Baurecht

Herstellungsbeitrag für Wasserversorgungseinrichtung

Aktenzeichen  W 2 K 14.1107

Datum:
31.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG BayKAG Art. 5 Abs. 1 S. 1, Art. 19 Abs. 2
AO AO § 169 Abs. 2 Nr. 2, § 170 Abs. 1
BayV Art. 118

 

Leitsatz

1 Ein auf einer ungültigen Satzung basierender Beitragsbescheid ist nichtig; er kann jedoch durch eine wirksame neu erlassene Satzung mit einer Rechtsgrundlage versehen werden, die ihn rechtmäßig macht. Im Fall der Ersetzung einer ungültigen durch eine gültige Beitragssatzung ist es grundsätzlich zulässig, die Altanschließer nach dem erstmals gültigen Satzungsrecht – ggf. unter Anrechnung von früher geleisteten Beiträgen – zu veranlagen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Grundstück ist durch eine leitungsgebundene Einrichtung erschlossen, wenn die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit einer Inanspruchnahme besteht. Dies ist dann der Fall, wenn der in der öffentlichen Straße verlegte Kanal bis zur Höhe der Grundstücksgrenze heranreicht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2006 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamtes Würzburg vom 22. September 2014 sind im Ergebnis rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1.1 Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG können die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung oder Verbesserung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Zu diesen Einrichtungen zählt auch die von der Beklagten öffentlich-rechtlich betriebene Wasserversorgungseinrichtung.
Es kann dahinstehen, ob die Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung der Beklagten vom 14. Dezember 1995, auf die der angegriffene Bescheid vom 29. Dezember 2006 gestützt ist, rechtmäßig ist, wobei im Hinblick auf die Nichtigkeit des vorangegangenen Satzungsrechts gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid des Landratsamtes Würzburg vom 22. September 2014 verwiesen wird. Zwar ist ein auf einer ungültigen Satzung basierender Beitragsbescheid rechtswidrig. Jedoch kann er durch eine wirksame neu erlassene Satzung mit einer Rechtsgrundlage versehen werden, die ihn rechtmäßig macht. Ein Vertrauen darauf, dass ungültige Abgabesatzungen nicht nachträglich durch eine gültige ersetzt werden, ist nicht schützenswert (BayVGH, U.v. 16.3.2005 – 23 BV 04.2295 – BayVBl 2006, 108). Die Gemeinde ist auch berechtigt, während des laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eine gültige Rechtsgrundlage zu schaffen (st. Rspr., BayVGH, B.v. 16.2.2006 – 23 CS 06.135 – BeckRS 2009, 34886; U.v. 16.3.2005 – 23 BV 04.2295 – BayVBl 2006, 108). Einer derartigen Satzung braucht auch keine Rückwirkung beigemessen zu werden (st. Rspr., B.v. 1.3.2007 – 23 CS 06.135 – BeckRS 2009, 34886). Vorliegend verfügte die Beklagte jedenfalls mit der auf der Grundlage des Art. 5 Abs. 1 KAG erlassenen Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung der Gemeinde T. vom 12. Mai 2015 (BGS-WAS 2015) über gültiges Satzungsrecht. Bedenken gegen das ordnungsgemäße Zustandekommen dieser Satzung sind weder vorgetragen noch ersichtlich; auch in materiell-rechtlicher Hinsicht liegen keine Fehler auf der Hand.
