Baurecht

Fehlendes Rechtsschutzinteresse für Klage des früheren Grundstückseigentümers auf Bauvorbescheid

Aktenzeichen  M 8 K 19.1671

Datum:
9.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 35805
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 71

 

Leitsatz

Das allgemeine Sachbescheidungsinteresse steht der positiven Verbescheidung eines Antrags entgegen, wenn offensichtlich ist, dass der Antragsteller von der beantragten Genehmigung keinen Gebrauch machen kann. Davon ist auszugehen, wenn feststeht, dass der Bauherr aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen an einer Verwertung der begehrten Genehmigung gehindert ist. Ein solcher Fall liegt vor, wenn ein Antragsteller einen Vorbescheid für ein Grundstück begehrt, obwohl der Grundstückseigentümer eine Verwirklichung des beantragten Vorhabens eindeutig ausschließt (vgl. OVG Münster, BeckRS 2018, 17112 Rn. 33). (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.  Die Klage wird abgewiesen.
II.  Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.  Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

Nach § 101 Abs. 2 VwGO konnte in dem Verfahren ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Parteien zur Niederschrift in der mündlichen Verhandlung vom 21. September 2020 auf eine weitere mündliche Verhandlung verzichtet haben und eine solche Verhandlung nicht erforderlich ist.
Die Klage hat keinen Erfolg, da sie mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig ist.
Das Rechtsschutzinteresse für eine auf Genehmigungserteilung gerichtete Verpflichtungsklage kann im Einzelfall fehlen, wenn Ziel der Rechtsverfolgung der Erhalt einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung ist, die sich mit Rücksicht auf rechtliche Verhältnisse – ggf. auch auf solche des Zivilrechts – nicht durchsetzen lässt und die Klage daher für die Klägerin ersichtlich nutzlos ist (vgl. BayVGH, U.v. 27.1.2017 – 15 B 16.1834 – juris Rn. 14).
1. Der Klägerin fehlt bereits das Sachbescheidungsinteresse für die begehrte Erteilung des beantragten Vorbescheids. Das allgemeine Sachbescheidungsinteresse steht der positiven Verbescheidung eines Antrags entgegen, wenn offensichtlich ist, dass der Antragsteller von der beantragten Genehmigung keinen Gebrauch machen kann. Davon ist auszugehen, wenn feststeht, dass der Bauherr aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen an einer Verwertung der begehrten Genehmigung gehindert ist (vgl. BVerwG, B.v. 20.7.1993 – 4 B 110.93 – juris; BayVGH, U.v. 11.6.2014 – 2 B 13.2555 – juris Rn. 26). Ein solcher Fall liegt vor, wenn ein Antragsteller einen Vorbescheid für ein Grundstück begehrt, obwohl der Grundstückseigentümer eine Verwirklichung des beantragten Vorhabens eindeutig ausschließt (OVG NRW, U.v. 17.4.2018 – 2 A 1387/15 – juris Rn. 38; Decker in Simon/Busse, Stand: September 2020, Art. 71 Rn. 61). Dies gilt zur Entlastung der Behörde von unnötiger und nutzloser Verwaltungstätigkeit trotz Art. 68 Abs. 4 BayBO, wonach die Baugenehmigung unbeschadet privater Rechte Dritter ergeht, wenn von vornherein feststeht, dass der Bauherr aus privatrechtlichen Gründen definitiv nicht in der Lage sein wird, das Bauvorhaben auszuführen (vgl. BayVGH, U.v. 27.1.2017 – 15 B 16.1834 – juris Rn. 15).
