Baurecht

Innenbereich, Überbaubare Grundstücksfläche, Maßgeblicher Bereich wechselseitiger Prägung, Faktische Baugrenze, Bebauungstiefe

Aktenzeichen  M 8 K 20.4178

Datum:
2.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 15182
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf positive Verbescheidung der gestellten Vorbescheidsfragen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, Art. 71 Satz 4, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO. Das Vorhaben vermag sich in beiden Varianten hinsichtlich des Merkmals der überbaubaren Grundstücksfläche (§ 34 Abs. 1 BauGB) nicht in die maßgebliche Umgebung einzufügen (Fragen 3 und 4). Hinsichtlich der Fragen 1 und 2 (Maß der baulichen Nutzung) sowie 5 und 6 (Fällung geschützter Bäume) fehlt der Klägerin aufgrund dessen bereits das erforderliche Sachbescheidungsinteresse.
1. Gemäß Art. 71 Satz 1 BayBO ist vor Einreichung eines Bauantrags auf Antrag zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens vorweg ein Vorbescheid zu erteilen. Als feststellender Verwaltungsakt stellt der Vorbescheid im Rahmen der vom Bauherrn gestellten Fragen die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die Gegenstand der Prüfung im Rahmen des einschlägigen Genehmigungsverfahrens sind, fest. Er entfaltet insoweit während seiner Geltungsdauer – in der Regel drei Jahre (Art. 71 Satz 2 BayBO) – Bindungswirkung für das nachfolgende Baugenehmigungsverfahren.
Nach Art. 71 Satz 4 Halbsatz 1 i.V.m. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO ist eine zulässige Vorbescheidsfrage positiv zu beantworten und der begehrte Vorbescheid zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben, soweit seine Zulässigkeit mit dem Vorbescheid abgefragt wird, keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Vorbescheidsverfahren zu prüfen sind.
2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf positive Verbescheidung der Vorbescheidsfragen Nr. 3 und 4. Das Vorhaben verstößt in beiden Varianten gegen das dort abgefragte Bauplanungsrecht, Art. Art. 71 Satz 4 Halbsatz 1 BayBO, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO, Art. 59 Satz 1 Nr. 1a) BayBO i.V.m. § 30 Abs. 3 und § 34 Abs. 1 BauGB. Es vermag sich nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einzufügen. Es soll vollständig hinter einer durch die Bebauung südlich der … straße gebildeten faktischen Baugrenze in zweiter Reihe errichtet werden und hielte sich auch bei einer Betrachtung der maximalen Bebauungstiefe nicht im Rahmen der maßgeblichen Umgebung. Das Vorhaben verursacht zudem insbesondere aufgrund seiner Vorbildwirkung bewältigungsbedürftige städtebauliche Spannungen.
2.1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beurteilt sich im Hinblick auf die abgefragte Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nach § 30 Abs. 3 BauGB i.V.m. § 34 Abs. 1 BauGB.
Für das streitgegenständliche Grundstück wurde durch einfachen, gemäß § 173 Abs. 3 BBauG 1960, § 233 Abs. 3 BauGB übergeleiteten Baulinienplan eine vordere Baugrenze festgesetzt. Diese straßenseitige Baugrenze erschöpft sich in der Regelung, dass sie von Gebäuden oder Gebäudeteilen nicht oder nur in geringfügigem Ausmaß überschritten werden darf. Sie besagt jedoch nichts über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Rückgebäuden, insbesondere ist keine dahingehende Festsetzung erfolgt, dass die hinter der Baugrenze liegende Grundstückfläche insgesamt zur Bebauung freigegeben werden sollte (vgl. hierzu: BVerwG, U.v. 12.1.1968 – IV C 167.65 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 4.9.1984 – 2 CS 84 A.1559 – BayVBl 1984, 726; VG München, U.v. 13.5.2013 – M 8 K 12.2534 – juris Rn. 82 ff.). Die Frage nach der überbaubaren Grundstücksfläche beurteilt sich daher insoweit ergänzend nach den Kriterien des § 34 Abs. 1 BauGB.
