirksamkeitserklärung des Bebauungsplans zu keiner Verbesserung der Erschließungssituation führen, weil hierzu weder Festsetzungen noch verbindliche Festlegungen getroffen werden (vgl. BayVGH, U.v. 10.12.2008 – 2 N 08.448 – juris Rn. 12). Zwar genügt es, wenn – im Sinne einer tatsächlichen Prognose – zu erwarten ist, dass die Gemeinde einen neuen Bebauungsplan mit möglicherweise für den Antragsteller günstigeren Festsetzungen aufstellen wird (vgl. BVerwG, U.v. 23.4.2002 – 4 CN 3.01 – NVwZ 2002, 1126; B.v. 17.12.1992 – 4 N 2.91 – BayVBl 1993, 247). Es wird aber bereits nicht ausgeführt, welche Festsetzungen hier zum Schutz der Antragstellerin getroffen werden sollten, sondern nur auf die genannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verwiesen und allgemein ausgeführt, dass es nicht von vorneherein ausgeschlossen sei, dass im Falle der Unwirksamkeitserklärung des Bebauungsplans aus diesem Grund Änderungen am Planungskonzept möglich seien. Konkrete Maßnahmen bzw. Festsetzungen werden nicht genannt. Die bloße Hoffnung der Antragstellerin, die Antragsgegnerin könne mit einem Bebauungsplan weitere Festsetzungen zu der öffentlichen Erschließungsfläche treffen, genügt nicht, da es für deren Erfüllung keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt (vgl. OVG NW, U.v. 6.1.2020 – 10 D 11/18.NE – juris Rn. 31). Die innere Gliederung der festgesetzten Verkehrsflächen obliegt unabhängig davon, dass hier die Festsetzungsmöglichkeiten des § 9 BauGB nicht abschließend sind (§ 12 Abs. 3 Satz 2 BauGB), regelmäßig der Ausbauplanung; auch bodenrechtsfremde Regelungen zur Widmung, Verkehrssicherung oder Verkehrslenkung gehören nicht in die Bauleitplanung (vgl. zu § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB OVG NRW, B.v. 3.2.2014 – 11 B 1040/13 – juris Rn. 3; OVG Rh-Pf, U.v. 23.2.2011 – 8 C 10696/10 – juris Rn. 81). Soweit vorgetragen wird, dass mit dem Verfahren mögliche Schadensersatzansprüche gegen die Vorhabenträgerin vorbereitet werden sollen, ist weder dargelegt noch ersichtlich, inwiefern hier Ansprüche gegeben sein sollten, da die Vorhabenträgerin ihr Vorhaben mit einer bestandskräftigen Baugenehmigung errichtet hat. Es werden im Hinblick auf einen möglichen Schaden auch nur Befürchtungen geäußert, konkrete Angaben, auch zu einer Rechtsgrundlage für Schadensersatzforderungen, fehlen.
Die Antragsgegnerin verhält sich auch nicht treuwidrig, indem sie auf das Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses hinweist. Zwar können im Einzelfall die Grundsätze von Treu und Glauben der prozessualen Geltendmachung von Rechten entgegengehalten werden. So wurde entschieden, dass in die Prüfung eines Normenkontrollantrags nicht mehr eingetreten werden kann, wenn der Antragsteller dadurch, dass er zur Durchsetzung eines geltend gemachten Rechts das Gericht anruft, sich zu seinem eigenen früheren Verhalten in einen mit Treu und Glauben unvereinbaren Widerspruch setzt. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Rechtsschutzsuchende zunächst die ihm günstigen Festsetzungen eines Bebauungsplans ausnützt und sich erst später gegen die für ihn ungünstigen Festsetzungen wendet (vgl. BVerwG, B.v. 11.2.2019 – 4 B 28.18 – juris Rn. 6 ff.; B.v. 19.12.2018 – 4 B 6.18 – ZfBR 2019, 275; B.v. 14.11.2000 – 4 BN 54.00 – juris Rn. 4; B.v. 23.1.1992 – 4 NB 2.90 – NVwZ 1992, 974). Eine vergleichbare prozessuale Lage liegt hier jedoch nicht vor. Ob das Rechtsschutzbedürfnis vorliegt, ist von Amts wegen zu prüfen, es handelt sich um keinen Antrag oder keine Einwendung, die der Antragsgegnerin aufgrund früheren Verhaltens versagt sein können. Im Übrigen liegt auch kein (Mit-)Verschulden der Antragsgegnerin vor, dass die Antragstellerin die Klagefrist gegen die Baugenehmigung für das Vorhaben versäumt hat. Die Antragstellerin wusste, dass der Bauantrag für das Vorhaben gestellt war, war anwaltlich vertreten und musste bei der Größe des Vorhabens damit rechnen, dass die Baugenehmigung mit öffentlicher Bekanntmachung zugestellt wird. Auch hat die Antragsgegnerin zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Sachstandsanfrage an das Landratsamt hätte gestellt werden müssen, da dieses die Baugenehmigung erteilt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.


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