Der Klägerin fehlt im konkreten Einzelfall dieses Sachbescheidungsinteresse, da sie bereits seit 21. März 2018 nicht mehr Eigentümerin des Baugrundstücks ist, keine Absicht oder ein Interesse der Beigeladenen als Eigentümerin an der Verwirklichung des begehrten Vorbescheids besteht und auch kein anderweitiges schutzwürdiges Interesse der Klägerin an dem begehrten Vorbescheid erkennbar ist. Der Vorbescheidsantrag wurde am 18. Dezember 2018 ohne Zustimmung der Beigeladenen als Eigentümerin des Baugrundstücks eingereicht. Sie hat gegenüber der Beklagten bereits mit Schreiben vom 14. Februar 2019 ausdrücklich erklärt, dass sie als Eigentümerin kein Interesse an einer Aufstockung oder Erweiterung des Gebäudes habe und weitere Antragsverfahren von ihr nicht unterstützt würden. In der mündlichen Verhandlung hat die Vertreterin der Beigeladenen nochmals klargestellt, dass die Beigeladene den streitgegenständlichen Vorbescheid nicht verwirklichen wolle. Das Gebäude sei saniert worden und solle im Bestand weiter genutzt werden. Aufgrund der fehlenden privatrechtlichen Verfügungsbefugnis und des fehlenden Einverständnisses der Beigeladenen besteht damit ein dauerhaftes, für die Klägerin nicht ausräumbares privatrechtliches Hindernis für die Verwirklichung des mit dem Vorbescheid abgefragten Bauvorhabens. Es ist auch nicht zu erwarten, dass die Klägerin die privatrechtliche Verfügungsbefugnis wiedererlangen könnte. Die Beigeladene hat das Eigentum durch die Ausübung des Vorkaufsrechts gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB erlangt. Nachdem die Beigeladene eine Verpflichtungserklärung gem. § 27 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB abgegeben hat und das Grundstück allein deshalb in deren Eigentum überführt wurde, um die mit dem Vorkaufsrecht verbundenen Zwecke zu erfüllen, scheidet eine Rückübereignung des Grundstücks an die Klägerin aus. Der begehrte Vorbescheid kann damit nicht der Vorbereitung und Verwirklichung eines künftigen Bauvorhabens dienen, weshalb die Klägerin hieraus kein Sachbescheidungsinteresse ableiten kann.
Auch aus der in Ziffer IX des Kaufvertrags vom 2. September 2016 geregelten Kaufpreisanpassungsklausel lässt sich kein Sachbescheidungsinteresse der Klägerin ableiten. Dies ergibt sich schon daraus, dass eine Kaufpreisanpassung für den Fall der Erteilung eines Vorbescheids, der wie hier lediglich die Erweiterung des Bestands vorsieht, nicht vereinbart ist. Vielmehr wurde nur für den Fall, dass sowohl eine Abbruchgenehmigung als auch ein Vorbescheid für eine Neubebauung mit einer Geschossfläche von insgesamt mindestens 2000 m² erteilt wird, eine Kaufpreisanpassung vereinbart. Eine Neubebauung mit mindestens 2000 m² ist indes nicht Inhalt des streitgegenständlichen Vorbescheidsantrags. Geplant ist lediglich eine Mehrung um 490,24 m² und eine Gesamtgeschossfläche von 1407,24 m². Im Falle einer bloßen Aufstockung des Bestandes haben die Parteien nur bei der Erteilung einer Baugenehmigung eine Kaufpreisanpassung vorgesehen.
Darüber hinaus kann die Klägerin aus einem Kaufpreisnachzahlungsanspruch auch deshalb kein Sachbescheidungsinteresse ableiten, da ein solcher nur bestünde, sofern die „Baugenehmigung“ bis spätestens 31. Dezember 2018 erteilt worden wäre. Eine Erteilung des Vorbescheids im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts kann die Rechtsposition der Klägerin somit nicht mehr verbessern. Zum Nachzahlungsanspruch haben die Parteien in Ziff. IX des Kaufvertrags vom 2. September 2016 ausdrücklich geregelt: „Klargestellt wird, dass die vorstehend getroffenen Kaufpreisanpassungsvereinbarungen dann erlöschen, sollte bis spätestens 31.12.2018 weder eine entsprechende Abbruchgenehmigung noch eine entsprechende Baugenehmigung zur Aufstockung der vorhandenen Gebäude erteilt worden sein.