2.2. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils nur zulässig, wenn es sich auch nach der „Grundstücksfläche, die überbaut werden soll“ in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.
Es gibt keinen Grundsatz, wonach eine Hinterlandbebauung von vornherein städtebaulich unerwünscht ist. Es muss vielmehr in jedem Einzelfall geprüft werden, ob sich eine solche Bauweise i.S.d. § 34 BauGB einfügt oder städtebauliche Spannungen hervorruft (BVerwG, B.v. 6.11.1997 – 4 B 172/97 – NVwZ-RR 1998, 539). Ein Vorhaben fügt sich dabei im Allgemeinen ein, wenn es sich innerhalb des Rahmens hält, der durch die in der Umgebung vorhandene Bebauung gezogen wird. Ausnahmsweise kann auch ein den Rahmen überschreitendes Vorhaben zulässig sein, wenn es trotz der Überschreitung keine bodenrechtlich beachtlichen, städtebaulichen Spannungen hervorruft (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – BVerwGE 55, 369/386 f.).
2.2.1. Maßstabsbildend im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist dabei die Umgebung, insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (BVerwG, B.v. 22.09.2016 – 4 B 23.16 – juris Rn. 6). Wie weit diese wechselseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls.
Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. Diese kann so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen ist, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen. Der Grenzverlauf der näheren Umgebung ist nicht davon abhängig, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie (Straße, Schienenstrang, Gewässerlauf, Geländekante etc.) entkoppelt ist. Eine solche Linie hat bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur nicht stets eine trennende Funktion; umgekehrt führt ihr Fehlen nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen sind und insgesamt die nähere Umgebung ausmachen (BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74.03 – juris Rn. 2).
Die „nähere Umgebung“ ist für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten Zulässigkeitsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil die prägende Wirkung der jeweils maßgeblichen Umstände unterschiedlich weit reichen kann (BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – juris Rn. 79). Bei der überbaubaren Grundstücksfläche ist der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als bei der Art der baulichen Nutzung, weil die Prägung, die von der für die Bestimmung der überbaubaren Grundstücksfläche maßgeblichen Stellung der Gebäude auf den Grundstücken ausgeht, im Allgemeinen deutlich weniger weit reicht, als die Wirkungen der Art der baulichen Nutzung. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass nur wenige, unter Umständen sogar nur zwei Grundstücke den maßgeblichen Rahmen bilden (BayVGH, B.v. 19.12.2006 – 1 ZB 05.1371 – juris Rn. 20; U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 20).
2.2.2. Mit dem in § 34 Abs. 1 BauGB verwendeten Begriff der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, ist die konkrete Größe der Grundfläche der baulichen Anlage und ihre räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung gemeint. Es geht also um den Standort i.S.d. § 23 BauNVO (BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38/13 – juris Rn. 8; B.v. 12.8.2019 – 4 B 1/19 – juris; B.v. 22.9.2016 – 4 B 23.16 – juris). Zur näheren Konkretisierung kann auf die Begriffsbestimmungen in § 23 BauNVO zur „überbaubaren Grundstücksfläche“, die wiederum gemäß § 23 Abs. 4 BauNVO auch durch Festsetzung der Bautiefe bestimmt werden kann, zurückgegriffen werden. Dieses Tiefenmaß, das die rückwärtige Bebauung in der gleichen Weise begrenzt wie eine festgesetzte hintere Baugrenze, ist gemäß § 23 Abs. 4 Satz 2 BauNVO grundsätzlich durch eine von der tatsächlichen Straßengrenze ab zu messende Maßzahl zu bestimmen (BVerwG, B.v. 16.6.2009 – 4 B 50.08 – ZfBR 2009, 693).