1.2 Die Nichtigkeit des vorangegangenen Satzungsrechts steht der Beitragspflichtigkeit des Klägers nicht entgegen. Vorliegend existiert keine Übergangsregelung innerhalb oder außerhalb der Satzung (in Gestalt eines Gemeinderatsbeschlusses), wonach die Herstellungsbeitragspflicht mit der erfolgten Beitragserhebung auf der Grundlage nichtiger Satzungen abgegolten ist. Einer derartigen Übergangsregelung bedarf es auch nicht zwingend. Im Falle der Ersetzung einer ungültigen durch eine gültige Beitragssatzung ist es grundsätzlich zulässig, die Altanschließer nach dem erstmals gültigen Satzungsrecht – ggf. unter Anrechnung von früher geleisteten Beiträgen – zu veranlagen (Wuttig/Thimet, Gemeindliches Satzungsrecht und Unternehmensrecht, Band I, Stand Juli 2016, Teil IV, Frage 21, Ziff. 7; Kraheberger in Driehaus, KAG, Stand September 2015, § 8 Rn. 727). Die Entscheidung, von einer Übergangsregelung abzusehen, die Altanschließer nach dem neuen Satzungsrecht nochmals zu veranlagen und früher geleistete Beiträge lediglich anzurechnen, unterliegt der Bindung an den Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 3 GG, Art. 118 BV). Demgegenüber verlangt dieser Grundsatz keine schematische Gleichbehandlung, sondern erlaubt aus sachlichen Erwägungen gerechtfertigte Differenzierungen. Es unterliegt dem Ermessen des Satzungsgebers, in welcher Weise dem allgemeinen Gedanken der Angemessenheit, Billigkeit und Zweckmäßigkeit Rechnung getragen wird (umfassend Kraheberger in Driehaus, KAG, Stand September 2015, § 8 Rn. 727). Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liegt demnach vor, wenn innerhalb der Neuveranlagung ein Einzelfall aufgegriffen wird und der Beitrag nach neuem Satzungsrecht berechnet wird, bei allen anderen vergleichbaren Fällen hingegen von einer erneuten Heranziehung abgesehen wird (Nitsche/Baumann/Schwamberger, Satzungen zur Wasserversorgung, Stand: Juli 2016, Kennz. 20.03 Nr. 26 b).
Dies ist hier aber gerade nicht der Fall. Der Vortrag des Klägers, wonach eine Selbstbindung der Beklagten aufgrund ihrer Verwaltungspraxis vorliege, da andere Altanschließer in mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbaren Fällen nicht zu einem Herstellungsbeitrag herangezogen worden seien, dringt nicht durch. Es bestehen keine Anhaltspunkte dahingehend, dass es mit der Konstellation des klägerischen Grundstücks, vergleichbare Fälle gibt. Schließlich handelt es sich aufgrund der Neubildung des Grundstücks Fl.Nr. …8 (neu) um einen atypischen Sachverhalt. Zutreffend wird in dem Widerspruchsbescheid des Landratsamtes Würzburg vom 22. September 2014 darauf hingewiesen, die zum Beitrag herangezogene Grundstücksfläche des Grundstücks Fl.Nr. …8 (neu) entspreche der jeweils westlich der Tiefenbegrenzungslinie der Grundstücke Fl.Nr. …7 (alt) und …8 (alt) liegenden Fläche, für die in der Vergangenheit noch keine Herstellungsbeiträge geleistet worden seien. Darüber hinaus bestünde insoweit kein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht (BayVGH, U.v. 6.7.2010 – 20 B 10.121 – juris; s.a. Wuttig/Thimet, Gemeindliches Satzungsrecht und Unternehmensrecht, Band I, Stand Juli 2016, Teil IV, Frage 21, Ziff. 7.3). Infolgedessen ist auch der klägerischen Auffassung, wonach unter Anrechnung bereits geleisteter Beitragszahlungen alle Altanschließer neu zu veranlagen seien, woraus sich ein unzutreffender und neu zu ermittelnder Beitragsmaßstab ergebe, der im Zweifel zur Unwirksamkeit des neuen Beitragssatzes und damit wiederum zur Gesamtnichtigkeit der Satzungen führen würde, nicht zu folgen, weil eine solche Übergangsregelung nicht zwingend erforderlich ist.
1.3 Die Auffassung des Klägers, wonach der Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2006 aufgrund des unterbliebenen Abzugs von bereits geleisteten Beitragszahlungen der Höhe nach fehlerhaft sei, trifft nicht zu. Der Kläger hat schon nicht den Nachweis erbracht, dass für das streitgegenständliche, neu gebildete Grundstück in der Vergangenheit Herstellungsbeiträge für die Wasserversorgungseinrichtung der Beklagten entrichtet worden sind.
1.4 Im Hinblick auf die veranlagte Grundstücks- und (fiktive) Geschossfläche wird auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid des Landratsamtes Würzburg vom 22. September 2014 verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
1.5 Eine Festsetzungsverjährung liegt nicht vor.
Nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO beträgt die Festsetzungsverjährungsfrist vier Jahre. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beitragspflicht entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Hier begann die Festsetzungsverjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2015 zu laufen. Denn die Herstellungsbeitragspflicht für das streitgegenständliche Grundstück entstand mit Inkrafttreten des gültigen Herstellungsbeitragsrechts in Gestalt der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung der Beklagten vom 12. Mai 2015 am 22. Mai 2015 (§ 16 Abs. 1 BGS-WAS 2015). Selbst wenn man von der Gültigkeit der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung der Beklagten vom 14. Dezember 1995 ausginge, erfolgte die Festsetzung des Herstellungsbeitrags durch die Beklagte mit Bescheid vom 29. Dezember 2006 innerhalb der vierjährigen Festsetzungsverjährungsfrist. Denn die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist für den Herstellungsbeitrag für das Grundstück Fl.Nr. …8 (neu) hätte dann mit Ablauf des 31. Dezember 2002 zu laufen begonnen und mit Ablauf des 31. Dezember 2006 geendet. Die Zustellung des angegriffenen Bescheides der Beklagten erfolgte am 29. Dezember 2006 und damit innerhalb der Festsetzungsfrist.