“ Es handelt sich dabei um eine Erlöschensfrist, die für den Fall der Erteilung einer Baugenehmigung nach dem 31. Dezember 2018 ausschließt, dass ein Kaufpreisnachzahlungsanspruch entsteht. Infolgedessen ist mit Ablauf dieser Frist auch ein auf die Kaufpreisanpassung gestütztes Interesse der Klägerin an der Erteilung einer Baugenehmigung entfallen. Der Kaufvertrag bietet keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein Anspruch auf Kaufpreisanpassung auch durch einen nach Ablauf der Erlöschensfrist erteilten Vorbescheid entstehen könnte. Eine solche Annahme lässt sich insbesondere nicht aus dem Eintritt der Beigeladenen in die Käuferstellung ableiten. Denn die Parteien haben diesen Vertragspartnerwechsel durch den Nachtrag zum Kaufvertrag vom 10. August 2017 geregelt. Dabei wurde ausdrücklich klargestellt, dass die Vereinbarungen in Abschnitt IX. der Vorurkunde hinsichtlich bedingter Kaufpreiserhöhungen auch zwischen der Beigeladenen als Käufer und dem Verkäufer gelten (vgl. Ziff. III „Sonstiges“ Buchstabe a)). Mithin wurde auch die Erlöschensfrist der in Bezug genommenen Regelung nochmals zwischen den neuen Vertragspartnern bestätigt.
2. Das fehlende Sachbescheidungsinteresse lässt auch das Rechtsschutzbedürfnis für die Verpflichtungsklage entfallen und führt zu deren Unzulässigkeit (vgl. OVG NRW, U.v. 17.04.2018 – 2 A 1387/15 – juris Rn. 37). Das Sachbescheidungsinteresse ist im Verwaltungsprozess materiell-rechtliche Voraussetzung für einen Verpflichtungsanspruch wie er im vorliegenden Verfahren geltend gemacht wird. Aus denselben Gründen, aus denen einem Antrag im Verwaltungsverfahren das Sachbescheidungsinteresse fehlt, kann indes im nachfolgenden Prozess auch das Rechtsschutzinteresse fehlen (vgl. BVerwG, B. v. 30.6.2004 – 7B 92/03 – juris Rn. 28). Denn Voraussetzung der Zulässigkeit jeder Klage ist, dass der Kläger ein schutzwürdiges Interesse an der begehrten Entscheidung des Gerichts hat. Hieran fehlt es, wenn der Rechtsschutz nicht geeignet ist, zur Verbesserung der subjektiven Rechtsstellung des Klägers beizutragen, und damit unnütz in Anspruch genommen wird (BVerwG, B. v. 20.7.1993 – 4 B 110/93 – juris Rn.3). Ein solcher Fall ist hier gegeben, da mit der beantragten Verpflichtung zur Erteilung des Vorbescheids mangels privatrechtlicher Verfügungsbefugnis der Klägerin weder eine künftige Bebauung des Grundstücks vorbereitet werden kann noch andere rechtlich vorteilhafte Folgerungen aus dem positiven Vorbescheid gezogen werden können.
Es ist für die Frage des Bestehens eines Rechtsschutzbedürfnisses für die hier streitgegenständliche Verpflichtungsklage unerheblich, dass die Beklagte den Vorbescheidsantrag trotz fehlenden Sachbescheidungsinteresses verbeschieden hat. Die Zulässigkeitsvoraussetzung des Vorliegens eines Rechtsschutzinteresses dient dazu, eine überflüssige Inanspruchnahme der Gerichte zu verhindern (vgl. BVerwG, B.v. 16.9.2015 – 1 B 36/15 – juris Rn. 5 m.w.N.). Dieser Schutzzweck besteht unabhängig davon, ob die Behörde trotz Fehlens des wiederum ihrem Schutz vor unnötiger Inanspruchnahme dienenden Sachbescheidungsinteresses eine Entscheidung in der Sache getroffen hat. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin in Bezug genommenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom 8. August 1984 (3 S 352/84 – BRS 42,435). Diese Entscheidung bezieht sich auf die Besonderheiten der Spezialvorschrift des § 55 Abs. 2 in Verbindung mit § 53 Abs. 4 Satz 2 Landesbauordnung Baden-Württemberg, die hier nicht inmitten steht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladene hat gem. § 162 Abs. 3 VwGO aus Billigkeitsgründen ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen, da sie sich nicht mit der Stellung eines Klageantrags in ein Kostenrisiko begeben hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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