Nach der neueren Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist die Konsequenz daher, dass die Reichweite der näheren Umgebung auf diejenigen Grundstücke beschränkt ist, die durch die gleiche Erschließungsstraße erschlossen sind und in der Regel auch auf der gleichen Straßenseite liegen (BayVGH, B.v. 10.2.2022 – 2 ZB 21.1560 – juris Rn. 6). Allerdings kann im Einzelfall – auch in klar gegliederten Quartieren – nach der Rechtsprechung der erkennenden Kammer hinsichtlich des Merkmals der „Grundstücksfläche, die überbaut werden soll“ nicht nach der jeweiligen Erschließungsstraße zu differenzieren sein, wenn sich die rückwärtigen Bereiche gegenseitig prägen, was insbesondere der Fall sein kann, wenn die maßgebliche Umgebung derartig unterschiedliche Bebauungstiefen aufweist, dass diese geradezu ineinander „verzahnt“ wirken (vgl. VG München, U.v. 26.10.2015 – M 8 K 14.3339 – juris Rn. 43). Ein Teil der Rechtsprechung geht wiederum davon aus, dass bezogen auf die überbaubare Grundstücksfläche im Regelfall das jeweilige Straßengeviert die nähere Umgebung bildet, wovon jedoch im Einzelfall auch Ausnahmen gemacht werden (Übersicht über die Rechtsprechung: OVG MV, U.v. 20.3.2019 – 3 LB 284/15 – juris Rn. 24). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es auch hinsichtlich des Merkmals der überbaubaren Grundstücksfläche zudem im Einzelfall nicht von vornherein ausgeschlossen, dass von einer Bebauung jenseits der das Geviert umgebenden Straßen ein Einfluss auf das Baugrundstück ausgeht (BVerwG, U.v. 21.11.1980 – 4 C 30.78 – DVBl. 1981, 100).
Diese Annahmen für den „Regel- bzw. Einzelfall“ bezeichnen allerdings jeweils nur einen gedanklichen Ausgangspunkt, der jedenfalls von einer Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall nicht entbindet (vgl. hierzu grundsätzlich: BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38/13 – NVwZ 2014, 1246; OVG MV, U.v. 20.3.2019 – 3 LB 284/15 – juris Rn. 24). Die Fragen, ob es für die nähere Umgebung hinsichtlich des Kriteriums der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, „nur auf die Bebauung entlang derselben Erschließungsstraße an(kommt)“, oder ob „die Umgebungsbebauung auch insoweit zu berücksichtigen (ist), als sie nicht Bestandteil derselben (Straßenrand-) Bebauung ist“, und ob die maßgebliche Umgebungsbebauung mit der Straßenrandbebauung des Baugrundstücks eine Einheit bilden muss, lassen sich nicht im Sinne eines allgemein gültigen Rechtssatzes, sondern nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beantworten (BVerwG, B.v. 16.6.2009 – 4 B 50.08 – ZfBR 2009, 693). Eine rechtsgrundsätzliche Klärung – insbesondere hinsichtlich der Maßgeblicheit des Straßengevierts – scheidet schon wegen der Vielgestaltigkeit möglicher Straßengevierte aus (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2014 – a.a.O.).
Daher kommt es auf die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen hinsichtlich der dogmatischen Einordnung der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Februar 2022 (2 ZB 21.1560) nicht an.
2.2.3. Maßgeblich ist bei der Bestimmung der prägenden Umgebung im Einzelfall allein eine wertende und bewertende Betrachtung der konkreten tatsächlichen Verhältnisse anhand äußerlich erkennbarer, also mit dem Auge wahrnehmbarer, Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung und der übrigen Geländeverhältnisse. Zur Ermittlung können auch Lagepläne oder Luftbilder verwendet werden, die ein Bild „von oben“ vermitteln. Dabei kann die für § 34 Abs. 1 BauGB kennzeichnende wechselseitige Beeinflussung auch über ein den optischen Zusammenhang unterbrechendes Hindernis noch eintreten (BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38/13 – NVwZ 2014, 1246). Entscheidend ist, welche Bebauung das Baugrundstück prägt und im Falle seiner Bebauung ihrerseits von ihm geprägt werden würde (NdsOVG, B.v. 26.08.2019 – 1 LA 41/19 – juris Rn. 8).