1.6 Auch die Verjährungshöchstgrenze von 20 bzw. 30 Jahren ist gewahrt.
Gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG ist die Vorschrift des § 169 Abs. 1 AO mit der Maßgabe anzuwenden, dass über Abs. 1 Satz 1 hinaus die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig ist; im Falle eines Verstoßes gegen die Mitwirkungspflicht nach Art. 5 Abs. 2a KAG beträgt die Frist 25 Jahre. Allerdings beläuft sich die Verjährungshöchstgrenze für Beiträge, die wie hier vor dem 1. April 2014 durch nicht bestandskräftigen Bescheid festgesetzt wurden, gemäß der Übergangsvorschrift des Art. 19 Abs. 2 KAG einheitlich auf 30 Jahre (vgl. Wuttig/Thimet, Gemeindliches Satzungsrecht und Unternehmensrecht, Band I, Stand Juli 2016, Teil III, Frage 9, Ziff. 10.1).
Entgegen der im Widerspruchsbescheid des Landratsamtes Würzburg vom 22. September 2014 vertretenen Auffassung ist für den Eintritt der Vorteilslage nicht die Satzungslage maßgeblich. Abzustellen ist vielmehr – nur insoweit ist der Klägerseite zu folgen – auf die tatsächlichen Verhältnisse. Denn der Begriff der Vorteilslage soll an für den Bürger ohne weiteres bestimmbare, rein tatsächliche Gegebenheiten anknüpfen und rechtliche Entstehensvoraussetzungen für die Beitragsschuld außer Acht lassen (VG Regensburg, U.v. 14.7.2014 – RN 3 K 13.1812 – juris; s.a. Engelbrecht in Schieder/Happ, KAG, 15. Aktualisierung 2015, Art. 13, Rn. 128d). Dies geht auch aus der Gesetzesbegründung zu Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG hervor (LT-Drs. 17/370, S. 13):
„Der Eintritt der Vorteilslage ist – so das Bundesverfassungsgericht – für den Beitragsschuldner erkennbar, so dass er auch selbst feststellen kann, bis zu welchem Zeitpunkt er damit rechnen muss, noch zu einem Beitrags herangezogen zu werden. Der Begriff der Vorteilslage knüpft damit nach dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts an für den Bürger ohne weiteres bestimmbare, rein tatsächliche Gegebenheiten an und lässt rechtliche Entstehensvoraussetzungen für die Beitragsschuld wie etwa den vollständigen Grunderwerb, die formelle Widmung oder auch die Wirksamkeit der Beitragssatzung außen vor. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof sieht bei leitungsgebundenen Einrichtungen in ständiger Rechtsprechung (z.B. U.v. 29.4.2010 – 20 BV 09.2010 – BayVBl 2011, 240) – aufgegriffen durch das Bundesverwaltungsgericht – den Eintritt der Vorteilslage in dem Erschlossensein des Grundstücks durch eine insgesamt betriebsfertige Einrichtung. […]“
Demnach tritt die Vorteilslage bei einer leitungsgebundenen Einrichtung zunächst ein, wenn das Grundstück durch eine insgesamt betriebsfertige Einrichtung erschlossen ist (Wuttig/Thimet, Gemeindliches Satzungsrecht und Unternehmensrecht, Band I, Stand Juli 2016, Teil III, Frage 9, Ziff. 9; Engelbrecht in Schieder/Happ, KAG, 15. Aktualisierung 2015, Art. 13, Rn. 128d; VG Regensburg, U.v. 14.7.2014 – RN 3 K 13.1812 – juris). Ein Grundstück ist durch eine leitungsgebundene Einrichtung erschlossen, wenn die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit einer Inanspruchnahme besteht. Dies ist der Fall, wenn der in der öffentlichen Straße verlegte Kanal bis zur Höhe der Grundstücksgrenze heranreicht (BayVGH, U.v. 29.4.2010 – 20 BV 09.2024 – juris). Zudem muss das Grundstück bebaut oder zumindest bebaubar sein (VG Regensburg, U.v. 14.7.2014 – RN 3 K 13.1812 – juris).
