Baurecht

Heranziehung zu Erschließungsbeiträge

Aktenzeichen  M 28 K 16.4687

Datum:
29.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 28964
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 5a Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4
BauGB § 130 Abs. 2 S. 1, § 127 Abs. 1, § 242 Abs. 1

 

Leitsatz

1. In ungeplanten Gebieten erhält eine Straße die Funktion einer Erschließungsstraße nicht schon dadurch, dass vereinzelt Grundstücke an ihr bebaut werden; ihre rechtliche Qualität ändert sich erst dann, wenn an ihr gehäuft Bebauung einsetzt, sodass zumindest für eine Straßenseite bauplanungsrechtlich eine Innenbereichslage im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB vorliegt.  (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Begriff der Vorteilslage knüpft an rein tatsächliche, für den möglichen Beitragsschuldner erkennbare Gegebenheiten an; auf rechtliche Entstehungsvoraussetzungen für die Beitragsschuld kommt es nicht an.  (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 3. März 2016 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 12. September 2016 wird insoweit aufgehoben als er einen Erschließungsbeitrag von mehr als 29.586,12 Euro festsetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, da die Parteien ihr Einverständnis hierzu erteilt haben (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, aber ganz überwiegend nicht begründet.
Die von der Klägerin erhobenen Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit des Erschließungsbeitragsbescheids der Beklagten vom 3. März 2016 und des zurückweisenden Widerspruchsbescheids vom 12. September 2016 greifen nicht durch. Aufgrund der Anwendung der nichtigen Tiefenbegrenzungsregelung in ihrer Erschließungsbeitragssatzung wurde von der Beklagten jedoch ein Teil eines an der streitgegenständlichen Erschließungsanlage anliegenden Grundstücks zu Unrecht nicht in die Verteilung des Aufwands mit aufgenommen. Aus der Berichtigung dieses Fehlers in der Aufwandsverteilung ergibt sich rechnerisch eine Verringerung der Beitragspflicht der Klägerin im tenorierten Umfang.
Der Bescheid der Beklagten beruht auf Art. 5 a Abs. 1 KAG i. V. m. §§ 127 ff. BauGB i. V. m. der Erschließungsbeitragssatzung (EBS) der Beklagten in der Fassung vom 28. Dezember 1987, zuletzt geändert durch Satzung vom 22. Dezember 1995. Nach diesen Vorschriften erheben die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag (§ 127 Abs. 1 BauGB).
Erschließungsanlagen sind u. a. die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen (§ 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB). Der beitragsfähige Erschließungsaufwand kann für die einzelne Erschließungsanlage oder für bestimmte Abschnitte einer Erschließungsanlage ermittelt werden (§ 130 Abs. 2 Satz 1 BauGB). Beiträge können nur insoweit erhoben werden, als die Erschließungsanlagen erforderlich sind, um die Bauflächen und die gewerblich zu nutzenden Flächen entsprechend den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen (§ 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Der ermittelte beitragsfähige Erschließungsaufwand für eine Erschießungsanlage ist auf die durch die Anlage erschlossenen Grundstücke zu verteilen (§ 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Die Gemeinden regeln durch Satzung u. a. die Verteilung des Aufwands (§ 132 Nr. 2 BauGB).
Bei den streitgegenständlichen Baumaßnahmen handelt es sich um solche zur endgültigen erstmaligen Herstellung der Erschließungsanlage „A R … (Abschnitt 1)“ (vgl. Ausführungen unter 1.). Die Beklagte konnte auch nur für ein Teilstück dieser Erschließungsanlage, nämlich für den Teil „A R … (Abschnitt 1)“, Erschließungsbeiträge erheben (vgl. Ausführungen unter 2.). Auch sonstige Gesichtspunkte, wie insbesondere der von der Klägerin vorgebrachte Aspekt des Zeitablaufs und Vertrauensschutzes stehen der Beitragserhebung nicht entgegen (sogleich 3.). Aufgrund der Anwendung der nichtigen Tiefenbegrenzungsregelung in der EBS wurde von der Beklagten jedoch ein Teil eines an der streitgegenständlichen Erschließungsanlage anliegenden Grundstücks zu Unrecht nicht in die Verteilung des Aufwands mit aufgenommen. Aus der Berichtigung dieses Fehlers in der Aufwandsverteilung ergibt sich rechnerisch eine Verringerung der Beitragspflicht des Klägers im tenorierten Umfang (vgl. unter 4.).