2.3. Die obigen Vorgaben berücksichtigend, ist hinsichtlich des Merkmals der „Grundstücksfläche, die überbaut werden soll“ die maßgebliche Umgebung insoweit abzugrenzen, als diese die Bebauung auf der Südseite der … straße, jeweils begrenzt von der … straße im Osten und der … straße im Westen, also die Nordseite des Quartiers umfasst. Bei Einnahme des Augenscheins und durch das Studium von Lageplänen und Luftbildern konnte sich das Gericht davon überzeugen, dass die vorgenannte maßgebliche Umgebung eine eigenständige städtebauliche Struktur aufweist. Die zwei- bis dreigeschossigen Hauptgebäude bilden eine einzeilige Bebauung und sind dabei jeweils zur … straße hin orientiert. Sie halten einen Vorgartenbereich gegenüber dieser frei, sodass eine in etwa einheitliche straßenseitige Gebäudeflucht entsteht, da die Gebäude im Wesentlichen in vergleichbarem Abstand zur Straße errichtet sind. Die überwiegend schmalen seitlichen Zwischenräume innerhalb der Häuserzeile werden zur Unterbringung von Nebenanlagen, insbesondere von Garagen genutzt, was den Eindruck der Geschlossenheit der Straßenrandbebauung verstärkt. Im rückwärtigen Bereich schließt sich an die einzeilige Bebauung eine begrünte Freifläche an. Zwischen den zur Straße hin orientierten Hauptgebäuden und dem Grünstreifen besteht eine Sichtbeziehung. Die den jeweiligen straßenseitigen Gebäuden zugeordneten Hausgärten werden ausschließlich gärtnerisch genutzt, Hauptgebäude finden sich im rückwärtigen Bereich nicht. Insoweit ist ein klares städtebauliches Ordnungsprinzip ablesbar. Die maßgebliche Umgebung wird vornehmlich durch die rückwärtigen Gartenbereiche gekennzeichnet, die der Bebauungszeile ein gemeinsames Gepräge verleihen. Verstärkt wird die optische Wirkung des Grünbereichs auch durch den weitgehenden Verzicht auf Nebengebäude (§ 14 BauNVO). Die wenigen dort vorhandenen Nebengebäude wirken völlig untergeordnet und vermögen den Eindruck eines zusammenhängenden Grünstreifens nicht zu schmälern. Das Baugrundstück wird maßgeblich durch diese Freifläche geprägt, es ist Teil dieses ca. 30 m breiten und ca. 150 m langen, einheitlichen Grünstreifens, der sich sowohl östlich als auch westlich des Baugrundstücks erstreckt.
Die nördlich der … straße gelegene Bebauung ist nicht mehr zu maßgeblichen Umgebung hinzuzurechnen, denn an der Südseite des Grünstreifens stoßen zwei unterschiedliche städtebauliche Bereiche mit jeweils einheitlicher, abgrenzbarer Struktur aneinander. Im Gegensatz zur Nordseite des Quartiers ist dessen Südseite dadurch geprägt, dass eine dichtere Bebauung unter weitgehendem Verzicht auf Freiflächen vorliegt. Die optisch vom Grünstreifen abgesetzte, rückwärtige Bebauung nördlich der … straße verfügt über eine im Wesentlichen einheitliche Gebäudeflucht und begrenzt die zuvor beschriebene Freifläche im Süden, ohne Teil von dieser zu sein oder in diese hineinzuwirken. Es handelt sich bei dem Grünstreifen um einen klar abgetrennten rückwärtigen Ruhebereich innerhalb des Straßenquartiers, der eine wechselseitige Prägung der sich gegenüberliegenden Straßenseiten bzw. Quartiershälften hinsichtlich des Merkmals der „Grundfläche, die überbaut werden soll“ ausschließt. Eine einheitliche Betrachtung der gegenüberliegenden Bebauungsbereiche innerhalb des Quartiers ist daher nicht möglich. Eine über die optische Trennung hinausgehende „Entkoppelung“ verschiedenartiger städtebaulicher Strukturen durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie (Straße, Schienenstrang, Gewässerlauf, Geländekante etc.) ist, wie bereits ausgeführt, nicht erforderlich (s.o.).