Die Klägerseite stellt in Bezug auf den Eintritt der Vorteilslage zwar zutreffend auf die tatsächlichen Gegebenheiten ab. Allerdings verkennt sie, dass eine Veränderung am betreffenden Grundstück eine neue Vorteilslage begründen kann. Hierzu zählen die Bebauung eines bisher unbebauten Grundstücks, aber auch die Erweiterung einer bestehenden Bebauung oder eine Veränderung der Grundstücksgröße (Engelbrecht in Schieder/Happ, KAG, 15. Aktualisierung 2015, Art. 13, Rn. 128d). Demzufolge kann die Veränderung des Grundstückszuschnitts den Eintritt einer neuen Vorteilslage begründen. Schließlich kann auf diese Weise beispielsweise eine anderweitige Bebaubarkeit ermöglicht werden. Dies hat zur Folge, dass das Grundstück durch die leitungsgebundene Einrichtung nunmehr einen anderen, d.h. höherwertigen Vorteil erfährt. In dem Gesetzesentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes (LT-Drs. 17/370, S. 13) ist zum Eintritt der Vorteilslage Folgendes ausgeführt:
„Aus dem Begriff der „Vorteilslage“ ist jedenfalls abzuleiten, dass auf den jeweils durch die Einrichtung vermittelten Vorteil für das Grundstück abzustellen ist. Anerkannte Maßstäbe zur Abbildung des Vorteils, den eine öffentliche Einrichtung vermittelt, sind Grund- und Geschossfläche. Der Vorteil, den ein unbebautes Grundstück durch eine öffentliche Einrichtung hat, ist ein anderer – geringerer – Vorteil als ein bebautes Grundstück vermittelt bekommt. Daher kann im Laufe der Zeit durch Veränderungen am Grundstück eine neue – andere – Vorteilslage eintreten. Dies kann etwa der Fall sein, wenn ein bisher unbebautes Grundstück bebaut wird oder wenn ein bebautes Grundstück eine bauliche Erweiterung erfährt. Denkbar sind auch Veränderungen bei der Grundstücksgröße. Derartige tatsächliche Entwicklungen, die nach Art. 5 Abs. 2a Satz 1 KAG Auswirkungen auf den Vorteil und damit auf die Beitragsbemessung haben, bewirken auch eine neue Vorteilslage. Der Eintritt einer neuen Vorteilslage setzt hinsichtlich des neu hinzugekommenen Vorteils (z.B. hinsichtlich der zusätzlichen, durch die Erweiterung entstandenen Geschoss- oder Grundstücksfläche) die Ausschlussfrist gesondert in Gang. […] Den Vorteil vermittelt jeweils die hergestellte, angeschaffte, verbesserte oder erneuerte Einrichtung.“
Unter Zugrundelegung dieser gesetzgeberischen Erwägungen ist für den Eintritt der Vorteilslage nicht, wie die Klägerseite meint, auf die Erschließung des klägerischen Grundstücks in seiner ursprünglichen Form ausgehend von den Wasserleitungen der B …- bzw. W …straße im Jahr 1975 abzustellen. Denn die Bildung des 890 m2 großen Grundstücks Fl.Nr. …8 (neu) durch die am 21. Juni 2002 im Grundbuch eingetragene Verschmelzung von Teilflächen des 924 m2 großen Grundstücks Fl.Nr. …7 (alt), des 950 m2 großen Grundstücks Fl.Nr. …8 (alt) und des 278 m2 großen Grundstücks Fl.Nr. …1 (alt) führte zum Eintritt einer neuen Vorteilslage. Hierdurch wurde die 30-jährige bzw. 20-jährige Ausschlussfrist gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG i.V.m. Art. 19 Abs. 2 KAG neu ausgelöst.
Der von der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung, wonach der „zusätzlich entstandene Vorteil“ maßgeblich sei, führt zu keinem anderen Ergebnis. In der diesbzgl. angeführten Kommentierung (Engelbrecht in Schieder/Happ, KAG, 15. Aktualisierung 2015, Art. 13, Rn. 128d) wird ausgeführt: „Der Eintritt einer solchen neuen Vorteilslage setzt hinsichtlich der aufgrund der zusätzlichen, durch die Bebauung oder Erweiterung entstandenen Geschoss- oder Grundstücksfläche, die Ausschlussfrist neu und gesondert in Gang.“ Vorliegend wurde die 30 bzw. 20-jährige Verjährungsfrist jedoch durch die Bildung des Grundstück Fl.Nr. …8 (neu) im Jahr 2002 bezogen auf die gesamte Grundstücksfläche neu ausgelöst. Denn es erfolgte gerade keine bloße Grundstückserweiterung, die einen lediglich zusätzlichen Vorteil zeitigte. Durch die Bildung des Grundstücks Fl.Nr. …8 (neu) entstand vielmehr eine völlig neue, anders geartete Vorteilslage.