1. Für die streitgegenständlichen Straßenbaumaßnahmen in der Straße A R … konnte rechtmäßig ein Erschließungsbeitrag – und nicht etwa nur ein Straßenausbaubeitrag – festgesetzt werden, denn bei dieser Erschließungsanlage handelt es sich weder um eine sog. „historische Straße“, die als vorhandene Erschließungsanlage gemäß Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG (vgl. auch § 242 Abs. 1 BauGB) dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts entzogen wäre, noch wurde die Anlage nach In-Kraft-Treten von BBauG/BauGB am 30. Juni 1961 bereits ohne die nun abgerechneten Maßnahmen erstmalig endgültig hergestellt.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Straße A R … in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts Erschließungsfunktion erlangte (nach st. Rspr. des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs, z.B. U.v. 22.7.2010 – 6 B 09.584 – juris Rn. 37 m.w.N., erhält eine Straße in unbeplanten Gebieten die Funktion einer Erschließungsanlage nicht schon dadurch, dass vereinzelt Grundstücke an ihr bebaut werden, sondern sie ändert ihre rechtliche Qualität vielmehr erst dann, wenn an ihr eine gehäufte Bebauung einsetzt, d.h. – zumindest für eine Straßenseite – bauplanungsrechtlich Innenbereichslage im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB zu bejahen ist).
Die Frage, welche Merkmale eine Straße vor In-Kraft-Treten der erschließungsbeitragsrechtlichen Vorschriften des Bundesbaugesetz am 30. Juni 1961 aufweisen musste, um als vorhandene Straße i.S. des Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG/§ 242 Abs. 1 BauGB beurteilt werden zu können, bestimmt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 5.6.2008 – 6 ZB 06.2721 – juris Rn. 5 m.w.N.) nach den zuvor geltenden landesrechtlichen und örtlichen straßenbaurechtlichen Vorschriften sowie städtebaulichen Regelungen, nach etwaigen Richtlinien für den Abschluss von Straßenkostensicherungsverträgen, nach einer erkennbar gewordenen Straßenplanung der Gemeinde und, falls es an dahingehenden Unterlagen fehlt, nach den örtlichen Verkehrsbedürfnissen. Jedenfalls in den 1950er Jahren war aber auch schon in kleineren ländlichen Gemeinden eine durchgehende, gezielte und funktionierende Ableitung des Straßenoberflächenwassers (mit notwendiger Abgrenzung zu den anliegenden Grundstücken, d.h. keine bloße Versickerung über die angrenzenden Grundstücke) zur endgültigen Herstellung einer Erschließungsstraße unerlässlich (BayVGH, B.v. 15.11.2018 – 6 ZB 18.1516 – juris; B.v. 3.8.1994 – 6 CS 94.2170 u.a. – n.v.; U.v. 4.5.1982 – 6 B 81 A.51 – n.v., UA S. 9; U.v. 9.10.1980 – 6 B 2245/79 – n.v., UA S. 5; BayVGH, B.v. 24.5.2005 – 6 ZB 02.797 – juris Rn. 8; BayVGH B.v. 12.6.2014 – 6 CS 14.1077; vgl. ferner: Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand November 2017, Rn. 181 c;).
Aus den vorgelegten Lichtbildern, welche den Zustand der Straße A R … vor den streitgegenständlichen Baumaßnahmen zeigen (beigefügt als Anlage zum Schriftsatz vom 5. Februar 2018), ist erkennbar, dass eine ordnungsgemäße Straßenentwässerung nicht vorhanden war: Die Straßenentwässerung erfolgte vor den streitgegenständlichen Straßenbaumaßnahmen dadurch, dass das auf der asphaltierten Straße anfallende Oberflächenwasser auf angrenzenden Flächen versickerte. Eine gezielte Ableitung durch Straßenprofil und -neigung sowie eine Fassung in Entwässerungsleiteinrichtungen wie Randsteinen oder Rinnen fand nicht statt. Dies ergibt sich aus den dem Gericht vorliegenden Lichtbildern. Die Klägerseite hat dies auch nicht substantiiert bestritten. Die Frage, ob die übrigen Merkmale der erstmaligen endgültigen Herstellung bereits vor den streitigen Baumaßnahmen vorlagen, kann hier daher offen bleiben. Auch die Tatsache, dass die Straße A R … möglicherweise in Teilstücken bereits endgültig erstmalig hergestellt war (Einmündung zur S … Nr. 2089), ist vorliegend insoweit unschädlich. Eine funktionierende Straßenentwässerung lag jedenfalls nicht auf der gesamten Länge des hier abgerechneten Abschnitts der Straße A R … vor.