Aus der Entscheidung vom 27. Juni 2016 (M 8 K 15.2110) folgt nichts anderes. Zum einen ging es dort um einen anderen und daher auf den vorliegenden Fall nicht ohne Weiteres übertragbaren Sachverhalt. Wie bereits ausgeführt, sind in jedem Einzelfall hinsichtlich des Einfügens nach § 34 BauGB ausschließlich die jeweiligen Umstände maßgeblich. Zum anderen wurde in der Entscheidung hinsichtlich des Merkmals der überbaubaren Grundstücksfläche in der Quartiershälfte nördlich der … straße im Ergebnis nur auf Bebauung nördlich der … straße (maßgeblich … straße 13) und die dort festgestellte faktische Baugrenze bzw. Bebauungstiefe, bezogen auf die … straße als Erschließungsstraße abgestellt (Abdruck bei juris, Rn. 36 ff).
Auch hinsichtlich der nördlich der … straße liegenden Bebauung besteht keine wechselseitige Prägung mit dem Vorhabengrundstück. Denn der rückwärtige Teil dieser Grundstücke ist von diesem aus schon aufgrund der Entfernung, vor allem aber infolge der straßenseitigen Stellung der Hauptgebäude nicht mehr wahrzunehmen.
2.4. Ob eine rückwärtige Bebauung eines Grundstücks zulässig ist, hängt im Wesentlichen davon ab, in welchem Umfang die den Maßstab bildenden umliegenden Grundstücke eine rückwärtige Bebauung aufweisen. Eine rückwärtige Bebauung ist deshalb unzulässig, wenn im hinteren Bereich der umliegenden Grundstücke nur Nebenanlagen vorhanden sind. Da das Merkmal der “rückwärtigen” Bebauung auf einen bestimmten räumlichen Bezug zur Erschließungsstraße hinweist, wird es – je nach der konkreten Situation – auch darauf ankommen können, ob ein Grundstück von mehreren Straßen erschlossen wird (BVerwG, B.v. 6.11.1997 – 4 B 172/97 – NVwZ-RR 1998, 539).
Für die Frage, ob es sich bei einem Vorhaben um eine unzulässige Hinterlandbebauung handelt, ist daher entscheidend, ob hierdurch ein Baukörper geschaffen wird, der bei absoluter Betrachtung erstmalig über eine gedachte Flucht der bisher vorhandenen Bebauung hinausspringt (VG München, U.v. 15.3.2018 – M 11 K 16.4869 – BeckRS 2018, 8130 Rn. 19). Ob sich ein Vorhaben im Hinblick auf seinen Standort in seine Umgebung einfügt, hängt zudem nicht von den Grenzen des Baugrundstücks ab. Für den Begriff der “Grundstücksfläche, die überbaut werden soll”, gilt nichts anderes. Im Einzelfall kann dies zur Folge haben, dass ein im Innenbereich liegendes Grundstück nicht mit einem in diesem Gebiet an sich zulässigen Gebäude bebaut werden kann, wenn es nämlich nur solche Flächen umfasst, die nach der Eigenart der näheren Umgebung nicht für in diesem Gebiet an sich zulässige Hauptgebäude aufnahmefähig sind, sondern (beispielsweise) nur als Hofflächen, Hausgärten oder für Nebenanlagen zur Verfügung stehen. Dass die Lage eines Grundstücks in einem Wohngebiet nicht gleichbedeutend mit der Zulässigkeit eines Wohngebäudes auf diesem Grundstück sein muss, zeigt auch § 23 BauNVO, nach dem in Baugebieten auch nicht überbaubare Flächen festgesetzt werden können. Diesem Verständnis steht nicht entgegen, dass Grundstücke im (unbeplanten) Innenbereich grundsätzlich Baulandqualität haben, die ihnen nicht entschädigungslos entzogen werden darf. Denn eine Fläche, auf der sich ein Hauptgebäude nicht (mehr) in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, ist von vornherein durch die vorhandene Situation als nur beschränkt oder überhaupt nicht bebaubar geprägt (BVerwG, B.v. 28.9.1988 – 4 B 175/88 – NVwZ 1989, 354).