Auch die von der Klägerseite angeführte Entscheidung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs vom 19. März 2015 (20 ZB 14.1723 – juris) führt zu keiner anderen Bewertung. In diesem Beschluss hob der Bayer. Verwaltungsgerichtshof erneut hervor, dass der Eintritt der Vorteilslage unabhängig von den rechtlichen Entstehensvoraussetzungen des Beitrags sei. Im konkreten Fall müsse im Hinblick auf den Eintritt der Vorteilslage nicht berücksichtigt werden, dass nach dem damaligen Satzungsrecht eine Beitragspflicht noch nicht entstanden gewesen sei und dass die streitgegenständlichen Grundstücke nach dem maßgeblichen Bebauungsplan nur gemeinsam bebaubar gewesen seien, die Eigentümeridentität jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt herbeigeführt und damit erst dann als ein Grundstück im wirtschaftlichen Sinne baulich nutzbar geworden sei. Zudem führte der Bayer. Verwaltungsgerichtshof aus, dass dem Grundstückseigentümer oder Erbbauberechtigten zwar nur im Falle einer Bebauung bzw. Bebaubarkeit – abgesehen von einer selbständigen Nutzbarkeit – ein Vorteil i.S.d. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG durch die Anschlussmöglichkeit an die öffentliche Einrichtung vermittelt werde. Für den Begriff der „Bebaubarkeit“ seien baurechtliche Kriterien maßgeblich. Demgegenüber komme es nicht darauf an, dass das Eigentum beim selben Rechtsinhaber zusammenfalle, zumal jederzeit die Möglichkeit bestanden habe, dass sich die Eigentümer hinsichtlich einer gemeinsamen Bebauung einigten, weshalb es auf den Begriff der wirtschaftlichen Grundstückseinheit nicht ankomme. Die dem Beschluss des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs zugrundeliegende Konstellation unterscheidet sich aber von dem vorliegenden Sachverhalt, bei dem mit der Bildung des Grundstücks Fl.Nr. …8 (neu) im Jahr 2002 durch die Verschmelzung von Teilflächen der Grundstücke Fl.Nr. …7 (alt), Fl.Nr. …8 (alt) und Fl.Nr. …1 (alt) ein völlig neues Grundstück entstand.
Da schon die Zwanzigjahresfrist bei der streitgegenständlichen Festsetzung ersichtlich nicht überschritten wurde, kann die Vereinbarkeit der Übergangsregelung des Art. 19 Abs. 2 KAG mit den Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 118 Abs. 1 BV dahinstehen (hierzu Kraheberger in Driehaus, KAG, Stand September 2015, § 8 Rn. 727).
1.7 Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit der Beitragsfestsetzung nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a KAG i.V.m. § 227 AO. Danach können Ansprüche aus dem Abgabenschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des Falles unbillig wäre. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Einwand der Klägerbevollmächtigten, wonach zumindest dann, wenn vorliegend die Ausschlussfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG i.V.m. Art. 19 Abs. 2 KAG nicht eingreifen würde, eine Unbilligkeit i.S.d. § 227 AO bestehe, nicht überzeugt. Schließlich wurde durch die Bildung des Grundstücks Fl.Nr. …8 (neu) – wie zuvor erläutert – eine neue Vorteilslage begründet, die die Verjährungshöchstfrist neu auslöste. Es bestehen keine Anhaltspunkte dahingehend, dass es sich insoweit um ein Ergebnis handelt, dass der Gesetzgeber bei Kenntnis des vorliegenden Falles nicht gewollt hätte, zumal das den Eintritt der neuen Vorteilslage auslösende Ereignis in Gestalt des Flächentauschs auf einem privatrechtlichen, dem freien Willen des Klägers unterliegenden Handeln beruhte.
Eine abweichende Beitragsfestsetzung wegen sachlicher Unbilligkeit gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b, Doppelbuchst. aa KAG i.V.m. § 163 Abs. 1 Sätze 1 und 3 AO kommt ebenfalls nicht in Betracht.
Somit war die Klage abzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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