Eine solche stellte aber bereits im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlangens der Erschließungsfunktion der Straße A R … zu Beginn der 1950er-Jahre ein notwendiges Merkmal der endgültigen Herstellung einer Straße dar (s.o.). Die Straßenentwässerung war auch in allen Erschließungsbeitragssatzungen der Beklagten als Merkmal der endgültigen Herstellung bestimmt (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 EBS 1964, 1969, 1973, 1978; § 8 Abs. 1 Nr. 2 EBS 1987, 1996). Die streitgegenständliche Straße konnte demnach ohne funktionierende Straßenentwässerung auch zu keinem (späteren) Zeitpunkt als endgültig hergestellt gelten. Demnach handelt es sich bei den streitgegenständlichen Baumaßnahmen um solche zur erstmaligen endgültigen Herstellung der Straße A R …
2. Die Beklagte konnte den Erschließungsbeitrag auch für das hier abgerechnete Teilstück „A R … (Abschnitt 1)“ erheben:
a) Vorliegend endet die maßgebliche Anlage, deren Beginn an der S … 2089 unstreitig ist, zwar nicht am Kreuzungs-/Einmündungsbereich mit dem B … Vielmehr setzt sich diese bei natürlicher Betrachtungsweise (vgl. dazu BayVGH, B.v. 28.9.2015 – 6 B 14.606 – juris Rdnr. 23 m. w. N.) im Norden in den B … fort. Dies ergibt sich aus den dem Gericht vorgelegten umfangreichen Lichtbildern sowie aus den schriftsätzlichen Ausführungen der Parteien und auch deren Angaben in der mündlichen Verhandlung. Das Gericht hat mit Schreiben vom 14. Juni 2019 unter Setzung einer Schriftsatzfrist darauf hingewiesen, dass es aufgrund der vorgelegten Lichtbilder von der Fortsetzung der Straße A R … in den B … ausgehe. Die Parteien haben hierzu nicht mehr weiter vorgetragen.
Die Straße A R … setzt sich bei der gebotenen natürlichen Betrachtungsweise (BayVGH a.a.O.) nicht in die gleichnamige Straße in Richtung Osten fort. Auf den vorliegenden Lichtbildern ist deutlich zu erkennen, dass sich ab dem Kreuzungsbereich mit dem B … die sich nach Osten fortsetzende Straße A R … sehr viel schmaler darstellt, ja fast Zufahrtscharakter bekommt (vgl. auch Matloch/Wiens a.a.O. Rn. 701: „Durchgehende Fahrbahnverschmälerungen jenseits einer Kreuzung haben trennende Wirkung.“): Die Fahrbahn verengt sich hier von ca. 5 m auf ca. 3 m (Messung auf www.geoportal.bayern.de). Ein unbefangener Nutzer der Straße „A R …“ würde sich von Westen kommend, wollte er dem natürlichen Straßenverlauf folgen, in jedem Fall nach links Richtung Norden und nicht weiter Richtung Osten wenden. Dieser Eindruck wird verstärkt durch den zwischen dem hier abgerechneten Bauabschnitt der Straße „A R …“ und der gleichnamigen sich Richtung Osten fortsetzenden Straße angebrachten Graniteinzeiler, welcher durch seine Kurvenführung den Straßenverlauf ebenfalls in Richtung „B …“ lenkt. Überdies wird der sich Richtung Osten fortsetzende Teil der Straße A R … vom hier abgerechneten Teil der Straße durch einen weiteren, horizontal über die Straße verlaufenden, Graniteinzeiler abgetrennt. Zwar verlaufen Straßenzüge nach natürlicher Betrachtungsweise eher geradeaus, als dass sie rechtwinklig abknicken. Etwas anderes kann sich jedoch aus der optischen Gestaltung der Straße ergeben (Matloch/Wiens a.a.O. Rn. 701 m. w. N.), wie vorliegend aus den beiden Graniteinzeilern sowie insbesondere aus der unterschiedlichen Straßenbreite. Auch vom B … kommend in Richtung Süden ergibt sich für den unbefangenen Beobachter nicht der Eindruck, dass der B … im Kreuzungs-/Einmündungsbereich der Straße A R … endet, vielmehr drängt sich insbesondere aufgrund der optischen Gestaltung der Straßenführung mittels des um die Kurve führenden Graniteinzeilers hier der Eindruck auf, dass sich der B … Richtung Westen in den hier vorliegend abgerechneten Straßenabschnitt fortsetzt.
b) Gleichwohl konnte die Beklagte den Erschließungsbeitrag aufgrund der mit Beschlüssen des Gemeinderats vom 20. Februar 2013 und 25. April 2018 vorgenommenen Abschnittsbildung für den Bereich ab der S … 2089 bis zum Einmündungs-/Kreuzungsbereich B …, gesondert ermitteln.