2.4.1. Das Bauvorhaben fügt sich hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche nicht in die maßgebliche Umgebung ein, da es eine faktische rückwärtige Baugrenze überschreitet.
Zur Konkretisierung der Anforderungen zur überbaubaren Grundstücksfläche kann im unbeplanten Innenbereich auf die Vorschrift des § 23 BauNVO als Auslegungshilfe zurückgegriffen werden. Die planungsrechtlichen Instrumente Baugrenze, Baulinie und Bebauungstiefe (§ 23 Abs. 1 bis 4 BauNVO), mit denen die überbaubare Grundstücksfläche in einem Bebauungsplan festgesetzt werden kann, werden daher auch im Rahmen von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zur näheren Bestimmung dieses Zulässigkeitskriteriums herangezogen (BayVGH, B.v. 19.10.2020 – 15 ZB 20.280 – juris Rn. 8).
Für die Annahme einer faktischen Baugrenze, als eine sich durch die tatsächliche Bebauung faktisch herausgebildete Linie, die entsprechend § 23 Abs. 3 BauNVO von Gebäuden und Gebäudeteilen im rückwärtigen oder vorderen (straßenseitigen) Bereich nicht überschritten werden darf, muss aus der Lage der in der vorhandenen Umgebungsbebauung befindlichen Hauptgebäude eine Regel ableitbar – d.h. erkennbar und formulierbar – sein, wie aus der Flucht der straßenseitigen Vorderfassaden eine gemeinsame Grenze gebildet wird. Hierfür bedarf es unter Berücksichtigung grundrechtlicher Wertungen aus Art. 14 Abs. 1 GG wegen der einschränkenden Wirkung auf das Grundeigentum hinreichender Anhaltspunkte für eine städtebaulich verfestigte Situation; die tatsächlich vorhandene Bebauung darf kein bloßes „Zufallsprodukt“ ohne eigenen städtebaulichen Aussagewert sein (BayVGH, B.v. 19.10.2020 – 15 ZB 20.280 – juris Rn. 8 m.w.N.; vom BVerwG wird diese Rechtsprechung wiedergegeben in: BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – juris Rn. 8).
2.4.2. Vorliegend weist die maßgebliche Umgebung eine faktische, rückwärtige Baugrenze auf. Diese verläuft südlich der … straße in einem Abstand von ca. 26 m (abgegriffen) zu dieser hinter der einzeiligen Wohnhausbebauung. Im rückwärtigen Bereich ist hinsichtlich der Hauptbaukörper eine Grenze erkennbar, die den bebauten Bereich von den unbebaubaren Flächen abteilt. Es handelt sich bei dieser einheitlichen Struktur um kein bloßes Zufallsprodukt, sondern den Ausdruck einer verfestigten städtebaulichen Situation, aus der sich eine klare Gliederung zwischen straßenseitig bebautem Streifen und sich anschließendem gärtnerisch genutzten Freiflächen ablesen lässt. Hiergegen lässt sich auch nicht einwenden, dass die südlichen Außenwände der vorgefundenen Hauptbaukörper zum Teil Versprünge aufweisen. Für eine faktische Baugrenze ist nicht erforderlich, dass sämtliche Hauptgebäude – wie bei einer festgesetzten oder faktischen Baulinie – mit einer (absolut) einheitlichen rückwärtigen Gebäudeflucht abschließen. Es ist gerade kennzeichnend für eine Baugrenze, dass bauliche Anlagen und Teile solcher Anlagen diese zwar nicht überschreiten dürfen, ein Zurückbleiben hinter der Baugrenze jedoch zulässig ist (Petz in: König/Roeser/Stock, Baunutzungsverordnung, 5. Auflage 2022, § 23 Rn. 20). Ausreichend ist vielmehr, dass sich vorliegend eine klar nachvollziehbare städtebauliche Struktur ablesen lässt, wonach die vorhandenen Hauptgebäude einen einheitlichen Kontext aufweisen und dabei (neben der festgesetzten vorderen Baugrenze) eine gemeinsame faktische rückwärtige Grenze nicht überschreiten. Erst bei einer höchst unterschiedlichen Bebauung ohne gemeinsame vordere oder hintere Gebäudeflucht kann von einer faktischen vorderen bzw. rückwärtigen Baugrenze nicht mehr gesprochen werden (BayVGH, B.v. 19.10.2020 – 15 ZB 20.280 – juris Rn. 8 m.w.N.). Sämtliche Hauptgebäude, die der Bebauung südlich der … straße zuzurechnen sind, befinden sich jedoch innerhalb eines ca. 22 m breiten, zur … straße hin orientierten, gegenwärtig einzeiligen Bebauungsstreifens.
Das Vorhaben soll jenseits der faktischen Baugrenze in einem Bereich, in dem sich bei den umliegenden Grundstücken keine entsprechende Hinterlandbebauung findet, errichtet werden. Es vermag sich daher – in beiden Varianten – nicht in die maßgebliche Umgebung einzufügen.
2.5. Es ergäbe sich nichts anderes, wenn man – wie die Klägerin – keine faktische Baugrenze annehmen wollen würde, sondern hinsichtlich der Zulässigkeit des Vorhabens nach dem Merkmal der „Grundstücksfläche, die überbaut werden soll“ auf die maßgebliche Bebauungstiefe abstellen würde. Auch diese würde von dem Vorhaben – in beiden Varianten – überschritten.
Die Bebauungstiefe beschreibt die überbaubare Grundstücksfläche, anders als die faktische Baugrenze durch ein festes Maß der maximalen Entfernung von der Erschließungsstraße. Sie ist regelmäßig von der jeweiligen Erschließungsstraße aus zu bemessen (vgl. BVerwG, B.v. 12.8.2019 – 4 B 1.19 – juris Rn. 6; B.v. 16.6.2009 – 4 B 50/08 – juris Rn. 4; VG München, U.v. 3.7.2017 – M 8 K 16.3153 – juris Rn. 60; B.v. 6.4.2017 – M 8 SN 17.676 – juris Rn. 93).
Aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ergäbe sich vorliegend kein anderes Ergebnis, da die Tiefe der faktischen Baugrenze der in der maßgeblichen Umgebung zulässigen Bebauungstiefe – hier abgeleitet vom Grundstück … straße 16, Fl.Nr. … – mit ca. 26 m (abgegriffen) entspricht. Diese Tiefe wird vom Vorhaben in beiden Varianten (ca. 41,50 m und ca. 40,90 m) deutlich überschritten. Die Bebauungstiefen der Bebauung nördlich der … straße prägen das Baugrundstück nicht (s.o.).
2.6. Das Vorhaben, das sich nach den vorstehenden Ausführungen nicht mehr in den Rahmen der prägenden Umgebung einfügt, würde aufgrund seiner Vorbildwirkung in beiden Varianten zu städtebaulichen Spannungen führen und ist deshalb bauplanungsrechtlich unzulässig.
Lässt sich aus der vorhandenen Bebauung eine faktische Baugrenze ablesen, so fügt sich ein Bauvorhaben hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksflächen nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn diese faktische Baugrenze überschritten und bei der Realisierung des Bauvorhabens städtebauliche Spannungen ausgelöst würden (BayVGH, B.v. 25.2.2014 – 1 ZB 11.1739 – juris Rn. 2). Auch hinsichtlich der Überschreitung der maximal zulässigen Bebauungstiefe gilt, dass ein Vorhaben nur dann unzulässig ist, wenn es zusätzlich bodenrechtlich beachtliche städtebaulichen Spannungen hervorruft.