aa) Die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Satz 2 BauGB liegen vor: Nach dieser Vorschrift können Abschnitte einer Erschließungsanlage nach örtlich erkennbaren Merkmalen oder nach rechtlichen Gesichtspunkten (z.B. Grenzen von Bebauungsplangebieten, Umlegungsgebieten, förmlich festgelegten Sanierungsgebieten) gebildet werden. Zu den „örtlich erkennbaren Merkmalen“ im Sinne dieser Vorschrift gehören u. a. auch Kreuzungen und Einmündungen (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Auflage 2012, § 14 Rn. 21 m. w. N.; Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Rn. 711 m. w. N.), wie vorliegend die Einmündung in den B …
bb) Die Beschlüsse über die Bildung der Abschnitte waren auch inhaltlich hinreichend bestimmt (vgl. Matloch/Wiens a.a.O. Rn. 720): Zum einen ist eindeutig ein Wille zur konstitutiven Abschnittsbildung erkennbar. Aus den Beschlüssen der Beklagten vom 20. Februar 2013 und 25. April 2018 ergibt sich überdies hinreichend klar, wo die Grenze des Abschnitts gezogen werden soll (zur Verdeutlichung wurde den Beschlüssen jeweils ein entsprechender Lageplan als Anlage hinzugefügt).
cc) Den zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das Willkürverbot notwendigen und ursprünglich fehlenden prognostischen Vergleich zwischen den berücksichtigungsfähigen Kosten je Quadratmeter Straßenfläche der erstmaligen Herstellung des abgerechneten Abschnitts der Anlage „A R … (Abschnitt 1)“ von der S … Nr. 2089 bis zum B … ) hat die Beklagte in zulässiger Weise nachgeholt (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 23.2.2015 – 6 B 14.2435 – juris Rn. 18).
Der Kostenvergleich hat ergeben, dass sich die Kosten für den Straßenteil „A R … (Abschnitt 1)“ mit 243,42 Euro pro qm zwar nicht nur geringfügig von den prognostizierten Herstellungskosten für den B … mit 212,69 Euro pro qm unterscheiden, dies jedoch nicht in dem Maße als dass die im Hinblick auf das Willkürverbot maßgebliche Kostendifferenz von mehr als einem Drittel (zum Ganzen Driehaus, a. a. O., § 14 Rdnr. 25 ff. m. w. N., Matloch/Wiens, a. a. O., Rdnr. 720, 723 m. w. N.) überschritten würde.
Bei der Schätzung der Herstellungskosten für den verbleibenden Abschnitt der maßgeblichen Erschließungsanlage ist die Beklagte auch zu Recht davon ausgegangen, dass der B … sich nicht Richtung Osten in die K … Straße, sondern geradlinig bis zur Abbruchkante zum Autobahnzubringer fortsetzt. Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme bestehen nicht. Vielmehr ist von einer Einmündungssituation der K … Straße in den B … auszugehen. Dies ergibt sich unter anderem aus der trompetenförmigen Einmündung der K … Straße in den B … sowie aus der entsprechend „scharfen Kurvenführung“ (vgl. hierzu auch der mit Schriftsatz vom 12. Juni 2018 übermittelte Aktenvermerk vom 12. April 2018, welchem die Klägerin nicht entgegengetreten ist). Setzt sich eine Straße geradeaus fort, dann kann mit Blick auf die Straßenführung regelmäßig nicht davon ausgegangen werden, dass die Anlage in einem 90-Grad-Winkel in eine andere Straße abknickt. Denn Straßenzüge verlaufen im Grundsatz eher geradeaus, als dass sie ohne äußerlich erkennbare weitere Merkmale unvermittelt etwa rechtwinklig abknicken. Mündet eine Straße mit einem trompetenförmig ausgebildeten Einmündungsbereich geradezu senkrecht in einen anderen Straßenzug, ist grundsätzlich nicht davon auszugehen, dass die Straße in einen der Äste des anderen Straßenzugs abknicken oder sich aufgabeln und dort – mit diesem eine einzelne Anlage bildend – weiter verlaufen könnte (MatlochWiens a.a.O. Rn. 701).
Etwaige sonstige Mängel, an denen die Abschnittsbildung noch leiden könnte, sind weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.
3. Auch der Vortrag der Klägerin, sie habe „nach den Grundsätzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2013 nicht mehr damit rechnen müssen zu Erschließungsbeiträgen herangezogen zu werden“, verhilft der Klage nicht zum Erfolg:
Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG ist die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig; liegt ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht nach Art. 5 Abs. 2a KAG vor und kann der Beitrag deswegen nicht festgesetzt werden, beträgt die Frist 25 Jahre.