2.6.1. Die Überschreitung des durch die Umgebung gesetzten Rahmens führt zwar nicht unbedingt, wohl aber im Regelfall zur Unzulässigkeit des Vorhabens. Denn eine Überschreitung des von der Bebauung bisher eingehaltenen Rahmens zieht in der Regel die Gefahr nach sich, dass der gegebene Zustand in negativer Hinsicht in Bewegung und damit in Unordnung gebracht wird (BVerwG, U.v. 15.12.1994 – 4 C 13.93 – juris Rn. 21). Allerdings kann die Frage, ob eine solche Entwicklung zu befürchten ist, nur unter Berücksichtigung der konkreten Eigenart der näheren Umgebung und der konkreten Umstände, die Spannungen hervorrufen können, beantwortet werden. Die abstrakte und nur entfernt gegebene Möglichkeit, dass ein Vorhaben Konflikte im Hinblick auf die Nutzung benachbarter Grundstücke auslöst, schließt die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht aus (BVerwG, U.v. 15.12.1994, a.a.O.). Bei einer Überschreitung des Rahmens kommt es darauf an, ob die gegebene Situation verschlechtert, gestört, belastet oder in Bewegung gebracht wird (BVerwG, U.v. 15.12.1994, a.a.O.). Bodenrechtlich beachtliche bewältigungsbedürftige Spannungen werden begründet oder erhöht, wenn das Bauvorhaben die vorhandene Situation in bauplanungsrechtlich relevanter Weise verschlechtert, stört oder belastet und das Bedürfnis hervorruft, die Voraussetzungen für seine Zulassung unter Einsatz der Mittel der Bauleitplanung zu schaffen. Hierfür reicht die mögliche Vorbildwirkung des Vorhabens für andere Bauvorhaben auf Nachbargrundstücken in vergleichbarer Lage aus (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 15 ZB 14.1542 – juris Rn. 17 m.w.N.).
2.6.2. Durch das Vorhaben würde (in beiden Varianten) die bestehende Baugrenze nach Süden verschoben bzw. die zulässige Bebauungstiefe entsprechend erweitert werden. Es würde ein Vorbild für eine Folgebebauung auf Flächen schaffen, die bisher ausschließlich gärtnerisch genutzt werden und mithin zu einer unkontrollierten Nachverdichtung führen. Angesichts dieser Vorbildwirkung ließe sich die derzeit vorhandene städtebauliche Struktur in Form einer straßenseitigen Bebauungszeile, an welche sich ein klar abgetrennter Grünstreifen bzw. Ruhebereich anschließt, nicht mehr aufrechterhalten. Vielmehr wäre das Entstehen einer durchgehenden (zwei- oder) mehrzeiligen Bebauung südlich der … straße unter Verlust des Grünstreifens zu erwarten. Eine solche Entwicklung brächte städtebauliche Spannungen mit sich, da die Hinterliegerbebauung und der Verlust der Freiflächen eine städtebaulich neue Situation entstehen ließe, ohne dass die Entwicklung bauleitplanerisch geordnet wird (§ 1 Abs. 3 BauGB).
3. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf positive Beantwortung der Fragen 1 und 2 (Maß der baulichen Nutzung) und 4 und 6 (Baumschutz). Ihr fehlt insoweit das erforderliche Sachbescheidungsinteresse.
Die Fragen nach dem zulässigen Maß der baulichen Nutzung des Vorhabens (in beiden Varianten; Fragen 1 und 2) können ohne die Frage zu dessen Situierung nicht selbstständig beantwortet werden. Da an den gewählten Standorten überhaupt kein Baukörper zulässig ist, muss die jeweilige Frage nach dem korrespondierenden Maß jedoch nicht mehr beantwortet werden (vgl. BayVGH, U.v. 14.12.2016 – 2 B 16.1574 – NVwZ-RR 2017, 483). Ob die von der Beklagten zur negativen Beantwortung der Fragen gegebenen Begründungen zutreffend sind, ist daher nicht entscheidungserheblich. Gleiches gilt für die Fragen zum Baumschutz (Fragen 5 und 6). Zutreffend durfte die Beklagte darauf abstellen, dass diese Fragen aufgrund ihrer Abhängigkeit zu den anderen gestellten bauplanungsrechtlichen Fragen nicht beantwortet werden müssen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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