Mit dieser Vorschrift, die durch Änderungsgesetz vom 11. März 2014 (GVBl S. 570) in das Kommunalabgabengesetz eingefügt wurde, ist der bayerische Gesetzgeber dem Regelungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts nachgekommen, das mit Beschluss vom 5. März 2013 (1 BvR 2457/08 – BVerfGE 133, 143 ff.) die Vorgängerregelung für unvereinbar mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG erklärt hatte.
Der Begriff der Vorteilslage im Sinne dieser Vorschrift knüpft an rein tatsächliche, für den möglichen Beitragsschuldner erkennbare Gegebenheiten an und lässt rechtliche Entstehungsvoraussetzungen für die Beitragsschuld außen vor (vgl. LTDrs. 17/370 S. 13). Es kommt demnach für die Ausschlussfrist mit Blick auf eine beitragsfähige Erschließungsanlage auf die tatsächliche – bautechnische – Durchführung der jeweiligen Erschließungsmaßnahme an, nicht aber auf die rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten, wie die Widmung der Anlage, die planungsrechtliche Rechtmäßigkeit ihrer Herstellung, die Wirksamkeit der Beitragssatzung oder den vollständigen Grunderwerb als Merkmal der endgültigen Herstellung.
Vorliegend wurden die Baumaßnahmen, welche zur endgültigen technischen Herstellung der streitgegenständlichen Anlage geführt haben (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 24.2.2017 – 6 BV 15.1000 – juris Rn. 31 m.w.N.), unstreitig im Jahr 2015 durchgeführt, so dass die Frist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG nicht im Raum steht.
4. Der Bescheid war gleichwohl im tenorierten Umfang aufzuheben, da die Beklagte in Anwendung der in § 6 Abs. 3 Nr. 2 ihrer Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen vom 8. Dezember 1986 (EBS) festgelegten Tiefenbegrenzungsregelung ein Teil des Grundstücks FlNr. 306/6 der Gemarkung K … (21 qm) nicht in die Verteilung mit aufgenommen hat.
Diese Regelung über eine Tiefenbegrenzung in der EBS der Beklagten ist unwirksam und daher bei der Aufwandsverteilung nicht zu beachten: Eine satzungsrechtliche Tiefenbegrenzung muss zur Einhaltung des Vorteilsprinzips und zur Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes an Kriterien für eine möglichst realitätsnahe Abgrenzung der bevorteilten von den nicht mehr bevorteilten Flächen ausgerichtet werden und auf einer sorgfältigen Ermittlung der örtlichen Bebauungsverhältnisse durch den Satzungsgeber beruhen. Dieser muss prüfen, ob er eine für alle Grundstücke im Gemeindegebiet gleichermaßen geltende Tiefenbegrenzung festlegen kann. Die gewählte Tiefenbegrenzung muss die typischen örtlichen Verhältnisse tatsächlich widerspiegeln und sich an der ortsüblichen baulichen Nutzung orientieren (BayVGH, U.v. 23.4.2015 – 6 BV 14.1621 – juris Rn. 31 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt § 6 Abs. 3 Nr. 2 EBS nicht. Wie die mündliche Verhandlung ergeben hat, fehlt es an den erforderlichen Ermittlungen. Die Beklagte hat keine Feststellungen zu den typischen örtlichen Bebauungsverhältnissen im Gemeindegebiet getroffen, die die Festlegung einer für alle Grundstücke im Gebiet der Beklagten gleichermaßen geltenden Tiefenbegrenzung von 50 m rechtfertigen könnten. Die satzungsmäßige Tiefenbegrenzung ist daher nichtig, ohne dass dies die Unwirksamkeit der Satzung im Übrigen zur Folge hat.
Es sind auch keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das Grundstück FlNr. 306/6 der Gemarkung K … in den Außenbereich (§ 35 BauGB) ragt (oder ein sogenannter „Außenbereich im Innenbereich“ vorläge) und deshalb gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur mit der im Innenbereich gelegenen Teilfläche als erschlossen an der Aufwandsverteilung zu beteiligen sein könnte.
Der entsprechende Teil des Grundstücks FlNr. 306/6 der Gemarkung K … war daher (wegen § 6 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der EBS mit dem Nutzungsfaktor 1,3 multipliziert) in die Verteilung mit aufzunehmen, woraus sich rechnerisch eine Verringerung der Beitragspflicht der Klägerin im tenorierten Umfang ergibt.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).


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